sit. Am 75.Internationalen Tag der Menschenrechte der Vereinten Nationen und am Tag zuvor fanden in Genf Aktionstage im Zeichen der Solidarität mit den Geflüchteten in Libyen statt. Vor dem Hauptsitz des UN-Flüchtlingshilfswerks wurden Gerechtigkeit und faire Behandlungen gefordert. Erschreckend sind die Berichte der Betroffenen aus Libyen.
Gekommen, um endlich gehört zu werden. Am Freitag, 9.Dezember und Samstag, 10.Dezember fanden in Genf Aktionen statt, um auf die unmenschliche Lage der Geflüchteten in Libyen aufmerksam zu machen. Aber nicht nur: Der Protest richtete sich auch gegen das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. «Obwohl der erste Artikel der UN-Menschenrechtserklärung besagt, dass alle ‹Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren sind›, mussten die Menschen in Libyen mehr als 100 Tage lang vor dem UNHCR-Hauptgebäude protestieren. Dies, weil das UNHCR ihre Forderungen als Menschen anerkannt und in sichere Länder gebracht zu werden, systematisch ignorierte», ist auf der Website unfairagency.org zu lesen (siehe auch Artikel unten auf dieser Seite). Erklärt wird auch der Grund der Aktionstage: «An diesem Wochenende, etwas mehr als ein Jahr nach Beginn der Proteste in Tripolis, mobilisierten die wenigen, die es nach Europa geschafft haben, um den Protest von Tripolis nach Genf zu tragen.»
Tötungen und Vergewaltigungen: Die Schweiz ist mit dabei
Kein Zufall also, dass die Pressekonferenz am Morgen des ersten Aktionstags vor dem UNHCR-Gebäude stattfand. Dabei ergriff der Gründer der Bewegung «Refugees in Libya», David Yambio, als erster das Wort: «Ich bin heute hier, um die Tausenden von Menschen zu vertreten, die noch immer in Lagern in Libyen eingesperrt sind. Es handelt sich um Menschen, die als Flüchtlinge beim UNHCR registriert sind und denen ein fairer Zugang zum Asylverfahren verwehrt wurde». Yambio lebt in der Zwischenzeit in Italien, wo er als politischer Flüchtling anerkannt ist.
Seinem Bericht schloss sich die Mitstreiterin Lam Magok an, die fünf Jahre lang in Libyen gefangen war: «Wir sind Menschen wie alle anderen auch. Wir sind wie Ukrainer*innen. Es gibt keine A- und B-Migranten». Und Azeb Ambessa von den Netzwerken «Solidarität mit Flüchtlingen in Libyen» und «United4Eritrea» erklärte, dass «die transnationale Bewegung kurz nach Beginn der Proteste in Tripolis entstanden ist, um den Stimmen und Forderungen der Flüchtlinge in Libyen Gehör zu verschaffen». Er fügte hinzu: «Das Grenzregime der Europäischen Union ist mitschuldig an Folter, Tötungen und Vergewaltigungen, die täglich in den Haftanstalten in Libyen stattfinden».
Auch die Schweiz finanziert die Abschottung Europas kräftig mit. Das wissen alle, die es wissen wollen, spätestens seit der Abstimmung vom 15.Mai dieses Jahrs über die stärkere Beteiligung der Eidgenossenschaft an Frontex. In Zukunft werden es ganze 61 Millionen Franken sein. Frontex, die Grenzschutzagentur der EU, wurde 2005 gegründet. Seither ist ihr Budget von sechs Millionen Euro um 7000 Prozent gestiegen und soll für den Zeitraum von 2021 bis 2027 ganze 5,6 Milliarden Euro betragen. Personell soll die Frontex-Einsatztruppe bis 2027 auf ein eigenes stehendes Heer mit 10000 Grenzschutzbeamt*innen aufgestockt werden.
Stoppt die Geisterjagd
Zurück zu den Aktionstagen in Genf. Nach der Pressekonferenz folgte trotz Regen und Temperaturen um den Gefrierpunkt ein Sit-in mit zahlreichen Beiträgen von Betroffenen, das mehrere Stunden dauerte. «Die Gruppe demonstrierte mit Blick auf das Gebäude, in dem Beamte des sogenannten Flüchtlingshilfswerks täglich Entscheidungen über das Leben von Millionen schutzbedürftiger Menschen in aller Welt treffen», ist auf unfairagency.org treffend zu lesen. Am Samstag, dem 10.Dezember und dem 75.Internationalen Tag der Menschenrechte der Vereinten Nationen, fand dann die Demonstration statt. Von der Place des Nations aus zogen Hunderte von Menschen lautstark durch die Calvinstadt. Zu hören waren dabei Slogans wie: «Wir sind hier und wir werden kämpfen – Asyl zu suchen ist jedermanns Recht!», und «UN-Agenturen – Stoppt die Geisterjagd auf Flüchtlinge». Die Demo endete am Place de la Navigation mit mehreren künstlerischen und musikalischen Darbietungen und dem Versprechen, dass dies nur der Anfang von etwas Grösserem sein wird. So ist für die Betroffenen klar: «Wir haben diese Forderungen in Genf auf die Strasse gebracht, während viele unserer Kameraden in Libyen und Menschen auf der Flucht ihr Leben riskieren, um ihre grundlegenden Menschenrechte einzufordern. Wir kämpfen gemeinsam und wir werden weitermachen, bis unsere Forderungen vom UNHCR gehört und umgesetzt werden», so die klare Ansage auf unfairagency.org.
«Es war die Hölle»
Der Kampf ist noch lange nicht zu Ende. Und warum dem so ist, beweisen die Berichte der Betroffenen aus Libyen, die auf unfairagency.org zu lesen sind. So berichtet eine geflüchtete Frau aus dem Sudan: «Am Morgen gegen sieben Uhr holten sie uns ab und trieben uns in Militärfahrzeugen zusammen. Auf dem Weg zum Gefängnis befahl der verantwortliche Kommandant, als er den Zustand meines behinderten Kindes sah, seinen bewaffneten Männern, sich zurückzuziehen und uns freizulassen. Wir kehrten nach Gargaresh zurück und mussten feststellen, dass unser Hab und Gut verschwunden war: Ventilator, Bettlaken, Matratzen, Mobiltelefone und die Reste unserer Ersparnisse waren weg.» Ihr blieb nichts anderes übrig, als vor das UNHCR-Gebäude in Seraj zu gehen. «Wir sassen dort in grosser Zahl vor dem Büro, wurden ignoriert und im Stich gelassen, und die Mitarbeiter schlossen ihre Türen und gingen weg.»
Am 10.Januar 2023 wurde das Protestcamp von der libyschen Miliz gewaltsam aufgelöst. «Wir wurden alle in das Internierungslager Ain Zara gebracht. Es war für uns die Hölle. Wir standen die ganze Zeit draussen und es regnete den ganzen Tag.» Erst nach stunden wurde ein kleines Zelt aus Plastikplanen auf dem Gelände des Gefängnisses von Ain Zara aufgestellt. «Es regnete die ganze Zeit, und meistens schliefen wir in den Fluten des Wassers, so wie vor dem UNHCR-Hauptquartier», so die geflüchtete Frau aus dem Sudan. Sie und ihr krankes Kind mussten bis am 15.Februar im Lager bleiben.
Das Mindeste, was wir tun müssen!
Erschreckend ist auch der Bericht eines Mannes. «Seit ich hier in Libyen bin, habe ich persönlich eine Menge schrecklicher Ereignisse erlebt. Wir haben Angst und werden von den libyschen Milizen und den internationalen Organisationen bedroht.» Die Geflüchteten fordern Grundrechte wie Wohnung, Arbeit, Bildung, Gesundheitssystem. Libyen ist ein Staat «von Mördern und Menschenhändlern.» Der Mann erklärt: «Ich bin seit 2020 beim UNHCR registriert, aber ich habe nichts von ihnen erhalten, keinen Schutz, keine Neuansiedlung, nichts.» Es sei daher die Pflicht und Aufgabe, die Stimme zu erheben. «Wir fordern ein sofortiges Eingreifen, um uns zu helfen und uns aus dieser Hölle zu retten. Wir fordern alle Menschenrechtsorganisationen und -gruppen auf, unseren Stimmen und Forderungen Gehör zu verschaffen. Vielleicht können sie etwas tun, was das UNHCR verweigert oder versäumt hat, zu tun.»
Es ist das Mindeste, was wir hier in Europa tun müssen!