Neonazis gegen Kapitalismus?

May Day In Germany: RostockDie heutigen Nazis lassen häufig antikapitalistische und antiimperialistische Töne von sich hören. In Deutschland hat sich der sogenannte Strasserismus in den 90er Jahren durchsetzen können, sodass auch die NPD für eine «antikapitalistische Wirtschaftsordnung» kämpft.

«Sie haben völlig recht», entgegnete vor einigen Jahren ein schulbekannter Neonazi in einer Schule im Berlin-Prenzlauer Berg seiner Lehrerin. «Hitler war ein grosser Verbrecher. Er hat den Nationalsozialismus an das Kapital verraten. Unsere Leit- und Vorbilder sind nicht Hitler, Himmler, Goebbels und andere Grössen des ‹Dritten Reiches›, sondern Gregor und Otto Strasser.» Die Lehrerin war zunächst in zweierlei Hinsicht sprachlos. Zum einen hatte sie während ihrer Ausbildung in der DDR nie etwas über die Faschisten Gregor Strasser (1892–1934) und Otto Strasser (1897–1974) gehört und zum anderen verblüffte sie die völlig unerwartete Ideologie heutiger neonazistischer Gruppierungen in der BRD. Diese Berliner Lehrerin stellt keine Ausnahme dar. Bis in die Gegenwart hinein ist den meisten Menschen in den alten und neuen Bundesländern die geistige und programmatische Metamorphose beachtlicher Teile des bundesdeutschen Neonazismus kaum bekannt. Nach dem Scheitern aller Pläne von Otto Strasser, Ende der 50er/Anfang der 60er Jahre sein in der Weimarer Republik und danach entwickeltes faschistisches Politikkonzept nahtlos auf die BRD zu übertragen, war der Strasserismus bis auf die heute noch in Nordrhein-Westfalen agierende Unabhängige Arbeiterpartei (UAP) weitgehend in der politischen Versenkung verschwunden. Ein zaghafter Wandel machte sich erst wieder in den 70er Jahren bemerkbar, als die Neue Rechte in der Bundesrepublik analog ihrer französischen Gesinnungsfreunde nach neuen Ideen suchten, um die politische wie geistige Isolierung der Rechtsextremen zu überwinden. Während man in der französischen Nouvelle Droite insbesondere Vorstellungen von Antonio Gramcsi von der Eroberung der kulturellen Hegemonie vor einer politischen Machtübernahme aufgriff, suchte der sogenannte nationalrevolutionäre Flügel der westdeutschen Neuen Rechten Anknüpfungspunkte beim angeblich linken Flügel der NSDAP, der besonders von den Gebrüdern Strasser repräsentiert wurde. Diese rechtsextremen sogenannten Nationalrevolutionäre, die sich vom Hitlerismus und dem NS-System, aber nicht von der Idee eines «nationalen Sozialismus» distanzierten, gruppierten sich in den 80er Jahren vor allem um die Zeitschriften «wir selbst» (Koblenz), «Europa Vorn» (Köln) und um die «Deutsch-Europäische Studiengesellschaft» (Hamburg).

«Ethnopluralismus» statt Rassismus

Von den IdeologInnen dieser Kräfte, die sich als «progressive NationalistInnen» verstanden, wurden eine Reihe neuer Begriffe entwickelt, um den Rechtsextremismus besser in der Öffentlichkeit anbringen zu können. So sprach man anstatt von Rassismus jetzt vom Ethnopluralismus, statt Biologismus nur noch von einem Biohumanismus. Nach wie vor blieb aber auch bei ihnen die Überwindung der demokratischen Republik und die Errichtung eines neuen Deutschen Reiches das Ziel, in dem die Grundwerte der Aufklärung, vor allem das Prinzip der Gleichheit aller Menschen, überwunden und durch eine ethnisch homogene und hierarchische Volksgemeinschaft ersetzt werden sollte. Die Rezeption der Strasser-Vorstellungen in der BRD vollzog sich über verschiedene Phasen, die nicht widerspruchslos abliefen. Bis in die 80er Jahre hinein waren die neuen Strasser-AnhängerInnen in intellektuellen Zirkeln relativ isoliert und politisch wirkungslos. Das änderte sich in dem Masse, wie Michael Kühnen, von den 70er bis Anfang der 90er Jahre wichtigster Repräsentant des bundesrepublikanischen Neonazismus, sich über Positionen der faschistischen Sturmabteilung (SA) dem Strasser-Konzept näherte. Bis zu Beginn der 90er Jahre dominierten dann Strasser-Ideen in fast allen nennenswerten neonazistischen Gruppen der BRD. Zu nennen sind hier insbesondere die inzwischen verbotenen Gruppierungen Nationalistische Front (NF) einschliesslich ihrer diversen Nachfolgegruppen, die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und die Deutsche Alternative (DA). Dass die Strasser-Ideen gerade in Ostdeutschland einen beachtlichen Widerhall fanden und finden, hängt mit einer diffusen Nachwirkung des «Sozialismus« in der DDR, der Ambivalenz zu den angeblich antikapitalistischen Vorstellungen der Gebrüder Strasser und der neonazistischen Parole zusammen, dass der Sozialismus an sich eine gute Idee wäre, nur müsse dieser nicht internationalistisch, sondern nationalistisch ausgerichtet sein.

Durchsetzung des Strasserismus

Die Durchsetzung des Strasserismus in den meisten neonazistischen Vereinigungen vollzog sich nicht konfliktfrei. So setzte 1992 der damalige DA-Bundesvorsitzende Frank Hübner den verantwortlichen Redakteur der DA-Zeitung «Brandenburger Beobachter», Frank Mencke, ohne viel Federlesens ab, weil dieser in einem Artikel Hitler als Wahrer der Menschenrechte und den SS-Obergruppenführer und Organisator des Holocaust, Reinhard Heidrich, als Vorbild für die jungen Neonazis hingestellt hatte. In der Begründung seines Handelns erklärte Hübner, dass solche Auffassungen nicht den Positionen der DA entsprächen. Ein anderes typisches Beispiel waren die Auseinandersetzungen über diese Problematik in der neonazistischen NPD und ihrer Jugendorganisation, den Jungen Nationaldemokraten (JN), die im Sommer 1996 zur Absetzung fast der gesamten Redaktion der JN-Zeitschrift «Der Aktivist – Nationalistisches Infoblatt» führte. Erst in dem Umfang, wie sich der 1995 neugewählte NPD-Vorsitzende Udo Voigt gegen den Flügel des abgesetzten vorherigen Vorsitzenden Günter Deckert durchsetzte, veränderte sich auch der politische und ideologische Kurs der NPD in Richtung auf die Strasser-Linie. Der von Deckert favorisierte geschichtliche Revisionismus (vor allem die «Auschwitz-Lüge») wurde zugunsten der sozialen Gegenwartsprobleme in den Hintergrund gerückt. Wie im Strasserismus wird jetzt auch in der NPD eine hemmungslose nationalistische und rassistische Revolutions- und Sozialismus-Phraseologie betrieben, die durch den Übertritt von Funktionären der Ende 1997 aufgelösten Gruppierung Die Nationalen (NAT) noch verstärkt wurde. Bereits im Mai 1996 fand der 26. ordentliche Bundeskongress der JN in Leipzig unter der heute bundesweit vorgetragenen Losung «Gegen System und Kapital – unser Kampf ist national!» statt. In Distanzierung von bisherigen Praktiken beteiligte sich auch die NPD im August 1997 nicht mehr offiziell an den Gedenkveranstaltungen für den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess. Dazu argumentierte die Spitze der NPD, so etwas sei nicht mehr zeitgemäss und würde von der Masse der Bevölkerung nicht verstanden.

Testfeld Osten

Hauptexperimentierfeld für die Durchsetzung des neuen NPD-Kurses ist der Freistaat Sachsen. Hier haben NDP und JN seit dem Ende der 90er Jahre ihre politische Isolierung durchbrochen und zählen jetzt ca. 1000 hauptsächlich junge Mitglieder. 2004 und 2009 konnten Abgeordnete der NPD in den Sächsischen Landtag einziehen, 2014 scheiterte sie knapp an der 5-Prozent-Hürde. Ähnlich wie in Sachsen agieren NPD und JN auch in Mecklenburg-Vorpommern. Bei den neonazistischen Mitgliedern und AnhängerInnen der NPD steht nach wie vor die rassistische Hetze gegen AusländerInnen und eine massive soziale Demagogie im Zusammenhang mit der Massenarbeitslosigkeit und der Lehrstellenmisere im Vordergrund der Tagesagitation. Das verdeutlicht aber noch nicht genügend die veränderte, angeblich antiimperialistische Politik der NPD. Das wird deutlicher, sieht man sich die weitergehenden Positionen der NPD an. So heisst es im aktualisierten Parteiprogramm: «Die NPD lehnt die in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung systematisch betriebene Internationalisierung der Volkswirtschaften entschieden ab. (…) Auf der ganzen Welt erteilt der Aufbruch der Völker dem multikulturellen Einheitswahn eine Absage. Grundlage einer europäischen Neuordnung muss das Bekenntnis zum nationalstaatlichen Ordnungsprinzip und zum Prinzip der Volksabstammung sein. (…) Wir fordern die Revision der nach dem Krieg abgeschlossenen Grenzanerkennungsverträge.» Noch deutlicher wird die der NPD nahestehende Zeitung, in der «der Kampf für eine nationale, antikapitalistische Wirtschaftsordnung», eine «Basisdemokratie gegen Bonzenhierarchie» gefordert wird. Das alles wird in den neuen Bundesländern mit einer rechtsextremen Vereinnahmung der DDR und einer Anbiederung an einstige DDR-Funktionsträger verbunden. In einem in Sachsen verbreiteten NPD-Flugblatt wird dazu erklärt: «Wir Mitglieder der NPD stehen zur ganzen deutschen Geschichte und auch zur Geschichte der DDR. Die Mehrheit unserer Mitglieder ist (…) der Meinung, dass die DDR das bessere Deutschland war. Wir wollen deshalb die positiven Erfahrungen der DDR in unsere Politik einbringen.» Aber selbst das reicht der NPD noch nicht. Um an ehemalige Kader der SED heranzukommen, wird in dem zitierten Flugblatt entgegen der geschichtlichen Wahrheit weiter verkündet, dass die NPD «in der Tradition der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung» steht. Ideologisch ist man in diesem Zusammenhang bereit, den bisherigen extremen Antikommunismus zugunsten eines ausgeprägteren Antiamerikanismus zurückzunehmen. All das soll dem Ziel der Schaffung einer «Volksfront von rechts» – oder wie es in dem Sachsenflugblatt formuliert wird – der Installierung einer «neuen Nationalen Front des demokratischen Deutschlands» dienen.

Genauere Analysen

Diese geschicktere pseudopatriotische und systemkritische Demagogie wesentlicher Teile des heutigen bundesrepublikanischen Neonazismus findet nicht nur unter Teilen der Jugend, sondern auch bei älteren BürgerInnen in den neuen Bundesländern Widerhall. So bekannte der Sprecher der Bündnisgrünen in Mecklenburg-Vorpommern, Klaus-Dieter Feige: «Ich bin immer wieder erschüttert, wenn ich mich mit Rechtsextremen unterhalte, in wie vielen Punkten wir in der Kritik am existierenden Kapitalismus übereinstimmen.» Zum Schluss sei hier noch darauf verwiesen, dass sich in Gestalt der Europäischen Synergien, einer Absonderung von den europäischen Neuen Rechten, eine neue internationale Struktur herausbildet, die sich verstärkt mit der Thematik des sogenannten Nationalkommunismus befasst und deren Verbindungen bis zu hohen russischen Militärs in Moskau reichen. Ohne jetzt hier noch weitere Thesen und Praktiken der Strasser-ErbInnen zu erörtern, verdeutlicht schon diese kurze Abhandlung, dass viele linke Analysen des heutigen Rechtsextremismus noch zu sehr in überholten Vorstellungen befangen sind und auch viele Argumente des heutigen Antifaschismus nicht die neuen Entwicklungen reflektieren und daher kaum Wirkung zeigen. Anliegen aller Linken sollte es sein, in ihren Analysen genauer die rechtsextremistische Gegenwart zu untersuchen, um daraus effektivere Argumente und politische Aktivitäten zur Zurückdrängung des zur Zeit immer noch wachsenden Einflusses des Rechtsextremismus in allen seinen Varianten zu entwickeln.

Aus der Printausgabe vom 24. April 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

Neonazi-Konzert im Kanton Bern

rechtsextreme-jpgAm kommenden Samstag, dem 11. Oktober 2014, soll in der Bar-Racuda in Radelfingen ein Konzert mit der rechtsextremen Band «Von Glas zu Glaz» stattfinden. Dutzende einschlägig bekannte Neonazis haben bereits ihre Teilnahme angekündigt.

«Von Glas zu Glaz» ist das neue Bandprojekt der Gebrüder Cedric und Alexander Rohrbach, welche zuvor bereits in der Rechtsrockband «Indiziert» gespielt haben und beide Mitglieder der Rechtsextremen Partei Nationalorientierter Schweizer (PNOS) sind. Die Band wurde 2013 gegründet und besteht nebst dem Brüderpaar aus Sascha Berger und Roger Wagner. Mit Roger Wagner findet sich der dritte PNOS-Exponent in der Onkelz-Coverband.
Auch wenn sich „Von Glas zu Glaz“ nach aussen hin unpolitisch gibt, handelt es sich bei den Bandmitgliedern keineswegs um unbeschriebene Blätter. Immer wieder tauchten sie an Aufmärschen und Demonstrationen von Neonazis auf und zumindest drei Personen sind gut integriert in die neonazistische Rechte des Kantons Bern.
So verwundert es nicht, dass bereits diverse Exponent_innen der rechtsextremen Szene ihre Teilnahme an diesem Event angekündigt haben.

Der Betreiber der Lokalität wurde bereits auf diese Problematik hingewiesen, reagierte bis zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht.

Es kann nicht angehen, dass eine Bar, die sich als «familienfreundlich» ausgibt, eine Plattform für solche Veranstaltungen bietet.

Quelle: Antifa Bern

Alle auf die Strasse gegen Nationalismus!

Demo gegen Rassismus und reaktionäre Hetze 4.10.14 // 14:00 // Steinberggasse Winterthur

Am 4. Oktober werden die Nationalist_innen der «Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz» (AUNS) eine ausserordentliche Mitgliederversammlung in Winterthur abhalten. In der Parkarena in Hegi, einem Kongresszentrum der evangelikalen Freikirche «Gemeinde von Christen» (Prominentestes Mitglied: Polizeivorsteherin Barbara Günthard-Maier), werden die strammen Patriot_innen nicht allein ihrem hässlichen Wohlstandschauvinismus huldigen: Als Gastredner tritt Nigel Farage auf. Dieser ist Chef der britischen rechts-nationalistischen UKIP (United Kingdom Independence Party), welche in den Europawahlen vergangenen Mai 28% der Stimnmen holte und damit alle anderen Parteien überflügelte.

Dass sich AUNS und UKIP gefunden haben erstaunt uns nicht, vertreten doch beide sehr ähnliche reaktionäre Positionen: Aggressiven Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit bis hin zu offenem Rassismus, Rückbesinnung auf Volk und Nation, Sexismus und Homophobie.

Selbst die EU, bekannt für brutale Repression gegen Flüchtende, ist den Rechten noch zu wenig konsequent.
Im Falle der UKIP wird das nationalistische Geschwafel zudem mit radikalem Neoliberalismus angereichert. Desweiteren bedient sie sich populärer Verschwörungstheorien über «geheime Eliten» und die «Klimalüge».
Die UKIP, die AUNS und viele weitere Organisationen in ganz Europa sind Teil des zur Zeit erstarkenden Rechtsnationalismus, welcher sich gleichermassen gegen Migrant_innen und Asylsuchende als auch gegen die «Eliten» (zu welchen die Führer dieser Bewegungen meist selber gehören) richtet.

Wenn die herrschende Klasse Volk und Nation zu beschwören beginnt, sollten die Alarmglocken läuten! Denn ihre Politik zielt nicht nur gegen Fremde, sondern in ihrer Konsequenz auch auf die Gesamtheit von uns Lohnabhängigen und allen weiteren Marginalisierten der Gesellschaft.

Wir lassen uns das nicht gefallen! Wehren wir uns gemeinsam gegen die menschenverachtenden Ideologien der rechten Hetzer_innen. Zeigen wir den Nationalist_innen dass sie in Winterthur nicht willkommen sind. Gerade in diesen Zeiten von neoliberalen Sparpaketen, allgegenwärtiger rassistischer Hetze und nationalistischen Kriegen ist es wichtig, dass wir geschlossen für Solidarität und eine ganz andere Gesellschaft eintreten.

Kommt deshalb alle am 4. Oktober auf die Strasse! Ob Arbeiter_in oder Student_in, ob jung oder alt, ob mit oder ohne Schweizer Pass: Dieser Kampf geht uns alle an!

Unbenannt-5

 

Antifaschismus neu denken

antifaAm 29. März 2014 hätten in Bern auf der einen Seite Rechtskonservative, FaschistInnen und Neonazis, auf der anderen Seite AntirassistInnen und die Antifa demonstrieren sollen. Die Stadt wurde von circa 1000 PolizistInnen ­belagert und am Schluss fand keine Demo statt. Angesichts der Entwicklungen in der Schweiz und in Europa sollten wir uns wieder genauer mit Fragen des Faschismus und des Antifaschismus auseinanderzusetzen.

Ende 2012 versuchte die Gruppe «Stopp Kuscheljustiz» in Bern eine Kundgebung «gegen Ausländerkriminalität und gegen die Ausbeutung der Schweiz [sic!]» durchzuführen. Eine starke antifaschistische Gegenmobilisierung und die Erinnerungen an die Ereignisse rund um das SVP-Familienfest 2007 führten dazu, dass die VeranstalterInnen einen Rückzieher machten und die Kundgebung abgesagt wurde. Am 29. März 2014 versuchten sie erneut eine Kundgebung unter dem Namen «Volksversammlung» zu organisieren. Bewusst distanzierten sie sich diesmal von rechtsextremen Ideologien. Doch ihr Facebook-Auftritt zeigt, dass die Gruppe ein Sammelbecken für rechtskonservative und rechtsextreme Ideologien darstellt. Die «Helvetia» wird zur Heimat der «Eidgenossen» hochstilisiert und populistische Hetzberichte gegen AusländerInnen, Asylsuchende und Kriminelle von Seiten rechtsextremer Parteien wie der PNOS (Partei National Orientierter Schweizer) folgen regelmässig. Und auch Auf­forderungen wie «Schweiz erwache» in Anlehnung an das SA-Kampflied «Deutschland erwache», Aufrufe zu ethnischen Säuberungen oder die Forderung der Todesstrafe gegenüber Andersdenkenden oder MigrantInnen sind die Regel. Häufig findet sich zudem Werbung für die rechtspopulistische SVP. Obwohl sich die SVP von jeglichen rechtsextremen Positionen und Gruppen distanziert, wird damit ersichtlich, dass die SVP auch in diesen Kreisen gewählt wird. Auch die «Volksversammlung» vom 29. März wurde schlussendlich abgesagt. Angekündigte antifaschistische Gegenmobilisierungen im Rahmen von «Bern bleibt Nazifrei» hatten erneut so grossen Druck aufgesetzt, dass die VeranstalterInnen das Demogesuch zurückzogen. Das Polizeiaufgebot blieb jedoch bestehen und so war an jenem Samstag die gesamte Innenstadt von circa 1000 PolizistInnen besetzt. Einzelne rechtsextreme Personen und Gruppen begaben sich trotzdem in die Stadt, ­konnten sich aber nie zu einer Demo formieren. Und die Aktivitäten von «Bern bleibt Nazifrei» konzentrierten sich auf die Reitschule und auf das «FEST gegen Rassismus».

Überall Faschismus??

Es ist mit Sicherheit schwierig, einen Überblick über dieses Amalgam an rechtskonservativen, rechtspopulistischen und rechtsextremen Positionen und Organisationen zu behalten. Umso schwieriger gestaltet sich die Formulierung eines ideologischen und praxisorientierten Antifaschismus, der sich einerseits über die Historie des Faschismus, des Nationalsozialismus und der antifaschistischen Widerstandsbewegung bewusst ist, andererseits aber nicht alles als Faschismus bezeichnet, was sich im rechten politischen Spektrum positioniert. Gerade in der Schweiz, wo wir weder einen Faschismus kennen, der in Zeiten akzentuierter Klassenkämpfe von der Bourgeoisie als staatstragende Macht eingesetzt wurde, noch eine antifaschistische Bewegung, die sich in einer mehr oder weniger gemeinsamen Tradition sieht, ist das Risiko gross, voreilig für alles die Bezeichnung «Faschismus» zu gebrauchen. Diese Einsicht ändert aber nichts an der Tatsache, dass faschistoide Tendenzen tatsächlich auch in Gruppen und Organisationen zu erkennen sind, die sich von rechtsextremen Positionen distanzieren. Historisch sind solche Züge in den national-konservativen und populistischen Positionen von James Schwarzenbach wiederzufinden, vorwiegend in der Konstruktion einer «generalisierten Masse» (damals die ItalienerInnen), die als Bedrohung für das angeblich Schweizerische definiert wird, von der direkten Demokratie bis hin zu den kulinarischen Gewohnheiten. Genauso verhält es sich bei der Gruppe «Stopp Kuscheljustiz»: Obwohl sich die VeranstalterInnen von rechtsextremen Positionen distanzieren und sich nicht als FaschistInnen oder Neonazis wissen wollen, zieht eine solche «Volksversammlung» sehr wohl offen deklarierte RassistInnen, FaschistInnen und RechtspopulistInnen an. Die faschistoiden Züge der Rechten in der Schweiz haben sich also durch rassistische Komponenten («zu viele AusländerInnen») und den Schutz der eigenen «Identität» und «Tradition» charakterisiert. Und sie sind vor allem auch immer bis in die «Mitte der Gesellschaft» vorzufinden.

Woran anknüpfen??

Die Verhinderung der «Volksversammlung» durch den Aufruf zu einer linken und antifaschistischen Gegendemo hat gezeigt, dass die Antifa «auf der Strasse» eine wichtige Arbeit leistet. Doch die faschistoiden Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» manifestieren sich heute in der Annahme der Ausschaffungsinitiative von kriminellen AusländerInnen und der Masseneinwanderungsinitiative. Der Umgang mit Faschismus und Antifaschismus in der Antifa und vor allem die Aktualitätsbezogenheit einer antifaschistischen Intervention muss heute darum vermehrt auch die Frage stellen, warum diese faschistoiden Tendenzen bei unseren Nachbarn und ArbeitskollegInnen auf fruchtbaren Boden stossen. Eine Analyse zur Abstimmung am 9. Februar hat gezeigt, dass sich in erster Linie 50- bis 59-Jährige mit obligatorischem Schulabschluss und weniger als 3000 Franken Monatseinkommen aus den städtischen Agglomerationen für die Masseneinwanderungsinitiative ausgesprochen haben. Auch wenn solche Analysen mit Vorsicht zu geniessen sind, zeigen sie auf, dass vor allem ArbeiterInnen, die vom aktuellen Restrukturierungsprozess des schweizerischen Kapitalismus getroffen sind, auf rechtskonservative, rechtspopulistische und zum Teil auch rechtsextreme Positionen aufspringen. Das ist der Ausdruck davon, dass faschistische Tendenzen in der «Mitte der Gesellschaft» existieren. Eine Antifa sollte also dieses Spezifische aufnehmen und im Zusammenhang mit den heutigen Schwierigkeiten der Klassenkämpfe reflektieren. Dies bedeutet aber auch, dass sich die antifaschistische Intervention nicht auf die Strasse beschränken lässt, sondern vermehrt auch in den Quartieren, in den Schulen und an den Arbeitsplätzen anknüpfen muss.

«Kirche und Schwert. Ein Krieg gegen das Matriarchat»

Georges Felix. Bereits zum dritten Mal marschierten fundamentalistische ChristInnen in Zürich auf, um gegen das Recht auf Abtreibung zu demonstrieren. Hinter der Maske der LebensschützerInnen, gären rechtsextreme Ideologien. Eine Hintergrundrecherche.

Aus der Printausgabe 35/36 des vorwärts vom 28/09/12. Unterstützte uns mit einem Abo.

Buchcover des Buchs "Kirche und Schwert" von D. Regli

D. Reglis‘ Buchcover „Kirche und Schwert“

 

2010 beim ersten «Marsch fürs Läbe» demonstrierten lediglich ein paar 100 «ChristInnen», am 15. September 2012 waren es bereits weit über 1000. Gegenüber dem letzten Jahr verdoppelte sich die Teilnehmendenzahl, während sich die 200 GegendemonstrantInnen nicht vermehrten. Die Zahl der FundamentalistInnen muss jedoch relativiert werden. In grosser Zahl wurden AbtreibungsgegnerInnen aus den umliegenden Ländern mit Cars antransportiert.

Über 50 FundamentalistInnen aus Polen fielen besonders auf. Sie trugen Schilder mit makabren Bildern von aufgeschlitzten Barbiebäuchen, Polenfahnen und ein nationalistisches weissrotes Breittransparent, auf welchem in Frakturschrift «Polonia» aufgedruckt war. Ein Herr hatte auf seinem T-Shirt das Templerkreuz mit der Überschrift Jerusalem aufgedruckt. Randbemerkung: Anders Breivik rechtfertigte seine politischen Massenmorde damit, dass er ein «Templer» im christlichen Kampf der Kulturen gegen die Invasion der Kulturmarxisten und des Islams sei.

«Fundamentalistische Gruppen» am Marsch

Der Verein «Marsch fürs Läbe» wurde am 9. Mai 2011 gegründet. Der Vorstand umfasst den Zürcher SVP Gemeinderat Daniel Regli, den Heidi-Schokoladenfabrikbesitzer Jürg Läderach und seinen Sekretär Walter Mannhart, Leiter der freikirchlichen Internatsschule «Domino Servite» (Dienet dem Herren). Beide sind in leitender Funktion bei der Erweckungs-Freikirche «Kwasizabantu» (KSB), welche gemäss der Informationsstelle der reformierten Kirche als fundamentalistische Sondergruppe eingestuft wird. Läderach ist Financier und Chef der KSB Schweiz.

Trotzdem ist der Marsch anhand der Organisationen weniger dem freikirchlichen Spektrum, als eher christlich-rechtskonservativen oder gar christlich-rechtsextremen Strömungen zuzuordnen. Unter den 13 Unterstützungsorganisationen findet sich die Eidgenössische Demokratische Union (EDU) und ein enges Netzwerk aus sechs sich personell überschneidenden Organisationen, in deren Zentrum der Vereinspräsident Daniel Regli steht. Alle diese Organisationen haben sich den Kampf gegen den Islam und für eine rigide Sexualmoral auf die Fahne geschrieben.

Kampf der Kulturen

Ein zentraler Bestandteil heutiger rechtsextremer Theorien und der Organisationen um Regli ist der «Kampf der Kulturen», der eine gesellschaftsfähigere Variante des völkischen «Rassenkampfs» darstellt. Rechtsextremismus baut auf einer sozialdarwinistischen Theorie der Ungleichheit auf, in welcher Völker, Rassen oder Kulturen im unüberbrückbaren Kampf stehen. Ziel ist das Überleben des eigenen «Volkskörpers». Daraus ergeben sich drei Kernmerkmale: 1. Die Auslöschung oder Unterwerfung anderer Kulturen, Rassen oder Völker zum Wohle der eigenen genetisch, kulturell oder historisch überlegenen Gruppe. 2. Die absolute Unterordnung des Individuums unter den Volkskörper. Oftmals anhand einer historisch oder kulturell vorgegeben Rolle. Zum Beispiel die traditionelle biblische Rolle der Frau als Untertanin des Mannes. 3. Der Kampf gegen schädliche Elemente im Innern. Zum Beispiel die Verfolgung von Marxistinnen, Juden oder Homosexuellen.

Christen für die Wahrheit

Der Schokokönig Läderach ist auch Präsident des Schweizer Ablegers «Christians for Truth» (CfT). CfT möchte «eine Nation … nach höchsten christlichen Normen und Werten.» Wie in den USA versucht diese Gruppe Einfluss im rechtskonservativen Lager zu gewinnen. Was christliche Normen und Werte für Läderach und Walter Mannhart bedeuten, sieht man an der KSB-kontrollierten Schule «Domino Servite». Gemäss eines Berichts der NZZ aus dem Jahre 2002 haben die Kinder freches Verhalten zu unterlassen und müssen den Erziehern gehorchen und dankbar sein. Dieser muss ständig wissen, wo sich die Schüler aufhalten. Zweideutige Beziehungen zwischen Knaben und Mädchen sind verboten. Vergehen führen zu strengen Disziplinarmassnahmen. Im Internet finden sich Berichte über körperliche Züchtigung und Haftstrafen in dunklen Wandschränken.

Regli: «Schwule Arschlöcher»

Der SVP-Gemeinderat Regli kämpfte 2009 an vorderster Front mit seiner Organisation «familienlobby» gegen die Europride. Gemäss dem TA schrieb Regli Schmähbriefe an das Pride-OK und bezeichnete diese als schwule Arschlöcher und freute sich über die Zunahme von HIV-Infizierungen in der Gay-Community. In einem Video-Interview sagt Regli: «Homosexualität ist eine psychische Störung … ein moralisches Defizit.» Nach den politischen Massenmorden Anders Breiviks schreibt Regli 2011, dass «Europa erst möglich geworden sei, durch die Tat so genannter <Antiislamisten>» und «die westliche Welt hätte längst keinen Bestand mehr ohne kämpferische <Anti-Jihadisten>.» Er bezieht sich hier nicht auf Breivik selbst aber konstruiert ein kulturkämpferisches Weltbild des Abendlands, welches auf Karl Martell zurückgeht. Dieser besiegte 732 n.Ch. die Mauren. In Reglis Buch «Kirche und Schwert» werden auf dem Titelbild zwei blutverschmierte Schwerter in Kreuzgestalt dargestellt. Es handelt davon, dass «die Zukunft der europäischen Nation … vom beherzten Einsatz von Christen abhängt, die sich an die Macht wagen.»

«Meine Damen… Wollen Sie Frieden oder Krieg?»

2008 schreibt Regli im Artikel «Gummizelle oder Fruchtblase» von den Horden Mohammeds, welche seit 1300 Jahren Europa einzunehmen versuchten. Dies weil die «matriarchale Herrschaft», welche zusammen mit den 68er Marxisten die Macht im Staat haben, das Volk seiner Abwehrkräfte beraubt und es zu einem gefundenen Fressen für äussere und innere Feinde macht. Feministinnen führen nach Regli einen Krieg. Dies sehe man an den über 10000 Toten, welche jedes Jahr alleine in der Schweiz wegen des Feminismus durch Abtreibung verursacht würden. So fragt er die Frauen: «Wollen Sie Frieden oder Krieg?» Aber für Regli ist ohnehin klar, dass jede Gesellschaft nur überleben und zur Blüte gelangen könne, wenn sie ihre Frauen (Matronen) entmachtet. Und dieser innere Kampf eilt: «Die Hyäne Mekkas hat ihre Horden längst losgeschickt.»

 

 

Der braune Sumpf der Schweiz

Die Antifa Bern, Antifa Oberland und repro haben gemeinsam die Broschüre «Die braune Szene der Schweiz» herausgegeben, die einen ausführlichen Einblick in die Entwicklung der rechts-extremen Szene der Schweiz liefert. Neben der Portraitierung rechter Gruppierungen bietet das knapp 40-seitige Heft auch detaillierte Hintergrundinformationen.

Die beteiligten Gruppen haben einige Monate lang recherchiert: rechtsextreme Kundgebungen dokumentiert, Rechtsrock-CDs durchgehört, Webseiten und Diskussionsforen durchforstet und nun die gesammelten Daten veröffentlicht. Mit vielen, teils bisher unveröffentlichten Fotos bebildert, zeigt die neue Broschüre ein aktuelles Bild der rechtsextremen Szene der Schweiz, wirft aber auch einen Blick zurück auf die letzten Jahrzehnte. Nebst einem schön aufgearbeiteten geografischen Überblick und einer Chronologie rassistischer Übergriffe in den letzten zwei Jahren finden sich viele Portraits bekannter und weniger bekannter Gruppen der extremen Rechten. Diese gründliche Aufarbeitung mache die Broschüre laut HerausgeberInnen zu «einem unverzichtbaren Nachschlagewerk sowohl für alte Hasen als auch für NeueinsteigerInnen der Antifa-Szene».

Umfassende Darstellung

Einen grossen Teil der Broschüre nimmt die Einschätzung und Geschichte der umtriebigen «Partei National Orientierter Schweizer» (PNOS) ein, die ausführlich mit sechs ihrer Sektionen portraitiert wird. Zudem finden sich Texte zu der bekannten Gruppe «Blood & Honour» und zu den Hammerskins. Doch auch kleinere, unbekanntere Gruppen kommen nicht zu kurz: so werden der «Waldstätterbund», der «Volksbund Wasserschloss» und die «Europäischen Aktion» beleuchtet. Auch eine Darstellung der aktuellen Vertriebsstrukturen der Neonazi-Szene, wie etwa der Berner Oberländer Versand «Holy War Records» oder der Basler Kleiderladen «Power Zone», lässt sich in der Revue finden.

Einen umfassenden Einblick gibt die Broschüre in die enge Verbindung der braunen Szene mit ihren rechtspopulistischen Vorreitern. Der Befund der Broschüre: Die extreme Rechte – allen voran die PNOS als ihre wichtigste Akteurin – schwächelt mit wenigen Ausnahmen und steht im Schatten der übermächtigen Schweizerischen Volkspartei (SVP), die ähnliche Themenfelder besetzt hält. Auch in der Schweiz konnte die SVP mit ihrer Gewaltrhetorik bei extremen Rechten punkten. Es ist bezeichnend, dass an SVP-Kundgebungen immer wieder rechtsextreme Gruppen auftauchen und etliche SVP-PolitikerInnen auf Facebook mit Neonazis befreundet sind.

Ein genauer Blick

Die HerausgeberInnen beschreiben ihre Tätigkeit: «Der genaue und stete Blick nach Rechts ist ein wesentlicher Bestandteil und die eigentliche Basis der Antifa-Tätigkeit. Durch kontinuierliche Recherchearbeit können die Machenschaften der Alt- und Neonazis aufgedeckt und publik gemacht werden.» Schade ist, dass etwa die Machen- und Seilschaften der SVP als wohl wichtigste rechstpopulistische Kraft – wobei diese Charakterisierung auch nur bedingt taugt – etwas zu kurz kommt. Zudem könnte man bemängeln, dass zu wenig Gewicht auf die autoritären und repressiven Momente innerhalb demokratischer Strukturen gelegt wurde. Doch für antifaschistische AktivistInnen dürfte die Broschüre ein wichtiges Nachschlagewerk für ihre alltägliche Arbeit darstellen.

Bezogen werden kann die Broschüre gratis über: info@antifa.ch oder auf www.antifa.ch

Mumia wird nicht hingerichtet!

Endlich! Nach einem drei Jahrzehnte dauernden Kampf wird die Todesstraffe von Mumia Abu-Jamal in eine lebenslängliche Freiheitsstraffe umgewandelt. Doch der Kampf geht weiter bis Mumia frei sein wird.

Wie Abu-Jamals Anwälte mitteilten, akzeptierte die Staatsanwaltschaft die Umwandlung der Strafe in lebenslange Haft. Massive Zweifel an seiner Schuld hatten Abu-Jamal zu einer Symbolfigur im Kampf gegen die Todesstrafe in den USA gemacht.

Abu-Jamal war 1982 wegen Mordes an dem weissen Polizisten Daniel Faulkner zum Tode verurteilt worden. Der heute 57-Jährige hatte stets seine Unschuld beteuert. Immer wieder wurd darauf hingewiesen, dass es im Verfahren gegen Abu-Jaml rassistische Motivationen gegeben hat. Der Geschworenen-Jury hatten damals zehn Weisse und nur zwei Afroamerikaner angehört. Zudem sind bekanntlich die Ermittlungen schlampig geführt und Entlastungszeugen nicht gehört worden.

Abu-Jamal, der früher in der  afroamerikanischen Black-Panther-Bewegung aktiv war, konnte in seinem Kampf auf ein Netzwerk von Unterstützern auf der ganzen Welt zählen. Anfang 2010 richteten mehr als 7000 Menschen einen Appell an US-Präsident Barack Obama, sich für Abu-Jamal einzusetzen und die
Todesstrafe abzuschaffen. Zu den Unterzeichnern der Petition gehörte unter anderem der Literaturnobelpreisträger Günter Grass.

Jahrelang beschäftigte der umstrittene Fall die Gerichte. Nachdem ein Bundesberufungsgericht in Philadelphia im Jahr 2008 das Todesurteil gegen Abu-Jamal aufgehoben hatte, zog der Bundesstaat Pennsylvania vor den Obersten Gerichtshof in Washington. Der Supreme Court wies den Fall Anfang 2010 wieder an das Bundesberufungsgericht mit dem Auftrag einer Neuprüfung zurück. Dort sollte
eine Jury über das Strafmass befinden.

Infotreffe der Rechtsextremen im Kanton Luzern

Die Avalongemeinschaft besteht seit 1990 und orientiert sich an völkisch-nationalen Werten. Sie organisierte immer wieder Vorträge mit holocaustleugnenden Inhalten, an denen auch ehemalige SS-Angehörige teilnahmen. Ihr Schwerpunkt liegt  in der rituellen Zelebrierung einer nordischen-germanisch Herrenrasse. Die Organisatoren legen grossen Wert darauf, im Verborgenen zu bleiben und halten ihre Veranstaltungen jeweils klandestin und unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Für den 12. November hatte die Gemeinschaft zwei einschlägig bekannte Namen gebucht: Hans Schmidt (Baden-Würthenberg) und Bernd Rabehl (Berlin).

Hans Schmidt zählt zu den Führungspersönlichkeiten der „Artgemeinschaft germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemässer Lebensgestaltung“. Diese Organisation knüpft in ihrer Ideologie direkt an die Rassenlehre des nationalsozialistischen Deutschlands an. Bereits als Student  war Schmid politisch aktiv und gründete den „Nationaldemokratischen Hochschulbund“ (NHB) in Tübingen. Verheiratet ist er mit Edda Schmidt, eine der einflussreichsten Frauen in der deutschen rechtsextremen Szene. Gemeinsam betreiben sie ein Versandantiquariat für Schriften aus dem Dritten Reich in Bissingen-Steinhofen. Deshalb wurde das Ehepaar bereits wegen „Anstachelung zum Rassenhass“ verurteilt. Weiter gilt er als Mitautor für das Publikationsorgan der mittlerweile verbotenen „Hilfsgemeinschaft Nationaler Gefangener“ sowie der Zeitschrift „Nation und Europa“.

Bernd Rabehl war ursprünglich Träger der 68er Revolte in Deutschland und wechselte in den 90er Jahren ins rechtsextreme Lager. Er wandelte sich zum Vertreter eines völkischen Nationalismus und empörte sich immer stärker über die „Überfremdung“ und das „Antisemitismus-Tabu“. Er engagierte sich für die DVU und die NPD, wurde 2009 gar als gemeinsamer Kandidat für das Amt des deutschen Bundespräsidenten gehandelt. In der Schweiz hielt Rabhel bereits Vorträge bei der PNOS-Langenthal.

Die beiden Referenten wurden nicht zufällig ausgewählt. Ihre teilweise krude Argumentationsführung dient der rechtsextremen Szene als politischer Überbau für ihr  Selbstverständnis. Gerade der von der Artgemeinschaft vertretene Sozialdarwinismus und ihre Vorstellung von der Verbundenheit eines Volkes durch Blut und Erde legitimieren die Wertvorstellungen der Neonazis. Die Vorträge müssen somit als Teil der politischen Bildung von Neonazis verstanden werden, die durch Adrian Segessenmann, Kopf der Avalongemeinschaft, forciert wird.

Europäisches Fascho-Treffen in der Ostschweiz

 Am 10. September soll in der Ostschweiz das «Europafest» der «Europäischen Aktion» stattfinden. Die Organisation will damit für ein «neues europäisches Selbstbewusstsein» werben und dafür an nationalsozialistische Traditionen anknüpfen. Doch in St. Gallen formiert sich Widerstand.

In der Einladung zu ihrer «ersten Grossveranstaltung» schreibt die «Europäische Aktion» (EA): «Erwünscht ist traditioneller Stil, volkstreue Kleider (z.B. Trachten) (…) unerwünscht sind Bluejeans und die Monturen pubertärer angloamerikanischer Subkulturen.» Die EA grenzt sich also ästhetisch von den gewalttätigen Glatzköpfen ab. Gleichzeitig ist ihr aber der Traditionsbezug wichtig. Das sieht man auch an ihren ideologischen Grundlagen, die Anleihen an der nationalsozialistischen Tradition nehmen: Antisemitismus, Rassismus, rechte «Kapitalismuskritik» und Verschwörungstheorien gehören zu ihrem Repertoire. Nicht zufällig ist Bernhard Schaub einer der federführenden Exponenten des Zusammenschlusses. Der ehemalige Rudolf-Steiner-Lehrer und bekannte Holocaust-Leugner ist für seine Sympathien für das «Dritte Reich» bekannt. Schaub wird neben NPD-Exponenten und anderen europäischen Rechten einer der Hauptredner der Veranstaltung sein.

Ideologische Grundlagen

«Am Beginn einer europäischen Befreiungsaktion muss ein Feldzug für die Freiheit des Wortes stehen», erklärt die EA. Was sie damit wirklich meint wird klar, wenn man sich durch ihre Homepage klickt. Es geht vor allem darum, dass man endlich wieder den Holocaust leugnen und JüdInnen verunglimpfen darf. Wer sich die Texte der EA durchliest, stösst immer wieder auf krude Verschwörungstheorien: Der Anschlag auf die «Twin-Towers» habe vor allem der «Zionisten-Mafia» gedient, die Anschläge in Norwegen seien ein Geheimdienstprojekt um das «national- und europabewusste Lager» zu schwächen und der Zweite Weltkrieg habe wegen einer «von den Juden inspirierten Hintergrund-Diplomatie» stattgefunden. Die Juden haben an allem Schuld: sowohl am «zügellosen Rothschild-Kapitalismus» wie am «marxistischen Terror», sowohl an der «Rassenvermischung» wie an der «Neuen Weltordnung». Der Kampf der EA für «die Freiheit des Wortes» hat einzig zum Ziel, dass man diese irren Vorstellungen endlich wieder offen propagieren kann. Die Überschneidungen der EA mit dem Nationalsozialismus liegen offen zu Tage. Der verschwörungstheoretisch angereicherte Antisemitismus war eine zentrale Komponente bei den Nazis. Auch in anderen Fragen sind Schaub und seine Kameraden eng an den Nationalsozialismus angelehnt. Wo andere Rechte in den letzten Jahren vor allem von «Kulturkreisen» geredet haben, da poltert die EA offen von bedrohten Rassen und fordert eine «Repatriierung» aller «aussereuropäischen Einwanderer». Zudem hat die Vereinigung einen «rechten Antikapitalismus» auf Lager, der eine Verstaatlichung der Banken – des «raffenden» internationalen Kapitals – fordert, ohne aber die Produktionsstruktur des Kapitalismus als solche anzutasten. Die Verteidigung des «Dritten Reiches» in verschiedenen Texten rundet das Bild einer ziemlich traditionell nationalsozialistischen Vereinigung ab – auch wenn man heute das gesamte Europa im Sinne hat.

 

Widerstand in St. Gallen

In St. Gallen hat sich ein «Bündnis gegen Rassismus, Faschismus und Antisemitismus» zusammengefunden und will sich dem Treffen entgegenstellen. Das Bündnis erklärt auf Nachfrage: «Die Gefahr, die von einer Organisation wie der EA ausgeht, ist einerseits die kontinentale Zusammenarbeit einzelner faschistischer Gruppen, andererseits auch die Tatsache, dass es sich nicht um ungebildete, nur gewaltgeile Personen handelt. Diese Leute wissen, wie man möglichst viele naive, unzufriedene Menschen in den Bann ziehen und für sich instrumentalisieren kann.» Man solle «vor Ort sein und Gesicht zeigen», fordert das Bündnis. Genauere Angaben folgen in den nächsten Tagen auf öffentlichen Plattformen wie Indymedia, wenn der genaue Versammlungsort der EA beka

Kommentar: Zu Dresden und den Naziaufmärschen

Dresden ist ein Politikum, zumindest das ist unbestritten. Auch in diesem Jahr marschieren Rechte und Neonazis auf, um aus Dresden eine Rechtfertigung der eigenen Barbarei zu machen. Und auch in diesem Jahr werden sie gestört werden, wird ihnen Widerstand geleistet – vom aufgeklärten Teil der Bevölkerung, von denen, die sich nicht mit dem Faschismus abfinden und die nicht die Augen vor der Existenz von Faschisten verschliessen. Die Frage muss aber erlaubt sein, wie dieser Widerstand – so gerechtfertigt er auch ist – artikuliert wird.

In Dresden geht es eben nicht nur um Neonazis. Dresden ist eben nicht nur der Ort, an den es den modernen Faschisten verschlägt. Nein, Dresden offenbart eine ganz eigene Tragik. Die Bombardierung Dresdens durch die Alliierten folgte einer Strategie, die auf die Zerstörung der Zivilbevölkerung abzielte. Es ist keine Frage, dass Nazideutschland besiegt werden musste. Es ist auch keine Frage, dass alle Aggression in diesem Krieg von den faschistischen Ländern ausging. Hingegen ist es sehr wohl fragwürdig, ob sich daraus die Konsequenz ergibt, den Krieg spezifisch gegen die (unbewaffnete) Bevölkerung dieser Länder zu richten.

Es ist ein heikles Thema, welches sich da abzeichnet. Es ist sehr leicht, in Dresden nur die neuen Anhänger einer alten Diktatur bekämpfen zu wollen. Wenn man sich allerdings darauf einlässt, wenn man nicht mehr thematisiert, was in Dresden geschah, dann überlässt man den Faschisten die Deutungshoheit in diesem Gebiet. Dann, ja dann tatsächlich, erreichen sie, was sie erreichen wollten: Sie können die Geschichte von den Untaten gegen Dresden auf ihre Weise erzählen. Dresden ist ein Politikum, das ist unbestritten. Wir sollten es als solches behandeln: Auf der Strasse und in der Analyse. Die Kritik an Dresden darf nicht von rechts aussen kommen; auch die Linken sollten Dresden thematisieren, kritisieren, bedauern!

Dresden

Der folgende Artikel wurde von Ulrike Meinhof geschrieben und 1965 in der „konkret“ veröffentlicht.

Vor zwanzig Jahren, am 13. und 14. Februar 1945, in der Nacht von Fastnachtsdienstag auf Aschermittwoch, ist der größte Luftangriff der alliierten Bomberkommandos im Zweiten Weltkrieg auf eine deutsche Stadt geflogen worden: Der Angriff auf Dresden. Dreimal innerhalb von 14 Stunden wurde die Stadt bombardiert. Von 22 Uhr 13 bis 22 Uhr 21 dauerte der erste Schlag. Als die englischen Bomber abflogen, hinterließen sie ein Flammenmeer, das über 80 Kilometer weit den Himmel glühend machte. Der zweite Schlag erfolgte von 1 Uhr 30 bis 1 Uhr 50 . Die abfliegenden Bomber haben das Feuer von Dresden über 300 Kilometer weit beobachten können. Den dritten Angriff flog ein amerikanisches Bombergeschwader am nächsten Vormittag zwischen 12 Uhr 12 und 12 Uhr 23.

Über 200 000 Menschen sind in den Flammen von Dresden umgekommen. Der Engländer David Irving schreibt in seinem Buch „Der Untergang Dresdens“: „Zum ersten Male in der Geschichte des Krieges hatte ein Luftangriff ein Ziel so verheerend zerstört, daß es nicht genügend unverletzte Überlebende gab, um die Toten zu begraben.“

Dresden hatte 630 000 ständige Einwohner. Als es zerstört wurde, hielten sich über eine Million Menschen in dieser Stadt auf. Man schätzt 1,2 bis 1,4 Millionen. Flüchtlinge aus Schlesien, Pommern und Ostpreußen, Evakuierte aus Berlin und aus dem Rheinland, Kindertransporte, Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Dresden war eine Sammelstelle für genesende und verwundete Soldaten. Dresden hatte keine Rüstungsindustrie. Dresden war eine unverteidigte Stadt ohne Flak und ohne Luftabwehr. (sic!) Dresden galt in ganz Deutschland als eine Stadt, die nicht bombardiert werden würde. Es gab Gerüchte, wie: Die Engländer würden Dresden schonen, wenn Oxford nicht angegriffen würde – oder: Die Alliierten würden Dresden nach dem Krieg zur deutschen Hauptstadt machen und deshalb nicht zerstören. Es gab noch mehr Gerüchte, aber vor allem konnte sich kein Mensch vorstellen, daß eine Stadt, die täglich neue Krankenhäuser und Lazarette einrichtete, in die täglich Hunderttausende von Flüchtlingen, hauptsächlich Frauen und Kinder, einströmten, bombardiert werden würde.

Militärisch interessant an Dresden war höchstens ein größerer Güter- und Truppenumschlagbahnhof. Aber in den drei Angriffen, als man zuerst Sprengbomben abwarf, um Fenster zum Platzen zu bringen und Dächer zum Einsturz, um Dachstühle und Wohnungen den folgenden Brandbomben um so schutzloser auszuliefern, als das alles planmäßig mit höchster Präzision ablief, da wurde dieser Bahnhof kaum getroffen. Als Tage darauf Berge von Toten in den Bahnhofshallen aufgeschichtet wurden, waren die Gleise schon wieder repariert. – Dresden hat sieben Tage und acht Nächte lang gebrannt.

Man hatte den englischen Soldaten, die die Angriffe geflogen haben, nicht die Wahrheit gesagt. Man hat gesagt: Ihre Flotte greift das Oberkommando des Heeres in Dresden an. Man hat gesagt, Dresden sei ein wichtiges Nachschubzentrum für die Ostfront. Man hat gesagt, das Angriffsziel sei ein Gestapo-Hauptquartier im Stadtzentrum, ein wichtiges Munitionswerk, ein großes Giftgaswerk. – Schon 1943 hatte es in der britischen Öffentlichkeit Proteste gegen die Bombardierung der deutschen Zivilbevölkerung gegeben. Der Bischof von Chichester, der Erzbischof von Canterbury, der Kirchenpräsident der Church of Scotland erhoben ihre Stimme. Ihnen aber ebennso wie einem Labourabgeordneten im englischen Unterhaus wurde gesagt, das sei nicht wahr, daß ein Befehl ergangen wäre, Wohngebiete statt Rüstungszentren zu zerstören. Es ist der englischen Regierung unter ihrem Premierminister Sir Winston Churchill bis zum Ende des Krieges, bis März 45, gelungen, den tatsächlichen, absichtlichen, planmäßigen Charakter der britischen Bomberangriffe auf deutsche Städte geheimzuhalten. Dresden war der Höhepunkt dieser Politik. Dresden ging in Schutt und Asche, zwei Jahre nachdem der Ausgang des Zweiten Weltkrieges in Stalingrad entschieden worden war. Als Dresden bombardiert wurde, standen die sowjetischen Truppen schon an der Oder und Neiße, lag die Westfront am Rhein. Der Oberbefehlshaber der Royal Air Force, Sir Arthur Harris, der den Einsatz gegen Dresden geleitet hatte, ging ein Jahr danach, am 13. Februar 1946, in Southhampton an Bord, um das Land zu verlassen, das nicht mehr bereit war, seine Verdienste zu würdigen. Als die deutsche Bevölkerung die Wahrheit über Auschwitz erfuhr, erfuhr die englische Öffentlichkeit die Wahrheit über Dresden. Den Tätern wurde der Ruhm versagt, der ihnen von den Regierenden versprochen worden war. Hier und dort.

In Dresden ist der Anti-Hitler-Krieg zu dem entartet, was man zu bekämpfen vorgab und wohl auch bekämpft hatte: Zu Barbarei und Unmenschlichkeit, für die es keine Rechtfertigung gibt.

Wenn es eines Beweises bedürfte, daß es den gerechten Krieg nicht gibt – Dresden wäre der Beweis. Wenn es eines Beweises bedürfte, daß der Verteidigungsfall zwangsläufig zu Aggression entartet – Dresden wäre der Beweis. Wenn es eines Beweises bedürfte, daß die Völker von den kriegführenden Regierungen selbst mißbraucht werden, selbst degradiert werden zu Vorwand und Opfer der angewandten Barbarei – Dresden wäre der Beweis. Daß an der Bahre Sir Winston Churchills das Stichwort Dresden nicht gefallen ist, legt den Verdacht nahe, Dresden sollte immer noch dem Volk angelastet werden, das doch selbst betrogen worden ist. Es ist der gleiche Takt, den die Bundesregierung praktiziert, wenn sie die Verjährungsfrist für in der NS-Zeit begangenen Mord nicht aufhebt. Wer die Täter nicht denunziert, denunziert aber die Völker.

Faschismus ist keine Meinung sondern ein Verbrechen!

Gemeinsame Erklärung Deutscher und Tschechischer Widerstandskämpfer gegen den Hitlerfaschismus zum geplanten Neonaziaufmarsch am 19. Februar 2011 in Dresden.

Mit grosser Sorge verfolgen wir das Wiedererstarken des Rechtsradikalismus und insbesondere des Neofaschismus in Deutschland. Es ist besorgniserregend, dass Neonazis offen und vielfältig ihre menschenverachtenden Ideen und Auffassungen unter dem Mantel der Demokratie zur Schau stellen können, während Antifaschisten, die sich diesem braunen Spuk in den Weg stellen, kriminalisiert werden. Dass dabei das Gedenken an die barbarischen Bombenangriffe vom 13. Februar 1945 auf Dresden missbraucht wird, macht uns besonders nachdenklich.
Dafür sind Millionen Kameraden nicht in den faschistischen Konzentrationslagern in den Tod gegangen, haben unzählige Widerstandskämpfer während der braunen Barbarei nicht Folter und Tortouren überstanden, ohne ihren Glauben an Demokratie und Menschlichkeit, an eine bessere Zukunft, ein friedliches Miteinander, zu verlieren!

Getreu dem Schwur unserer Kameraden von Buchenwald werden wir nicht eher ruhen, bis der Faschismus mit seinen Wurzeln ausgerottet und eine neue Welt des Friedens und der Freiheit errichtet ist.

Wir rufen deshalb alle Bürgerinnen und Bürger dazu auf, sich den Neonazis in Dresden entschlossen entgegen zu stellen. Verhindert mit allen demokratisch legitimierten Mitteln den Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 durch Dresden! Dresden soll nazifrei werden! Protest ist das Gebot der Stunde.

Prof. Hans Lauter, Ehrenvorsitzender der VVN-BdA, Zuchthaus, Moorsoldat
And?la Dvo?áková, Präsidentin ?SBS
Frido Seydewitz, Ehrenvorsitzender des VVN-BdA Sachsen, Emigration, GULAG
Libuše Nachtmannová, Überlebende KZ Ravensbrück
Ruth Burse, Überlebende KZ Theresienstadt
Vojmir Srde?ny, Überlebender KZ Sachsenhausen
Justin Sonder, Überlebender KZ Auschwitz
Antonín Hnili?ka, Überlebender KZ Mauthausen

Rechtsextreme im Netz: Eine Gefahr?

Am vergangenen Freitag, dem 11.2. , hörten ca. 25 Personen den Schilderungen von Michael Weiss zu. Dieser war aus Berlin angereist, um die Erkenntnisse des „Antifaschistischen Pressearchivs und Bildungszentrums“ (Apabiz) über die Aktivitäten Rechtsextremer in Social Networks mit Interessierten zu teilen. Organisiert wurde der Abend von der Antifa Bern in den Räumen der Reitschule.

Die schwierige Einteilung des Rechtsextremismus

Das Apabiz, gegründet in den 80ern, sammelt seit Jahren Daten über die rechte Szene und versucht sich an einer Bewertung. So konnte Michael Weiss denn auch erschreckende Zahlen nennen, die auf empirischen Studien beruhen: zwischen 5 und 10% der deutschen Bevölkerung besitzen ein Gedankengut, dass als faschistisch einzuordnen ist. Ausserdem sind bereits 4% aller 15jährigen in rechten Vereinen, Kameradschaften oder Parteien anzutreffen. Was prozentual als vernachlässigbar erscheint, geht, in absoluten Zahlen gesehen, in die Millionen. Und diese Zahlen dürften nicht nur auf die deutsche Bevölkerung zutreffen.

Dabei fällt die Einteilung der „Rechten“ schwer. Man kann drei grobe Kategorien ziehen: die „Aktivist(Inn)en“, die sich selbst als Nazis begreifen und in Parteien organisiert oder auf Aufmärschen anzutreffen sind; die „Nachbarschafts-Nazis“, die sich selbst gar nicht als rechtsextrem empfinden, deren Meinungen aber eine faschistische Grundhaltung widerspiegeln; die Personen (meist Jugendliche), die sich selbst nicht als Nazis sehen, in den meisten Fällen auch kein direkt faschistisches Gedankengut haben, aber im Kontakt mit Faschisten stehen und auf rechte „Kulturveranstaltungen“ gehen. Schwer ist die Einteilung in diese Kategorien, weil insbesondere der letzte Typ kaum fassbar ist. Die Grenzen verfliessen und die Frage, wo eigene faschistische Haltung beginnt und Mitläufertum endet, ist oftmals nur subjektiv beantwortbar. Interessanterweise ist es gerade durch Facebook und ähnliche Social Networks möglich, eine genauere Studie über den jetzigen Rechtsextremismus anzustellen.

Nazis im Netz: Von Unsichtbaren und Provokateuren

Jeder kennt Facebook: Millionen nutzen es, die meisten davon unbedacht. Durch Facebook und Co ist es möglich, eine Flut von Informationen über das Individuum zu erhalten. Auch Neonazis machen da keine Ausnahme. Die Untersuchungen des Apabiz lassen eine Einteilung in zwei Sorten von Neonazis im Netz zu: die ersten, die man als „bekennende Nazis“ bezeichnen könnte, die mit offen faschistischen Bildern, Texten und Liedern prahlen; die anderen, die vermeiden, einen Bezug zu ihren faschistischen Aktivitäten und Meinungen auf ihrer Facebook-Seite herzustellen, die aber durch ihre Freunde enttarnt werden. Was in diesem Zusammenhang auffällig und besorgniserregend ist, ist folgendes: Auf den Seiten der „bekennenden Nazis“ lassen sich, neben Kommentaren anderer Rechter, auch Freundschaftsanfragen, Gästebucheinträge und Kommentare „normaler“ Menschen finden. Das deutet darauf hin, dass das Vorhandensein einer faschistischen Meinung / faschistischer Propaganda bereits als normal hingenommen wird. Teils nimmt dieses Verhalten auch kuriose Blüten an: Da gratuliert die Mutter im Gästebuch zum Geburtstag, über ihr die Freunde aus der Kameradschaft, die Hitlerbilder schicken und daneben der Bruder, der gleichzeitig auch in der Facebook-Gruppe „Kein Bock auf Nazis“ ist.

Stellt virtuelle Präsenz eine wirkliche Gefahr dar?

Die Frage, die sich aus faschistischen Gruppen mit teils 10.000 Mitgliedern ergibt, ist einfach: Stellt die Präsenz der Faschisten im Netz eine wirkliche Gefahr da und führt die Online-Aktivität der Neonazis zu mehr Nazi-Aktivitäten auf der Strasse? Glücklicherweise deuten die Beobachtungen des Apabiz nicht in diese Richtung. In den Gegenden, in denen die Neonazis besonders aktiv im Netz waren, konnte keine erhöhte rechte Aktivität auf der Strasse gemessen werden. Umgekehrt: Dort, wo die Nazis besonders stark in der Gesellschaft verankert sind und bereits (reale!) Strukturen geschaffen haben, sind sie im Netz geradezu unterrepräsentiert. Dies scheint sich durch den Aufbau der Social Networks erklären zu lassen. In ihnen ist es extrem leicht, eine grosse Masse von Menschen zu erreichen. Jeder Eintritt in eine Gruppe erfordert nur einen Mausklick, Einladungen sind ebenso schnell verschickt. Die dialektische Kehrseite dieser Einfachheit ist die Schwäche der Bindungen, die so aufgebaut werden. Eine Nazi-Gruppe kann schnell Tausende von Mitgliedern bekommen, dies aber nur, weil die Schwelle einzutreten so gering ist. Hingegen ist die Mobilisierung einer solchen Gruppe (dahin, dass sie etwa einen Aufmarsch organisiert) mit der enormen Erhöhung der Hemmschwelle verbunden: Nur die Wenigsten sind dazu bereit. So sammeln sich Nazis zwar leicht Massen, aber eben Massen von Unüberzeugten, die nicht lange darüber nachdenken, ob oder nicht sie einer Gruppe beitreten.

Während also die Rekrutierung neuer, aktiver Personen in die Naziszene durch Facebook kaum stattfindet, scheint es andere Gefahren zu geben. Die Taktik der Antifa, die auf der Isolierung von Rechtsextremen beruht, wird durch Facebook enorm erschwert. Social Networks liefern die Möglichkeit, sich mit der „Szene“ verbunden zu fühlen. Und dies auch dann, wenn man in seinem Ort eigentlich der einzige ist, der die rechte Meinung vertritt. So wird eine Strategie, die auf die Zerrüttung dieser Verbundenheit basiert, konterkariert. Auch eine zweite Gefahr zeichnet sich deutlich ab: Durch das Vorhandensein rechtsextremer Propaganda in Social Networks besteht immer die Chance, dass rechte Parolen, Bilder und letztlich Meinungen sich langsam und schleichend normalisieren. Es scheint schwer, die Öffentlichkeit für Faschismus zu sensibilisieren, wenn sie tagtäglich von faschistischer Propaganda umgeben ist. Besonders heimtückisch ist dies, weil sich eine derartige Propaganda nicht immer als solche zu erkennen gibt und so als „selbstverständlich“ hingenommen werden kann.

Antifaschistisch entgegenwirken?

Wie man dem Auftreten der Rechten im Netz entgegentreten soll, ist umstritten. Michael Weiss gab zu verstehen, dass bereits die Abschätzung der Gefahren schwer fällt, was durchaus verständlich ist. Eine Möglichkeit den Rechten zu begegnen, wird von den Benutzern der Social Networks erprobt. So gibt es etwa eine „Virtuelle Lichterkette“ (eine eigens gegründete Gruppe), die bereits mehrere Hunderttausend Mitglieder hat und den Facebook-Anbieter dazu bringen will, die NPD-Seite zu löschen. Allerdings scheint es auch hier fraglich, wie viel Überzeugung tatsächlich hinter jedem der Gruppenmitglieder steckt und inwieweit eine Löschung von Inhalten wirklich nützlich ist. Da die Möglichkeit der Wiederanmeldung besteht, scheint man sich einer Sisyphos‘ Aufgabe zu hinzugeben.

Eine andere Möglichkeit wäre das Infiltrieren rechter Gruppierungen durch Antifaschisten. Der Nachteil ist jedoch offensichtlich: Es würde eine enorme Arbeit bedeuten und, vielleicht noch schlimmer, wohl auch die Aufgabe der eigenen Anonymität. In Anbetracht dieser Perspektiven muss überlegt werden, ob die Antwort auf Rechte im Netz tatsächlich auch im Netz stattfinden soll. Denkbar ist es nämlich ebenso, dass die antifaschistische Arbeit sich weiterhin auf die Strasse, auf die direkte Aufklärung der Menschen vor Ort, konzentriert. So gesehen: Wenn die Antifa ihre Aufgabe in der Realität erfüllt, dann sei den Nazis das Netz geschenkt – es wird ein trostloser Ort für sie.

Die extreme Rechte in «Social Networks»

Veranstaltung der Antifa Bern mit Michael Weiss, Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Apabiz, Berlin
Freitag, 11. Februar, 20 Uhr, Infoladen, Reitschule Bern

Die «Social Networks» wie Facebook, MySpace oder wer-kennt-wen dienen nicht nur der Vernetzung extrem rechter Szenen, sondern sie öffnen Räume zur Propaganda und Werbung. In eigens geschaffenen Gruppen gestalten Neonazis einen virtuellen Sozialraum, tauschen Materialien und Termine, organisieren Aufmärsche oder «Nationale Grillabende». In Hunderten Gruppen verknüpfen sie «populistische» Forderungen mit neonazistischen Parolen, verbreiten Weltverschwörungshalluzinationen und erreichen eine bedenklich hohe Anzahl UnterstützerInnen. Vor allem wird in den «Social Networks» nachvollziehbar, wie neonazistische Identität in ein «ganz
normales» Alltagsleben, bestehend aus Techno-Event und Freiwilliger Feuerwehr, eingepasst werden kann.

Der Vortrag gibt, insbesondere am Beispiel der Internet-Community wer-kennt-wen, Einblicke in die vielfältigen neonazistischen Aktivitäten in Social Networks. Wie wirkungsmächtig sind diese? Wie bedeutend ist der virtuelle Raum als Kontaktbörse, Austauschplattform oder Propagandamedium? Erreicht man dort möglicherweise mehr Menschen, als wenn man durch abgeschirmte, menschenleere Vororte marschiert? Oder sind die dort gepflegten Beziehungen zu unverbindlich, die Netzwerke zu substanzlos, um von einer «neuen Gefahr» zu reden? Und: Wie kann man dagegen antifaschistisch intervenieren?

Machtkampf um Klamotten

Basler Zeitung vom 14.01.2011

Im Konflikt um die Kleidermarke Thor Steinar sind die Fronten verhärtet

Die Anschläge von Linksextremen auf den Laden Power Zone halten an. Die Betreiber denken nicht daran, die umstrittene Kleidermarke Thor Steinar aus dem Sortiment zu nehmen. Die Folge ist ein Machtkampf mit grossem Gewaltpotenzial.

Die Basler Staatsanwaltschaft ist ratlos. Sie kann die Urheber der Anschläge auf den Laden Power Zone Basel an der Feldbergstrasse gleich bei der Johanniterbrücke nicht fassen. Sicher scheint nur, dass die Täter aus dem linksextremen, antifaschistischen Milieu stammen. Diese hatten es seit der Eröffnung im September auf das Geschäft abgesehen. Zuerst warnten Flugblätter vor «Nazis in der Nachbarschaft», dann wurden die Schaufenster verschmiert. Ende Oktober deponierten Unbekannte einen Brandsatz vor dem Geschäft. Ende Dezember wurde zweimal das Schaufenster eingeschlagen, einmal mit einer Schleuder. Weiter …

Drei Jubilare

Drei grosse alte Männer des österreichischen Antifaschismus haben in den letzten Tagen besondere Geburtstage gefeiert: Alfred Ströer wurde 90 Jahre alt, Jonny Moser 85 und Rudolf Gelbard 80. Die Welser Antifa gratuliert dazu herzlich, dankt den Jubilaren für ihre grossartigen Lebensleistungen und wünscht ihnen, dass sie ihre Aufklärungsarbeit noch lange fortsetzen können!
Jonny Moser und Rudolf Gelbard sind auch in Oberösterreich – und besonders in Wels – immer wieder als Zeitzeugen an Schulen aktiv. Das Echo bei den Jugendlichen ist hervorragend.
Das Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) hat Kurzbiographien der drei Jubilare zur Verfügung gestellt.

Hier geht es zur Antia-Österreich und zum PDF.

1 2 3 4