Ein Zeichen gegen den Faschismus

Gerhard Feldbauer. Die italienische Stadt Salò entzieht dem faschistischen Diktator Benito Mussolini die Ehrenbürgerschaft. Ein symbolischer Akt von Bedeutung, denn die Stadt gab der Republik den Namen, die 1943 von Hitlerdeutschland installiert wurde.

Jahrzehntelang haben alle Regierungen unter Führung der Democrazia Christiana (DC, Christdemokratische Partei Italiens) nach 1945 zugeschaut, wie der faschistische Diktator Mussolini trotz seiner Verbrechen in zahlreichen Städten und Gemeinden Ehrenbürger blieb.
Ende Februar hat nun aber der Stadtrat von Salò am Gardasee, der von den Mitte-Links-Parteien dominiert wird, beschlossen, Mussolini die bisher zugestandene Ehrenbürgerschaft zu entziehen.

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Die Erde als fiktives Kapital

Redaktion. Schon Marx und Engels wussten: Der Preis für Boden beruht auf Spekulation. Und das ist ein prima Geschäftsfeld für Anlagekapital, da eine sehr gute Rendite erzielt werden kann. Doch, wie bestimmt sich der marktwirtschaftliche Preis einer Sache – des Bodens –, die gar nicht produziert worden ist. Und was hat das mit den Mieten zu tun?

Herrliche Zeiten für Investor:innen: Weltweit sind die Preise für Immobilien in den vergangenen Jahren immer höher geklettert. Den Erträgen der Eigentümer:innen stehen steigende Ausgaben für jene gegenüber, die bloss ein Zuhause brauchen. Inzwischen aber droht ein globaler Crash bei den Hauspreisen, der die Weltwirtschaft in eine Krise stürzen könnte. Für beides – die Immobilienblasen und die steigenden Mieten – wird die Finanzialisierung des Wohnsektors verantwortlich gemacht: Investmentfonds und -aktiengesellschaften hätten die Preise in die Höhe spekuliert. Das ist einerseits richtig. Andererseits sind es nicht die Finanzinvestor:innen, die Wohnraum zum Spekulationsobjekt machen. Vielmehr ist es umgekehrt – weil der Preis für Grund und Boden auf Spekulation beruht, ist er ein ideales Geschäftsfeld für Anlagekapital.

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Der Schoss ist fruchtbar noch

Kloten, Dezember 2024: Anführer Tobias Lingg und weitere Mitglieder der rechtsextremen Jungen Tat umgeben von Neonazis aus dem Umfeld von Blood & Honour. Foto: recherche-nord, Bearbeitung:correctiv.org

flo. Die zunehmenden Verbindungen zwischen der SVP und internationalen rechten Kräften sind mehr als alarmierend. Während Christoph Blocher in der Schweiz die «konservative Revolution» prophezeit, pflegen SVP-Politiker:innen enge Kontakte zu rechten Populist:innen und Faschist:innen. Und die Junge SVP stellt ihre Verbindungen zu extremistischen Gruppen unter Beweis.

In den USA, in Deutschland, Italien, Frankreich, Österreich sind sie an der Macht oder machen Anstalten, sie zu übernehmen. Und als hätten wir hierzulande nicht auch schon mehr als genug Faschist:innen, Reaktionäre und Rechtsaussen, kommen rechte Kader aus dem Ausland gerne in die Schweiz, um sich mit ihren schweizerischen Pendants zu vernetzen.

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Lah di nöd verwütsche

Laura und Gian. Eine kleine Gruppe von Verbündeten und Freund:innen malte vor gut drei Jahren ein feministisches Graffiti an das Gebäude, in dem eine rechts-konservative Veranstaltung stattfand. Sie erzählen von folgenden repressiven Konsequenzen und warum sie nun unsere Unterstützung und Solidarität brauchen. Einen Beitrag der neu gegründeten Soligruppe.

Am 28.September 2022 trat Jordan Peterson, eine Galionsfigur der neofaschistischen Bewegung und Lieblings-Pseudowissenschaftler eines jeden Incels, in Zürich auf. Wir bereiteten ihm und seinen Jüngern mittels feministischer Graffitis am Veranstaltungsort einen gebührenden Empfang. Es ist klar: Die Verbreitung einer solch menschenfeindlichen Ideologie darf niemals unbeantwortet bleiben.
Darauf folgte eine Hausdurchsuchung mit anschliessender Festnahme, ein widerrechtlich erstelltes DNA-Profil, mehrere Einvernahmen und schlussendlich mehrere Strafbefehle und Kosten von insgesamt über 14 000 Franken. » Weiterlesen

Kein Fussbreit dem Faschismus!

sit. Das Liberale Institut ehrte mit dem Röpke-Preis den argentinischen Präsidenten Javier Milei, verliehen für seine «Kettensägepolitik». 600 Persönlichkeiten der Schweizer Wirtschaft und Politik jubelten ihrem neuen Messias zu. In Zürich demonstrierten mehrere Hundert Personen gegen Milei.

Das in Zürich ansässige Liberale Institut hat dieses Jahr sein Röpke-Preis an den argentinischen Staatspräsidenten Javier Milei vergeben. Und zwar für «seine internationale Vorreiterrolle bei der Bekämpfung des ausufernden Staates», laut der Website des Instituts. » Weiterlesen

Umwelt oder Barbarei

lmt. Die Klimakrise findet hier und jetzt statt. Weiter wie bisher ist keine Option. Die Folgen der Übernutzung der natürlichen Ressourcen sind bereits heute spürbar und bedrohen unsere Zukunft. Am 9. Februar erhält die Schweizer Bevölkerung die Möglichkeit, dem ein Ende zu setzen.

«Umweltschutz muss auch ohne die Überwindung des Kapitalismus möglich sein», schreibt Herr Staehelin vom Tages-Anzeiger am 24.Januar. Faktisch soll der Hauptverursacher der Klimakrise bleiben, und dennoch soll die Umwelt gerettet werden. Ein in sich unüberwindbarer Widerspruch, meinen Sie nicht auch, Herr Staehelin? Denn verantwortlich für die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen ist unwiderruflich das wachstums- und profitorientierte Wirtschaftssystem – sprich, der Kapitalismus. Grosskonzerne setzen alles daran, ihre Profite zu maximieren, ohne Rücksicht auf Umwelt oder Gesundheit. So ist dieses Wirtschaftsmodell aufgebaut, daher bedeutet es auch Krise statt Zukunft. » Weiterlesen

Klimastreik und Arbeitskämpfe

sit. Der Klimastreik unterstützt den Kampf der Stahlarbeiter:innen in Emmenbrücke und Gerlafingen und spricht sich entschieden gegen die Kündigungen aus. Gefordert wird die Vergesellschaftung der Betriebe. Es ist ein Kampf, der Grund zur Hoffnung gibt.

Sicher, es ist eine Frechheit: Da bekommt der Stahlkonzern Swiss Steel Group für sein Werk Steeltec im luzernischen Emmenbrücke eine staatliche Unterstützung in Aussicht gestellt von rund 25 Millionen Franken, hält aber an seinen Abbauplänen fest. Mitte Januar kündigte die Chefetage an, in den nächsten Monaten 130 Stellen zu streichen – 50 davon durch Entlassungen. Aber seien wir ehrlich: So richtig überraschen und erstaunen kann der Entscheid des international tätigen Konzerns ja wirklich nicht. Er tut das, was in der kapitalistischen Logik am meisten Profit verspricht – und nicht das, was sich das Schweizer Parlament wünscht.

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Arbeiter:innen und Klimabewegung gemeinsam

Peter Nowak. Die Klimabewegung steckt in einer Krise: Repression, Rückzug und Wahlerfolge rechter Parteien hemmen den Aktivismus. Das Buch «Kipppunkte» analysiert 15 Jahre Klimaaktivismus und zeigt Wege aus der Krise. Simon Schaupps «Stoffwechselpolitik» plädiert für eine proletarische Klimapolitik, die Arbeiter:innen in den Fokus rückt.

«Die Klimabewegung befindet sich im Tiefschlaf, um es nett auszudrücken. Und so können jene, die für die Zerstörung der Umwelt verantwortlich sind, wieder ruhig schlafen und ihre Vorlagen durchpushen», schreibt Siro Torresan im vorwärts 35/36/2024. Kein Zweifel, die Klimagerechtigkeitsbewegung ist in der Krise, das hört man auch von Aktivist:innen aus vielen Ländern. Die Repression gegen völlig gewaltfreie Aktionen wächst in vielen Staaten. Zudem erzielen rechte Parteien Wahlerfolge, gerade weil sie – wie Donald Trump – eine Rückkehr zu den Zeiten versprechen, in denen von der Klimakrise noch keine Rede war. Doch wie soll die sehr heterogene Klimabewegung auf diese Rückschläge reagieren? Diese Frage stellt Manual Grebenjak in seinem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch «Kipp-Punkte».

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Was tun, Lenin?

Gaudenz Pfister. Lenins Broschüre «Was tun?» gehört zu den Schlüsseltexten des Marxismus-Leninismus, weil sie drei fundamentale Fragen beantwortet: Was ist die Aufgabe einer kommunistischen Partei? Wie soll sie organisiert sein? Wie soll sie Propaganda machen? Lenins Antworten sind keine Rezepte, sondern helfen beim Suchen von Antworten.

Es ist die Aufgabe einer kommunistischen Partei, in die Kämpfe der Arbeiter:innen und anderen Schichten, die spontan aufgrund von Ausbeutung und Unterdrückung entstehen, eine kommunistische Ausrichtung und Bewusstsein hineinzutragen. Eine solche Partei braucht Genoss:innen, die sich der Politik widmen (für Lenin müssen es Berufsrevolutionär:innen sein). Es braucht eine zentrale Zeitung, die die Positionen der Partei propagandistisch aufbereitet – heute könnte es auch ein anderes Medium sein. Und indem die einzelnen Parteiorganisationen in der Produktion der Zeitung zusammenarbeiten, entsteht in der Praxis eine gemeinsame, zentrale Partei. » Weiterlesen

Den Plastikwahn stoppen – sofort

lmt. Auf internationaler Ebene sind Verhandlungen für ein Abkommen zur Eindämmung der Plastikproduktion und -verschmutzung am Laufen. Die Schweiz ist auch dabei. Doch ändert sich der Kurs der Verhandlungen nicht, steht eine Katastrophe bevor.

Was hinterlassen wir zukünftigen Generationen, wenn wir Plastikproduktion und -konsum nicht reduzieren? Die Fakten liefern eine eindeutige Antwort: Eine Verdopplung bis Verdreifachung der Plastikproduktion in den nächsten 20 bis 30 Jahren. Infolgedessen wird sich der Plastikmüll in den Meeren ebenfalls bis 2040 verdreifachen. » Weiterlesen

Sozialismus steht für solidarische Gesellschaft

Geneva Moser, Matthias Hui, Kurt Seifert. Macht es noch Sinn, im 21.Jahrhundert von Sozialismus zu sprechen? Woher kommt Hoffnung auf eine solidarische Gesellschaft? Ein Gespräch mit Maja Hess, Hauptrednerin am diesjährigen 1.Mai in Zürich, Feline Tecklenburg, geschäftsführende Co-Vorständin von «Wirtschaft ist Care» und dem kommunistischen Philosophen Michael Brie. Teil 2.

Feline Tecklenburg, wie kommen wir zu einer solchen Gesellschaftsform, in der die individuelle und die kollektive gesellschaftliche Ebene so verbunden sind, dass sich die Menschen nicht mehr zwischen der einen und der anderen entscheiden müssen?
Feline Tecklenburg: Eine spannende Frage. Ich habe den Schilderungen von Michael Brie über die Erfahrungen in sozialistischen Gesellschaften aufmerksam zugehört. Wenn sich Menschen hinter ein Ziel stellen, müssen sie meiner Meinung nach wissen: Ich tue es in Freiheit, ich habe eine Wahl. Deshalb frage ich mich, ob die Suche nach einer anschlussfähigen politischen Perspektive leichter fällt, wenn man den Fokus verschiebt, weg von einem Begriff wie «Sozialismus» zu einer funktionalen Fragestellung. Wirtschaft ist eine Verteilungsaufgabe, es geht um die Versorgung von Menschen und die Erhaltung des Planeten. Also ist die Wirtschaft erst mal Sorgearbeit. So können wir sehr pragmatisch fragen, was Menschen je nach ihren Bedürfnissen brauchen, um ein gutes Leben führen zu können. Im Frühjahr fand in der Umgebung von Berlin die Vergesellschaftungskonferenz statt. Die Organisator:innen benannten die Konferenz sehr clever: «Let’s socialize – Vergesellschaftung als Strategie für Klimagerechtigkeit». Damit haben sie das Gemeinwirtschaftliche, das Sozialisierende benannt, ohne sich direkt auf Sozialismus zu beziehen.

Michael Brie: Ich teile das. Man könnte das auch Sozialismus der Freiheitsgüter nennen. Unter dem Gesichtspunkt von globaler Ökologie und Gerechtigkeit müssen dabei Wahlmöglichkeiten drastisch verändert werden, es müssen neue geschaffen und andere abgeschafft werden. Wovor man sich nicht drücken darf, angesichts des zeitlichen und existenziellen Drucks aktueller Krisen: Es muss auch Zwang organisiert werden. Dieses Moment können wir gerade in langwierigen Transformationsprozessen nicht einfach verdrängen. Mit solchen Fragen hatten es auch die Sandinist:innen, die russischen ­Bolschewiki oder die Kommunisten in China zu tun. Wir können nicht nur von der individuellen Wahlfreiheit her denken, das ist es ja auch, was Sie zum Thema «Sorge» beschreiben. Wir müssen von einem Gesamten ausgehen, das noch gar nicht da ist. Können wir diesen Widerspruch auflösen?

Feline Tecklenburg: Sorge ist etwas, was alle angeht. Jede:r ist zur Welt gekommen, alle sind grossgezogen worden, alle müssen sich ums Überleben kümmern. Natürlich hat, plakativ gesagt, der Millionär damit weniger zu kämpfen als Personen, die kein Geld zur Verfügung haben. Aber frei sind wir nur in Abhängigkeit von anderen, wir werden in Bezogenheit aufeinander geboren und können nur frei agieren, wenn wir uns der Abhängigkeit bewusst sind. Das Verständnis von Freiheit als absoluter Unabhängigkeit ist eine Illusion. Zum Zwang: Wenn das eine ­reiche Prozent seine Bedürfnisse gegen die 99 Prozent durchsetzt, wird auch Zwang ausgeübt. Bei gerechter Verteilung geht es darum zu verstehen, was wir gewinnen, und nicht, was wir verlieren.

Michael Brie: Das ist mir zu harmlos. Die christliche, die jüdische Tradition spricht vom Gott der Gerechtigkeit, und das war ein ziemlich harter, auch strafender Gott. Ich sage das deshalb, weil ich oft das Gefühl habe, dass, wenn wir über Utopien nachdenken, wir uns vor diesen Widersprüchen zwischen Individuum und Gemeinschaft und durchaus auch vor der Härte, die mit der Realisierung der Utopie verbunden sein kann, drücken. Wie zwingen wir uns selbst, wie zwingen wir uns miteinander? Ich habe das Gefühl, wir machen es uns zu einfach. Maja Hess, Sie werden das in Nicaragua erlebt haben.

Maja Hess: Ich diskutiere Begriffe wie Freiheit, freie Wahl, Individualität aus dem Kontext meines Aufwachsens in einem kapitalistischen System heraus. Meine subjektive Wahrnehmung, auch meine Psyche, meine Verfassung, meine Emotionalität, meine Beziehungen sind durchtränkt vom kapitalistischen System. Wenn alle um mich herum in einer bestimmten Weise funktionieren, ist es für mich sehr schwierig, anders zu funktionieren. Kürzlich hat mir Lolita, eine Quiché-Frau aus Guatemala, eine eindrückliche Geschichte erzählt. Indigene Feministinnen waren gemeinsam mit ihr, einer Leaderin unter den indigenen Frauen, in einem Bus unterwegs. Lolita hatte bereits mehrere Todesdrohungen von Paramilitärs erhalten. Der Bus wurde von Bewaffneten angehalten. Sie schrien in den Bus: «Wer ist Lolita?» Lolita wollte sich erheben. Da flüsterte die Frau neben ihr, indem sie sie zurück in den Sitz drückte: «Du stehst nicht auf, du wirst umgebracht, wenn du aufstehst.» Dann sagte eine andere Frau: «Ich bin Lolita.» Sie wurde aus dem Bus gezerrt und draussen verprügelt, sie verlor drei Zähne. Darauf die nächste Frau: «Ich bin Lolita.» Auch sie wurde verprügelt. Am Schluss waren alle Lolita. Um die eine Frau zu schützen, setzten sich alle Frauen der Gefahr aus, umgebracht zu werden, und erfuhren massive Gewalt. Gleichzeitig konnte eine der Frauen die Gemeinden vor Ort alarmieren. Die Leute eilten aus den Dörfern herbei, mit Hacken, Spaten, Steinen – Kinder und Erwachsene. Daraufhin zogen die Bewaffneten ab. Eine solche Geschichte kann ich mir hier nicht vorstellen. Das ist vielleicht diese Härte, die politische Konsequenz, von der Sie, Micha Brie, vorher gesprochen haben. Das kollektive Moment des Widerstands dieser Frauen ist aus einer anderen individuellen und kollektiven Wahrnehmung als unserer hier im Westen heraus entstanden.

Maja Hess, in Rojava, versucht die vor allem kurdische Bewegung, mit einem konföderalen, basisdemokratischen System die Bevölkerung in wichtige Entscheidungen einzubeziehen und ein multiethnisches und -religiöses Zusammenleben zu ermöglichen. Ist das ein Ort, an dem der Sozialismus erprobt wird? Wie viel Zwang steckt in diesem Versuch?
Maja Hess: In der kurdischen Bewegung habe ich viele kollektive Strukturen kennengelernt, die mich beeindruckt haben. Etwa im Frauendorf Jinwar. In diesem Dorf werden alle Einkünfte, egal, woher sie kommen, in einen Topf geworfen, und das Geld wird entsprechend den Bedürfnissen der Frauen und ihrer Kinder verteilt. Die Frauen versuchen, eine kleine landwirtschaftliche Produktion aufzubauen. Beziehungen werden aktiv, kollektiv gestaltet: Wie gehen wir miteinander um? Wie gestalten wir unser Leben? Faszinierend ist für mich der Versuch, in der ganzen Gesellschaft in den kurdischen Gebieten die Frauenbefreiung umzusetzen. Politische Partizipation von Frauen wird vorangetrieben, unter anderem durch eine Regelung, dass überall eine Frau und ein Mann an der Spitze einer Organisation, Partei und so weiter stehen. Kollektive Strukturen werden aufgebaut, indem Frauen zum Beispiel beginnen, in Wohngemeinschaften zusammenzuleben, nicht mehr im Clan und im patriarchalen System. Das schafft für viele, gerade junge Frauen einen Raum der Freiheit als Alternative zu den vorgezeichneten Wegen: heiraten, Kinder haben, sich unterwerfen. Natürlich gibt es Widersprüche und Widerstand. Nicht alle in Rojava lebenden Menschen sind mit diesem Weg, diesem sozial-politischen Modell einverstanden.

Das Stichwort «Kritik und Selbstkritik» dürfte Sie, Micha Brie, an China und an den Maoismus erinnern. Sie haben als Kind eines DDR-Diplomaten ein paar Jahre in China gelebt und setzen sich noch heute intensiv mit China auseinander. Wir haben von kleinräumigen Versuchen gesprochen, China ist das Gegenteil. Was an China ist aus Ihrer Sicht sozialistisch?
Michael Brie: Ich will dazu nur eine Geschichte erzählen. Ein Professor, mit dessen Sohn ich einst in Schanghai zu tun hatte, wurde von der Partei beauftragt – ob mit Zwang oder nicht, weiss ich nicht –, aufs Dorf zu gehen. Er sollte mit seinen Kompetenzen und Verbindungen dafür sorgen, dass dieses Dorf innerhalb von drei Jahren durch einen Selbstorganisationsprozess in die Lage kommt, die Lebensbedingungen deutlich zu verbessern, die Einkommen der Landbevölkerung zu verdoppeln und eine zukunftsfähige Wirtschaft aufzubauen. Wenn wir über China reden, sollten wir zumindest neugierig sein auf die vielen Experimente, die in dieser Richtung gemacht werden. Mit sehr unterschiedlichem Erfolg. Und in grossen Widersprüchen zwischen einer kommunistischen Staatspartei mit maoistischen Traditionen einerseits und einer sozialistischen Marktwirtschaft mit starken kapitalistischen Zügen andererseits. Wir sollten Entwicklungen und Widersprüche in China studieren. Wir können dabei viel lernen, auch darüber, was wir garantiert nicht machen sollten.

Feline Tecklenburg: Beides sind sehr unterschiedliche Erzählungen aus Rojava und aus China, die unter dem Stichwort «Sozialismus» fungieren. Das verdeutlicht für mich nochmals die Untauglichkeit dieses Worts. Gibt es dabei überhaupt noch etwas Vereinendes auf übergeordneter Ebene? Maja Hess hat das, was mir wichtig ist, schön verdeutlicht: Kraft entsteht in den kleinen lokalen Projekten, die in Nischen und Lücken wachsen können. Dort sehe ich momentan die grösste Hoffnung, weil es so konkret ist.

Michael Brie: Es wird Momente geben, in denen es um ganz grosse Veränderungen geht. Oft waren es die rechten oder sogar faschistischen Kräfte oder die neoliberalen Kräfte, die auf grosse Krisensituationen gut vorbereitet waren. Wenn sich die Linke nicht darauf vorbereitet, wird sie den wirklichen Ausbruch aus dem Kapitalismus nicht erreichen.

Maja Hess. Ich möchte noch auf die Frage des Scheiterns eingehen. Gerade die Entwicklung in Nicaragua war und ist für mich persönlich sehr schwierig. Ich habe gelernt: Es gibt historische Momente: Die Revolution in Nicaragua war ein solcher, und ich hatte das Glück, dabei zu sein. Und irgendwann ist es nicht mehr das, was es war. Aber es ist gewesen. Dem, was real möglich war, seinen historischen Wert zu geben, ist unglaublich wichtig. Revolutionäre Erfahrungen haben ihren Wert nicht verloren, weil sich die Geschichte verändert hat. Die revolutionäre Erfahrung bleibt im Gedächtnis der Menschen, im Herzen der Menschen. Das hilft mir, mit Niederlagen oder mit Scheitern besser umzugehen. Für mich sind Risse in der verhärteten kapitalistischen Gesellschaftsordnung Hoffnung und Realität zugleich. Der Globale Süden hat eine stärkere Stimme als früher, er kann sich mehr Raum verschaffen. Die Stimmen von indigenen Menschen, People of Color, Feministinnen sind in unserer Gesellschaft stärker geworden. Neue Ideen und Projekte entstehen im Globalen Süden und haben Verbindung zum Norden. Soziale Bewegungen wie die weltweit aktiven Klimabewegungen und feministischen Bewegungen finde ich unglaublich wichtig, das sind Hoffnungsschimmer.

Erstveröffentlichung: Neue Wege 5.24, September 2024. Teil 1 des Interviews ist in der Ausgabe 31/32 zu lesen.

Zu den Gründen unserer Niederlage

Egon Krenz. Wer für einen neuen Sozialismus kämpfen will, muss sowohl die Vorzüge als auch die Unvollkommenheiten des vergangenen analysieren. Dies schliesst ein, Antworten auf die Fragen zu finden: Was ist bewahrenswert am gewesenen Sozialismus, und was darf sich nicht wiederholen?
Teil 2.

Für den Untergang der DDR gibt es ein ganzes Knäuel von Ursachen: objektive und subjektive, nationale und internationale, ökonomische und politische, vermeidbare und unvermeidbare. Viele von ihnen gehen weit vor das Jahr 1989 zurück und über die Grenzen der DDR hinaus.

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Sozialismus steht für solidarische Gesellschaft

Geneva Moser, Matthias Hui, Kurt Seifert. Macht es noch Sinn, im 21.Jahrhundert von Sozialismus zu sprechen? Woher kommt Hoffnung auf eine solidarische Gesellschaft? Ein Gespräch mit Maja Hess, Hauptrednerin am diesjährigen 1.Mai in Zürich, Feline Tecklenburg, geschäftsführende Co-Vorständin von «Wirtschaft ist Care» und dem kommunistischen Philosophen Michael Brie. Teil 1.

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Zu den Gründen unserer Niederlage

7.Oktober 1989: Feier zum 40-jährigen Bestehen der DDR.
Bild: zVg

Egon Krenz. Wer für einen neuen Sozialismus kämpfen will, muss sowohl die Vorzüge als auch die Unvollkommenheiten des vergangenen analysieren. Dies schliesst ein, Antworten auf die Fragen zu finden: Was ist bewahrenswert am gewesenen Sozialismus, und was darf sich nicht wiederholen? Teil 1.

Ab 1984 nahm ich an den Beratungen des Rates für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) und der Staaten des Warschauer Vertrages auf höchster politischer Ebene teil.

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Was ist mit der Inflation passiert?

dom. Man könnte meinen, die Inflation sei überwunden. Und allseits wird der Eindruck vermittelt, das habe mit den weisen geldpolitischen Entscheidungen der Notenbanken zu tun. Empirische Ermittlungen deuten jedoch in eine andere Richtung und stellen die monetaristische Lehre ein weiteres Mal infrage.

Noch vor einem Jahr füllten Inflationsprognosen, Kritiken an der Geldpolitik der Notenbanken und Spekulationen auf künftige Leitzinsentscheide die Zeitungen.

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Milliardengeschenk für Milliardäre

Das Milliardengeschäft mit Medikamenten

Felix Litschauer. Einmal mehr beweist eine Recherche, dass die Pharmaindustrie satte Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit einfährt. Das Grundübel ist das Patentrecht. Es ist an der Zeit, dass ein Aufschrei durch die Gesellschaft geht.

Mitte Juni ging ein Aufschrei durch die Community des globalen Gesundheitsaktivismus, als die Journa-list:innen von Investigate Europe die Ergebnisse einer monatelangen Recherche zu Medikamentenpreisen in Europa veröffentlichten.

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Pharma für Alle!

sit. Zwölf Organisationen lancieren in Basel die städtische Volksinitiative «Pharma für Alle (Basler Pharma-Fonds)». 70 Millionen Franken jährlich sollen dazu beitragen, dass sich der Kanton Basel-Stadt für die sichere Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten einsetzt.

Der Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt informierte am 24.Juni darüber, wie er die Mehreinnahmen aus der OECD-Mindestbesteuerung zu verwenden gedenkt.

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Unsere Kultur wiederbeleben

sit. Die Arbeiter:innenkultur geniesst heute, falls überhaupt, noch ein Mauerblümchendasein. Das war nicht immer so, und die Kultur der Klasse für die Klasse hatte einen grossen Einfluss auf die Organisation der Lohnabhängigen. Das Verschwinden der eigenen Kultur ist ein Spiegelbild des Zustands der Arbeiter:innenbewegung – oder gar mehr?

Arbeiter:innenkultur. Also Kultur, die von Arbeiter:in-nen für Arbeiter:innen erschaffen wird. Ja, man mag es heutzutage kaum glauben, aber so was gab es mal. In den 1950er- bis 1970er-Jahren besuchten jeweils mehrere hundert Menschen die Anlässe des Vereins Kultur und Volk in Zürich. Heute ist die Arbeiter:innenkultur in der Schweiz kaum mehr zu finden. Das ist kein Zufall, denn auch die Arbeiter:innenbewegung befindet sich nicht in einer Blütezeit. Kann eine Wiederbelebung der eigenen Kultur, also jene der Klasse für die Klasse, dazu beitragen, dass die Bewegung wieder wächst, gar an gesellschaftlichem Einfluss gewinnt? » Weiterlesen

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