Das Vipernnest

image_dazoomingIm soeben erschienenen Buch des vorwärts-Mitarbeiters Hans Peter Gansner wird ein Teil verschwiegener Schweizer Geschichte aus der Versenkung ans Tageslicht gehoben.

Es ist eine knallharte historische Epoche: die Besetzung Frankreichs durch Nazideutschland. Wichtiges über die Schweizer Freiwilligen im Spanischen Bürgerkrieg ist schon bekannt geworden. Sozusagen nichts aber über die SchweizerInnen, die sich unter der Drohung der Todesstrafe, die während Kriegszeiten auf Desertion steht, im antifaschistischen Widerstand engagierten. Frédéric Amsler, Eliteschütze in der Schweizer Armee, der im August 1944 auf der Place-de-Crête in Thonon am Genfersee, vor dem damaligen Nonnenkloster Sacré-Coeur unter dem «nom de guerre» Marc Dujonc, im Kampfe heroisch fiel, war einer von ihnen. In Thonon-les-Bains erinnert eine kleine konische Stele an ihn; auf der Fassade über dem Haupteingang der Mairie steht sein Name an erster Stelle auf der Erinnerungstafel an die Gefallenen der Libération, gefolgt vom Geburts- und Todesdatum sowie dem Herkunftsort in der Schweiz. Im Register des Friedhofs, wo er eine Zeitlang in einem Massengrab beerdigt war, erfährt man noch, dass er Wirtschaftsstudent an der Uni Zürich war. Viel mehr ist über ihn nicht bekannt. Doch die wenigen Informationen, die der Autor hatte, inspirierten ihn zur Romanfigur des Frédéric Lauber. Die SchweizerInnen, die freiwillig in die französische Résistance eintraten und den Krieg überlebten, wurden nach Kriegsende gemäss Schweizer Kriegsrecht wegen Desertion oder/und wegen Eintritts in fremde Kriegsdienste verfolgt und bestraft. Erst 2011 wurden sie, zusammen mit den freiwilligen SpanienkämpferInnen, amnestiert. Es waren leider nicht mehr viele, welche diese verspätete Anerkennung noch erleben konnten.

Reaktionen auf den Roman

«Der Roman ‹Das Vipernnest› von H. P. Gansner ist ein grossartiger, faszinierender Roman. Der Autor versteht es meisterhaft, die Zeitgeschichte – präzis, kritisch, unbarmherzig, aber auch leuchtend (die Résistance!) – mit Tanners so turbulentem Schicksal, seiner starken, aber auch zerrissenen Persönlichkeit zu verbinden. Ein wahrhaft gelungenes Buch», schrieb Jean Ziegler. Und Helmut Vogel kommentierte: «Der Roman ist ein wichtiger Beitrag zur Schweizer Geschichte. Die Edition Signathur hat den Roman graphisch gut begleitet und die Viper erinnert an ein Hakenkreuz.» Prof. Dr. Karl Pestalozzi, emeritierter Professor für neue deutsche Literatur an der Alma Mater Basiliensis, lobte das Werk mit folgenden Worten: «Mit seinem Buch hat der Autor dank seiner langjährigen Vertrautheit mit Genf und seiner französischen Nachbarschaft eine Wissenslücke in der Deutschschweiz gefüllt. Mit grosser Spannung folgt man der Erzählung und ebenso Gegenwärtiges und Vergangenes, was das Buch davor bewahrt, ausschliesslich ein historischer Roman zu sein.» Und auch Georges Vuillomenet, langjähriges Mitglied der Werkstatt Arbeiterkultur Basel, hielt mit seinem Lob nicht hinter dem Berg: «Der Autor hat mit dem Buch einen Teil verschwiegener CH-Geschichte aus der Versenkung ans Tageslicht gehoben.» Zu hoffen ist, dass dem Autor die verdiente Anerkennung, zumindest in linken Kreisen (die Bürgerlichen foutieren sich um diesen Aspekt der Schweizer Geschichte), zuteil wird.

«Das Vipernnest» von Hans Peter Gansner,
Edition Signathur, ISBN: 3906273024

MuslimInnen unter Generalverdacht

Kein-Mensch-ist-illegal (1)In Bern demonstrierten am 20. November rund 200 Personen durch die Innenstadt. Die Kritik richtete sich zum einen gegen den antimuslimischen Rassismus. Zum andern wurde dagegen demonstriert, dass derzeit Ähnliches geschieht wie nach dem 11. September 2001. Kein Tag vergeht, ohne dass MuslimInnen, Geflüchtete und Terror in einem Atemzug genannt werden. Das ist eine herabsetzende Gleichung. Der Sicherheitswahn nimmt zu, Geheimdienste erhalten uneingeschränkte Kompetenzen, Grundrechte werden ausgehebelt. Die Demonstration führte vom Bahnhofplatz zum Bundesplatz, wo kurz vor dem Lichtspiel die untenstehende Rede gehalten wurde. Danach marschierte der Protestzug zum Casinoplatz. Über den Bärenplatz ging es zurück zum Bahnhofplatz.

Grundrechte ausgehebelt

Antimuslimischer Rassismus funktioniert wie jeder Rassismus. Menschen werden gespalten in ein sogenannt zivilisiertes «Wir» und einen minderwertigen Rest. So wird MuslimInnen nachgesagt, sie seien fundamentalistisch, sexistisch, kaum aufgeklärt oder eine Gefahr für die sogenannte abendländische Kultur. Im Wir, von dem seit den Anschlägen in der Öffentlichkeit die Rede ist, erkennen wir uns nicht. Unser Wir ist ein anderes. Eines, das Kapitalismus, Rassismus und Sexismus nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen will. Unser Wir will Freiheit, aber keine, die sich mit Maschinengewehren verteidigt.

Terroristische Anschläge sind tragisch, wir betrauern die Toten in Kano, Paris, Ankara, Beirut und Kobane. Europas etablierte Politik reagiert mit Solidarität, aber auch mit Rassismus und Spaltung zwischen «Europa» und «dem Rest der Welt», zwischen MuslimInnen und Nicht-Muslimen.

Zum Beispiel werden MuslimInnen auf der Strasse angegriffen oder beschimpft. Öffentlich wird Islam mit Terror in einem Atemzug genannt. Unter diesem Vorwand wurden die totale Überwachung verstärkt und Grundrechte ausgehebelt. Die Antiterrorwelle trifft in der Schweiz alle Geflüchteten und MuslimInnen. Unter dem Vorwand, es könnten sich unter ihnen potenzielle TerroristInnen verstecken, wird die Militarisierung der Grenze und gar ein Ausgehverbot für MuslimInnen gefordert. Parallel dazu geben die Migrationsbehörden bekannt, dass sie Asylgesuche von Personen aus muslimischen Staaten unter Generalverdacht stellen und diese zur Prüfung jeweils dem Nachrichtendienst weiterreichen.

«Wir werden unsere Freiheit mit allen Mitteln verteidigen», das waren Sommarugas Worte als sie am Mittwochnachmittag bekanntgab, dass sich die Sicherheitslage in der Schweiz verschlechtert habe und über ein Notstandsrecht nachgedacht werden müsse. Was meint sie mit «unsere Freiheit»? Die Freiheit der MuslimInnen, die in diesem Land und weltweit unterdrückt, stigmatisiert und ausgebeutet werden? Wohl kaum! Sommaruga treibt einen Keil zwischen ChristInnen und MuslimInnen, zwischen SchweizerInnen und MigrantInnen.

Der Rassismus braucht diese Spaltung. Er lebt von einer Spaltung in der Gesellschaft in einen «muslimischen» Kulturkreis, welcher als rückständig, fundamentalistisch, barbarisch, unzivilisiert beschrieben wird und «unserer abendländischen Kultur», welche im Gegensatz dazu aufgeklärt, zivilisiert und demokratisch sei. Wo früher mit «Rasse» argumentiert wurde, muss heute «Kultur» als Erklärung herhalten. Das Prinzip bleibt aber das gleiche: Menschen werden aufgrund von Eigenschaften eingeteilt und entsprechend privilegiert oder herabgesetzt.

Rede auf dem Bundesplatz

Die Attentate von Paris, die mehr als 120 Frauen und Männern das Leben kosteten, machen fassungslos und traurig. Wir sagen Nein zu Terror, der das Leben von Menschen zerstört. Wir sagen Nein zu Gewalt, der Menschen zum Opfer fallen. Nichts kann diese Zerstörung rechtfertigen. Letzte Woche traf es Paris. An vielen anderen Tagen trifft es Menschen in Syrien, im Libanon, in der Türkei und anderswo.

Wir sagen aber ebenso heftig Nein zur Instrumentalisierung islamistischer Gewaltakte, um Menschen muslimischer Zugehörigkeit zu diskriminieren. Wir sagen Nein zu einer Asylpolitik, die nach Religion, Herkunft oder Kultur unterscheidet. Wir sagen Nein zu einer Flüchtlingspolitik, die zwischen ChristInnen und MuslimInnen unterscheidet. Wir sagen Nein zu einer Sicherheitspolitik, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit im Namen der Verteidigung der Demokratie abschafft. Wir sagen Nein zu einer sogenannten Kulturdebatte, die MuslimInnen und andere Menschen als unaufgeklärt, mittelalterlich, demokratiefeindlich abwertet. Wir sagen Nein zu einer sogenannten Wertediskussion, die MuslimInnen den Wunsch nach Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit abspricht. Wir sagen Nein zu einer Integrationspolitik, die MuslimInnen und andere sogenannte MigrantInnen unter Generalverdacht stellt, demokratieschwach und gewaltbereit zu sein. Wir sagen Nein zu einer Spaltung der Gesellschaft in sogenannte SchweizerInnen und Nicht-SchweizerInnen. Wir sagen Nein zu zu einer Spaltung zwischen sogenannten Religiösen und Nichtreligiösen. Wir sagen Nein zu einer Spaltung zwischen Menschen in relativer Sicherheit und Menschen auf der Flucht. Terror und Gewalt kennen keine Religion, keine Kultur und keine Hautfarbe.

Demokratie ist kein kulturelles Gut, das nur Schweizerinnen, Europäern zusteht. Menschenrechte sind kein kulturelles Gut, das nur Schweizerinnen und Europäer schützt. Grundrechte sind kein exklusives Gut, das Menschen auf der Flucht vorenthalten werden kann. Grundrechte sind kein exklusives Gut, das Menschen mit anderer Hautfarbe vorenthalten werden kann. Grundrechte sind kein exklusives Gut, das Menschen mit anderer Nationalität abgesprochen werden kann.

Wir fordern Grundrechte für Menschen auf der Flucht. Wir fordern gleichberechtigte soziale Teilhabe für Menschen mit sogenanntem Migrationshintergrund. Wir fordern Solidarität mit allen Opfern von Terror. Egal wo dieser stattfindet. Wir fordern ein klares Bekenntnis zu Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit für alle Menschen. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit unterscheidet nicht zwischen Religion, Kultur und Hautfarbe.

 

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Lohngleichheit, jetzt!

lohngleichheitFrauen verdienen in der Schweiz durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer. Der Bundesrat hat nun als Massnahme gegen diese Lohndiskriminierung interne Lohnkontrollen für grössere Unternehmen vorgeschlagen. Die Unia lehnt diese Selbstkontrollen ab und fordert, dass Sanktionen gegen fehlbare Unternehmen eingeführt werden.

Der Bundesrat hat am 18. November seinen Vorschlag für die Revision des Gleichstellungsgesetzes veröffentlicht. Er musste dabei eingestehen, dass das bisherige Vorgehen mittels freiwilligem Lohngleichheitsdialog «hinsichtlich der Eliminierung oder zumindest einer wesentlichen Verringerung der Lohndiskriminierung nicht zum Ziel» geführt hat. Daher sollen zusätzliche verpflichtende Massnahmen eingeführt werden; «allerdings soll der Staat bei den Unternehmen nicht selber intervenieren».

Die Gewerkschaften nennen die Massnahmen «zahnlos». Die bürgerliche Zeitschrift «Finanz und Wirtschaft» bringt aber den Kern der Vorlage auf den Punkt: Bei den vorgeschlagenen Massnahmen handelt es sich um «neue administrative Belastungen» für die Unternehmen. Und mehr steckt tatsächlich nicht dahinter.

Lohnanalyse ohne Konsequenzen

Der Bundesrat schlägt vor, dass die ArbeitgeberInnen gesetzlich verpflichtet werden, alle vier Jahre eine «betriebsinterne Lohnanalyse» durchzuführen. Betroffen sind jedoch nur Unternehmen mit fünfzig oder mehr Beschäftigten, das heisst, nur mittlere und grosse Unternehmen. Das sind bloss 1,8 Prozent aller Unternehmen. Die Arbeiterinnen, die in kleineren Unternehmen schuften, kämen somit nicht einmal in den Genuss dieser internen Lohnkontrollen. Das Ergebnis der Lohnanalysen, die von unabhängigen Kontrollstellen durchgeführt werden sollen, müssen nicht veröffentlicht werden; bloss den ArbeiterInnen im Unternehmen soll Bescheid gegeben werden, «ob die Lohnanalyse korrekt durchgeführt worden ist». Im Klartext: 1,8 Prozent der Schweizer Unternehmen erhält die Verpflichtung, ab und zu eine interne Lohnanalyse durchzuführen, die keinerlei Konsequenzen hat. Mehr als eine «administrative Belastung» für diese Unternehmen ist es nicht; den Arbeiterinnen nützt es eher wenig.

Seit 1981 ist der Grundsatz der Lohngleichheit in der Bundesverfassung verankert und seit 1995 gibt es das Gleichstellungsgesetz. Doch immer noch verdienen Frauen bei gleicher Arbeit durchschnittlich 20 Prozent weniger als Männer. 60 Prozent dieser Differenz lassen sich mit Alter, Berufserfahrung oder unterschiedlichem Ausbildungsniveau erklären. Für die restlichen 40 Prozent gibt es keine objektive Begründung. Es handelt sich um reine Diskriminierung. Die IG Frauen der Unia sagt es deutlich: «Tatsache ist, dass es für die ungleichen Löhne keine Begründung gibt. Einzig die Tatsache, dass Frauen Frauen sind, führt dazu, dass sie weniger verdienen.»

Schon beim Berufseinstieg verdienen Frauen weniger: Nach der gleichen Ausbildung verdienen junge Frauen durchschnittlich acht Prozent weniger als ihre Kollegen. Bei einem Jahreslohn von 40?000 Franken, die ein junger Arbeiter verdient, sind das für die Arbeiterin mit gleicher Ausbildung 3200 Stutz, fast ein ganzer Monatslohn, weniger.

Diskriminierung: Nid bös gmeint?

Den Bossen ist diese Situation natürlich ganz recht. Sie sparen Lohnkosten. Jeder Fortschritt hin zur Lohngleichheit ist ihnen und ihren politischen VertreterInnen, den Bürgerlichen, ein Schritt zu viel. Eine Studie nach der anderen wurde von ihnen im Vorfeld zur Revision in Auftrag gegeben, die dagegen Argumente liefern sollte. Zuletzt erschien sicher nicht zufällig am gleichen Tag, als der Bundesrat seine Vorlage veröffentlichte, eine Studie des rechten Thinktanks Avenir Suisse. Darin wird behauptet, dass die Frauen an der Lohnungleichheit selber Schuld seien. Die ArbeitgeberInnen hingegen werden als die reinsten Unschuldslämmer dargestellt: Sie seien weder frauenfeindlich noch wollten sie Frauen schlechter bezahlen. Also gäbe es keine Diskriminierung. Es bestünde zwar schon eine «Diskriminierungsneigung», diese sei aber unbeabsichtigt und «durch die Arbeitgeber realistischerweise kaum zu vermeiden». Dies stelle aber kein grosses Problem dar, immerhin finden solche Schubladisierungen «bei jeder Anstellung fast notwendigerweise statt». Regula Bühlmann, SGB-Sekretärin für Gleichstellung, fasst die Studie folgendermassen zusammen: «Ist es Absicht, handelt es sich um Diskriminierung; fehlt die Absicht, ist es unternehmerische Freiheit, ein Kollateralschaden, jedenfalls nid bös gmeint…»

Sparen auf Kosten der Frauen

Die Vorlage des Bundesrats ist Sand in die Augen der Frauenorganisationen. Denn gleichzeitig forciert er ein gewaltiges Sparprogramm auf dem Rücken der Frauen. Im Rahmen der Rentenreform 2020, ein Projekt des SP-Bundesrats Alain Berset, soll das Frauenrentenalter auf 65 Jahre erhöht werden.

Bereits 1997 wurde das Frauenrentenalter von 62 auf 64 Jahre angehoben. Damit bezahlen die Frauen schon heute zusätzlich 800 Millionen Franken pro Jahr an die Stabilisierung der AHV. Mit der geplanten Erhöhung des Rentenalters würden erneut 1,3 Milliarden Franken pro Jahr auf Kosten der Frauen gespart. Zusammen mit der Senkung des Umwandlungssatzes in der beruflichen Vorsorge ist die kleine generelle Rentenerhöhung von 70 Franken (übrigens nur für NeurentnerInnen) ein Witz dagegen.

Für die Gewerkschaft Unia reichen die Massnahmen, die der Bundesrat vorgeschlagen hat, nicht, um die Lohngleichheit der Frauen herzustellen. Sie fordert Lohnkontrollen, an denen zwingend auch die ArbeiterInnenorganisationen beteiligt sind: «Selbstkontrollen allein reichen nicht.» Ferner braucht es Sanktionsmöglichkeiten für die Unternehmen, die das Gesetz nicht einhalten. Die Unia verlangt Nulltoleranz gegenüber der Lohndiskriminierung. Sie fordert Lohngleichheit, jetzt!

 

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Freie Fahrt für Dumpinglöhne

postDie Post stellt ihre LKW-Flotte ein und streicht so 187 Arbeitsstellen. Die Fahrten sollen neu von Subunternehmen durchgeführt werden, mit weitaus schlechteren Arbeitsbedingungen.

Die betroffenen ChauffeurInnen der Post nehmen die Auslagerung nicht kampflos hin. Gemeinsam mit der Gewerkschaft syndicom wurden landesweit mehrere Protestaktionen durchgeführt.

Diese Geschichte ist ein Musterbeispiel für vieles: Erstens ist sie die konkrete Umsetzung neoliberaler Politik und zwar so, wie sie in den Lehrbüchern der kapitalistischen Barbarei seht. Zweitens wird einmal mehr klar, dass die sogenannte Sozialpartnerschaft schon lange auf der Müllhalde der Geschichte gelandet ist. Und drittens beweist sie, dass ein Streik, der so richtig weh tut, für den Sieg in einem Arbeitskampf eine Notwendigkeit ist.

Es ist die Geschichte der ChauffeurInnen der «gelben LKW-Flotte» der Post AG, die aus den Fahrzeugen von über 3,5 Tonnen besteht. Ab 2017 wird dieser Teilbereich eingestellt. 187 ChauffeurInnen verlieren dadurch ihren Job. Dies, obwohl der betroffene Transportbereich nicht defizitär ist und die Post auch keine roten Zahlen schreibt, sondern Millionengewinne verbucht. Es muss aber mehr und noch mehr Profit sein, denn das ist Sinn und Zweck des Systems. Und so wird auf dem Grabstein des Kapitalismus dann einmal stehen: Zuviel war nicht genug!

Den Abbau hat die ehemalige PTT am 4.September angekündigt und eröffnete gleichzeitig das Konsultationsverfahren mit den Sozialpartnern. Die Gewerkschaft syndicom hat verschiedene Vorschläge eingereicht, wie der Stellenabbau vermieden oder zumindest reduziert werden könnte. Am 5. November kam die Antwort der Post: «Auch nach Abschluss des Konsultationsverfahrens sieht die Post keine vertretbare Alternative zur Auslagerung der internen LKW-Transporte. Die Post hat deshalb definitiv entschieden, ihre internen Fahrten künftig im Wettbewerb auszuschreiben und bei externen Transportfirmen einzukaufen.» Das war’s. Und tschüss!

Entschlossenheit wird notwendig sein

Bereits am 2. November begannen die Protestaktionen der LKW-ChauffeurInnen zusammen mit der Gewerkschaft syndicom. Der Start erfolgte in Genf bei der Poststelle Montbrillant (Cornavin Dépôt). Hier wurde die Arbeit für vier Stunden niedergelegt. An einer Pressekonferenz zeigte die syndicom die Folgen der Auslagerung auf, indem sie eine Reihe von krassen Dumping-Fällen aufdeckte. «Diese Fälle zeigen exemplarisch, dass die Post nicht in der Lage ist, die Arbeitsbedingungen bei den rund 250 Subunternehmen, welche für die Post unterwegs sind, zu kontrollieren», schreibt die Gewerkschaft. So erhalten zum Beispiel die ChauffeurInnen eines Subunternehmens in Meyrin einen Stundenlohn von 17.80 Franken. Dieser Lohn ist im Vergleich zu den Salären der WagenführerInnen der Post extrem tief und entspricht nicht den branchenüblichen, verbindlichen Mindestlöhnen im Kanton Genf. Hinzu kommt, dass die ChauffeurInnen dieser Firma nur für einen Teil der Arbeitszeit fix angestellt sind. Während der übrigen Zeit werden sie auf Abruf eingesetzt und wissen deshalb nie, wie gross ihr Lohn am Monatsende sein wird.

Die syndicom hält weiter fest: «Die Post schafft mit ihrer Auslagerungspolitik Hunderte von prekarisierten Arbeitsplätzen und rechtfertigt mit Hungerlöhnen, dass so die ‹langfristige Wettbewerbsfähigkeit› gestärkt werde. Das ist in keiner Weise nachhaltig und geht voll auf Kosten der ChauffeurInnen bei den externen Transportunternehmen!» Und zurecht zweifeln die betroffenen WagenführerInnen, dass ihnen die Post eine «zumutbare Weiterbeschäftigung» anbieten wird. Das Konsultationsverfahren lässt grüssen.

Nach dem gelungenen Auftakt folgten Protestaktionen in Härkingen, Daillens, Bern/Ostermundig, Cadenazzo, Biel, Zürich und Rothenburg. Aber wie weiter? Für die syndicom ist das Vorgehen der Post «inakzeptabel» und sie verlangt, dass «mindestens 30 Prozent der Transportdienstleistungen intern erbracht werden». Die Proteste sind ein deutliches Zeichen dafür, dass die WagenführerInnen «zur Durchsetzung ihrer Forderungen entschlossen sind». Entschlossenheit wird in der Tat nötig sein, denn der Arbeitskampf steht erst am Anfang und somit ist der Ausgang ungewiss. Doch auch ohne magische Kristallkugel kann heute schon gesagt werden, dass er nur mit einem Streik, der auch wirklich weh tut, gewonnen werden kann.

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Die Unia kämpft gegen Uber

uberWährend mehr als einer Stunde konnte man am Basler Bahnhof SBB kein Taxi bekommen. Etwa 100 TaxifahrerInnen beteiligten sich am 30. September an der Protestaktion, die von der Unia organisiert wurde und auf die Kampagne «Uber verbieten» aufmerksam machen sollte. Die TaxifahrerInnen sind wütend. Das Transportunternehmen Uber vermasselt ihnen das Geschäft. In Zürich klagen sie bereits über 40 Prozent weniger Verdienst und auch in Basel, wo bloss wenige Dutzend Uber-FahrerInnen tätig sind, seien «klare Umsatzeinbussen» spürbar.

Uber ist ein Unternehmen, das über eine App auf Mobiltelefonen scheinbar bloss Transportmöglichkeiten vermittelt. Der Erfolg des Konzerns rührt in erster Linie daher, dass er alle seine Kosten und Verantwortungen auslagern kann. Das Unternehmen beschäftigt selber nur wenig Angestellte, die App ersetzt eine Vermittlungszentrale. Es verfügt über keine eigenen Fahrzeuge und muss daher auch nicht für deren Versicherung aufkommen. Den Verschleiss und das Benzin bezahlen die FahrerInnen aus eigener Tasche und für das Versicherungsrisiko haften sie selbst. Den Gewinn investiert Uber in geschickte Kommunikation, PR und Lobbying. Doch Uber funktioniert wie jedes Taxiunternehmen. Im Basler Taxigesetz steht folgende Definition: «Das Taxi dient dem gewerbsmässigen Transport von Personen und Waren gegen ein in der Tarifverordnung festgesetztes Entgelt ohne festen Fahrplan oder feste Linienführung.» Uber müsste also wie ein Taxi behandelt werden. Der zuständige Unia-Sekretär Roman Künzler drückt es so aus: «Es ist nicht relevant, wie man eine Dienstleistung oder das Fahrzeug nennt, sondern welche Funktion es ausübt. Und dies ist eben der Transport von Personen von A nach B gegen Entgelt. Daher ist Uber eigentlich ein Taxi und gehört als solches den gleichen Regulierungen unterworfen.»

Recht auf Mobilität

Uber verstösst mit seinen Strukturen gegen etliche gesetzliche Verordnungen. Verschiedene Punkte stossen der Unia besonders übel auf: Für Taxidienstleistungen ist der Taxameter in der Stadt Basel Pflicht. Uber müsste also wie alle Taxis einen solchen mitführen. Stattdessen berechnet das Uber-App den Fahrpreis einerseits nach gefahrenen Kilometern, andererseits nach der Fahrzeit. Dieser Verstoss gegen die Tarifordnung müsste laut Unia geahndet werden. Uber verwendet das System Uber Surge Pricing, welches mittels Algorithmen unter Einbezug der Marktlage einen «optimalen» Preis berechnet. Mit dieser Preisstrategie verlangt Uber zum Teil ein Vielfaches seiner eigenen Preise. Dies ist ein klarer Verstoss gegen die Tarifordnung und die festgelegten Höchsttarife. Es gibt viele gut dokumentierte Fälle, bei denen Uber völlig überrissene Preise verlangte, beispielsweise während Halloween in den USA. «Gerade die festgelegten Tarife sind Teil eines öffentlichen Angebots auf den Taximärkten weltweit. Jeder soll ein Recht auf Mobilität zu einem garantierten Preis haben. Uber hebelt dieses Prinzip aus», schreibt die Unia.

Uber verbieten!

Auch die schlechten Arbeitsrechte der Uber FahrerInnen stellen für die Gewerkschaft ein Problem dar. Es gibt keine festen Arbeitsverträge. Uber zahlt keine AHV, keine Pensionskasse. Es gibt kein regelmässiges Einkommen, die Verfügbarkeit gilt potenziell rund um die Uhr, um auf ein ausreichendes Gehalt Ende Monat zu kommen. In Kalifornien wurde ein erster Gerichtsfall gegen Uber gewonnen, in dem das Gericht feststellte, dass Uber Arbeitgeberin sei und Sozialleistungen zu entrichten habe. Im Kanton Genf und Waadt und in mehreren Ländern wie Thailand und Spanien ist der Dienst mittlerweile bereits verboten worden. Die Unia fordert, dass die ganze Schweiz nachzieht. Als ersten Schritt tritt sie für ein Nein zum neuen Taxigesetz in Basel ein, worüber am 15. November abgestimmt wird und das Uber «explizit freie Fahrt» gewähren würde.

mehr Infos auf: www.stoppuber.ch

 

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Der Staat liest mit

überwachungMit dem neuen Nachrichtendienstgesetz soll der Schweizer Geheimdienst weitreichende Kompetenzen erhalten. Die Überwachungsmöglichkeiten greifen tief, Kontrolle gibt es kaum. Ein Referendum will das verhindern.

Die Schweizer Politik baut am Überwachungsstaat. Mit dem Nachrichtendienstgesetz (NDG), das zum Ende der Herbstsession vom Parlament verabschiedet wurde, ist es der heimischen Spionageabteilung künftig erlaubt, private Gespräche mitzuhören, Nachrichten mitzulesen, Räume zu verwanzen und Computer zu hacken. Auch Überwachung im Internet gehört neu zur Aufgabe des Geheimdienstes, der für Bundesrat, Departemente und Kantone die aktuelle «Bedrohungslage» im In- und Ausland zu beobachten hat.

Bereits im Jahr 2009 hatte der Bundesrat einen ersten Anlauf genommen, die nachrichtendienstlichen Kompetenzen auszuweiten. Damals scheiterten die Pläne am Parlament. «Massenüberwachung» und Beschneidung der «Freiheit» kämen nicht in Frage, hiess es. Argumente, die nun kaum mehr Gehör fanden. So stimmten etwa die SVP-Komponenten, die sich im aktuellen Wahlkampf gemäss Smartvote vorgeblich gegen mehr Überwachung stellen, geschlossen für den Gesetzesentwurf ihres Bundesrats, Verteidigungsminister Ueli Maurer. Die SozialdemokratInnen waren derweil gespalten. Nur die Hälfte sprach sich explizit gegen das neue Gesetz aus. Bei der Diskussion im Parlament hätte vor allem die «Terrorabwehr» im Fokus gestanden und die Grundrechte seien vergessen worden, meint Juso-Präsident Fabian Molina dazu. Die Juso ist Teil des «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», das inzwischen das Referendum ergriffen hat.

Modernisierung der Schlapphüte

Bisher war es den verdeckten ErmittlerInnen erlaubt, öffentliche Orte zu beobachten, ihnen zugetragene Informationen auszuwerten, über die Identität und den Verbleib von Personen nachzuforschen sowie Funk abzuhören. Zu den Methoden, die nun mit dem neuen NDG legalisiert werden, gehört die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs, bei der unter anderem das Telefon einer Zielperson abgehört wird. Weiter darf der Geheimdienst Ortungs- und Überwachungsgeräte einsetzen, etwa Sender an Fahrzeugen und Wanzen in Privaträumen anbringen. Auch das Eindringen in Rechner und Einschleusen von Staatstrojanern im In- und Ausland wird erlaubt, um Informationen zu beschaffen und Daten zu manipulieren. Betroffen ist dabei nicht nur, wer unmittelbar im Visier des Geheimdienstes steht. Anschlüsse von «Dritten», von denen aus eine Zielperson kommunizieren könnte, dürfen ebenfalls ausgehorcht werden.

Noch flächendeckender wird die Überwachung durch die neue Bestimmung zur «Kabelaufklärung». Dabei werden alle Datenströme, die zwischen der Schweiz und dem Ausland fliessen, erfasst und auf Schlagworte durchleuchtet. Demnach kann tendenziell jede und jeder durch die Verwendung eines bestimmten Stichworts bei Google, in E-Mails, auf Facebook oder über Whatsapp die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes auf sich ziehen. Darüber hinaus soll mit ausgewählten ausländischen Nachrichtendiensten ein automatisierter Datenaustausch stattfinden. Mit wem, wird jährlich vom Bundesrat definiert.

Überwachte Überwacher?

Um den Nachrichtendienst an der Leine zu halten, haben Regierung und Parlament zwei Schranken formuliert. Zum einen gilt für den Einsatz der neuen Methoden eine Bewilligungspflicht. So bedarf es beispielsweise beim Einsatz eines Trojaners der Zustimmung des Bundesverwaltungsgerichts. Die Entscheidung liege allerdings bei einem einzelnen Richter, der sich lediglich auf Angaben des Geheimdienstes stützen könne, so Staatsrechtsprofessor Rainer J. Schweizer im Interview mit dem Tages-Anzeiger. Zum anderen soll der Nachrichtendienst künftig einem unabhängigen Kontrollorgan unterstellt werden. Klar ist bisher nur, dass diese Stelle administrativ dem VBS angehören und damit im selben Departement wie der Nachrichtendienst angesiedelt sein wird. Die GegnerInnen des neuen NDG setzen hinter diese «Unabhängigkeit» folglich ein grosses Fragezeichen.

Ob man Ziel der ÜberwacherInnen geworden ist, lässt sich indes kaum feststellen. Zwar existiert ein «Auskunftsrecht», die darin festgehaltenen Bestimmungen halten allerdings nicht, was der Titel verspricht. So kann eine Anfrage beliebig aufgeschoben werden, und zwar in jedem Fall. Personen, über die keine Daten bearbeitet wurden, «informiert der NDB spätestens drei Jahre nach Eingang ihres Gesuches». Im Falle einer erfolgten Überwachung wird informiert, «sobald kein Geheimhaltungsinteresse mehr besteht» und lediglich «sofern dies nicht mit übermässigem Aufwand verbunden ist». Damit existiert die Möglichkeit, gegen den Nachrichtendienst und seine Tätigkeiten rechtlich vorzugehen, auch im Nachhinein faktisch nicht.

Auf das NDG folgt das BÜPF

Während nun das Referendum gegen das NDG läuft, arbeiten Regierung und Parlament weiter am Überwachungsausbau. Mit der Revision des «Bundesgesetz betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs», kurz BÜPF, soll unter anderem die Frist der Vorratsdatenspeicherung von sechs auf zwölf Monate verlängert werden. Bei der Vorratsdatenspeicherung werden «Randdaten» wie Ort und Zeit der Kommunikation sowie AbsenderIn und EmpfängerIn aufgezeichnet. Strafverfolgungsbehörden können bereits jetzt bei Verdacht auf eine Straftat, zu denen bereits Diebstahl und Sachbeschädigung gehören, die Herausgabe dieser Daten verlangen. Auch das Abhören von Telefongesprächen ist ihnen erlaubt.

Auf rechtlich wackeligen Beinen bei der Strafverfolgung steht bis anhin aber der Einsatz von Staatstrojanern. Das revidierte BÜPF soll hier Abhilfe schaffen. Verabschiedet wird das Gesetz voraussichtlich im Dezember.

 

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Wählt PdA!

Bundeshaus-Aussenansicht-Am 18. Oktober finden die National- und Ständeratswahlen statt. Nach den Wahlen wird sich nichts verändern, dies steht heute schon fest. Aber es gibt die Möglichkeit, den Widerstand ins Parlament zu tragen. Eine Möglichkeit, die genutzt werden sollte, ja gar muss.

Warum die Partei der Arbeit (PdA) wählen? Die Frage ist durchaus berechtigt. Bekanntlich ist es wenig elegant, eine Frage mit einer Gegenfrage zu beantworten, aber es sei an dieser Stelle trotzdem mal erlaubt: Warum soll man nicht PdA wählen? Die klassische Antwort: Weil es nichts bringt! Und würden Wahlen was verändern, wären sie schon längst verboten – oder zumindest jene Kräfte, die für das aktuelle, herrschende System eine Gefahr darstellen könnten. Das ist nicht zu bestreiten, aber so gesehen muss man sich in der Schweiz (aber nicht nur hier) die Frage stellen: Was bringt denn überhaupt was? Eine Demo für eine solidarische und menschliche Flüchtlingspolitik ist äusserst wichtig und notwendig, aber verändern tut sie auch nichts; das Elend der Millionen, die sich auf der Flucht befinden, bleibt und die Toten im Mittelmeer werden deswegen nicht weniger. Aber so, das heisst auf dieser Diskussionsschiene, kommen wir nicht weiter. Wir fahren den radikal linken Zug frontal und im vollen Karacho an die Wand. Dieses «Es bring eh nichts» zeugt von einer Hilflosigkeit, von einer fatalistischen Unterwerfung in der Diktatur des Kapitals. Man bleibt lieber zu Hause, anstatt an eine Demo zu gehen, schmeisst die Wahlunterlagen direkt ins Altpapier, weil es ja eh nichts bringt. Dafür wird auf dem Sofa bei angenehmer Zimmertemperatur fleissig Marx, Engels oder Lenin gelesen, um die revolutionäre Seele, die wegen der vielen Ungerechtigkeiten auf der Welt vor Wut kocht, zumindest etwas zu befriedigen. Wie kämpferisch! Wie revolutionär!

Der zweite Kollateralschaden dieser «Es macht eh keinen Sinn»-Diskussion ist auch bekannt: Innerhalb der radikalen Linke spielt man sich gegenseitig aus. Für die einen ist die Teilnahme an den Wahlen ein wichtiger Bestandteil des Kampfes, für andere eine Zeitvergeudung, da nicht genug revolutionär und daher reformistisch. Und natürlich haben alle recht, denn jede Organisation weiss ganz genau, wie es gehen muss und was notwendig ist, um den Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaftsform aufzubauen. Dies alles zur Freude jener, die in der Machtzentrale sitzen und den kapitalistischen, bürgerlichen Staat mitverwalten. Dazu gehört seit Jahrzehnten die SP, die Grünen eifern diesbezüglich der SP fleissig nach und auch die Zürcher AL scheint auf diesen Zug aufgesprungen zu sein.

Die klassische Oppositionspartei

Zurück zur Frage, warum man PdA wählen sollte. Marcel Bosonnet, Spitzenkandidat der PdA Zürich, bringt es so auf den Punkt: «Im National- und Ständerat sitzen heute alleine die unterschiedlichen Fraktionen des Bürgertums, die VertreterInnen von Grosskonzernen, Wirtschaft und Verbänden. Wie sich zeigt, werden durch deren Politik die Reichen immer reicher, die Armen immer ärmer. Die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung, der Arbeitenden, der Flüchtlinge, der sozial Ausgegrenzten sind im Stände- und Nationalrat nicht vertreten. Weil die Faust im Sack nichts bewirkt, und Hoffnung alleine zu keiner Veränderung führt, ist aktiver und radikaler Widerstand gegen die herrschenden, zutiefst unvernünftigen Verhältnisse notwendig; in der Schule, auf der Strasse, am Arbeitsort, aber auch im Nationalrat – gemeinsam!» Der parlamentarische Kampf ist für die PdA eine von vielen möglichen Formen von Widerstand gegen die herrschenden Verhältnisse. Und darin unterscheidet sich die PdA von allen anderen im Parlament vertretenen Parteien, denn diese sind trotz «farblichen» Nuancen alle Trägerinnen des kapitalistischen Systems, das Mensch und Umwelt schonungslos im Namen des Profits ausbeutet. Die Rolle und Aufgabe der PdA im Nationalrat ist ganz einfach: Sie klagt die herrschenden Verhältnissen an, deckt auf, dass im Parlament über 2000 Verwaltungsratsmandate sitzen und so direkt in die Entscheidungsprozesse eingreifen. Sie kämpft gegen jede Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Proletarisierten und zeigt auf, dass die Zerschlagung des Sozialstaats und der Grundrechte einen direkten Zusammenhang mit den Profitinteressen Weniger und den gesellschaftlichen Besitzverhältnissen hat. Sie drückt den Diskussionen eine andere Sichtweise auf. Ein konkretes Beispiel: Die Erhöhung des Rentenalters der Frauen heisst, dass die Frauen ein Jahr länger darauf warten müssen, vom gesellschaftlich erwirtschafteten Reichtum profitieren zu können. Daher ist nicht die demographische Entwicklung oder gar das fehlende Geld (eine zynische Behauptung in einem der reichsten Länder der Welt) das Problem der Rentenfinanzierung. Ausschlaggebend ist alleine die Antwort auf die Frage, wer wann und wieviel vom vorhandenen Kuchen kriegt. Kurz: Die PdA wird im Nationalrat die klassische, kommunistische Oppositionspartei sein. Und dies ist der zweite Grund, sie zu wählen. Dann gibt es noch einen dritten Grund und das ist das Ziel der PdA. Im Wahlprogramm steht dazu: «Es geht nicht nur um eine Reform der Wirtschaft, des Staates, der sozialen Strukturen, um die Beseitigung negativer Auswirkungen, sondern es geht um die Veränderung der Gesellschaft. Dabei stützt sich die Partei der Arbeit auf die Grundlage des Marxismus. Unser Ziel ist der Aufbau einer neuen, sozialistischen Gesellschaft. (…) Im Sozialismus liegt die Macht beim Volk und ist nicht in den Händen von einigen privaten Lobbys.» Wählt den Widerstand! Wählt PdA!

 

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Die neuen Genmanipulationstechnologien

gemuese_aus_afrika-e1362385827536In der Schweiz besteht ein Moratorium (befristetes Verbot 2005 – 2017) über die Freisetzung von gen-technisch veränderten Organismen. Trotzdem wird an Genen hardcore rumgefummelt und es gibt Aussaaten von gentechnisch manipulierten Samen. Was ist da los? Teil 1/3

Die Probleme beginnen bereits mit der Definiton eines gentechnisch veränderten Organismus (GMO). Die Legaldefinition darüber, was ein GMO ist, stammt aus den 1980er Jahren. Damals ballerte man mit «Genpistolen» fremde Desoxyribonukleinsäure (DNA) in den Zellkern. Diese DNA nistete sich dort ein und gab neue Befehle heraus. Das war es auch schon: Ein Wesen mit fremder DNA galt als Chimäre oder GMO. Wie die Tomate mit dem Fischgen, die kälteresistent wurde, aber niemandem schmeckte, weshalb sie wieder vom Markt verschwand. Heute ist man viel weiter. Dazu muss man wissen: DNA, auf der die ganze Erbinformation drauf ist, muss im Zellkern bleiben; die Kopie der DNA heisst RNA (Ribonukleinsäure), diese kann durch die ganze Pflanze wandern und Infos verteilen oder Infos an die DNA zurückbringen.

Heute schmuggelt man beispielsweise klitzekleine RNA-Stücke ein, womit sich bereits ein Definitionsproblem ergibt, denn die Definition für GMO spricht von Erbmaterial und meint damit DNA. Ob jetzt RNA auch als Erbmaterial gilt, darüber wird gestritten. Aber es wird nicht nur RNA eingeführt, sondern auch gleich ganze künstliche und synthetische Kopien der DNA oder RNA. Sind synthetische Teile nun auch Fremdmaterial? Darüber wird aktuell debattiert, wobei man sich sagt: «Hey, das sieht genau gleich aus wie das Original!» Ob die ihre goldene Uhr wohl auch so easy gegen eine Fälschung tauschen würden? Hey, sieht doch auch genau gleich aus, nicht?!

Manipulierter Apfel ohne Fremd-DNA

Es gibt schon Bakterien mit künstlicher DNA, die sich sogar vermehren können. Diese brave Bakterie macht genau das, was man von ihr verlangt. Zudem kann man DNA, RNA und weitere Teile einführen, eine Manipulation durchführen lassen und die eingeführten Teile teils wieder entfernen. Das Endprodukt enthält fast keine fremde DNA mehr, ist per Definition kein GMO. Dennoch wurde es manipuliert, und zwar krass. Bei Obstbäumen etwa kann ein normaler Reiser auf einen genmanipulierten Wurzelstock gepfropft werden, die RNA wandert in den Reiser, fummelt dort diskret am Apfelgen herum, und verduftet wieder. Der Apfel kommt voll manipuliert auf den Markt, hat jedoch kein Fremdgen drin. Aber möglicherweise neue Proteine, von denen niemand etwas weiss. Auch bei anderen, neuen Techniken wie Zisgenese und Intragenese wird eingeräumt, dass Fremd-DNA im Produkt verbleibt, dabei hat man derart an der Grenze herumgeschraubt, dass es okay ist so, und nicht als Fremd-DNA gilt, obwohl es welche ist: Erst ab zwanzig Nukleotidpaaren ist es laut neusten EU-Richtlinien eine Fremd-DNA. Damit kann schon mal jede Menge unterm Radar der GMO-Regelungen durchgeschmuggelt werden.

Produkt- oder prozessbezogen bewerten?

Und so geht die Polemik heute hauptsächlich darum, ob man etwas produkt- oder prozessbezogen bewerten soll. Prozessbezogen ist obiges Beispiel ganz klar eine Genmanipulation, weil während des Züchtungsprozesses am Gen rumgefummelt wurde; aber das Endprodukt ist frei von fremder DNA, so gesehen also kein GMO. Wobei das, wie gesagt, nicht ganz stimmt. Wieso das wichtig ist?

Weil, wenn das Produkt, ein Apfel etwa, als GMO bewertet wird, musst du einen Haufen teure Tests damit durchlaufen, ellenlange Anträge stellen, um damit überhaupt auf Feld und Markt zu dürfen und eventuell hast du eine Menge Leute, die deinen Bäumen an den Kragen wollen, weil sie keine GM-Apfelbäume in der Nähe haben wollen, da sie selber Raritäten züchten, und ein Überspringen der Gene befürchten. Und Mist! Koexistenzrichtlinien musst du auch beachten, also beispielsweise Abstände zum Nachbarn und auch eine Haftpflichtversicherung muss abgeschlossen werden. Doch keine Versicherung der Welt bietet für GMO Versicherungen an. Denn Versicherungen müssen echte Risikoanalysen machen und können nicht wie die von den Konzernen unterwanderten Behörden behaupten, es bestehe null Gefahr der Genübertragung. Aber am allerwichtigsten ist, dass du – wenn der Beurteilungsaspekt der Produktbezogenheit gewinnt – deine GM-Äpfel nicht als genmanipuliert kennzeichnen musst. Das heisst, du nutzt Genmanipulationstechniken und verkaufst das Produkt als nicht genmanipuliert, juhee!

Aber wir würden es gerne wissen, wenn das Zeugs genmanipuliert ist, und haben im Gegensatz zu den US-BürgerInnen auch ein Recht darauf. Also wird getrickst, geschummelt und gekauft: Behörden, Wissenschaftler, Unis etc. In der ganzen Diskussion geht es überhaupt nicht darum, was der Konsument gerne hätte, sondern darum, wie die Konzerne ihr Zeugs am billigsten auf den Markt werfen können und am meisten Profit daraus ziehen können. Und am meisten Profit holst du mittels Kontrolle der Verarbeitungskette.

Banken und Konzerne mit totaler Kontrollmacht

Gene sind dabei total interessant. Monsanto etwa packt in seine Patente den Anspruch auf die Produkte der Viecher, die mit ihrem patentierten Saatgut gefüttert werden. Gehört jetzt alles ihnen. Jeder, der an das Gen will, muss die Erlaubnis des Patentinhabers einholen und Lizenzgebühren bezahlen. Wäre ich gläubig, würde ich sagen, dass der Teufel höchstpersönlich dieses System designt hat. Es bedeutet die totale Kontrolle der Nahrung. Und essen musst du, ist nicht wie ein iPhone, das, wenn du es doof findest, einfach nicht kaufst. Und sie sind riesig, diese Konzerne, können Milliarden Schulden machen und kaufen alle Saatgutkonzerne auf, deren sie habhaft werden können. Zack, und all das Saatgut gehört ihnen. Ihnen gehört schon über die Hälfte des weltweiten Saatguts. Und man sollte nicht bloss von Monsanto sprechen, sondern von Hedgefonds und Banken. Sie sind die wirklichen Besitzer. Ihnen gehören die Ländereien, die Maschinen, die Schiffe, die Supermarktketten und die Silos, in denen sie Saatgut nach Bedarf zurückhalten können, um die Preise in die Höhe zu treiben. Diese Hedgefonds besitzen mehr Kapital als ganze Staaten, und ich meine damit keine Entwicklungsländer! Wenn die etwas wollen, kriegen sie es auch. Sie können Produkte unter dem Erzeugnispreis anbieten, nur um Konkurrenten aus dem Rennen zu werfen. Die Ukraine etwa, gekonnt in die Schuldenfalle des IWF und der Weltbank geschickt, muss jetzt, um die Kredite zurückzahlen zu können, die Agrarflächen für Hedgefonds und GMO öffnen. Auch für Fracking übrigens. Alles top organisiert. Und Nahrung ist dabei ein wichtiges Puzzlestück.

Helfen die neuen GM-Technologien?

Wir haben Probleme in der Landwirtschaft, so etwa mit den Resistenzen der Unkräuter und mit Schädlingen oder mit dem Wetter. Werden nun resistente Pflanzen gezüchtet, für die kein Gift gebraucht wird? Träum schön weiter! Clearfield-Sorten etwa basieren auf Mutagenese, eine der Genmanipulationstechnologien, die durch die Maschen der GMO-Regelung fällt. Das ist eine uralte Technik aus den 1950er Jahren. Man manipulierte mit Röntgen- und UV-Strahlung sowie mit Chemikalien ziemlich experimentell am Genmaterial rum, sodass sich Gene veränderten. Es wurde vorwiegend für die Medikamentenforschung und -herstellung benutzt und bekam so eine Ausnahmeklausel von der GMO-Regelung: Wenn du mit Chemikalien oder Strahlung am Gen rumfummelst, gilt das nicht als GMO. Ihr könnt euch ja ausmalen, wie diese Gesetzeslücke die Konzerne geradezu eingeladen hat, all diese lästigen GMO-Regelungen sofort zu umgehen. Wärst ja blöd, es nicht zu tun. Clearfield-Sorten sind herbizidtolerant, sprich: du kannst ein Herbizid (Pflanzenvernichtungsmittel) spritzen, das die Pflanze sonst nicht überleben würde. Alles ausser der genmanipulierten Pflanze geht ein. Das bedeutet, dass du zum Saatgut zusätzlich das Gift kaufen musst – natürlich von der gleichen Firma. Das ist das Ziel: Saatgut und Gift verkaufen. Dass die Giftstrategie wegen der Resistenzen und den Umweltschäden nicht funktioniert, ist denen egal. Die Strategie erlaubt Kontrolle und macht reich, alles andere sind «Externalitäten», wie sie das so schön nennen, also Kosten, die der Allgemeinheit aufgebürdet werden, ergo irrelevant. Wer also fluchend vor dem Regal steht, weil Bio teurer scheint, hat unterm Strich unrecht. Und somit nein, sie züchten kaum nachhaltig kluge, neue Sorten. Zudem hat man null Chance, diese genetischen Veränderungen auszumachen, wenn der Konzern das Betriebsgeheimnis geltend macht. Sollte also etwas schief laufen, ist der Konzern fein raus und hat alle Zeit der Welt, sein Vermögen in Sicherheit zu bringen. Bayer packt in sein Patent auf GM-Soja das exklusive Recht, Saatgut auf Kontamination mit diesen gentechnisch veränderten Soja zu überprüfen. Will ein Bauer also selber abklären, ob seine Ernte kontaminiert ist, darf er das nicht. Interessanterweise ist Bayer genau die Firma, die 2011 rund 750 Millionen Dollar Strafzahlungen an US-ReisbauerInnen zahlen musste, deren Saatgut mit GM-Reis von Bayer verunreinigt war.

Terminatortechnologie durch die Hintertür

Mittels CMS, also cytoplasmatische männliche Sterilität (ist auch ein Mutagenese-Verfahren), kann auch das Verbot der Terminatortechnologie (Technologie zur Saatgutsterilität) umgangen werden. CMS ist schon im Handel. Da tun sie überall ein Rettichgen rein, und die Pflanze ist danach nicht mehr fortpflanzungsfähig. Terminatortechnologie durch die Hintertür. Noch mehr Kontrolle. Die Welternährungsorganisation (FAO) hat in ihrer Datenbank über 2500 durch Mutagenese veränderte Sorten registriert, die vertrieben werden. Aber die Registrierung ist freiwillig. Die neuen Technologien finden sich auch im Biolandbau, daher das grosse Schweigen der Biolandbau-Seite. Diese profitiert bislang vom guten Ruf, keine Gentechnik zu benutzen. Einzig Demeter hat sich von Beginn weg klar auch gegen die neuen GM-Technologien positioniert. Und eigentlich auch der Weltbioverband (IFOAM). Doch vor Ort sagen die Verbände auch mal, es ginge nicht anders. Echt Bio ist sicher schon mal der bessere Weg, aber auch verbesserungswürdig. Auch die Biolandwirtschaft muss sich aus dem Zwang der Monokultur befreien und Menschenrechte mit an Bord holen. Wie weit geht die Nahrungsmittellkontrolle? In den USA darfst du in gewissen Städten keine Obdachlosen «füttern», gibt 2000 Dollar Busse.

Weiterführende Infos: blog.unpatentiert.ch

Aus der Printausgabe vom 11. September 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

Thurgauer Panzer töten weltweit!

Am 20. August fand im Rahmen der Aktionstage «Fluchtursachen bekämpfen – Waffenexporte stoppen» vor dem Waffenproduzenten Mowag in Kreuzlingen eine Kundgebung statt. Mehrere Organisationen hatten dazu aufgerufen. Aus Protest inszenierten sich AktivistInnen als Leichen vor der Fabrik. Die Aktion fand im Rahmen der Kampagne «AUSGESCHOSSEN!» statt, die von der GSoA am Geburtstag von Helvetia lanciert wurde.

Bei jeder Schweinerei ist die Schweiz mit dabei! Das ist seit Jahren so und allgemein bekannt. Aber da es leider zum helvetischen Alltag gehört, quasi «normal» ist, muss es immer wieder gesagt und in Erinnerung gerufen werden, wie zum Beispiel dies: Schon etliche Male sind Panzer aus Kreuzlingen in militärischen Konflikten auf der ganzen Welt eingesetzt worden: Bei Pinochets Regierungsputsch in Chile, beim Militärputsch in Bolivien, im Krieg in Afghanistan sowie beim Einmarsch von saudischen Truppen in Bahrain. Während dem arabischen Frühling wurde mit Piranha-Panzern der Opposition Einhalt geboten. Und aktuell stehen saudische Mowag-Panzer an der jemenitischen Grenze – bereit zum Krieg.

Im Rahmen der AUSGESCHOSSEN!-Kampagne thematisiert die GSoA die Schweizer Waffenexporte in alle Welt. Pro Kopf gehört die Schweiz weltweit zu den zehn grössten Waffenexporteuren. Seit der Lockerung der Kriegsmaterialverordnung im Jahr 2014 dürfen auch wieder Staaten beliefert werden, welche die Menschenrechte systematisch und schwerwiegend verletzen. «So heizt die Schweiz und durch die Mowag auch sehr stark der Kanton Thurgau militärische Konflikte auf der ganzen Welt weiter an – und sorgt damit für globale Destabilisierung und Unsicherheit», schreibt die GSoA in ihrer Medienmitteilung vom 20. August 2015.

Die FriedensaktivistInnen forderten einen sofortigen Exportstopp von Kriegsmaterial und legten sich schauspielerisch als Leichen vor den Eingang der Mowag-Fabrik. GSoA-Sekretär Thomas Leibundgut erklärt: «Wir FriedensaktivistInnen wollten heute den Verantwortlichen der Mowag deutlich aufzeigen, dass sie direkt für Leid und Tod verantwortlich sind!»

Ausgeschossen!

Die Kampagne wurde am 1. August lanciert. Die GSoA dazu: «Statt nationalistischem Dünkel stand für die GSoA eine konsequente Friedenspolitik im Zentrum.» Die Kampagne thematisiert die vier Säulen der Schweizer Beteiligung an Kriegen weltweit: Finanzierung von Rüstungsfirmen, Kriegsmaterialexporte, Forschung für militärische Zwecke und die Rüstungslobby im Parlament. In den nächsten Monaten soll darauf aufmerksam gemacht werden, wie die Schweiz in die Machenschaften der Rüstungsindustrie verstrickt ist. So deckten AktivistInnen vor der RUAG, einer UBS-Filiale, der Universität Bern und dem Berner Büro der Farner Consulting AG symbolisch deren Machenschaften auf. Die Schweizer Beteiligung an Kriegen und Konflikten weltweit sollte gerade am Nationalfeiertag zu denken geben; durch den kürzlich veröffentlichten Fall eines Einsatzes von Pilatus-Flugzeugen gegen die Zivilbevölkerung in Mexiko umso mehr. Thomas Leibundgut zur Lancierung der Kampagne: «Gerade am 1. August sollten wir uns bewusst werden, dass die Schweiz mitverantwortlich ist für weltweite Unsicherheit und Instabilität! Nehmen wir unsere Verantwortung wahr, anstatt unreflektiert eine kriegstreibende und nationalistische Schweiz zu feiern. Die KriegstreiberInnen haben AUSGESCHOSSEN!» Die GSoA fordert, dass die Schweiz dem Geschäft mit dem Tod den Riegel schiebt, Investitionen in Rüstungsunternehmen durch den Schweizer Finanzplatz verbietet und eine Zivilklausel für die universitäre Forschung einführt.

Aus der Printausgabe vom 28. August 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

USA–Kuba :Ende der Subversion?

Cuba_siEine Veranstaltungsreihe mit Aleida Godínez und Alicia Zamora,zwei ehemalige kubanische Agentinnen. Sie erzählen von der Subversion gegen ihre Insel.

Am 17. Dezember 2014 kündeten Raúl Castro und Barack Obama der Weltöffentlichkeit die Wiederaufnahme der offiziellen Beziehungen zwischen Kuba und den USA an.
Seit dem 20. Juli dieses Jahres wehen die Flaggen der beiden Länder nach 54 Jahren wieder über ihren jeweiligen Botschaften in Washington und Havanna.
Ist dies das Ende der Unterwanderungsversuche und konterrevolutionären Aktivitäten der USA gegen Kuba, die seit 1959 mehr als 3000 Todesopfer gefordert haben?

Aleida Godínez und Alicia Zamora berichten über ihre damalige Arbeit als Agentinnen, die im Auftrag Kubas konterrevolutionäre Gruppierungen infiltrierten, und geben eine Einschätzung der aktuellen Entwicklung.

Veranstaltungen:
12. September in Bern, Brasserie Lorraine, 19:00h
14. September in Solothurn, Restaurant Kreuz, 20:30h
17. September in Fribourg, Hôpital des Bourgeois, 18:00h
19. September in Bellinzona
21. September in Basel, Unternehmen Mitte, 19:00h
24. September in Genf, Maison des Associations, 19:00h
26. September in Zürich, Punto di Incontro, 19:00h

Der «Frankenschock» und die Unia

Die Reaktionen der Unternehmen auf den «Frankenschock» treffen die ArbeiterInnen in der Schweiz hart. Was machen die Gewerkschaften dagegen? Und was kann man von ihnen erwarten?

Nach all den Weissagungen in den vergangenen Monaten kann man momentan in Echtzeit beobachten, wie sich die Schweizer Nationalökonomie nach dem «Frankenschock» entwickelt. Die Aufträge für die Schweizer Industrie sind um fünf Prozent eingebrochen. Insgesamt ist die Wirtschaftsleistung im ersten Quartal 2015 um 0,2 Prozent geschrumpft. Klingt eigentlich nicht weiter dramatisch. Aber das Kapital ist auf Wachstum angewiesen, nur so kann es existieren. Machen Firmen längerfristig keinen Profit, den sie wieder reinvestieren, müssen sie ihre Tore schliessen. Zwar ist die aktuelle Konjunkturdelle nicht der Untergang der helvetischen Nationalökonomie, aber falls es zu einer längeren Phase der Stagnation kommen sollte, bedeutet das zwangsläufig Firmenkonkurse, Entlassungen und Steuerausfälle. Da mag es erleichtern, dass die Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich (KOF) vor einigen Tagen verkündete, dass die Schweizer Wirtschaft 2015 um 0,7 wachsen soll. Bloss sollte man mit solchen Prognosen vorsichtig sein. Sie sollen meist nicht als selbsterfüllende Prophezeiungen den Teufel an die Wand malen und zudem bleibt der reelle Akkumulationsprozess des Kapitals für die WirtschaftswahrsagerInnen letztlich ein Buch mit sieben Siegeln.

Reaktionen von Kapital und Politik

Die Reaktion von Unternehmen und bürgerlichen Parteien auf die Aufkündigung der Euro-Untergrenze durch die Schweizer Nationalbank (SNB) und die folgenden Prognosen ist heftig. Vor dem Hintergrund des aktuellen Bedrohungsszenarios haben viele Unternehmen Massnahmen in die Wege geleitet, die sie wohl oftmals ohnehin im Hinterkopf hatten. Verlängerung der Arbeitszeit, Kürzung der Löhne, Entlassungen und Kurzarbeit sind in einer zunehmenden Anzahl von Schweizer Betrieben Realität. Der bürgerliche Block veröffentlichte kurz nach dem SNB-Entscheid einen Massnahmenkatalog, der Margaret Thatcher vor Neid hätte erblassen lassen: Weitere Freihandelsabkommen, Einsparungen im öffentlichen Bereich, weniger Kontrolle der UnternehmerInnen und die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes sind nur einige der Vorschläge die CVP, FDP und SVP gemeinsam umsetzen wollen. All die Massnahmen zielen darauf ab, die Folgen der Krise, die durch den Euro-Unterkurs der SNB aufgeschoben wurden, auf die Proletarisierten abzuwälzen.

Die Gewerkschaften hätten in diesem Moment zumindest die Aufgabe, die fundamentalsten immanenten Interessen der ArbeiterInnen zu verteidigen. Und was macht die Unia? Sie berät den nationalen Standort unter keynesianischen Prämissen: Eine Kürzung der Löhne würde die Nachfrage untergraben und damit der Schweizer Wirtschaft schaden. Das ist ökonomischer Dogmatismus in seiner Reinform. Die Nachfrageproblematik ist eine reale Seite des aktuellen weltweiten Krisenproblems, aber nach dem SNB-Entscheid geht es in der Schweiz gerade um etwas anderes. Die Profitraten der Unternehmen drohen zu sinken. Und das ist nun mal das Kerngeschäft der neoliberalen GegenspielerInnen der GewerkschaftsökonomInnen. Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen sollen dieses Problem auf die ArbeiterInnen abwälzen. Das ist, was momentan gemacht wird und was die Vorstösse des bürgerlichen Blocks politisch flankieren sollen.

Die SNB im Klassenkampf?

Neben der Wirtschaftsberatung protestierte die Unia auch öffentlichkeitswirksam vor der SNB und forderte eine Rückkehr zum Euro-Mindestkurs. Man hat einen Schuldigen gefunden und fragt sich in der work-Zeitung: «Wer stoppt Jordan?» Der SNB-Chef mache Wirtschaftspolitik mit harter Hand, kann man dort lesen. Nun gut, faktisch hat die Finanzpolitik der SNB die Krisenauswirkungen gerade einigermassen von der Schweiz ferngehalten. Vor einigen Monaten ist die Nationalbank zum Schluss gekommen, dass dies angesichts der Massnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) zu kostspielig wird. Zur Erinnerung: Die EZB vermehrt gerade die Geldmenge innerhalb von eineinhalb Jahren um 1140 Milliarden Euro. Was wir jetzt beobachten können, ist der Einbruch der ökonomischen Realität der Eurozone ins vermeintlich sichere Heidiland. Bloss, um das entgegen linker Legendenbildung mal festzuhalten: Der SNB-Entscheid ist kein Klassenkampf von oben. Einerseits sind die Exportanteile, welche die Schweizer Ökonomie verliert, der Gewinn anderer Standorte. Was die Proletarisierten hier an Arbeitsplätzen verlieren, das wird anderswo geschaffen werden müssen. Die internationale ArbeiterInnenklasse verliert durch den SNB-Entscheid gar nichts, die Schweizer ArbeiterInnen werden aber natürlich von den Reaktionen von Unternehmen und Politik getroffen. Diese Reaktionen von Kapital und Politik sind der Klassenkampf von oben und nicht der Entscheid der SNB mit einer bestimmten Finanzpolitik aufzuhören.

Im betrieblichen Vollzug der Reaktionen von oben spielt die Unia keine besonders glorreiche Rolle. Mit der Stadler Rail von SVP-Politiker Peter Spuhler schloss die Gewerkschaft kurz nach dem SNB-Entscheid einen «Krisendeal». Die Abmachung sieht vor, dass Spuhler die Arbeitszeit auf 45 Stunden erhöhen darf, dafür aber niemanden auf die Strasse stellt. Wo gestreikt wurde wie im Tessin, da zog die Unia mit, drängte aber naturgemäss auf Sistierung der Massnahmen mittels Verhandlungen. Dies sieht man etwa bei der Firma Meyrin, bei welcher auf die Ankündigung von hohen Lohnkürzungen und Arbeitszeitverlängerungen gestreikt wurde. Die Unia erhandelte eine Verlängerung der Arbeitszeit um zwei Stunden pro Woche. Im Gegenzug darf das Unternehmen niemanden aus wirtschaftlichen Gründen entlassen. Ein halbgarer Deal vor dem Hintergrund eines Streiks möchte man meinen.

Die gewerkschaftliche Logik

Wie genau sich die Gewerkschaften verhalten, ist natürlich nicht nur dem politischen Kurs der Führung geschuldet und auch nicht ausschliesslich auf ihre sozialpartnerschaftliche Rolle zurückzuführen, wenn auch diese Rolle die Logik selbst bestimmt. Ob etwa gekämpft wird, hängt auch damit zusammen, ob die ArbeiterInnen Gegenwehr zeigen und die Unia so auch kämpferische «Ressourcen» vorfindet, um bessere Bedingungen für die Verschlechterungen, die in der Logik des nationalen Standorts liegen, auszuhandeln. Der Unia einfach die Schuld an der Abwieglerei zuzuschieben wäre angesichts der realen Schwäche der ArbeiterInnen in der Schweiz zu kurz gegriffen. Eine Kritik an den Gewerkschaften muss daher auch die Verhandlungsmasse – kämpferische ArbeiterInnen – in die Überlegungen einbeziehen. Und da sieht es in der Schweiz angesichts von Konformität, nationaler Identifikation, staatlicher Integration sowie Abstiegsängsten momentan recht düster aus. Dennoch kann man die Gewerkschaften selbstverständlich nicht aus der Kritik entlassen: Ihr Agieren als keynesianische Beraterinnen des nationalen Standorts, ihre falsche Fokussierung auf die Geldpolitik der SNB und die Selbstdarstellung als vernünftige und zahme Verhandlungspartnerinnen – was auch bedeutet, nach den Verhandlungen für disziplinierte ArbeiterInnen zu sorgen – sind nicht geeignet, um diesen Zustand auch nur aufzuweichen. Allerdings wäre es auch illusorisch, von der Unia etwas anderes zu erwarten.

 

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Gegen Frauen und die AHV

05_FrauendemoIn der Westschweiz regt sich bereits heftiger Widerstand gegen das Reformprojekt von SP-Bundesrat Alain Berset. Geplant sind unsoziale Massnahmen, die vor allem auf Kosten der Frauen und der AHV gehen werden.

Am 30. Mai sind mehrere Hundert Personen durch die Strassen von Lausanne gezogen, um gegen die geplante Reform der «Altersvorsorge 2020», die nach dem SP-Bundesrat und ihrem Urheber auch «Bersets Reformpaket» genannt wird, zu protestieren. Auf den Transparenten der Demonstrierenden konnten Sprüche gelesen werden wie «Ein Jahr länger arbeiten? Nein danke!», «Stoppt die Sparübung auf dem Rücken der Frauen» oder «Zu meinem Fünfzigsten: Rente und Sozialismus!». Worum geht es bei dieser Reform, die den Widerstand der Gewerkschaften und ArbeiterInnen hervorgerufen hat?

Bald Rente mit 67?

Laut Bundesrat ist Bersets Reformpaket das einzige Mittel, um «die gegenwärtigen Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen». Ein hübsches Beispiel für die leeren Floskeln, die typisch sind für unsere Regierung und das tatsächliche Wesen der Reform verschleiern: Beabsichtigt wird eine Reihe unsozialer Massnahmen, welche vor allem auf dem Rücken der Frauen und generell der ArbeiterInnenklasse ausgetragen werden dürften.

Ein erster Punkt des Projekts ist die Erhöhung des Rentenalters für Frauen auf 65 Jahre und die Abschaffung der Witwenrente. Eine Sparmassnahme im Umfang von 1,5 Milliarden Franken, die der sozialdemokratische Vorsteher des Innendepartements Alain Berset mit der Forderung nach «Gleichheit» rechtfertigt. Dieses Argument ist blanker Hohn, wenn man bedenkt, dass der Lohnunterschied zwischen Frauen und Männern noch immer erheblich und es Ersteren überlassen ist, den Grossteil der Hausarbeit zu verrichten. Ausserdem kann man sich sicher sein, dass das Vorhaben bloss eine erste Etappe ist auf dem Weg zu einer allgemeinen Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre, was die ArbeitgeberInnen bereits seit Beginn der Konsultation über das neue Gesetz gefordert haben.

Balance in Gefahr

Der zweite Teil der Reform sollte einem bekannt vorkommen: Es geht um eine Verringerung der beruflichen Vorsorge (BVG) durch die Senkung des Mindestumwandlungssatzes. Obwohl dieser Umwandlungssatz gegenwärtig noch im Gesetz festgeschrieben ist, möchte der Bundesrat, dass er innerhalb von vier Jahren von 6,8 Prozent auf 6 Prozent reduziert wird. Die reinste Provokation, weil bereits 2010 eine ähnliche Vorlage – die mit einer Senkung auf 6,4 Prozent aber weit weniger drastisch war – mit 73 Prozent der Stimmen vom Volk abgelehnt worden ist! Wenn es darum geht, die Interessen der Versicherungen zu befriedigen, scheint es, als ob unsere Regierung keinerlei Skrupel hat, sich über den Willen der Bevölkerung hinwegzusetzen.

Falls noch irgendwelche letzte Zweifel bestehen über den tendenziösen Inhalt von Bersets Reformpaket, sollte ein Blick auf den dritten Teil der Reform genügen, um auch diese aus dem Weg zu räumen: Geplant ist eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, bekannterweise eine besonders unsoziale Steuer, die gleichermassen hohe wie tiefe Einkommen trifft. Zweck dabei ist, die Löcher in der Finanzierung der AHV zu stopfen. Parallel dazu wird als letztes Vorhaben im Paket der Beitrag des Bundes an der AHV stark gekürzt, von 19,5 Prozent auf 10 Prozent. Momentan verhält es sich so, dass die Einnahmen aus den Beitragszahlungen der Versicherten des jeweiligen Jahres die Renten im nächsten Jahr finanzieren, während der Bund die restlichen 19,5 Prozent der Kosten übernimmt. Die geplante Kürzung wird unweigerlich die Balance dieses Systems gefährden. Ein System, das sich seit Jahrzehnten bewährt hat.

Alternative Finanzierung

Die Reform der Altersvorsorge geht somit auf Kosten der Frauen und der AHV selber. Diese vorbildliche Sozialversicherung muss das Fundament bleiben, welches durch ein System der Umverteilung und der kollektiven Risikoverteilung eine Solidarität zwischen den Arbeiterinnen und Arbeitern und zwischen den Generationen herstellt. Es stimmt zwar, dass die AHV-Beiträge derzeit erhöht werden müssen, das sollte aber auf eine andere Art durchgeführt werden, indem beispielsweise Einkommensquellen besteuert werden, die bisher nicht zur Unterstützung der AHV beitragen mussten: Kapitalerträge, Aktien, Finanzoptionen und andere. Eine Alternative wäre eine Erhöhung der paritätischen Beiträge, die es der AHV im Grunde genommen erlauben müssten, die grundlegendsten Bedürfnisse der RentnerInnen zu decken. So wäre es in der Verfassung vorgeschrieben, ist aber in der Realität mit den aktuellen Renten nicht der Fall. Statt ein Projekt vorzuschlagen, dass endlich die Einhaltung unserer Verfassung durchsetzt, zieht es der Bundesrat vor, vor den ChefInnen und den Privatversicherungen in die Knie zu gehen. Eine Entscheidung, bei der durchaus das Risiko besteht, aus der AHV ein Anhängsel der zweiten Säule zu machen.

AHV stärken!

Es widerspricht klar den Interessen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung, die AHV zugunsten der zweiten Säule zu schwächen, auch weil Letztere stark von den Finanzmärkten abhängig ist. Diese Logik macht den Kern der Reform der Altersvorsorge 2020 aus und das Vorhaben muss deshalb in seiner Gesamtheit abgelehnt werden, auch wenn es einige positive Aspekte enthält, zum Beispiel die bessere Aufsicht und höhere Transparenz in der BVG. Andererseits muss jeder Vorschlag, der in die Richtung einer Stärkung der AHV geht, wie die AHVplus-Initiative der Gewerkschaften, unterstützt werden. Indessen muss, im vollständigen Gegensatz zum Projekt von Berset, versucht werden, für die Abschaffung der zweiten Säule zu sorgen. Genau das schlägt die Partei der Arbeit vor mit einer schrittweisen Eingliederung der zweiten Säule in die erste, unter Beibehaltung aller sozialen Erungenschaften. Das ist das einzige Mittel, um der Bevölkerung eine Rente zu ermöglichen, die ihren Bedürfnissen gerecht wird.

Aus der Printausgabe vom 19. Juni 2015. Unterstütze uns mit einem Abo

Brennende Stimmzettel und Militärstiefel

mexiko-iguala-protestAm 7. Juni fanden in Mexiko die Wahlen statt. Die militante Lehrergewerkschaft rief zum Boykott auf und führte Aktionen durch. Der Staat mobilisierte 40000 Sicherheitskräfte. Es kam zu Auseinandersetzungen, 125 AktivistInnen wurden verhaftet und nach einer Polizeiaktion wurde ein Aktivist getötet. Die repräsentative Demokratie steckt in einer abgrundtiefen Krise. Aber auch die Proteste müssen hinterfragt werden.

«Wirklich, ich musste mich diesmal ausserordentlich überwinden, um wählen zu gehen», stöhnte der Karikaturist Rius nach dem Wahlgang vom 7. Juni. Der 80-jährige Linke mit bürgerlichem Namen Eduardo del Rio, seit einem halben Jahrhundert für seine bissige Kritik mit dem Zeichenstift bekannt und gefürchtet, erklärte seine Qual der Wahl so: «Ich habe eine Peso-Münze in die Luft geworfen, wenn sie auf den Adler fallen sollte, wähle ich Morena, fällt sie auf die Seite mit der Sonne, dann wähl ich niemanden. Das zeigt dir, wie meine politische Haltung ist und was viele Leute wie ich in Sachen Parteipolitik denken.»

Die Wahlen zur Erneuerung des mexikanischen Parlaments sowie einiger Gouverneure und Lokalparlamente waren geprägt von einer Frustration, welche sich vielseitig Luft machte. Kritische Stimmen riefen im Vorfeld zum Protestwählen per ungültiger Stimmabgabe auf. Knapp fünf Prozent folgten diesem Aufruf, markierten Wahlzettel mit Sprüchen wie «Alles Ratten», «Wir wollen die 43 Studenten lebend zurück» oder «Ich wähle und dann lässt ihr mich verschwinden». Der neuen linken Partei Morena (Bewegung der nationalen Erneuerung) unter dem zweimaligen Präsidentschaftskandidaten Andrés Manuel López Obrador kam jeder Protest gegen die Wahlen ungelegen, denn sie wollen beweisen, dass mit dieser vierten linken Partei endlich eine reale Alternative am Start war.

Besetzte Büros und brennende Unterlagen

Bis hierhin eine typische Krise der repräsentativen Demokratie, wie wir sie weltweit an vielen Orten erleben. Doch im Süden des Aztekenlandes nahmen die oppositionellen Lehrersektionen den Aufruf der Angehörigen der verschwundenen Studenten der pädagogischen Hochschule von Ayotzinapa auf: Die Wahlen müssen aktiv boykottiert werden, damit das Regime keine politische Normalität simulieren kann, die nach den Strukturanpassungsmassnahmen und den Staatsverbrechen wie in Guerrero ein Hohn ist. Ab dem 1. Juni traten die LehrerInnen in Michoacán, Guerrero, Oaxaca und Chiapas in einen unbefristeten Streik gegen die neoliberale Bildungsreform, welche die Regierung von Enrique Peña Nieto 2013 mit Unterstützung der sozialdemokratischen PRD durchs Parlament brachte. Die Reform hat zum Ziel, Arbeitsrechte und gewerkschaftliche Organisierung einzuschränken.

Am selben Tag begannen massive Proteste gegen die Wahlen. Die Institute der Wahlbehörde INE und Büros aller Parteien wurden besetzt, Unterlagen verbrannt. Zwei Tage vor den Wahlen sandte Peña Nieto insgesamt 40 000 Einsatzkräfte in die Unruheregionen, um in einer Feuerwehraktion doch noch Wahlen garantieren zu können. In Kleinstädten in Guerrero und insbesondere Oaxaca kam es zu gefährlichen Auseinandersetzungen zwischen AktivistInnen und Bundespolizei, Gendarmerie, Militär und Marine. Am Wahltag wurden allein in Oaxaca 440 Wahlurnen entweder verbrannt oder die Wahllokale gar nicht eingerichtet, was neun Prozent der Lokale im Bundesstaat entsprach. In Guerrero verletzten regierungstreue Gangs oppositionelle LehrerInnen und SchülerInnen von Ayotzinapa. In einer Polizeiaktion in der Nacht nach den Wahlen töteten Polizisten in Tixtla einen jungen Lehrer.

Landesweit wurden am Wahltag über 120 AktivistInnen festgenommen, 25 aus Oaxaca sind noch in Haft und wurden wegen Besitz von Molotow-Coctails in Hochsicherheitsgefängnisse in die Bundesstaaten Nayarit und Veracruz verlegt, wo sie nun zusammen mit gefährlichen Mafia-Mitgliedern einsitzen. Die NGOs von Oaxaca, normalerweise auf kritischer Distanz zur militanten Lehrergewerkschaft, haben sich vor und während der Wahlen zusammengerauft und forderten eine Demilitarisierung des Wahlprozesses, denn in ihrer Sicht beweist «der militärische Umgang mit einer sozialen Problematik eine gravierenden Rückschritt in Richtung autoritäres Regime», wie über 50 Organisationen aus Oaxaca in ihrem internationalen Aufruf warnen.

Boykott kritisch hinterfragen

In den Tagen nach der Wahl und deren teilweisen Boykott ist der Katzenjammer allerorten gross. Die Resultate vieler Wahlbezirke werden von den Verliererparteien angefochten, da unter den erschwerten Bedingungen die auch sonst schon notorischen Wahlbetrügereien zunahmen. Das Wahlgericht hat in über tausend Fällen Untersuchungen aufgenommen, doch selten ist die Beweislage genügend stichhaltig oder der politische Wille vorhanden, um Wahlen in einzelnen Orten zu wiederholen. Im Parlament bestätigte sich die Regierungspartei PRI als stärkste Kraft, auch wenn sie, wie die rechte PAN und die sozialdemokratische PRD, Stimmen an die kleinen Parteien verlor. Wahlgewinnerin ist die neue linke Morena, aber mit deren acht Prozent Wählergunst, abgeworben bei der PRD, ändert sich am Kräfteverhältnis im Parlament kaum etwas. Von denjenigen, die wählen gingen, legte nur jeder Vierte seine Stimme für linke KandidatInnen ein.

Auch die Proteste müssen bezüglich ihrer Wirkung kritisch hinterfragt werden. Die Bewegung um Ayotzinapa und die Lehrergewerkschaft hat mit dem Wahlboykott in ihren konkreten Forderungen nichts bewegen können. Die Parteien aus dem linken Spektrum machen den Wahlboykott für das gute Abschneiden der Regierungskräfte verantwortlich. Und die dröhnenden Armeehelikopter im Tiefflug sowie das martialische Aufmarschieren der Sicherheitskräfte kehrten die offizielle Absicht, das Recht auf freie Wahlen zu schützen, in ihr Gegenteil; sie schürten Angst und Unsicherheit unter der Bevölkerung, die frühere Manöver dieser Art und die damit verbundenen Menschenrechtsverletzungen allzu gut in Erinnerung hat. Kommt hinzu, dass die schwerbewaffneten Verbände auch Tage nach den Wahlen immer noch in den Städten Oaxacas patrouillieren. Der Wahlboykott war ein idealer Vorwand, um die Militärpräsenz in den widerständigen Regionen des Südens zu konsolidieren.

Eine historische Wahl?

Dennoch, die meisten KommentatorInnen sind sich einig, dass die Wahlen ein Warnsignal waren. Der beliebte Analyst Julio Hernández López, dessen spitze Feder in der linken Tageszeitung Jornada täglich die mexikanische Politik seziert, bringt dies auf den Punkt: «Die andauernden und intensiven Proteste korrelieren exakt mit der Verweigerungshaltung der Politiker und Behörden, die existierenden sozialen Probleme anzugehen.» Regierungsapparat und die Formen der politischen Repräsentation «funktionieren nur noch für die eigenen Machtzirkel», so Hernández López in seinem Artikel mit dem Titel «Andauernde soziale Verstörung».

Doch nicht alle Stimmen äusserten sich über die soziale Unruhe besorgt. Für Präsident Peña Nieto waren die Wahlen ein «historisches Ereignis», die Probleme am Wahltag «vereinzelte Vorfälle». Er sieht die Demokratie in Mexiko gestärkt. Tags darauf reiste Peña nach Brüssel, unter anderem um über neue Freihandelsverträge zu verhandeln. Auch Bundesrat Burkhalter will Neuverhandlungen mit Mexiko, dem Land, das die meisten Freihandelsverträge weltweit hat und gleichzeitig unter gravierender sozialer Ungleichheit leidet. Der Beobachter Luis Hernández Navarro konterte die präsidiale Schönwetter-Rede: «Es stimmt, es war eine historische Wahl», aber genau im Gegenteil, die repräsentative Demokratie Mexikos stecke «in einer abgrundtiefen Krise». Die Münze des Karikaturisten Rius fiel übrigens auf die Adler-Seite. Damit kriegte die neue linke Partei Morena eine erste und vielleicht letzte Chance.

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Flüchtlinge als billige Arbeitskräfte

landwirtschaftFür die schweizerische Gemüseproduktion sollen künftig Flüchtlinge herangezogen werden. Der Staat verspricht sich davon einen Beitrag zur Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative sowie eine Entlastung des Sozialsystems. Die Agrarwirtschaft wiederum zementiert ihre Tiefstlohnpolitik.

Diese Ankündigung traf zeitlich perfekt ein. Während die Nachrichtenflut von sinkenden Flüchtlingsbooten einfach nicht enden wollte und sogar ein Jean Ziegler den Krieg «gegen Schlepperboote» forderte, zeigte sich die Schweiz plötzlich von der menschlichen Seite. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) und der Schweizerische Bauernverband (SBV) wollen künftig vorläufig Aufgenommene und anerkannte Flüchtlinge stärker in die Agrarwirtschaft einbeziehen. Hierfür wird ein Pilotversuch gestartet, bei dem in zehn Betrieben Geflüchtete eingestellt werden. Hört, hört! Arbeit für die vom Elend geplagten Flüchtlinge! «Wie herzlich», freute sich der linke Bürger. «Wie sinnvoll», staunte auch die migrationsbesorgte Patriotin. Unisono stimmte man ins «Gut, gibt‘s die Schweizer Bauern» ein. In einer perfekt inszenierten Pressekonferenz im Vorzeigebetrieb der Familie Eschbach aus Füllinsdorf (BL) wurde die neue Partnerschaft aus Staat und Agrarkapital in fast philanthropischer Weise die erwarteten Vorteile der gewünschten Stossrichtung betont.

«Win-win-Situation» dank der SVP

Weil die Masseneinwanderungsinitiative der SVP umgesetzt werden soll, will das SEM das «Potenzial an inländischen Arbeitskräften» stärker ausnutzen. Und zu diesem «Potenzial» gehören auch die in die Schweiz Geflüchteten. Bereits heute arbeiten in der Landwirtschaft bis zu 35?000 ausländische ArbeiterInnen. Sie kommen meist aus Polen und Portugal, aber auch aus Rumänien oder Ungarn. Auf Äckern und in Gewächshäusern schuften sie von frühmorgens bis spätabends zu einem Lohn, für den keinE SchweizerIn auch nur einen Finger krümmen würde. Doch neu gelten diese ArbeiterInnen als unerwünschte «Masseneinwanderer», die draussen zu bleiben haben. Die Perspektive des Staates ist klar: Künftig sollen die BilligarbeiterInnen aus den EU-Ländern durch Geflüchtete ersetzt werden, welche arbeitslos bloss die Sozialwerke belasten würden. Doch «im Idealfall», sagen SEM und SBV, soll es eine «Win-win-Situation» geben. Schliesslich ist man um die anerkannten Flüchtlinge besorgt. Und tatsächlich finden diese trotz Arbeitserlaubnis oft erst nach Jahren eine Anstellung. Im Gemüsebetrieb hingegen seien nicht nur eine sinnvolle Beschäftigung und ein eigener Verdienst gewährleistet, auch könnten die ArbeiterInnen dort die Landessprache lernen und sich besser in die Gesellschaft integrieren. Deutsch lernen also. Fragt sich nur, mit wem. Deutschsprachige ArbeiterInnen gibt es in der Branche praktisch keine. Und in welche Gesellschaft sich die Geflüchteten integrieren sollen, wenn diese von Tag zu Tag nur Äcker zu sehen bekommen und Freizeit quasi nicht existiert, bleibt ebenso ein Rätsel.

Abhängigkeit und Ausbeutung zum Schleuderpreis

Sicher ist hingegen, dass die materiellen Rahmenbedingungen für die Flüchtlinge noch miserabler sind, als jene der Saisonniers aus der EU: Der Anfangslohn beträgt gerade mal 2300 Franken, erst nach einem Monat gibt es den üblichen Minimallohn von 3200 Franken, also knapp 14 Franken pro Stunde. Die Wochenarbeitszeit ist in 26 kantonal unterschiedlichen Normalarbeitsverträgen (NAV) festgehalten und variiert von 45 (in Genf) bis 66 Stunden (in Glarus). Dass an sechs Tagen gearbeitet werden kann, ist in den NAVs überall vorgesehen. Arbeitsschichten von 14 Stunden sind weit verbreitet. Möglich macht diese extreme Ausdehnung des Arbeitstages eine Raffinesse der BäuerInnenlobby. Das «Bundesgesetz über die Arbeit in Industrie, Gewerbe und Handel» beschränkt die wöchentliche Höchstarbeitszeit zwar auf fünfzig Stunden, doch die Landwirtschaft ist diesem Arbeitsgesetz schlicht nicht unterstellt.

Die Ausbeutung mit extremen Arbeitszeiten und Tiefstlöhnen genügt den UnternehmerInnen aber noch nicht. Die NAVs gestatten ihnen auch, einen Viertel bis die Hälfte des ersten Lohnes zurückzubehalten. Erst bei «ordentlicher Beendigung» des Arbeitsverhältnisses soll dieser Teil ausbezahlt werden. Die Abhängigkeit der ArbeiterInnen von den Patrons zeigt sich auch bei Kost und Logis. Hierfür darf bis zu 990 Franken vom Lohn abgezogen werden. Und keinesfalls soll es einer Arbeiterin in den Sinn kommen, den Bettel einfach so hinzuschmeissen. «Ungerechtfertigtes Nichtantreten oder Verlassen der Arbeitsstelle» kann mit einem Viertel des Monatslohnes und weiteren Wiedergutmachungen bestraft werden. Nicht zuletzt werden LandarbeiterInnen auch deshalb gnadenlos ausgenutzt, weil sie Verträge in deutscher Sprache nicht verstehen, ihre Rechte nicht kennen oder weil sie schwarz arbeiten.

Schwarze ArbeiterInnen, weisse KapitalistInnen

Bei solchen Ausbeutungszuständen steht normalerweise bald eine Gewerkschaft auf der Matte. Nicht so in der Landwirtschaft! Die grossen Gewerkschaften glänzen durch totale Abwesenheit. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) wünscht sich sogar, dass die Flüchtlinge zu den Schweizer Arbeitsbedingungen entlöhnt und angestellt werden, sprich, dass die Ausbeutung wie bisher weitergeht. Lediglich einige Westschweizer Basisgewerkschaften organisieren sich allmählich mit den Saisonniers. Auch erstaunt, dass niemand das historisch stark belastete Bild von schwarzen LandarbeiterInnen und weissen GutsbesitzerInnen aufgreift. Die offensichtlich multiple Ungleichheit zwischen ChefIn und ArbeiterIn sowie die Ausbeutung von diskriminierten, schwarzen Flüchtlingen versuchen die Verantwortlichen mit einer antirassistischen Rhetorik zu verschleiern. Doch auf der Homepage des «Schweizer Bauers» zeigt sich in rassistischen Kommentaren, was die Geflüchteten von ihren baldigen ArbeitgeberInnen erwarten können. Und auch die SVP machte unlängst in Bezug auf Asylunterkünfte klar, dass Asylsuchende «keine Ansprüche» zu stellen hätten. Anspruchslos sollen sie nun auch unser Schweizer Biogemüse ernten. Allerdings liegt in dieser extremen und ethnisierten Ausbeutungsform der Konflikt schon zur Eskalation bereit. Das zeigen etwa die kämpfenden afrikanischen LandarbeiterInnen in Andalusien oder der Aufstand im italienischen Rosarno von 2010. Aber auch die Attacken von Chefs und Faschisten auf migrantische ErdbeerpflückerInnen in Griechenland gehören zu diesem Konfliktpotenzial.

 

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Israelisch-schweizerischer Drohnendeal

droAktivistInnen blockierten am 26. Mai den Haupteingang des Thuner Waffenplatzes und verwehrten der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) den Zugang, um gegen den Kauf sechs bewaffnungsfähiger Militärdrohnen aus Israel zu protestieren. Als Kompensationsgeschäft sichert die Schweiz Aufträge im Wert von 213 Millionen Franken. Als die Mitglieder der SiKs beider Räte am Dienstagmorgen zur geplanten «Vorführung des Materials des Rüstungsprogramms 15» erschienen, bot sich ihnen ein ungewohntes Bild: Der Eingang war mit blutverschmierten «Leichen» übersät. AktivistInnen forderten auf Transparenten die BundesparlamentarierInnen auf, den Drohnendeal abzulehnen und keine Beihilfe zu Kriegsverbrechen zu leisten.

Es gibt starke Anzeichen dafür, dass mit dieser Militärdrohne namens «Hermes 900» in der Vergangenheit Kriegsverbrechen begangen wurden. Laut dem Kinderhilfswerk «Children Defense International» (CDI) fielen bei der israelischen Militäroffensive «Protective Edge» letzten Sommer in Gaza-Stadt 164 Kinder Drohnenangriffen zum Opfer. CDI und andere Menschenrechtsorganisationen werfen den israelischen Streitkräften vor, mit den dokumentierten Angriffen auf Zivilpersonen gegen humanitäres Völkerrecht verstossen zu haben. Die israelische Regierung hätte die Möglichkeit, diese Anschuldigungen aus dem Weg zu räumen, indem sie die Videoaufzeichnungen der Kampfdrohnen für Untersuchungen zugänglich macht. Dies verweigert sie konsequent.

Militärisch-industrielle Kooperation

Spätestens seit der Ernennung der neuen ultrarechten Regierung Israels muss auch die Schweiz erkennen, dass zukünftige Kriegsverbrechen nicht ausgeschlossen werden können. So rief beispielsweise die frisch ernannte israelische Justizministerin, Ayalet Shaked, letztes Jahr öffentlich dazu auf, unbewaffnete Zivilpersonen zu töten und zivile Infrastruktur der PalästinenserInnen zu zerstören, um so den propagierten Krieg gegen das palästinensische Volk ein für alle Mal zu gewinnen. Das stellt klar einen Aufruf zu Kriegsverbrechen dar. Einer Regierung mit einem solchen Rechtsverständnis muss jegliches Vertrauen entzogen werden.

Die Schweiz plant aber eine militärisch-industrielle Kooperation mit einem Staat, welcher im dringenden Verdacht steht, Kriegsverbrechen mit einem Waffensystem begangen zu haben, welches nun von Schweizer Unternehmen technologisch verfeinert werden soll. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Technologie bei zukünftigen Kriegsverbrechen zum Einsatz kommt. Dies ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern erfüllt unter den gegebenen Umständen den Tatbestand der eventualvorsätzlichen Beihilfe zu Kriegsverbrechen.

Die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrates (SiK-N) entschloss sich im Anschluss an die Blockade mit 16 zu 7 Stimmen für den Drohnendeal. Der Präsident der SiK-N, Thomas Hurter (SVP), kommentierte dies lapidar: Menschenrechtsverletzungen seien «störend», aber ein Boykott würde nichts bewirken. Zudem sei es kein politischer Entscheid gewesen. Wahrscheinlich hat er damit Recht. Der Entscheid der SiK, welche als verlängerter Arm der Rüstungslobby fungiert, war ökonomischer Natur. Denn mit dem Kauf sichert sich die Schweizer Industrie Aufträge in Millionenhöhe. Angesichts solcher Profitaussichten kann man bei Nebensächlichkeiten wie der Beihilfe zu Kriegsverbrechen schon mal ein Auge zudrücken.

 

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Klassenkämpferische BaumeisterInnen

baustelleDer Baumeisterverband hat es abermals abgelehnt, die Verhandlungen über den Landesmantelvertrag (LMV) im Baugewerbe wieder aufzunehmen. Er macht aus der Gewerkschaft Unia den Sündenbock, betreibt in Wirklichkeit aber einen gnadenlosen Klassenkampf von oben gegen die BauarbeiterInnen.

Die Arbeit auf dem Bau ist hart. Verletzungen sind häufig, Todesfälle nicht unbekannt: 2013 starben 21 Bauarbeiter auf Baustellen in der Schweiz. Und unter solchen miserablen Bedingungen haben die ArbeiterInnen noch für mickrige Dumpinglöhne zu schuften. Die BaumeisterInnen greifen tief in die Trickkiste, um ihre Untergebenen auszubeuten: Ein Beispiel ist die Baufirma Feldmann in Zürch-Schwamendingen. Das Unternehmen unterhält eine kleine Stammbelegschaft, bei der es die Regeln des LMV einhält. Gleichzeitig lagert es alle möglichen Arbeiten an Subunternehmen aus. Bei diesen findet dann das Lohndumping statt. Fällt der «Bschiss» auf, wird das Subunternehmen einfach ausgewechselt und die Firma kann sich in Unschuld baden.

Die Bauunternehmen streichen derweil märchenhafte Gewinne ein. Die Konjunktur der letzten Jahre war glänzend. «Die Gewinnmargen haben in den letzten Jahren enorm zugenommen – im Hochbau verdoppelt, im Tiefbau gar verdreifacht», berichtet Nico Lutz, Leiter im Sektor Bau der Unia. Die ArbeiterInnen haben davon nichts gesehen. Lohnforderungen von 150 Franken stiessen bei den Bauherren und -damen auf taube Ohren.

«Mehr als nur grosszügig»

Nun fürchtet der Baumeisterverband, dass die Wachstumsphase der Bauwirtschaft ihren Höhepunkt überschritten hat. Für 2015 erwartet er «einen leichten Rückgang der Bautätigkeit». Grund genug, um im Klassenkampf von oben verstärkt zum Angriff zu blasen. Auf der Delegiertenversammlung im Mai hat sich der Baumeisterverband erneut einer Wiederaufnahme der Verhandlungen über den LMV verweigert. Die Schuld für die Blockade wird der Unia zugeschoben: Mit ihrer «Fachstelle Risikoanalyse», mit der die Gewerkschaft Subunternehmen auf deren Arbeitsbedingungen überprüft, würde sie die «Sozialpartnerschaft unterlaufen». «Selbstlos» erklärten sich die BaumeisterInnen aber bereit, den laufenden LMV über 2015 hinaus zu verlängern – jedoch nur in unveränderter Form. Laut Gian-Luca Lardi, Zentralpräsident des Baumeisterverbands, sei es «ja wirklich mehr als nur grosszügig, einen so arbeitnehmerfreundlichen Gesamtarbeitsvertrag wie den LMV unverändert zu verlängern». Der Status quo wäre grosszügig genug für die BauarbeiterInnen, meint also der Baumeisterverband. Verbesserungen wie ein Schlechtwetterschutz sollen weg vom Verhandlungstisch. Im Gespräch mit der Unia-Zeitung work macht Nico Lutz klar: «Die Fachstelle Risikoanalyse der Zürcher Unia nehmen die Patrons nur als Vorwand, um Verhandlungen zu blockieren. Wir haben den Arbeitgebern nämlich mehrmals angeboten, zusammen ein Branchenregister aufzubauen, das Auskunft gibt, ob sich eine Firma bisher an den Vertrag gehalten hat. Sie haben bisher alles abgelehnt.» Die BauarbeiterInnen seien laut Lutz bereit, für ihre Forderungen zu kämpfen. Aller Voraussicht nach werden sie kämpfen müssen.

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Nein zur grenzenlosen Präimplantationsdiagnostik

präAm 14. Juni entscheiden die Stimmberechtigten der Schweiz über die Legalisierung der Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Partei der Arbeit unterstützt das Referendum dagegen. Die PID ist eine medizinische Untersuchung des Embryos bei einer künstlichen Befruchtung. Sie kann verwendet werden, um Körpermerkmale wie Geschlecht, Haarfarbe und Augenfarbe sowie Erbkrankheiten und/oder Abweichungen in der Körperstruktur des Embryos zu erkennen. Bisher ist die PID in der Schweiz verboten. 2011 wollte der Bundesrat dieses Verbot lockern und wollte es Paaren mit schwerwiegenden Erbkrankheiten gestatten von der PID Gebrauch zu machen. Im Parlament wurde diese Lockerung ausgeweitet auf alle Paare, die eine künstliche Befruchtung durchführen lassen. Gegen diese Legalisierung der PID wurde sodann das Referendum ergriffen, welches die Partei der Arbeit unterstützt.

Im Sinne des Kosten-Nutzen-Denkens

Mit der PID wird es möglich werden bestimmte Embryonen anderen vorzuziehen. Diese Auswahl kann dazu führen, dass Embryonen mit einer abweichenden Körperstruktur (z.B. mit einem Down-Syndrom) systematisch verworfen werden. In diesem Moment wird darüber entschieden, welches Leben lebenswert und welches lebensunwert ist. Die Entscheidungsgrundlage bildet dabei die Leistungsgesellschaft. Auf der Befürworterseite wird damit argumentiert, dass mit der PID viel Leid bei Betroffenen und Angehörigen verhindert werden könne. Es bleibt dabei unerwähnt, dass das meiste Leid durch Stigmatisierung und Leistungsideologie entsteht. Die kalte kapitalistische Logik selektioniert die Menschen in produktive und unproduktive Kräfte, was auch bei Menschen ohne Beeinträchtigung viel Leid verursacht. Nur ein integratives Gesellschaftssystem, in welchem jeder und jede sich nach seinen Bedürfnissen entwickeln kann, würde dieses Leid verhindern.

Als weiteres Argument wird von den BefürworterInnen aufgeführt, dass die betroffenen Paare frei entscheiden könnten, ob sie zur PID greifen wollen oder nicht. Es besteht jedoch die Gefahr, dass diese so genannt freie Entscheidung schon bald einmal nicht mehr so frei sein wird. Im Sinne eines Kosten-Nutzen-Denkens könnten zukünftige Eltern schon bald einmal vor die Entscheidung gestellt werden, einer PID-Untersuchung entweder zuzustimmen oder das Risiko eines Kindes mit Behinderung in eigener Verantwortung und mit eigenen finanziellen Mitteln zu tragen. Gerade in Zeiten von Kostenoptimierung und Sparmassnahmen ist dies kein unrealistisches Szenario. Dies trifft dann wie fast immer vor allem die Familien der ArbeiterInnenklasse, für welche schon heute behinderte Kinder in finanzieller Hinsicht eine grosse Herausforderung darstellen. Die existierenden Hilfestellungen sind insbesondere für solche Familien noch immer ungenügend. Somit würde den zukünftigen Eltern am meisten geholfen, wenn sie sich keine Sorgen über die Zukunft eines behinderten Kindes machen müssten und wüssten, dass die benötigten Hilfeleistungen ohne Wenn und Aber zur Verfügung stünden.

Stigmatisierung von Behinderten

Mit der Legalisierung von PID wird der Stigmatisierung von Behinderten und generell von der Norm abweichenden Menschen Vorschub geleistet. Schon heute werden Eltern von behinderten Kinder zum Teil mit Misstrauen beäugt. Statt Unterstützung liegt der Vorwurf in der Luft, dass sie die Behinderung nicht verhindert hätten und somit vorsätzlich eine Belastung für die Gesellschaft «produziert» hätten. Abgesehen davon, dass sich nie alle Behinderungen durch pränatale Tests verhindern lassen, da die meisten Behinderungen peri bzw. postnatal entstehen, wird es immer Menschen geben, welche nicht ins Bild passen und die wirtschaftlichen Leistungsanforderungen nicht erfüllen. Wenn man bedenkt, dass die Norm durch den Durchschnitt definiert wird, bedeutet dies nichts anderes, als dass sich der Leistungsdruck auf uns alle erhöht, sobald man sich den aktuell Schwächsten entledigt.

Die Partei der Arbeit ist der Ansicht, dass es bei der Legalisierung des PID nur vordergründig darum geht, zukünftige Eltern zu entlasten. Es geht vielmehr darum, Menschen zu verhindern, die den Leistungsstandards einer kapitalistischen Gesellschaft nicht genügen.

 

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Wiederaufbau in Kobanê

Vor-einem-Wiederaufbau-muss-Kobane-wieder-sicher-gemacht-werdenVor vier Monaten befreiten die Volks- und Frauenselbstverteidigungseinheiten YPG und YPJ die Stadt Kobanê vom selbsternannten Islamischen Staat (IS). Geblieben ist eine zerbombte Stadt, kaum ein Haus steht unversehrt, ganze Strassenzüge wurden dem Erdboden gleich gemacht. Geblieben ist aber auch die Freude und der Stolz, den als unbesiegbar geltenden IS vertrieben zu haben. Für die Bevölkerung von Kobanê war klar: «Wir bauen unsere Stadt wieder auf!» Trotzdem kommt alles nur zögerlich voran. Schuld daran ist nicht zuletzt die Türkei, die alles dran setzt, das Embargo gegen Rojava aufrechtzuerhalten und die Grenze nach Kobanê möglichst dicht zu halten.

Nach 135 Tagen Belagerung konnten die YPG und YPJ den IS am 26. Januar 2015 aus der Stadt Kobanê vertreiben und somit ihr emanzipatorisches Projekt erfolgreich verteidigen. Auch wenn Kobanê schon lange keine Schlagzeilen mehr macht, ist der Krieg nicht vorbei. Die Front ist nun etwa 50 Kilometer von der Stadt entfernt, und nach wie vor ist der Kanton Kobanê von allen Seiten vom IS umzingelt, bis auf die Grenze mit der Türkei. Die YPG und YPJ befreien ein Dorf nach dem anderen, doch alle befreiten Gebiete müssen zuerst sorgfältig nach Minen und vom IS gelegten Sprengfallen untersucht werden, bevor die Bevölkerung zurück kann. Zurzeit häufen sich die Gerüchte, dass die türkische Regierung in Syrien einmarschieren und eine Pufferzone einrichten möchte, offiziell um den syrischen Präsidenten Assad zu stürzen. Diese Pufferzone, mit der der türkische Staatspräsident Erdogan bereits letzten Herbst drohte, richtet sich auch diesmal nicht gegen den IS, sondern primär gegen das selbstverwaltete Projekt in Rojava und die KurdInnen in der ganzen Region.

Was viele im Herbst leise wünschten, wurde lauthals Ende Januar verkündet: «Wir sehen uns zu Newroz in Kobanê!» Das kurdische Frühlingsfest, das seit Jahren auch als politisches Symbol des Widerstandes gilt, konnte zwar nur im kleinen Rahmen von ein paar Tausend Menschen in Kobanê gefeiert werden – und erst noch unter strömendem Regen. Doch dieser Tag war unvergesslich. Über eine Million Menschen wären gekommen, wenn die Türkei nicht die Grenze zugemacht hätte; auch illegal war es um den 21. März besonders schwierig rüber zu kommen. Zudem wurde die Lage als zu gefährlich eingeschätzt: Die Hänge vom Mistenur-Hügel, ein strategisch wichtiger Punkt, sind noch voll Minen und Blindgänger. Ausserdem wurden über 40 Personen in Haseke (Kanton Cizîre) durch einen Selbstmordanschlag des IS während der Newrozfeier am 20. März umgebracht. Deshalb wurde zwar beschlossen, das Newrozfest durchzuführen, aber nur mit den Leute von Kobanê selbst, am westlichen Stadtrand, wo der IS nie vordringen konnte und es somit keine Minen hat.

Newroz in Kobanê

Trotz Regen und Kälte ist die Stimmung feierlich, überall wird getanzt. Als dann aber ein Laientheaterensemble und einige Guerilla-KämpferInnen ein Stück über den Widerstand von Kobanê spielen, wird die Stimmung augenblicklich schwermütig. Sie spielen nach, wie die Bevölkerung fliehen musste, die Angst und Verzweiflung sind deutlich spürbar, fast zu real, neben mir weint ein gestandener Herr und wohl kein Auge bleibt ganz trocken. Alle folgen gebannt den Ereignissen, voller Sorge, obwohl wir ja alle wissen, dass es gut ausgehen würde.

Der Krieg und die Trauer sind ständige Begleiter, doch jedes Fest, jedes Lachen, jeder Tanz und jedes Lied sind kleine Akte des Widerstandes gegen den IS, der solche Tätigkeiten als Blasphemien betrachtet und strengstens verbietet. Als später eine kurdische Rockband ihr Bestes gibt, fordert uns eine junge Kämpferin zum Tanzen auf, ihr Gesicht strahlt und ihre Energie steckt alle an. Vergessen die nassen Kleider, wir tanzen im Schlamm wie an einem Open-Air. Hevala Rûken, so ihr Name, habe auch in den schlimmsten Zeiten gelacht und den anderen Mut gemacht, erzählt uns Mustafa Ali. Er ist Journalist bei der kurdischen Nachrichtenagentur ANHA und lebt in Kobanê. Er ist fast die ganze Zeit in der Stadt geblieben und gehörte somit zur kleinen Gruppe lokaler JournalistInnen, die die Welt damals über die Geschehnisse in Kobanê auf dem Laufenden hielten. Im improvisierten Pressezentrum betreuten sie auch die wenigen ausländischen JournalistInnen, sorgten für ihre Sicherheit, brachten sie zur Front, organisierten GesprächspartnerInnen, dolmetschten die Interviews – und tun dies auch heute noch.

Mustafa Ali hat uns die Stadt gezeigt, die Kriegsschauplätze. Er erzählt vom Mut der KämpferInnen, die die Stadt auch dann verteidigten, als der Rest der Welt den Sieg des IS voraussagte. Stolz in seiner Stimme, aber auch Trauer, viele sind gefallen. Wir laufen durch die Ruinen, gewisse Strassenzüge sind vollkommen zerstört, andere Quartiere sind besser dran, doch überall sind Einschusslöcher, die Strassen voller Schutt und kaputtem Mobiliar, da eine zerfetzte Bibliothek, dort ein zerbombter Coiffeursalon, überall Spuren des früheren Alltags zwischen den Trümmern. Ein Bagger aus der Stadt Amed (Diyarbakir auf Türkisch) fährt an uns vorbei, die Männer tragen Handschuhe und Masken, ein ekelhafter Geruch begleitet sie, sie räumen IS-Leichen weg. Noch heute, zwei Monate nach unserem Besuch, werden Leichen gefunden.

Wir treffen immer wieder auf Menschen, die vor Kurzem zurückgekehrt sind. Sie tragen Schutt weg, retten, was noch irgendwie brauchbar ist aus den Trümmern, und versuchen ihre Häuser wieder bewohnbar zu machen. Ihr Unterfangen kommt mir oft ziemlich aussichtslos vor, zumal es an allem fehlt: Maschinen, Werkzeugen, Baumaterial; die Türkei lässt nichts rein. Aber die Leute scheint das nicht zu verunsichern: Der IS wurde vertrieben, wir sind wieder zurück, das Leben geht weiter.

Aufbruchsstimmung

Tatsächlich kehrt das Leben zurück. Die Stadt liegt in Trümmern, aber sie wirkt nicht gespenstig. Die Rückkehr hat auch eine Kehrseite: Die Vorräte an Mehl und Öl der einzigen Bäckerei reichen nicht mehr lange, jetzt wo die Leute zurückkehren, braucht es viel mehr Brot, mehr als 40 Tonnen pro Tag. Fewziya Ebdê, Ko-Präsidentin des Parlaments von Kobanê, erklärt uns in einem Telefoninterview Mitte Mai, dass sich die Situation bezüglich Lebensmittel ein wenig entspannt habe. Die Türkei lasse Lastwagen mit Nahrungsmitteln durch. Sie betont aber, dass es je nach Tagen mehr oder weniger gut funktioniere. Deshalb brauche es unbedingt internationalen Druck, damit die Türkei endlich die Grenze öffnet.

Am 2. und 3. Mai fand eine Konferenz zum Wiederaufbau von Kobanê in Amed statt. Mustafa Ali war vor Ort und sagte, dass sie sehr gut gelaufen sei. Ein Koordinationskomitee wurde gegründet, die Teilnehmenden konnten sich eine Übersicht über den aktuellen Zustand verschaffen und die notwendigen Schritte planen. Die kurdischen Gemeinden Amed und Wan (bzw. Van auf Türkisch) übernehmen den Wiederaufbau der Trinkwasser- und Kanalisationssysteme. Auch andere Städte und NGOs möchten sich beteiligen, internationale Brigaden sind geplant. Doch solange an der türkischen Grenze Willkür herrscht, kommt alles ins Stocken.

Tausend tickende Zeitbomben

SpezialistInnen sind gefragt, aber wir sehen vor allem Familien mit Kleinkindern, ältere Menschen. So viele Menschen, denen eigentlich alles fehlt, angefangen beim Dach über den Kopf. Die Nächte sind sehr kühl, es regnet immer wieder und der Wind tut noch das Seine, so dass die Kinder in der einzigen zur Zeit unseres Besuches offenen Schule den Mantel nicht ausziehen während dem Unterricht. Doch schaut man in die Gesichter der Leute, in ihre Augen, so sieht man nichts davon, nur Zuversicht und Stolz. Mustafa Ali und Fewziya Ebdê bestätigen beide, dass es bis heute so ist.

Nachdem wir die Schule besucht haben, begleiten wir ein paar internationale Aktivistinnen zu einem Gespräch mit der YPJ-Kommandantin Hevala Rengîn. Die KämpferInnen sind in der Stadt präsent, sorgen für die Sicherheit oder erholen sich von den Fronteinsätzen. Sie tragen ihre Uniformen und haben natürlich auch ihre Kalaschnikows dabei – doch sie spielen sich nie auf, sie strahlen Wärme aus, helfen mit, so dass die Stadt überhaupt nicht militarisiert wirkt, im Gegenteil. Beeindruckend ist, dass die Rolle der Frauen überall Thema ist, nicht nur bei den Kommandantinnen der YPJ. Auch die Kämpfer, auch die Menschen auf der Strasse, mit denen wir ins Gespräch kommen, erzählen uns von den mutigen Frauen und verkünden, dass dies die Revolution der Frauen sei. Es ist schön, in einem befreiten Gebiet zu sein, wo Utopien ernsthaft diskutiert werden und die Menschen an emanzipatorischen Veränderungen glauben und bereit sind, dafür zu kämpfen, auf den verschiedensten Ebenen und mit den verschiedensten Mitteln.

Gegen Ende des Gesprächs mit der Kommandantin hören wir plötzlich eine Detonation. Alle erstarren, fast wäre ich unter den Tisch gesprungen. Hevala Rengîn macht sich sofort auf dem Weg, wir folgen etwas zögernd. Sie improvisiert eine kleine Pressekonferenz für die ebenfalls angerannten JournalistInnen: «Das ist zurzeit unser grösstes Problem, darüber müsst ihr berichten. Heute wurde niemand verletzt. Aber viel zu viele Kinder sind schon gestorben, weil sie in den Trümmer gespielt haben und ein Blindgänger hochgegangen ist. Viel zu viele KämpferInnen sind schon bei der Räumung von Minen und Sprengfallen gestorben. Und das nur, weil keine MinenspezialistInnen da sind, um uns zu helfen, die Bomben sicher zu entschärfen und uns darin auszubilden.» Ich fragte mich all die Tage über: Wo bleibt die UNO? Wo die Anti-Minen-Teams? Wir überlegten uns ernsthaft, einen Anti-Minen-Hund zu kaufen und über die Grenze zu schmuggeln – erfuhren aber inzwischen, dass verschiedene NGOs am Thema dran sind. Fewziya Ebdê erzählt uns, dass ein paar SpezialistInnen da waren zur Abklärung und sie Leute vor Ort ausbilden werden. Doch konnten sie ihre Arbeit noch nicht aufnehmen. Die UNO und die internationalen Organisationen würden sich an die Anweisungen der Türkei halten, und die lauten: Jegliche Hilfe muss über die AFAD, den offiziellen Katastrophendienst der Türkei, laufen, sprich dort stecken bleiben. Die Türkei will nicht zusehen, wie mit internationaler Unterstützung ein basisdemokratisches Projekt vor ihrer Nase aufgebaut wird, das nicht nur eine Zukunftsperspektive für die Menschen in Rojava, sondern auch eine Hoffnung für die kurdischen und anderen linken AktivistInnen in der Türkei darstellt.

 

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