Aufruf zur Meuterei

Peter Nowak. Peter Mertens, Generalsekretär der Partei der Arbeit Belgiens, präsentiert in Berlin sein neues Buch. Er lässt darin Arbeiter:innen aus allen Kontinenten zu Wort kommen und betont die Bedeutung der Lohnabhängigen für eine erfolgreiche linke Politik.

Es gibt noch linke Parteien in Europa, die einen Zuwachs an Wähler:innen und Mitgliedern haben. Dazu gehört die belgische Partei der Arbeit (PTB/PVDA). Da ist es kein Wunder, dass das Interesse gross ist, wenn deren Generalsekretär Peter Mertens sein neuestes Buch «Meuterei – wie die Weltordnung ins Wanken gerät» vorstellt. Schliesslich erhoffen sich viele eine Antwort auf die Fragen, warum die belgische Linkspartei auf Erfolgskurs ist und was man in Deutschland daraus lernen kann.

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Wunder und Wandel im Film

Italienische Arbeiterinnen in der Schweiz Ende der 1960er-Jahre. Bild: zVg

Gaudenz Pfister. Samirs Film «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» macht die Migration der Italiener:innen nach dem Zweiten Weltkrieg anschaulich und verständlich. Die politische Argumentation ist klar, sie bedient aber auch die kleinbürgerlich-fortschrittliche Identitätspolitik.

So viele Geschichten, dachte ich, als ich nach der Filmvorführung in die kalte Zürcher Nacht trat. Und so viele Gesichter. Das finde ich eine Stärke dieses Films: Die Arbeitsmigration in die Schweiz nach dem Zweiten Weltkrieg erhält Gesichter.

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Freigeistig und divers

Salomé, Vernissage Galerie Deschler Berlin 2006, fotografiert von Henning von Berg. Bild: Wikihomo

sah. 70 Jahre Salomé. Die Berliner Galerie Deschler eröffnet eine Ausstellung von Wolfgang Ludwig Cihlarz, der den Künstlernamen Salomé trägt. Die Bilder erzählen vom langen Kampf für Geschlechtergerechtigkeit und Akzeptanz, von sexueller Vielfalt.

Wolfgang Ludwig Cihlarz alias Salomé wuchs in Deutschland in Karlsruhe auf. In den 1970er-Jahren zog er nach West-Berlin und studierte an der Universität der Künste Berlin (UdK) Malerei. Im Rahmen von Nebenjobs in einschlägigen Bars wie dem «Dschungel» tauchte er nach und nach tiefer in die queere Szene ein. Zu dieser Zeit war Berlin ein kreativer Treffpunkt – unter anderem auch David Bowie lebte hier. Es entstanden allerlei Projekte in dieser Zeit. Ende der 1970er-Jahre gründete Wolfgang Ludwig Cihlarz zusammen mit Freunden eine Galerie. Salomé war aber auch Mitglied einer Punkband.

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Imitieren! Sofort!

sah. Kunst ist eine todernste Sache… und nur Erwachsene können das? Nein! Spass muss es machen und keine:r ist zu klein, um dabei zu sein. Alles beginnt mit Inspiration und Nachahmung und mündet in Ideenvielfalt und eigene Projekte.

Da spricht mir jemand aus dem Herzen mit der Aussage: «Für Kunst ist es nie zu früh». Heute laufen entsprechende Bücher für Kinder eher unter dem Motto: «Lieber später oder nie».

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Smitty liebt die Grossstadt

sah. Ein Haustier haben, das wünscht sich Edward, und zwar ein Pferd. Leider wohnt er in einem Hochhaus im 21.Stock. So scheint der Wunsch nicht realisierbar zu sein. Doch der Traum wird wahr, auch dank der Hilfe eines Feuerwehrmannes.

Was passiert, wenn eine amerikanische Architektin ein Bilderbuch schreibt? Wer diese Frage beantwortet haben möchte, muss «Edward und das Pferd» lesen, das neulich beim Midas-Verlag erschienen ist.

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Gefangen im Liebesdreieck

dom. Im Film «Challengers» von Luca Guadagnino erscheint alles als Herausforderung. Leben ist Leistung, Mitmenschen bedeuten Konkurrenz. Auf dem Tennisplatz ist neben dem Tennisplatz. In der Schule wie im Sport, in der Liebe wie im Leben, immer geht es um die Frage: Wer gewinnt?

Dass es im Leben ums Gewinnen geht, vermitteln uns Tashi, Art und Patrick, die in jungen Jahren in Richtung Profitennis streben und sich über die Jahre in eine Dreiecksbeziehung verstricken. Schon früh vermischen sich sportlicher und sozialer Erfolg.

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Pinar Selek – die Unverschämte

Peter Nowak. Im Buch erfahren wir vom Kampf einer mutigen Sozialistin und
Feministin, die keine aufgezwungenen Linien anerkennt und daher auch manchmal mit eigenen Genoss:innen in Konflikt geriet. Auch heute noch wird Pinar Selek von der türkischen Diktatur verfolgt.

«Ich wurde mit Gewalt eingeschlossen, wie eine Schauspielerin», sagte die Soziologin Pinar Selek über die Repression des türkischen Staates, die sie jetzt fast 30 Jahre erfährt. Im Juni 1998 explodierte auf einem Markt in Istanbul eine Gasflasche. Doch die türkische Justiz fabriziert daraus einen Anschlag der kurdischen Arbeiter:innenpartei PKK mit Selek als Verantwortlicher.

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Eisen fressen, Ketten scheissen

flo. Mit der Novelle «Kreuze in Karelien», wie der «Kriegsroman» in der längeren, unzensierten Fassung heisst, gelang dem finnischen Arbeiter Väinö Linna der Durchbruch. Mit seinem Werk schaffte es der Autor, die Sicht der Finn:innen auf den Zweiten Weltkrieg umzuwälzen.

In Väinö Linnas «Kreuze in Karelien» gibt es eine Passage, in der er die Erschiessung zweier finnischer «Meuterer» beschreibt. Er schildert, wie die beiden Soldaten in einer nicht eingeheizten Sauna stundenlang festgehalten werden, nachdem sie den Wachdienst verweigert hatten. Er beschreibt, wie der Ältere neben sich steht, während der Jüngere seinen Vorgesetzten noch vor seiner Hinrichtung seinen gerechten Zorn entgegenschleudert. Er erzählt, wie die Kameraden der Erschossenen später Jagd auf die Militärpolizisten machen wollen, um Rache zu nehmen. Und er berichtet davon, wie die Soldaten auf die Neuigkeit reagieren, als ihr Offizier ihnen einen Bericht über die Exekution vorliest: «Da verstanden die Männer, was der Zweck des Vorlesens war. Sie wurden bedroht.»

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Die Geburtsstunde der proletarischen Presse

Gerhard Feldbauer. Am 1.Juni 1948 erschien die erste Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung. Geleitet wurde sie von Karl Marx als Chefredakteur und Friedrich Engels. Die Zeitung vertrat konsequent eine revolutionär-demokratische Position und spielte daher eine zentrale Rolle bei der Organisierung der Arbeiter:innenklasse.

Kurz nach den Volksaufständen in Wien und Berlin wurden Ende März 1848 in Paris in einem Flugblatt thesenartig die «Forderungen der Kommunistischen Partei in Deutschland» verbreitet. Es war der Beginn der Agitation des von Marx und Engels gebildeten «Bundes der Kommunisten», der aus dem von dem utopischen Sozialisten Wilhelm Weitling gegründeten «Bund der Gerechten» hervorging.

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Mit linkem Fussball gegen die Diktatur

César Luis Menotti

sit. Am 5.Mai verstarb im Alter von 86 Jahren César Luis Menotti. Er führte 1978 Argentinien zum Sieg an der Fussballweltmeisterschaft, verweigerte dann aber dem Präsidenten der Militärjunta den Handschlag. Der Kampf gegen Diktatur und Faschismus findet sich auch im Fussballverein Argentinos Juniors, der 1904 von Revolutionär:innen gegründet wurde.

«Meine Spieler haben die Diktatur der Taktik und den Terror der Systeme besiegt», sagte César Luis Menotti in einem Fernsehinterview, kurz nachdem er die argentinische Fussballnationalmannschaft an der Heim-WM von 1978 zum ersten, historischen Weltmeistertitel geführt hatte. Die Fussball-WM 1978 in dem fussballverrückten Land diente der brutalen Diktatur zur Selbstinszenierung und Imagepflege. In die Geschichte geht Menotti aber auch ein, weil er bei der offiziellen Staatsehrung dem damaligen Präsidenten der Militärregierung Argentiniens, General Jorge Rafael Videla, demonstrativ den Handschlag verweigerte. Mit Menotti verlässt uns ein grosser Fussballlehrer und ein überzeugter antifaschistischer Kämpfer – er verstarb am 5.Mai 2024 im Alter von 86 Jahren.

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Zürcher Kirchen und ihre Glocken

Kuratorin 2024: Vera Kappeler

Peter Dürsteler. Vom 15. bis 17.März fand in Zürich das diesjährige «Taktlos»-Festival statt. Kuratorin war Vera Kappeler. Neben Konzerten im Kunstraum Walcheturm im Zeughausareal stand unter dem Motto «Zürcher Glocken – con sordino» ein spezieller Spaziergang zu Kirchen in der Stadt im Mittelpunkt.
Vera Kappeler wollte – gemäss ihren Aussagen im Programmheft – zum einen keine bestehenden Bands oder Projekte und zum anderen möglichst wenig Leute aus ihrem musikalischen Umfeld einladen. Dies, damit es nicht nach «Vera Kappeler lädt ihre besten Freunde ein» aussehe. Dabei habe sie versucht, Leute zu entdecken, die sie zum Teil selber noch gar nicht gekannt habe.

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Held:innen im Krieg

dom. «Civil War», der neuste Film von Alex Garland warnt uns vor den Schrecken des Krieges, lässt aber die Hintergründe unbeleuchtet. Er konzentriert sich lieber auf die Rolle der Kriegsberichterstattung – und stolpert dabei über einen Widerspruch.

Wir befinden uns in den USA, irgendwo in der nahen Zukunft. Das Land ist zerrissen, zwischen einem sich diktatorisch gebarenden Präsidenten und oppositionellen Kräften ist ein Bürgerkrieg ausgebrochen, das Land versinkt im Chaos. Die oppositionelle «Western Front» rückt entschlossen vor nach Washington D.C., um sich den Kopf des Präsidenten zu holen. Jenseits der Front herrscht Anarchie, es gilt das Gesetz des Stärkeren.

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Das 1.-Mai-Komitee und das grösste Polit- und Kulturfest der Schweiz

Sevin Satan. Seit über 40 Jahren organisiert das 1.-Mai-Komitee in Zürich das dreitägige internationalistische Fest rund um den Tag der Arbeit. Doch, wie kam es überhaupt dazu und warum? Der vorwärts sprach mit Anjuska Weil, Theresa Jäggin und Raffaele Spilimbergo, drei Politaktivist:innen, die von Beginn an dabei waren.

Der 1.-Mai-Umzug mit dem dreitägigen Festbetrieb auf dem Zeughaus-Areal war für die Schreibende dieser Zeilen schon als achtjähriges Mädchen, damals frisch in die Schweiz gekommen, absolut das Beste. Es herrschte immer eine Vorfreude. Die Transparente des Demonstrationsumzugs zu tragen, bis die Arme keine Kraft mehr hatten, war super. Womöglich ohne zu wissen, was draufstand. Aber egal, es war cool.
Danach auf dem Zeughaus-Areal, das war wirklich paradiesisch. Wir Kinder sprangen auf den Blasios (grosse Gummimatten), sammelten Flaschen ein, um Pfandgeld zu kriegen und uns leckere Sachen damit zu kaufen. Dann das Kinderschminken, das sonstige Kinderprogramm und natürlich bis in die späten Abendstunden aufbleiben zu dürfen. Was will man als Kind noch mehr? Und das an drei Tagen hintereinander.

Für kulturellen Austausch und bessere Arbeitsbedingungen
Auch dieses Jahr wird wieder an über drei Tagen gefeiert. Das 1.-Mai-Fest mit seinen zahlreichen Veranstaltungen im bunten Rahmenprogramm ist das grösste linke Polit- und Kulturfest der Schweiz. Organisiert wird das Fest vom 1.-Mai-Komitee Zürich, das seit 1982 als Verein konstituiert ist. Er besteht aus mehr als 50 politischen Organisationen, die in der Mitbestimmung gleichberechtigt sind. Auf seiner Website ist zu lesen: «Der Verein bezweckt den kulturellen Austausch und die Förderung der Zusammenarbeit zwischen Schweizer:innen und Migrant:innen, die Verbesserung der Situation der in- und ausländischen Arbeitnehmer:innen sowie international die Befreiung und Selbstbestimmung der Völker.»
Doch, was sind die Ursprünge des 1.-Mai-Komitees? Was waren die Gründe, es ins Leben zu rufen? Wir sprachen mit drei Politaktivist:innen, die es wissen müssen: Anjuska Weil, Theresa Jäggin und Raffaele Spilimbergo (Raffy). Anjuska ist seit 1971 Mitglied der Partei der Arbeit (PdA) und war von 1980 bis 1993 deren politische Sekretärin. Von 1991 bis 1999 sass sie als Vertreterin der FraP! (Frauen macht Politik!) im Zürcher Kantonsrat. Sie ist Gründungsmitglied des 1.-Mai-Komitees und war dann die folgenden 20 Jahre aktiv dabei. Kurz nach der Gründung stiessen die Aktivistin Theresa und von der damaligen Gewerkschaft Druck & Papier (heute Syndicom) Raffy zum Komitee. Beide sind heute noch aktiv. Drehen wir also das Rad der Geschichte um über vier Jahrzehnte zurück …

Beginnen wir bei den Ursprüngen: Wie ist das 1.-Mai-Komitee entstanden?
Anjuska: 1980 entschied der Vorstand des Gewerkschaftsbundes Stadt Zürich, keinen Demonstrationsumzug mit anschliessender Kundgebung mehr zu organisieren. Es hiess, es kämen zu wenig Leute. Eine Zeit lang war die Teilnahme eine Flaute, Organisationen der Migration nahmen kaum teil.

Theresa: Dies hatte sicher auch damit zu tun, dass der 1.Mai nach der Volksabstimmung in Kanton Zürich ein offizieller Feiertag wurde.

Anjuska: Die SP hatte beschlossen, nur noch eine Saalveranstaltung im Volkshaus zu organisieren. Etliche linke Aktivist:innen fanden aber, das gehe gar nicht. So haben sich SP-Mitglied Peter Münger, Roger Roth von der Gewerkschaft Druck & Papier (heute Syndicom) und Fritz Amsler von der Progressiven Organisation Schweiz (POCH) zusammengetan. Diese drei zentralen Figuren, eine Person von der Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) und ich von der PdA waren die erste Kerngruppe. Danach kamen schnell andere Personen dazu, wie Theresa und Raffy.

Raffy: Mehmet Akyol der damaligen Gewerkschaft Textil Chemie und Papier (GTCP), die dann in die Unia integriert wurde, war auch ziemlich von Beginn an dabei.

Theresa: Bald schlossen sich auch Leute von der damaligen Gewerkschaft Bau und Holz, der heutigen Unia, der Gewerkschaft VPOD und der Kommunistischen Partei Italiens (PCI), wie Angelo Tinari, an.

Wie ist das frisch entstandene Komitee vorgegangen?
Anjuska: Wir organisierten im Kollektiv den Demons-trationsumzug. Kurzfristig entschieden wir, dass wir anschliessend ein Fest machen wollten. So wurde das erste 1.-Mai-Fest in der Roten Fabrik durchgeführt, damals noch nur an einem Tag. Wir haben im ersten Jahr möglichst viele linke Organisationen der Migration eingeladen. Die ersten Treffen fanden im PdA-Sekretariat statt. Damals waren vor allem die italienischen und die spanischen Kommunist:innen aktiv. Als die Organisation breiter geworden war, wurde entschieden, das Fest nach dem Demoumzug in der Bäckeranlage durchzuführen. Bald kamen chilenische, palästinensische, sprich die Palestine Liberation Organization (PLO), sowie türkische und kurdische Organisationen dazu, auch solche aus der Kulturszene. Es war von Anfang an klar, dass nur linke Organisationen eingeladen werden. Die migrantischen Organisationen waren bald in der Mehrzahl, einige Schweizer:innen ertrugen es schlecht, in der Minderheit zu sein. Es war vor allem beim Beschluss der Hauptparole oder des/der Hauptredner:in des Komitees am Fest schwierig, wenn diese sich beispielsweise auf die Türkei bezogen.

Theresa: Es gab sehr lange Sitzungen, ohne Abstimmungen. Es wurde stets nach einem Konsens gesucht, oftmals bis um Mitternacht. Viele Jahre fanden die Vollversammlungen im ehemaligen Cooperativo statt.

Wie haben sich dann das Komitee und das Fest weiterentwickelt?
Anjuska: Nach dem zweiten oder dritten Jahr haben wir gemerkt, dass wir das 1.-Mai-Komitee als Verein konstituieren mussten. Die Reservationen von Lokalitäten, Bands, die ganze Infrastruktur, die wir aufstellten, Tontechnik, Stände usw., damit gingen wir grosse finanzielle Verpflichtungen ein, die wir als Einzelne nicht mehr tragen konnten.

Theresa: In der Bäckeranlage haben wir das Fest auf zwei Tage ausgeweitet. Wir haben über das WC-Reinigen, Aufstellen, Abräumen, Aufräumen bis hin zur Nachtwache, alles selbst gestemmt. Danach gingen wir gemeinsam ins Volkshaus und zählten das Geld. Es war sehr solidarisch.

Anjuska: Wenn es am 1. Mai schlechtes Wetter war, entstand finanziell schnell ein Risiko, um die Kosten zu decken. Die Überlegung war dann, die 1.-Mai-Feier auf drei Tage zu verteilen, um das Wetterrisiko zu reduzieren. Gleichzeitig kamen immer mehr Organisationen dazu, das Programm wurde erweitert und dann wurde das kulturpolitische Fest ins Zeughaus-Areal verlegt.

Was waren die grössten Herausforderungen? Und gab es auch heikle Momente?
Anjuska: Die schlimmsten Auseinandersetzungen waren damals unter türkischen und kurdischen Organisationen, wahrscheinlich um 1982 herum. Da fielen einmal Schüsse und wir mussten vor Ort entscheiden, ob wir jetzt das Fest abbrechen sollten. Wir konnten das nicht, da wir es sonst finanziell nicht hätten stemmen können. So lief das Fest weiter. Das war sehr abstrus. Diese Organisationen wurden vom Platz verwiesen. Das war schon eine ganz krasse Ausnahme.

Theresa: Einmal hat die Polizei Tränengaspetarden, gefüllt mit verbotenem Giftgas, über die Zeughausdächer ins Areal geschossen. Panik und Chaos brach aus.

Raffy: Ich rannte raus zu dieser Polizistin, die da hereingeschossen hatte und rief aus: «Gahts no! Da sind tausende Menschen auf dem Areal, viele Kinder und ältere Personen. Hören Sie sofort auf!» Sie erwiderte, dass alle Chaot:innen im Areal seien. Ich flippte aus und sagte: «Schauen sie mal durch das Gitter hinein, dann sehen sie es selber.» Über Funk wurde sie dann mit den anderen Polizist:innen zurück beordert. Ein älterer Mann hatte einen Herzinfarkt wegen des Tränengases und die Polizei versperrte dem Krankenwagen den Weg. Das war sehr chaotisch.

Anjuska: Eine Tränengasgranate ist direkt vor mir auf den Tisch geprallt. Zunächst habe ich nichts mehr gesehen, so haben meine Augen gebrannt.

Theresa: Am nächsten Tag gab es eine Demo gegen den Polizeieinsatz.
Raffy: Ab Mitte der 1990er-Jahre gab es immer wieder ein Theater mit den Nachdemos. Es nahmen damals auch sehr viele Teenager daran teil. Auch wir wurden wegen den Nachdemos mal eingekesselt. Das 1.-Mai-Komitee ist seitdem immer bei den Eingängen und sagt den Menschen klar, dass sie im Areal bleiben sollen, damit solche Fälle nicht mehr vorkommen. Wegen der Standkosten und -Einnahmen gab es immer wieder Reklamationen innerhalb des Komitees. Dieses Misstrauen machte mich wütend. So haben wir angefangen, alle Kosten offenzulegen. Doch keine dieser Organisationen, die zuvor laut reklamiert hatten, kam dann, um sie zu prüfen. Wir haben fixe Kosten für das Areal, aber es kommt jeweils noch eine hohe Stromrechnung dazu, da der Strom von der Grossverteiler- Anlage bezogen werden muss.

Theresa: Generell ist das Plenum sehr geschrumpft. Viele Organisationen kommen und gehen. Vor allem kommen viele Organisationen erst später in die Vorbereitungen hinein, was die Arbeit erschwert und ein bisschen unsolidarisch ist. In den letzten paar Jahren traten viele vom Vorstand zurück. Dies war eine schwierige Zeit, mit der Frage verbunden, wie es denn weitergehen sollte. Jetzt ist es wieder besser. Es gibt wieder eine engagierte Generation.

Zum Schluss: Welche positiven Ereignisse oder Erlebnisse kommen euch in den Sinn, wenn ihr an das 1.-Mai-Komitee denkt?
Anjuska: Die Stadt Zürich hat damals Integrationsprojekte gemacht, doch ich denke, das 1.-Mai-Komitee war zu jener Zeit das grösste Integrationsprogramm, vielleicht ist es das sogar jetzt noch. Doch wohlgemerkt, wir haben keine städtischen Subventionen erhalten und man hat wirklich auf Augenhöhe zusammengearbeitet. Das finde ich etwas Aussergewöhnliches. Ja, ich denke, es war wirklich das grösste Integrationsprogramm, das die Stadt Zürich hatte. Was ich sehr schön und gut finde, ist, dass der Generationenwechsel schon mehrmals geklappt hat. Und natürlich auch, dass es die 1. Mai-Demonstration und den festlichen Teil auf dem Zeughaus Areal immer noch gibt.

Raffy: Anjuska war und ist immer noch sehr für Vietnam engagiert. Einmal kam der Botschafter Vietnams ans 1.-Mai-Fest und überreichte Anjuska eine goldene Nadel für ihr Engagement. Dies fand ich sehr speziell und schön.

Theresa: Super ist, dass es das 1.-Mai-Komitee nach so vielen Jahren immer noch gibt und sich immer wieder engagierte Leute finden, die dieses grosse Fest organisieren.

Herzlichen Dank für das Gespräch und für eurer Jahrzehnte langes Engagement für den internationalen Tag der Arbeit.

«Er verdient es, dass man sich an ihn erinnert.»

dom. Mit «Ein Psychiater erinnert sich an einen Anstössigen» würdigt Mario Gmür das Schaffen Niklaus Meienbergs, der während so vieler Jahre ein mühsamer Stachel im Arsch derer gewesen war, die es sich in der Schweiz bequem gemacht hatten.

In der aktuellen Literaturgeschichte oder als Vorbild heutiger Medienschaffender ist Meienberg längst nicht so präsent, wie man das noch vor wenigen Jahrzehnten hätte erwarten können. Er, der die von öden Agenturmeldungen geprägte Schweizer Medienlandschaft erschütterte wie kein anderer, der mit seinem eigenwilligen Stil und seiner politischen Ausrichtung aneckte, rechts und (gelegentlich auch) links. » Weiterlesen

Bilder bewegter Zeiten

Redaktion. Die Ausstellung «Lichtblick» zeigt die fotografischen Zeugnisse der politisch-gesellschaftlichen Bewegungen ab den 1970er-Jahren zu Themen wie Arbeit, Gleichberechtigung, Antimilitarismus, Wohnformen sowie Energie und Umwelt. Ziel ist, einen Dialog anzustossen.

Der Nachlass Kurt Graf/fotolib Basel ist eine visuelle Dokumentation jener politischen Bewegungen, Ereignisse und Ideen, die in der Schweiz der 1970er-Jahre eine ganze Generation prägten. Ab 1975 dokumentierten Kurt Graf, Heiner Vogelsanger und Marcel Geiger als Fotografen-Kollektiv Widerstand und Protest, Aufbruch und Utopien. » Weiterlesen

Weisser Retter oder leninistische Revolution?

Alina K. Der Film «Dune Part two» handelt vom Aufstieg des Protagonisten Paul Atreides von einem scheuen Herzogs-Sohn zum charismatischen Anführer der indigenen Fremen. Imperialismus, Krieg, Rassismus, Guerilla, alle diese Themen sind in diesem kürzlich neu verfilmten Science-Fiction-Epos zu finden.

Frank Herberts erstes Buch «Dune» wurde in seiner neuesten Verfilmung auf zwei Teile gespannt. Der erste Film des kanadischen Regisseurs Dennis Villeneuve aus dem Jahr 2021 handelt von einer Machtübergabe eines Planeten namens Arrakis. Der Paddischah-Imperator entzieht im Jahre 10191 die Kontrolle dieses Planeten dem Adelshaus Harkonnen und übergibt sie dem Adelshaus Atreides. » Weiterlesen

Im Sumpf

Gaston Kirsche. In Spielfilm «Green Border» der polnischen Regisseurin Agnieszka Holland geht es um die Flüchtlingsabwehr an der polnisch-belarussischen Grenze. Für die PIS-Partei ist sie deshalb eine Vaterlandsverräterin.

Sattgrün und friedlich sehen die Bia?owieza-Wälder von oben aus der Vogelperspektive aus. Die Natur wird hier geschützt, im Grenzgebiet von Polen und Belarus. Nach der schönen Naturfilmszene ist es mit der Farbe vorbei. In einem vollbesetzten Flugzeug, aus der Türkei kommend, sitzt Leila (Behi Djanati Ataï) neben Amina (Dalia Naous), die ihre Kinder zusammenhält und das Baby stillt. Dabei will sie Leila erklären, warum sie aus der Stadt Harasta in Syrien geflohen ist.

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