12‘000 Kumpels entlassen

Der grösste Platin-Produzent der Welt, Anglo American Platinum, hat einem Bericht des südafrikanischen Nachrichtensenders E-News zufolge am 5. Oktober 12‘000 (!)  streikende Kumpels entlassen. Dies berichtete der südafrikanische Nachrichtensender E-News. Die Kumpel hatten wochenlang ihre Arbeitsaufnahme verweigert und sind trotz Erpressungen und Drohungen des Konzerns nicht eingefahren. 100‘000 befinden sich weiter im Streik.

Mit unerhörter Brutalität gehen Konzern und Polizeikräfte gegen die Arbeiter vor. Den Beschäftigten sei per Mail oder SMS gekündigt worden, sagte einer der Streikführer, Gaddafi Mdoda. Polizei und Spezialeinheiten gingen schon seit Donnerstag mit Knüppel und Gummigeschossen gegen die Streikenden vor. Arbeiter verteidigen sich mit Stöcken. «Am Freitagmorgen wurde die Leiche eines Arbeiters entdeckt. Laut Streikführer Mdoda wurde er offenbar von einem Gummigeschoss tödlich verletzt. In dieser Woche starben bereits sechs Menschen während der Proteste», berichtete am 6. Oktober das Onlineportal «südddeutsche.de».Inzwischen berichtet die südafrikanische Nachrichtenagentur, dass über 100.000 Kumpel auf vielen Zechen streiken. Bei schweren Zusammenstössen mit der Polizei waren im August insgesamt 44 Menschen getötet worden; auch am Freitag starb ein Minenarbeiter in Rustenburg.

Lügen und Einbusse in Millionenhöhe

Anglo American hatte stets die Meldungen ausgegeben, dass die grosse Mehrheit der Arbeiter wieder arbeiten würde. Das war offensichtlich gelogen. Sie fürchteten eine weitere Ausbreitung der selbständigen Streikwelle nach dem Massaker von Marakina, bei dem 34 Arbeiter von Polizeikräften erschossen wurden. Jetzt liess die Konzernzentrale offiziell in Johannesburg verlautbaren: «In vier Platinminen ist so wenig Personal anwesend, sodass die Produktionsprozesse in diesen Industriebetrieben seit Wochen nicht aufrecht erhalten werden konnten.»

Durch die selbständigen Kämpfe der Kumpel in den Platin- und auch Goldminen in Südafrika sind die internationalen Konzerne im Land schwer unter Druck geraten. Die Kreditwürdigkeit von Banken, Telekommunikationskonzernen und Kommunen wurde durch die Ratingagentur Moody‘s bereits herabgestuft. Der Streik droht die internationale Produktion empfindlich zu treffen. Platin ist ein unverzichtbares  Metall für die Herstellung von Katalysatoren in der Autoindustrie. Allein Anglo American nannte als Ausfall durch die Kämpfe  eine Höhe von 700 Millionen Rand (64 Millionen Euro).

Den mutigen Bergarbeitern gehört unsere Solidarität. Ein Minenarbeiter aus Rustenburg erklärt in einer kurzen Mail an die Zeitschrift «SÜDAFRIKA – Land der Kontraste», dass sich die Kumpels im «Kriegszustand» befinden und man den «Feinden» nicht nachgeben wird. «Millionen Kumpel werden eine Macht…», heisst es in der Bergarbeiterhymne, die vor vier Jahren bei dem 2. Internationalen Bergarbeiterseminar erstmals ertönte. Im kommenden  Jahr werden sich Bergarbeiterdelegationen aus aller Welt zur 1. Internationalen Bergarbeiterkonferenz in Peru treffen.

Marsch für Gerechtigkeit gestartet

Der „Jan Satyagraha „ Marsch für Gerechtigkeit ist heute in Gwalior gestartet. Mehr als 50’000 Menschen haben sich auf den 350 Kilometer langen Weg nach Delhi gemacht um in der Hauptstadt bei der Regierung ihre Rechte einzufordern. Am 2. Oktober fand der Auftakt statt.

In Indien begann gestern, am 2. Oktober, der „Jan Satygraha“ Marsch für Gerechtigkeit. Mehr als 50’000 Adivasi (Stammesvölker), Dalits (Landlose der untersten Kaste) und andere  marginalisierte Bevölkerungsgruppen aus ganz Indien versammelten sich am Morgen vor der Hauptbühne des riesigen Messegeländes in Gwalior, im indsichen Bundesstaat Madhya Pradesh. P.V Rajagopal, Gründer und Präsident der sozialen Landrechtsbewegung Ekta Parishad, hiess  die teils während mehreren Tagen  angereisten Menschen und viele indische Persönlichkeiten und Gäste aus aller Welt willkommen. In seiner Eröffnungsrede beschrieb er die Grossaktion als den „Kampf um Würde, Sicherheit und Identität“. Ziel ist eine neue nationale Landrechtspolitik, die sich an zwei Hauptforderungen ausrichtet: dem garantierten Zugang zu Land und Ressourcen um die Lebensgrundlage sicherzustellen und ein Gesetz, welches das Recht auf ein Stück Land und Unterkunft festschreibt.

Der Rede von P.V.Rajagopal folgten Beiträge bekannter indischer Persönlichkeiten, die an das Vermächtnis Mahatma Gandhis erinnerten und die Regierung aufriefen, die Forderungen des Jan Satyagraha (Marsch für Gerechtigkeit), dieses grossen gewaltlosen Einsatzes, ernst zu nehmen. Subba Rao, ein langjähriger Kämpfer in der gandhischen Tradition des gewaltlosen Widerstands betonte, “dass arme Leute nicht nur satt werden, sondern ein Leben in Würde und sozialer Gerechtigkeit wollen”.

Ramesh Sharma, Mitglied des Führungsteams von Ekta Parishad, erklärte die Forderungen des Jan Satyagraha im Detail. Unter den neunzehn mit der Regierung verhandelten Forderungen sind eine grundlegende Landreform und ein neues Gesetz, welches jeder land- und obdachlosen Familie ein eigenes Stück Land und ein Dach über dem Kopf ermöglicht. Im Weiteren wird die effektive Umsetzung von bestehenden Gesetzen, wie dem „Forest Right Act“ (Recht auf Wald) zugunsten der Stammesvölker verlangt, die Etablierung von Schnellgerichten, welche Landansprüche armer Menschen in kürzester Zeit entscheiden können, sowie gleiche Landbesitzrechte für Frauen und Männer.
Die Spannung stieg, als der Minister für landwirtschaftliche Entwicklung, Jairam Ramesh, das Wort ergriff. Seine Antwort auf die Forderungen des Jan Satyagraha, welche in den vorhergehenden Tagen Gegenstand intensive Verhandlungen gewesen waren, wurde mit grossem Interesse erwartet. Würde sich die Regierung öffentlich zur „Roadmap“ die im direkten Gespräch auch mit Premierminister Manmohan Singh, diskutiert worden war, bekennen, und falls ja, würde dies heissen, dass der geplante 350 Kilometer lange Marsch nach Delhi stattdessen zu einem Volksfest werden könnte?

Jairam Ramesh erklärte, dass die Regierung sich klar zu der längst überfälligen Landreform bekenne, jedoch nicht alle Forderungen erfüllen könnte, auch deshalb nicht, weil die Verteilung von Land von Gesetzes wegen vor allem im Befugnisbereich der Gliedstaaten liege. Er versprach, innerhalb von sechs Monaten einen Entwurf für eine nationale Landreform vorzulegen, der dann diskutiert und verabschiedet werden könnte. Als Teil dieser Vorgaben sollten zweieinhalb Millionen landlose Menschen das verbriefte Recht auf Land erhalten. Die gegenwärtig zur Diskussion stehende Nahrungssicherheits- und Landerwerbsgesetzesvorlage würde weitere Vorteile bringen und ein Gesetz zum Recht auf Unterkunft sei geplant. Ramesh wies auch darauf hin, dass in den vergangen fünf Jahren mehr als eine Million Adivasi in den Waldgebieten das Recht auf ein Stück Land erhalten hatten. Abschliessend betonte Ramesh sein persönliches Einverständnis mit den Anliegen der Anwesenden, obwohl nicht alle Forderungen umgesetzt werden könnten. Er erwähnte den 11. Oktober als den nächsten Verhandlungstag, an dem sich die Jansatyagraha Organisationen mit Vertretern der nationalen Regierung und der Regierungen der Gliedstaaten treffen würden, um eine Umsetzungsliste zu entwickeln.

Im Anschluss an die Ausführungen des Ministers zogen sich die Verantwortlichen der Ekta Parishad und der vielen weiteren den Marsch unterstützenden Organisationen zurück, um ihre Antwort auf das Angebot der Regierung zu besprechen. Nur knapp eine Stunde später, kehrte P.V. Rajagopal auf die Bühne zurück. Er gab der Enttäuschung der Organisatoren über die wenig konkreten Pläne der Regierung Ausdruck, welche sich nicht auf die vorgängig besprochenen Vereinbarungen ausrichteten. Der Marsch sollte durchgeführt werden, um den Druck auf die Regierung aufrecht zu erhalten.

Dem weiten Weg nach Delhi stehen jedoch ernsthafte Schwierigkeiten gegenüber, da die verfügbaren Lebensmittel für die Tausenden von Marschierenden nur für zehn der erforderlichen dreissig Tage ausreichen werden. Zusätzliche Spenden müssen gefunden werden. Trotz dieser Hindernisse beschlossen die Anwesenden, den Marsch wie geplant durchzuführen. Denn an diesem Punkt bat Rajagopal das riesige Publikum, seine Fahnen zu schwenken, wenn es sich mit diesem Vorschlag einverstanden erklären wollte. Ein riesiges Meer von grünweissen Fahnen erhob sich. Der Entscheid war klar. Jan Satyagraha wird stattfinden. Um 7 Uhr morgens des 3. Oktober, wird sich die mehr als zehn Kilometer lange Menschenschlange in Richtung Delhi in Bewegung setzen.

MEHR INFORMATIONEN finden Sie auf den folgenden Websites:

www.ektaparishad.com / www.ektaeurope.org / http://js2012.wordpress.com/

oder über die links auf der website des CESCI Fördervereins, Zürich: www.cesci.ch oder media.cesci@gmail.com

Streiks: Griechenland steht still

Zehntausende ArbeiterInnen und Angestellte beteiligten sich an den Streikkundgebungen der PAME in 70 Städten in ganz Griechenland. Aus der Stellungnahme der Kommunistischen Partei Griechenlands (KKE).

Die Streikaktion vom 26. September war in der Tat enormen Ausmasses. Zum Streik fanden sich Tausende arbeitende Menschen zusammen, die den Terror und die Drohungen der Arbeitgeber, sowie die Schwierigkeiten überwanden, die die barbarischen Massnahmen für das Leben der Familien aus der Arbeiterklasse und den anderen Volksschichten brachten und noch bringen.

Beeindruckend und überwältigend waren die PAME-Kundgebungen in Athen und in Thessaloniki, was selbst ihre eingeschworenen Gegner zugeben mussten. Einige Stunden lang liefen die Demonstrationszüge der PAME am Syntagma-Platz vorbei. Zehntausende Arbeiter, Arbeitslose, Rentner, Migranten, selbständige Gewerbetreibende, Kleinhändler beteiligten sich an den Streikkundgebungen der PAME im ganzen Land. Besonders beachtlich war die starke Präsenz der Jugend. Die beeindruckende PAME-Kundgebung in Athen war das Ergebnis der Arbeit der Gewerkschaften, der Kampfkomitees in den Arbeitsstätten, der Volkskomitees in den Wohnvierteln in Versammlungen, Beratungen und Diskussionen. Sie zeigt die Stärkung der klassenbewussten Strömung in der Arbeiterbewegung, und eröffnet den Weg für weitere Schritte.

PAME-Streikposten sicherten seit den frühen Morgenstunden viele Betriebe und Arbeitsstätten ab, widersetzten sich dem Arbeitgeberterror und den ghettoähnlichen Arbeitsbedingungen, und trugen somit zum Erfolg des Streiks bei.

Erneutes Massnahmepacket

Die vorherrschenden Losungen lauteten: «Keine weiteren Opfer für die Plutokratie! Wir können auch ohne Memoranden und EU leben». Dieser Streik war eine gewichtige Antwort in einer Zeit, in der die Koalitionsregierung von ND/PASOK/Demokratischer Linke gemeinsam mit der Troika das neue Massaker gegen das Volk im Namen des «rettenden Schuldenschnitts» endgültig festlegen. Gleichzeitig streiten sich die EU und der IWF, wer von dem wahrscheinlichen neuen Schuldenschnitt profitieren wird, während sie sich bei der Frage einer weitergehenden Zerschlagung des Volkes einig sind. Das neue  «Massnahmenpaket» fordert die vollständige Abschaffung der Tarifverträge. Die Löhne und die Gehälter sollen einseitig von Arbeitgebern und Regierung festgelegt werden können. Die Abschaffung des Mindestlohns betrifft alle Arbeiter und Angestellte des privaten und des öffentlichen Sektors, weil dadurch Löhne und Renten insgesamt nach unten gedrückt werden. Die Erhöhung der Anzahl der Versicherungspunkte für die Rente um 33 % bedeutet, dass das Renteneintrittsalter nicht nur auf 67 Jahre erhöht wird, sondern auf 72, um sich der durchschnittlichen Lebenserwartung laut Maastrichter Vertrag zu entsprechen. Wer ein Haus oder einen Laden besitzt, wird massiv besteuert. Die Sozialleistungen sowie die Gesundheitsetats werden durch die Schliessung oder Zusammenlegung von Krankenhäusern dramatisch verkürzt. Den alten Kopfsteuern werden neue hinzugefügt. Familien, welche die Stromrechnungen nicht bezahlen können, werden mit Stromsperre geahndet. Strafzahlungen werden verhängt, Löhne, Renten, Urlaubsgeld werden beschnitten, während die Preise aller Waren in die Höhe schiessen.

Der Hauptredner an der PAME-Streikkundgebung in Athen Giorgos Perros, Mitglied des PAME-Exekutivkomitees, betonte unter anderem: «Wir haben nie behauptet, dass mit einem Streik alles umgekrempelt wird. Wirkungsvolle Kämpfe bedeuten vor allem Auseinandersetzung mit den kapitalistischen Arbeitgebern in den wichtigsten Produktionszweigen. Und gerade das fürchten die Arbeitgeber und wollen es vereiteln».

(…)

An der PAME-Streikkundgebung beteiligte sich eine Delegation des Zentralkomitees der KKE, mit der Generalsekretärin Aleka Papariga an der Spitze. Sie erklärte gegenüber Journalisten: „Damit die Kämpfe Ergebnisse zeigen, ist ein Neubeginn für den Zusammenschluss der Kräfte, für die Formulierung radikaler Forderungen, für qualitativ höhere Kampfformen vonnöten. Das Volk muss verstehen, dass ein von der EU losgelöstes Griechenland, in dem es die Führung seiner Geschicke in die eigenen Hände genommen hat, den gesellschaftlichen Wohlstand gewährleisten und Schlimmeres verhindern kann. Wenn das Volk das nicht versteht, dann werden die herrschenden Parteien, die Plutokraten und die verschiedenen Verwalter weiterhin die Oberhand haben.

Weitere Aktionen in Vorbereitung

Die wenigen Ausschreitungen, die besonders von den internationalen Massenmedien übertrieben dargestellt wurden, zielten darauf, vom Ausmass und von den Forderungen der Streikaktionen abzulenken. Die KKE kommentierte die Ausschreitungen wie folgt: «Die enorme Mobilisierung der Polizeikräfte um einigen Dutzenden Vermummten entgegenzutreten, die Verhaftungen sogar von Schülern sehr weit weg vom Athener Zentrum schon in den Morgenstunden, das ‹Katz- und Mausspiel› bis zum Omoniaplatz, zeigen den Versuch der Regierung und ihrer Apparate, dem Volk Angst einzujagen. Diese Aktionen beweisen die Existenz eines ausgearbeiteten Plans zur Unterdrückung der Volksbewegung, auch wenn er nicht heute vollständig während des Generalstreiks und der PAME-Kundgebungen in ganz Griechenland umgesetzt wurde.»

Nach diesem Streiktag werden die nächsten Schritte für weitere Aktionen in jeder Branche, an jedem Arbeitsplatz vorbereitet, damit die neuen Massnahmen zur Verelendung des Volkes nicht durchkommen. Ohne Furcht sollen die Kämpfe weiter verstärkt werden, damit die moderne Sklaverei abgelehnt wird.

Quelle: Kommunistische Partei Griechenlands / RedGlobe

Massive Polizeigewalt in Madrid

Tausende haben den Politikern der grossen Parteien vorgeworfen, sie hätten die «Demokratie entführt». Am späten Dienstag, 25. September kam es zu Strassenschlachten in der Nähe des Parlaments in der spanischen Hauptstadt Madrid. Nachdem viele tausend Menschen über den gesamten Tag friedlich in der Stadt demonstriert haben, kam es am Abend zu gewalttätigen Szenen. Einige Demonstranten hatten versucht, Absperrgitter niederzureissen, die um das Parlament aufgestellt waren. Danach ging die Polizei massiv gegen tausende Demonstranten vor, die sich am am Neptun-Platz versammelt hatten. Gummigeschosse, Knüppel, Tränengas und Pfefferspray wurden eingesetzt. Einige Demonstranten bewarfen ihrerseits die Polizei mit Flaschen und Steinen. Mindestens 64 Menschen wurden bei den Auseinandersetzungen verletzt, davon 27 Polizeibeamte. Ein Demonstrant erlitt eine schwere Rückenmarksverletzung. Bei den Auseinandersetzungen in der Innenstadt Madrids, die bis in die späte Nacht angedauert hat, wurden insgesamt 35 Demonstranten verhaftet.

1250 Spezialbeamten zum Schutz des Parlaments

Während die Veranstalter der Demonstration und Beobachter die Brutalität der Polizei kritisiert haben, lobt die konservative Regierung die Vorgehensweise der Beamten «ausdrücklich». Innenminister Jorge Fernández Díaz sagte, die Polizei sei «ausserordentlich gut» vorgegangen. Die für Sicherheit in der Hauptstadt Verantwortliche Christina Cifuentes sprach von einem «unverhältnismässigen Angriff» auf die Polizei von Demonstranten, die angeblich das Parlament stürmen wollten. Dabei war das unmöglich, denn die Polizei hatte am Montag drei Absperrringe um das Parlament gezogen, die von 1250 Spezialbeamten zur Aufstandsbekämpfung geschützt wurden. Obwohl auch Medien-Vertreter und Menschen verletzt wurden, die keinen Krawall angezettelt haben, sprach Cifuentes von einem «makellosen und professionellen» Einsatz.

Die «Koordination 25-S», die zum Protest aufgerufen hatte, sprach von «sehr kleinen Gruppen», die zu «Mitteln» gegriffen hätten, die nicht denen der Aufrufer entsprächen. Die Empörten-Bewegung hatte stets den friedlichen Charakter des Protests hervorgehoben und bei den Demonstrationen, die zum Parlament zogen, blieb es über den gesamten Tag friedlich. In einer Erklärung schliessen die Veranstalter nicht aus, dass sich unter den «Krawallmachern» auch «infiltrierte Polizisten» befunden haben. Neu wäre das nicht.

Wahlbetrug

Die Empörten wollten mit ihrer Aktion die «Demokratie retten», denn die Politiker hätten sie «entführt». Die Empörten sprechen von einer «Zweiparteiendiktatur der PPSOE». Die regierende Volkspartei (PP) und die Sozialisten (PSOE) hätten sich ein Wahlsystem geschaffen, das kleine Parteien stark benachteiligt, um sich gegenseitig an der Macht abzulösen und keine Alternative zuzulassen. Die Empörten fordern den Rücktritt einer Regierung, die in einem «gnadenlosen Wahlbetrug»gegen alle Versprechen die Steuern erhöht hat, Löhne im öffentlichen Dienst gekürzt und massive Einschnitte ins Sozialsystem vorgenommen habe. Die Vorwürfe haben kürzlich auch Hunderttausende in der Hauptstadt der Regierung gemacht. Unter Führung der grossen Gewerkschaften forderten sie erfolglos ein Referendum über die Regierungspolitik.

Die Empörten wollen aber nicht nachlassen und sich von der Polizei nicht von der Strasse vertreiben lassen. Schon am Mittwochabend soll erneut vor dem Parlament demonstriert werden, das am Donnerstag mit dem Haushalt 2013 neue massive Einschnitte beschliessen wird. Am Samstagabend soll erneut «friedlich» versucht werden, den Kongress einzukreisen. Vermummung soll auf weiteren Demonstrationen nicht geduldet werden, um Krawallmacher abzuschrecken, haben die Aufrufer erklärt.

Viedo zu den Ausschreitungen klicke hier

Ganz Spanien würdigt den Genossen Carrillo

Am Dienstag, 18. September ist Santiago Carrillo im hohen Alter von 97 Jahren gestorben. Er kämpfte im spanischen Bürgerkrieg und war 1960 bis 1982 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens. Fast jedes Jahr veröffentlichte er ein Buch. 2012 erschien «Gegen den Strom schwimmend», ein Titel, der sein Leben prägnant zusammengefasst. 

In allen politischen Lagern wird Carrillo für seine grossen Verdienste geehrt. König Juan Carlos de Borbón hob seine «zentrale Rolle im Übergang» von der Diktatur zur Demokratie ab 1975 hervor. Nach 38 Jahren war Carrillo 1976 aus dem Exil nach Spanien zurückgekehrt. Im Exil gehörte er der republikanischen Exilregierung an. Seit 1960 Generalsekretär der Kommunistischen Partei Spaniens (PCE) war Carrillo daran beteiligt, dass der von Franco 1975 als Nachfolger eingesetzte König Juan Carlos mit einer neuen Verfassung abgesichert wurde. Deshalb würdigt auch die rechte Volkspartei (PP) seine Verdienste. Die PP wurde von Manuel Fraga Iribarne gegründet, der im Januar verstarb und Informationsminister in Francos Diktatur war. Mariano Rajoy, Fragas politischer Ziehsohn, hob als spanischer Ministerpräsident den Beitrag Carrillos «zur verfassungsmässigen Ordnung und dem neuen Rahmen des Zusammenlebens» hervor.

Eine umstrittene grosse Persönlichkeit

Die von der PCE geführte Vereinte Linke (IU) unterstrich, dass er sein «Leben für die Verteidigung des Kommunismus» eingesetzt habe. Der Stalin treu ergebene Carillo hatte 1936 und 1937 als Offizier und Polit-Kommissar des Zentralkomitees den Ausschuss zur Verteidigung Madrids gegen Francos-Putschtruppen geleitet, die schliesslich mit Hilfe Nazi-Deutschlands den Bürgerkrieg 1939 gewannen. Der frühere IU-Chef Gaspar Llamazares sagte, nicht nur eine «grosse Persönlichkeit der Linken» gehe verloren, sondern auch eine «Stück unserer Geschichte mit ihren Idealen und Fehlern».

Zwar hatten sich Carrillo und die IU in den letzten Jahren wieder genähert, doch abgebrochene Brücken konnten nicht erneut aufgebaut werden. Die Koalition sprach deshalb auch «politische Differenzen» an. In der Linken war Carrillos strikter Versöhnungskurs stets umstritten. Den hatte Carrillo angestimmt, nachdem er sich nach dem Einmarsch der UdSSR 1968 in die Tschechoslowakei von dieser zu distanzieren begann. Statt für ein Einparteiensystem trat er in Spanien für einen «pluralistischen Wettbewerb» der Parteien ein. Und: Nicht nur die Monarchie wurde durch die Versfassung abgesichert, sondern auch eine Amnestie für die zahllosen Verbrechen der Diktatur. Auch viele PCE-Mitglieder fielen ihr zum Opfer und liegen noch heute in Massengräbern. Die Widersprüche in der Partei wuchsen, weshalb er 1982 zum Rücktritt vom Posten des Generalsekretärs gezwungen wurde. 1985 wurde er sogar aus der PCE ausgeschlossen. Der IU, die ein Jahr später als Koalition unter Führung der PCE entstand, traute Carrillo nicht zu, eine «Neuorientierung» der KommunistInnen «in Richtung Sozialisten und Sozialdemokraten» zu führen. Die lange von Streit zerrissene IU verschwand fast in der Bedeutungslosigkeit. Von einst 23 Sitzen blieben 2008 noch ganze zwei übrig. Das lag vor allem daran, dass Llamazares sie auf einen Schmusekurs zu den regierenden Sozialisten (PSOE) geführt hatte. Seit sie unter Cayo Lara auf Abstand zu den SozialdemokratInnen geht, erholt sie sich wieder langsam.

Gewalt hat Probleme verstärkt

Carillo reflektierte in seinen letzten Jahren immer kritischer die verfassungsmässige Ordnung in Spanien. Er trat für einen «zweiten Übergang» ein, da die «Transición»  im Ansatz stecken geblieben sei. Vor allem forderte er, die Dezentralisierung Spaniens voranzutreiben: «Katalonien, das Baskenland, Galicien und Gemeinschaften wie Andalusien sollten das Gewicht erhalten, was ihnen in der Vergangenheit im spanischen Staat negiert wurde», schrieb er. «Gewalt und Unterdrückung»  gegen Unabhängigkeitsbestrebungen «haben das Problem der Einheit nicht gelöst, sondern verstärkt».  Carillo hat stets daran erinnert, dass viele Rechte die Verfassung nun zum unveränderlichen Dogma stilisierten. Dabei hätten sie einst gegen sie gestimmt, weil sie im Autonomiemodell eine Gefahr für die Einheit Spaniens sahen. Stets haben sie die Re-Zentralisierung betrieben und die Übertragung von Kompetenzen verhindert, sodass KatalanInnen und BaskInnen den Glauben an dieses Modell verloren.

Über Moral und Vaterlandsliebe der Reichen

Die Moral und Vaterlandsliebe der Reichen, speziell die Steuermoral, wurde unerwartet zu einem Medienthema in Frankreich. Die linksliberale Tageszeitung „Libération“ rief Aufsehen hervor, als sie am 10. September mit einem Titelblatt erschien, auf dem der superreiche französische Konzernchef Bernard Arnault mit einem roten Koffer zu sehen war, und auf dem Titelblatt stand: „Casse-toi, riche con!“. Das kann je nach Laune mit „Hau ab, reicher Blödmann!“ oder „Hau ab, reicher Sauhund!“ übersetzen werden.

Laut des einschlägigen US-Magazins „Forbes“ ist Arnault mit einem Vermögen von 41 Milliarden Dollar der reichste Mann Frankreichs und zugleich auch Europas, der viertreichste der Welt. Er ist Generaldirektor des französischen Luxusgüter-Konzerns LVMH, eine Funktion, für die er laut „Le Monde“ im Jahr 2011 ein Jahresgehalt und Aktien im Wert von 10,5 Millionen Euro einnahm. Stein des Anstosses war ein Bericht der belgischen Tageszeitung „La Libre Belgique“ vom 8. September, wonach der französische Multimilliardär die belgische Staatsbürgerschaft beantragt hat und seinen Wohnsitz nach Belgien verlegen will. Die Nachricht platzte mitten in die innerfranzösische Debatte, ob der sozialdemokratische Staatschef Hollande nach der Sommerpause nun sein Wahlversprechen wahr machen wird, die Reichen in Frankreich mit 75 Prozent zu besteuern, sofern ihr Jahreseinkommen die Grenze von 1 Million Euro übersteigt, wobei nur das, was über eine Million hinausgeht, mit jenem Steuersatz belegt werden soll. Die rechte Opposition griff die Nachricht von Arnaults Umzug und „Exil“ nach Belgien beflissen auf, um zu zeigen, dass Hollandes „Reichensteuer“ erfolgreiche Grossunternehmer und Steuerzahler aus Frankreich „vertreibt“ und damit der französischen Wirtschaft schadet. Niemand zweifelte daran, dass der reiche Franzose den Wechsel in die Obhut des belgischen Staates betreibt, um sich der Besteuerung in Frankreich zu entziehen und belgische Steuervorteile zu nutzen. „Patriotismus“, wie ihn Leute seines Schlages halt verstehen…

Inzwischen liess der 63-jährige Milliardär allerdings beschwichtigend mitteilen, dass er auch in Frankreich weiter Steuern zahlen werde „wie jeder Franzose“ und nur eine doppelte Staatsbürgerschaft in Frankreich und Belgien anstrebe. Dies stiess allerdings in der französischen Öffentlichkeit auf wenig Glauben. Denn Arnault kann als „Wiederholungstäter“ gelten. Er hatte sich 1981 schon einmal aus Frankreich abgesetzt, nachdem der „Sozialist“ François Mitterrand ans Ruder gekommen war, damals in die USA. Nach drei Jahren kehrte er zurück, als die damalige Regierung Fabius (heute französischer Aussenminister) ihm eine Subvention von 2 Milliarden Francs für die Übernahme des in finanziellen Schwierigkeiten geratenen Textilunternehmens Boussac zusagte, wenn dabei auf Entlassungen verzichtet wird.Der rechtsliberale Bürgermeister der reichen belgischen Gemeinde Uccle, ein Nobelvorort von Brüssel, in dem der französische Multimilliardär wie 8000 weitere reiche „Steuerflüchtige“ aus Frankreich (10 Prozent der Einwohnerschaft) seit November 2011 einen Wohnsitz hat, meinte jedenfalls, er sei sich sicher, dass Arnault „ein Ressentiment gegenüber einer Politik in seinem Land hat, die er als wenig entgegenkommend für Unternehmen und Unternehmergeist ansieht“. Der reiche Franzose wolle künftig mehr in Belgien investieren.

Genossen recherchieren

Die belgische Partei der Arbeit (PTB), mit der die DKP im Rahmen regelmässiger Vierparteientreffen zusammen mit der KP Luxemburg und der KP der Niederlande zusammenarbeitet, hat sich auf die Suche gemacht, um die Gründe für Arnaults neuerwachter Liebe zu Belgien genauer zu erforschen. In einer am 12. September veröffentlichten Pressemitteilung teilte sie mit, dass Arnault ausser der nach Belgien verlegten Firma LVMH Finance über mindestens zehn weitere Firmen mit Sitz in Belgien verfügt, die in den letzten drei Jahren (2009 – 2011) zusammen 630 Millionen € Gewinne gemacht und davon 24 Millionen Steuern abgeführt haben – gerade mal 3,8 Prozent. Hätte Arnault den üblichen Steuersatz von 33,99 Prozent bezahlt, hätte der belgische Staat 190 Millionen € mehr eingenommen. Es sei also verständlich, dass er vom Steuerparadies Belgien angetan sei, meint die PTB – zumal wenn man berücksichtigt, dass er in seinen elf belgischen Firmen gerade mal ganze sieben Vollzeitbeschäftigte eingestellt hatte.

Kapitalisten kennen kein Vaterland

Desweiteren sagt die PTB, dass es nach ihren Recherchen „seriöse Hinweise“ darauf gebe, dass das Interesse des superreichen Franzosen für Belgien vor allem mit seiner Erbschaft verbunden ist. Der Mann habe dort bereits eine private Stiftung namens „Protectinvest“ gegründet, die zur Absicherung der finanziellen Interessen seiner Erben gedacht ist. In Frankreich müsste er eine Erbschaftssteuer in der Grössenordnung von 45 Prozent bezahlen. In Belgien hingegen gibt es zwei besonders vorteilhafte Systeme von Schenkungen an direkte Erben, bei denen praktisch keine oder fast keine Steuern fällig werden. Das macht bei einem Vermögen von ca. 30 Milliarden die Kleinigkeit von 13,5 Milliarden Steuerersparnis aus. Das französisch-belgische Steuerabkommen von 1964 gewährt Inhabern der belgischen Staatsbürgerschaft einen besonders guten  Schutz vor „Doppelbesteuerung“.

Der Luxusgüter-Konzern „LVMH Moët Hennessy – Louis Vuitton S.A.“ ist eine französische Aktiengesellschaft, in der über 60 verschiedene Luxusmarken zusammengeschlossen sind, die in weltweit mehr als 2500 Filialen verkauft werden. „Louis Vuitton“ steht für Luxus-Lederwaren, „Moët“ für die Champagnerfirma Moët&Chaudon und „Hennesy“ für den gleichnamigen Cognac. Zu dem Firmenimperium gehören aber auch Ferienwohnsitze an der Côte d’Azur, Weingüter im Bordeaux und ein 70-prozentiger Anteil an dem Modehaus Dior. Arnault war ein enger Vertrauter des verflossenen französischen Staatschefs Sarkozy, für den er auch als Treuzeuge fungiert hat.

„Die Arbeiter haben kein Vaterland“, heisst es im „Kommunistischen Manifest“ – ein Satz, der von den Ideologen des Kapitals seit 150 Jahren aus dem Zusammenhang gerissen für ihre Propaganda missbraucht wurde. Das praktische Leben bestätigt aber: es gilt offensichtlich auch der Satz: „Die Kapitalisten kennen kein Vaterland“.

Massenprotest in Indien

Es war eine der grössten Protestaktionen in der jüngeren Geschichte Indiens. Rund 50 Millionen Menschen beteiligten sich am 20. September an landesweiten Aktionen gegen die neoliberale Wirtschaftspolitik der indischen Zentralregierung unter Führung der Kongress-Partei.

In mehr als der Hälfte aller 28 indischen Bundesstaaten herrschten generalstreikartige Zustände. Neben den Beschäftigten zahlreicher Industriebetriebe, Büros und Verwaltungen hatten die Bus-, Lkw- und Taxifahrer für 24 Stunden die Arbeit niedergelegt. Parallel dazu  streikten die Einzelhändler und Gewerbetreibenden, indem sie ihre Geschäfte geschlossen hielten. Auch die Märkte blieben geschlossen, ebenso Schulen und andere Bildungseinrichtungen. Es gab zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationszüge.Tausende nahmen an Sitzblockaden auf Plätzen und Strassen teil. In mehreren Orten waren auch Eisenbahnschienen von Demonstrationen besetzt worden.

Zu den Protesten aufgerufen hatten der Allgemeine Indische Gewerkschaftsbund und Organisationen der Kleingewerbetreibenden sowie acht politische Parteien. Darunter die Kommunistische Partei Indiens – Marxisten (KPI-M) und die Kommunistische Partei Indiens (KPI) und vier zum sozialdemokratischen oder linkssozialistischen Spektrum gehörende Parteien. Die Führer der acht Parteien nahmen gemeinsam an einer Sitzblockade in Neu Delhi auf der Zugangsstrasse zum Parlament teil.

In dem gemeinsamen Aufruf der acht politischen Parteien hiess es, dass die Regierung angesichts der Auswirkungen der internationalen kapitalistischen Krise der Bevölkerung „neue grausame Schläge“ versetzt. Im Einzelnen werden vier konkrete Regierungsvorhaben erwähnt. An erster Stelle stand der Protest gegen die Erhöhung der Preise für Dieselkraftstoff um 5 Rupien pro Liter (etwa 7 Cent), weil die Regierung zur Reduzierung von Staatsausgaben Subventionen für den für viele Inder unentbehrlichen Diesel-Kraftstoff gekürzt hatte. Gleichzeitig wurde die Zahl von verbilligten Gasflaschen für den Gebrauch im Haushalt auf sechs Flaschen pro Familie begrenzt. Den benötigten Rest sollten die Verbraucher künftig zu „Marktpreisen“ kaufen, die fast doppelt so hoch liegen. Bei den Kleingewerbetreibenden hatte der Beschluss der Regierung, im Rahmen der „Wirtschaftsreformen“ den Handel für ausländische Supermarktketten-Multis wie Walmart (USA), Tesco (Grossbritannien), Carrefour (Frankreich) oder Metro und Ikea zu öffnen, das Fass zum Überlaufen gebracht. Es wird befürchtet, dass dies hunderttausende indische Kleinhändler um ihre Existenz bringen wird und die ausländischen Warenhauskonzerne danach die Preise dank ihrer Monopolstellung nach oben treiben werden. Schliesslich wird in dem Aufruf der acht Oppositionsparteien auch der von der Regierung beabsichtigte Verkauf von grossen Aktienpakten indischer Staatsfirmen wie Oil India an ausländische „Investoren“ erwähnt.

Die Kongresspartei, die einst die führende Kraft im nationalen Befreiungskampf gegen den englischen Kolonialismus war und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter Nehru und Indira Gandhi einen antiimperialistischen Kurs der Blockfreiheit verfolgt hatte, ist nach einer Unterbrechung seit 2004 wieder an der Regierung. Sie wurde sowohl 2004 wie 2009 bei den Wahlen stärkste Partei im indischen Parlament, verfügte jedoch nicht über genügend Mandate, um allein eine regierungsfähige Mehrheit bilden zu können. Sie war deshalb immer wieder auf die parlamentarische Unterstützung unterschiedlicher kleinerer Parteien angewiesen. Zu diesen Unterstützern gehörten in den ersten Jahren auch die „Linksfront“ einschliesslich der beiden Kommunistischen Parteien, die von Fall zu Fall für Regierungsvorlagen stimmten, sich aber nicht in eine ständige Regierungskoalition mit dem „Kongress“ einbinden liessen. Wegen der linken Tolerierung bzw. Unterstützung wurde die Regierung in diesen Jahren als „Mitte-Links-Regierung“ bezeichnet. 2008 haben die Parteien der Linksfront diese Unterstützung jedoch aufgekündigt. Unmittelbarer Anlass war die Auseinandersetzung um den „Atomdeal“ mit den USA. Bald folgte aber auch eine wirtschaftspolitische Kurswende in Richtung der stärkeren Orientierung auf neoliberale Rezepte durch Privatisierung der Staatsunternehmen und „Öffnung“ des Landes für ausländische Investoren. Seitdem regiert die Kongress-Partei mit unterschiedlichen kleineren, mehr oder weniger stabilen „Partnern“. Derzeit befindet sie sich wieder einmal in einer politischen Krise, nachdem kürzlich der im Bundesstaat Westbengalen regierende Trinamool-Congress aus Protest gegen die „Wirtschaftsreformen“ seinen Rückzug aus der Regierung angekündigt hat. Es wird damit gerechnet, dass die Regierung bei einer kommenden Vertrauensabstimmung im Parlament möglicherweise keine Mehrheit mehr findet und vorgezogene Neuwahlen angesetzt werden müssen.

Grosser Erfolg nach fünf Wochen Streik

Mit Freudentänzen, Jubelrufen und Gesängen feierten die rund 5000 Teilnehmer einer Vollversammlung der streikenden Minenarbeiter in Südafrika im Stadion von Marikana am 18. September das Ergebnis von dreiwöchigen Verhandlungen zwischen der Direktion des britischen Platin-Konzerns Lonmin und vier Gewerkschaften unter Vermittlung eines katholischen Bischofs. Nach über fünf Wochen Streik sah sich die Konzernleitung gezwungen, endlich in eine substanzielle Erhöhung der Löhne um 11 bis 22 Prozent einzuwilligen, um den Konflikt beizulegen, der am 16. August in ein blutiges Massaker der Polizei an 34 Streikenden ausgeartet war.

Die Lohnerhöhung tritt ab dem 1. Oktober in Kraft. Die Entlohnung der «Rock drillers» («Felsenbohrer»), also der Bergleute, die unter Tage das Gestein brechen, wird um 22 Prozent auf 11 000 Rand (etwa 1000 €) angehoben. Das liegt zwar unter der Forderung von 12 500 Rand, die zu Beginn von den Streikenden erhoben worden war, ist aber gegenüber den bisherigen Löhnen ein enormer Fortschritt. Die übrigen Grubenarbeiter bekommen 15 Prozent mehr, die restlichen Beschäftigten je nach Art der Arbeit 11 – 12 Prozent. Ausserdem erhalten alle Beschäftigten, die sich am 20. September, dem vereinbarten Tag der Wiederaufnahme der Arbeit, zur Arbeitsaufnahme zurückmeldeten, eine Prämie von 2000 Rand (rd. 190 €), die auch als Überbrückungshilfe dienen soll, nachdem das Unternehmen während des Streiks mehrere Wochen lang keine Löhne gezahlt hat.

Ein echter Sieg

Unterzeichnet wurde das Abkommen neben der Firmenleitung sowohl von der Bergarbeitergewerkschaft NUM, die zu dem ANC-nahen Gewerkschaftsbund COSATU gehört, als auch von der von der NUM abgespaltenen AMCU, die den «wilden Streik» ab 10. August initiiert hatte, sowie zwei weiteren kleineren Gewerkschaften und einem Vertreter der Unorganisierten. Bischof Seoka sagte, es handle sich um eine Erhöhung, wie sie in der Geschichte der Lohnverhandlungen nicht oft vorgekommen ist. Deshalb könne dies als «ein echter Sieg für die Arbeiter» betrachtet werden. Ein Sprecher der „dissidenten“ Gewerkschaft AMCU sagte, das gleiche Ergebnis hätte auch schon vor Wochen ohne das blutige Massaker erreicht werden können, wenn die Firmenleitung die jetzt gemachten Zugeständnisse früher bewilligt hätte.

Der 11. Nationale Kongress der COSATU, der parallel zu den Vorgängen vom 17. bis 20. September in Johannesburg stattfand, begrüsste das erzielte Abkommen in einer extra dazu angenommenen Erklärung. Es hiess darin u.a., die Gewerkschaften hofften, dass andere Bergbaukonzerne nun rasch ähnliche Angebote machten. Übringes nennt die COSATU in dem Text die Zahl von über 60 Toten, die es im Zusammenhang mit dem Konflikt gegeben habe, weil schon vor dem Blutbad und auch noch während der «heissen Phase» des Konflikts mehrere aktive Gewerkschafter und andere Arbeiter getötet worden waren, teilweise, weil sie sich geweigert hatten, an dem Streik teilzunehmen. Der COSATU-Kongress appellierte an alle, die die NUM verlassen haben, sich ihr wieder anzuschliessen, denn «Vereint halten wir stand, geteilt fallen wir.»

Streikwelle in Portugal

Nach einem Regierungsjahr der liberal konservativen Koalition ist vielen in Portugal nun der Kragen geplatzt. Nach den riesigen Demonstrationen vom Samstag, 15. September machen auch Streiks die explosive Stimmung gegen die gespaltene Regierung deutlich.

Der Ausstand in den Häfen zeitigt schon Auswirkungen. Sie werden sich verstärken, obwohl die Lotsen die Arbeit am Mittwoch wieder aufnahmen.  Doch der Streik in den Häfen soll die ganze Woche andauern, da immer andere Berufsgruppen die Arbeit niederlegen: die Lotsen, die Hafenarbeiter, die Verwaltungsangestellten usw.

Im Containerhafen der Hauptstadt Lissabon stauen sich schon jetzt die Lastwagen. Auch der Tourismus wird beeinträchtigt, weil Kreuzfahrtschiffe nicht landen können. Mit dem Streik reagiert die Gewerkschaft CGTP auf einen Vertrag, den die Gewerkschaft UGT mit der Regierung abgeschlossen hat. Es geht dabei um die Privatisierung und Umstrukturierung der Häfen. Da die UGT noch nicht einmal 20 Prozent der Beschäftigten vertritt, nennt die CGTP dies einen „Scheinvertrag“. Der Streik richtet sich aber auch gegen Lohnsenkungen und Steuererhöhungen sowie das ganze Krisenprogramm der Regierung. Die hat mit der Ankündigung, die Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung von 10 auf 18 Prozent anzuheben und die Beiträge für Unternehmer dafür zu senken, das Fass zum Überlaufen gebracht.

Für Freitag wird zu einer «Mahnwache gegen die Austeritätspolitik» am Regierungssitz in der Hauptstadt von denen mobilisiert, die auch zu den Demonstrationen am Samstag aufgerufen haben. Beobachter erwarten, dass es zu einem dauerhaften «Occupy-Camp» im Rahmen der Occupy-Bewegung kommen wird. Die Regierung soll dauerhaft mit den Forderungen konfrontiert werden. Der Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF), die Portugal den Sparkurs aufzwingt, soll dauerhaft klargemacht werden, dass sie sich «zum Teufel» scheren soll.

Massenstreiks der Kumpels in Südafrika

Südafrikas Bergarbeiter weiten ihre Streiks aus. Mehr als 10‘000 Arbeiter legten in der Nacht zum Montag ihre Arbeit in der Goldmine KDC nieder. Auch der Streik  in der Platinmine Lonmin geht  weiter. Die Arbeiter fordern eine Lohnerhöhung.

Trotz Hetze und Erpressungsversuche durch die Betriebsleitungen gehen immer mehr Bergbau-Belegschaften in die Offensive. Die Belegschaften beider Konzerne fordern einen Monatslohn von 12.500 Rand, etwa doppelt so viel, wie sie bisher erhalten. Nach Angaben von Lonmin erschienen lediglich sechs Prozent der 28.000 Arbeiter zur Arbeit in der Mine in Marikana nordwestlich von Johannesburg. An einem anderen Amplats-Standort versammelten sich mehrere tausend Bergarbeiter und forderten einen Monatslohn in Höhe von 12.500 Rand (1200 Euro), wie er derzeit auch in allen anderen sozialen Bewegungen verlangt wird. Die Streikenden in Marikana hatten ebenfalls diese Summe gefordert. In einer Mine des Unternehmens Gold Fields in Carletonville, 70 Kilometer südwestlich von Johannesburg, gingen Wachleute mit Tränengas gegen hunderte streikende Arbeiter vor, die einen Güterzug blockierten wollten. 15.000 Bergleute sind in der Mine seit Sonntagabend im Streik. Gold Fields ist der viertgrösste Goldproduzent der Welt und der zweitgrößte in Südafrika.

Wie verschiedene Onlinequellen berichten, sagte ein Polizeisprecher: «Es gibt einen Streik, die Bergleute versammeln sich. Sie versperren die Strassen mit Reifen, Baumstämmen und Steinen.» Er fügte hinzu: «Es handelt sich um einen Massenaufruhr.»

Lehrer streiken in Chicago

Seit Montag streiken in Chicago rund 30.000 Lehrer der öffentlichen Schulen für bessere Arbeitsbedingungen. Sie protestierten vor allem gegen ein neues Bewertungssystem für Lehrer, das nach Ansicht der Gewerkschaften zu stark auf dem Abschneiden ihrer Schüler bei Standardtests basiert. Dies könnte zur Entlassung von bis zu 6’000 Lehrern führen, befürchten Gewerkschaftler.

Am Montagabend  zogen Tausende durch die Strassen und skandierten «Hey, Hey, ho, ho, Rahm Emanuel’s got to go!» Emanuel, früherer Stabschef von Präsident Obama im Weissen Haus, ist seit 2011 Bürgermeister von Chicago und seine Kinder gehen auf eine Privatschule.

Der Streik bringt Präsident Barack Obama in eine Zwickmühle: Sein früherer Stabschef im Weissen Haus und jetziger Chicagoer Bürgermeister, Rahm Emanuel, legt sich in dem Streit mit den Gewerkschaften an, deren Unterstützung Obama wiederum für seine Wiederwahl im November benötigt. Der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney versucht seinerseits Profit zu schlagen. Er warf Obama am Montag derweil vor, auf der Seite der Gewerkschaften zu stehen, deren Interessen mit denen der Schüler kollidieren würden. «Ich habe mich entschieden, mich auf die Seite der Eltern und Schüler zu stellen», erklärte Romney.

Griechenland: Zehntausende demonstrieren gegen Kürzungen

Am Samstag, 8. September gingen in Thessaloniki anlässlich der Eröffnung der Internationalen Messe durch Ministerpräsident Samaras mehrere Zehntausend Menschen auf die Strasse, um gegen eine neue Kürzungswelle und gegen das Krisenprogramm der Troika zu demonstrieren.

Es gab vier verschiedene Demonstrationen in der nordgriechischen Stadt, aufgerufen dazu hatten die verschiedenen Gewerkschaftsdachverbände und verschiedene linke Organisationen. Am Wochenende begannen in Athen neue Gespräche zwischen der griechischen Regierung und den Vertretern der Troika (EU,EZB, IWF).

72 Massnahmen zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Masse der Bevölkerung umfasst das neue Krisenprogramm, das die griechische Regierung bis Ende September im Auftrag der «Troika» durchs Parlament bringen will. Den Rentnern will sie unter anderem die monatlichen Bezüge um 10 Prozent kürzen und das Urlaubs- und Weihnachtsgeld streichen. Die Löhne und Gehälter der Staatsbediensteten sollen erneut um insgesamt 1,3 Milliarden Euro gekürzt werden, die der Polizisten zum Beispiel um durchschnittlich 12 Prozent. Die Ausgaben für das Gesundheitswesen will die Regierung um weitere 1,4 Milliarden reduzieren.Dies alles damit die Gläubiger Griechenlands, sprich die grossen Finanzkonzerne und Hedgefonds, das Geld für die Kredite zurückbekommen. Geld, das sie dem griechischen Staat oder anderen Auftraggebern vor einiger Zeit mit dem Ziel prächtiger Zinsgewinne geliehen, ja teilweise gar regelrecht aufgedrängt haben.

Sexstreik in Togo!

Neun verschiedene gesellschaftliche Gruppen und sieben Oppositionsparteien in Togo rufen die Frauen zum Sexstreik für eine Woche auf. Mit dieser Methode sollen die Männer dazu mobilisiert werden, Widerstand gegen die jahrzehntelange Herrschaft der Präsidentenfamilie Gnassingbe zu leisten  und den Präsidenten zum Rücktritt zu zwingen.

Von heute, Montag, 3.September, treten die Frauen sieben Tage lang in den Sexstreik. Grund dieser Protesaktion sind eine Reihe von Änderungen des Wahlgesetzes. Laut der Opposition dienen sie nur dazu, der Partei des Präsidenten den Sieg an den Parlamentswahlen vom Oktober zu sichern.

«Wir haben viele Mittel, um den Männer klar zu machen, was wir Frauen in Togo wollen», sagt Isabelle Ameganivi, die Wortführerin der Frauen innerhalb der Opposition. Und sie fügt hinzu: «Wenn sie unsere Schreie nicht hören wollen, dann greifen wir zu viel stärkeren Mitteln, als der Sexstreik.

Der Sexstreik wurde 2003 von liberianischen Frauen als Mittel in einer Kampagne für den Frieden in ihrem Land eingesetzt. Dem Aufruf zum Sexstreik gingen mehrere Demonstrationen gegen den Präsidenten voraus, bei der die Polizei Tränengas einsetzte und über 100 Demonstrantinnen und Demonstranten verhaftet

Ich kam verändert und gestärkt zurück [Teil 2/2]

9. März 2012 – Nr 11/12 Im zweiten Teil des Berichtes über den politischen Prozess gegen die sozialistische Linke in Istanbul beschreibe ich den Prozesstag aus persönlicher Sicht. Die vielen Gespräche mit GenossInnen und die Teilnahme im stinkigen Gerichtssaal sind prägende Lebenserfahrungen. Sie haben Einfluss auf mein eigenes Bewusstsein und meine Persönlichkeit gehabt.

 kafkaeskes Gerichtsgebäude beim Devrimci Karagah Prozess in der Türkei

Am Morgen des Prozesstages wurde ich mit den Worten «Comrade, it’s time» geweckt. Die Weise wie wir in der Türkei als «Comrades» angesprochen wurden, war speziell für mich. Es fehlte dieser leicht scherzende Unterton, welcher in der Schweiz oft beim Wort Genosse mitschwingt. Die Anrede Comrade, auf Türkisch «Yoldash», zeugt von tiefem Respekt, von Freundschaft und Vertrauen. Der Ausdruck ist geprägt durch das Leid, welches unsere GenossInnen in der Türkei tagtäglich erfahren. Wir leiden hingegen nur unter GenossInnen, welche meinen, besser zu wissen, was wahr und was falsch sei und uns die Ohren wund predigen. In der Türkei erklärte mir niemand von oben herab den wahren Weg zum Sozialismus. Das Wort Genosse war, was es bedeutet: Die Anrede für Gleiche unter Gleichen, für Menschenmit welchen man zusammen diskutiert und zusammen arbeitet.

 

Ein Geheimdienstdokument

«Das Recht ist die Grundlage des Staates». Dieser Satz prangte in grossen Lettern über den schläfrigen Richtern. Doch sinnbildlich für die ganze Situation eines politischen Prozesses war, dass die meisten ZuschauerInnen den Satz kaum lesen konnten. Es wurde extra ein so kleiner Gerichtssaal gewählt, dass die Menschen dicht gedrängt, fast wie in einer Massentierhaltung, kaum Platz zum Atmen hatten. Als ich im Vorfeld an den Prozess und an das Gerichtsgebäude dachte, ging ich immer von einem repräsentativen, die Mächtigkeit des Staates zeigenden Bauwerk aus. Dem war nicht so. Es war ein alltägliches, nicht als Gericht erkennbares Bürogebäude. Nur die drei Gefangenentransporter und die drei Polizeimannschaftsbusse wiesen auf die Wichtigkeit des Gebäudes hin. Die Toilette war ungeputzt und es stank wie in einem Schweinestall. War dies auch der Grund dafür, dass viele Polizisten Gasmasken am Gürtel neben ihrem Knüppel hängen hatten?

Im stickigen Gerichtssaal hielt zuerst Hanefi Avc?, der ehemalige Polizeivorsteher, seine über einstündige Verteidigungsrede. Die einzige wirklich erkennbare Reaktion eines Richters war, Avc? nach 40 Minuten anzuhalten, langsam zum Schluss zu kommen. Dabei enthielt Avc?s Rede überaus brisante, den Prozess betreffende Informationen. Avc? verwies auf ein Geheimdienstdokument, in welchem festgehalten war, dass die militant-kommunistische Untergrundorganisation «Devrimci Karargah» (DK), die beiden Parteien «Sozialistisch Demokratischen Partei» (SDP) und «Plattform für gesellschaftliche Freiheit» (TÖP) als Pazifisten bezeichnet. Deswegen sei für DK eine Zusammenarbeit mit diesen Organisationen kategorisch ausgeschlossen. Zur Erinnerung: Den Angeklagten, hauptsächlich SDP- und TÖP-GenossInnen, wird vom Staat vorgeworfen, Teil der DK zu sein. Die Arbeit der Richter beschränkte sich hauptsächlich darauf, nach den Verteidigungsreden einer Anwältin oder eines Angeklagten mit schläfriger Stimme «der Nächste» zu sagen. Das einzige Mal, als sich ein Richter veranlasst sah, einem Angeklagten etwas zu entgegnen, war bei der flammenden Rede des TÖP-Genossen Tuncay Yilmaz. Fesselnd appellierte dieser an einen der Richter sinngemäss folgendermassen: «Seit über 500 Tagen sitze ich im Gefängnis. Wenn die TÖP eine terroristische Organisation ist, sagen sie es mir jetzt!» Der Richter entgegnete zwei Mal leicht empört lediglich, dass er dazu nichts sagen könne, da er auch nur ein einfacher Richter sei. Ob diese Empörung des Richters durch die Ungerechtigkeit des Prozesses oder wegen der Unverschämtheit von Tuncay hervorgerufen wurde, weiss ich nicht.

 

Kampf-, Gruss- und Liebesbotschaften

Diese visuellen, räumlichen und übel riechenden Umstände, führten den Satz «Das Recht ist die Grundlage des Staates» bereits vor Beginn ad absurdum. Über den Wahnwitz und die Hintergründe dieses Prozesses an sich, berichtete ich bereits ausführlich in der vorletzten Vorwärts-Ausgabe. Alle diese Eindrücke weckten ein spezielles Gefühl. Ein Gefühl, welches mir fremd und doch abstrakt bekannt war. Ich verspürte ein verwirrt-amüsiertes Kribbeln gemischt mit verwirrt-betroffener Ungläubigkeit. Es war das Gefühl, welches mich überkam, als ich Kafkas «Der Prozess» und «Das Schloss» gelesen hatte. Nach fünf Stunden wurde der Saal geräumt. Niemand wurde aus der Untersuchungshaft entlassen. Als die Gefangenen von den zehn Gendarmen hinausgeführt wurden, erhob sich ein riesiger Lärm. Die Menschen streckten ihre Arme den Gefangenen entgegen und ich hörte von überall her die Rufe «Yoldash! Yoldash!» Alle wollten ihre Freunde und GenossenInnen noch ein letztes Mal berühren, sei es auch nur mit einer Kampf-, Gruss- oder Liebesbotschaft. Vor dem Gerichtsgebäude trafen wir auf die AktivistInnen, welche vor dem Gebäude ausgeharrt hatten – unter strenger Beobachtung von gut 75 mit Knüppeln, Schildern und Gasmasken ausgerüsteten Polizisten. Parolen wurden gerufen und als die Gefangenentransporter losfuhren, versuchte man noch einen letzten Blick auf die GenossInnen zu werfen.

 

Brief an die Familie aus Istanbul

Der nächste Prozesstermin ist am 30. April 2012. Als ProzessbeobachterIn vor Ort zu sein, ist nicht nur wichtig, um Druck auf die Gerichte aufzubauen, sondern auch um die Moral der GenossInnen in und ausserhalb der Gefängnisse zu stärken. Persönlich ermöglicht es einem die Verhaltensweise der bürgerlichen Justiz zu erleben und zu verstehen, was ein «politischer Prozess» tatsächlich bedeutet. Eine solche Reise hat einen stark prägenden Einfluss auf das eigene Bewusstsein und die eigene Persönlichkeit. Exemplarisch hierzu ist die Mail, die ich am Vorabend des Prozesses an meine Eltern schrieb: «Das Erlebnis in Sulukule und die Erzählungen der GenossInnen zeigen mir einmal mehr die Unterdrückung, die Ausbeutung und den tatsächlichen Klassenkampf. Sulukule war die älteste Roma-Siedlung der Welt, welche nach über 1000 Jahren von der Regierung niedergewalzt wurde, um Eigentums-Luxus-Wohnungen zu bauen. (Mehr dazu im nächsten Vorwärts.) Solche Erlebnisse bestärken mich in meinem Bewusstsein, warum und wofür ich kämpfe. Ich bin tiefüberzeugt, bis ich sterbe für die revolutionäre Sache zu kämpfen. Liebe Eltern, die GenossInnen in Istanbul verkörpern das, was ihr mir als vertrauenswürdige Eigenschaften beigebracht habt: Offenheit, die sich in einem wachen Gesicht spiegelt und Ehrlichkeit, welche in einer festen Stimme hörbar ist.

Dank meiner türkischen GenossInnen weiss ich, dass ich mich nicht mehr verstecken muss, ohne ausschliessen zu wollen, dassman die gleiche Warmherzigkeit, Ehrlichkeit, Solidarität, Disziplin und Demut ebenfalls bei AnarchistInnen, (religiösen) SozialistInnen oder anderen für die Befreiung der Menschheit kämpfenden Menschen finden kann. Von nun an kann ich mit ehrlicher Überzeugung sagen: Ich bin Kommunist».

Nachtrag
In der Zwischenzeit (Ende August 2012) sind „nur“ noch 11 Genossen und Genossinnen in Untersuchungshaft. Zudem wurden weitere Genossen und Genossinnen angeklagt. Der letzte inhaftierte Genosse der TÖPG, Tuncay Yilmaz, wurde Anfang August überraschenderweise aus der Untersuchungshaft entlassen. Der Prozess läuft weiter.

Zu viel Kafka gelesen Mister Erdogan? [Teil 1/2]

24.Februar 2012 – Nr 07/08 Am 6. Februar 2012 fand der vierte «kafkaeske Prozesstag» gegen die sozialistisch-kommunistische Linke in Istanbul statt. Immer noch sitzen 24 GenossInnen der TÖP und SDP seit bis zu über 500 Tagen in Untersuchungshaft. Ein Bericht vor Ort.

Am 21. September 2010 rollteDemonstration vor dem Devrimci Karagah Prozess gegen die sozialistisch-kommunistische Linke in der Türkei die erste Verhaftungswelle über die Türkei. 17 Personen, darunter Journalistinnen, führende Vertreter der Sozialistisch Demokratischen Partei (SDP) und der Plattform für gesellschaftliche Freiheit (TÖP) wurden durch Anti-Terror Spezialeinheiten verhaftet und in Untersuchungshaft gesetzt. » Weiterlesen

Erneuter Streik bei Lufthansa

Die Gewerkschaft der Flugbegleiter (UFO) weitet ihre Streiks bei der Lufthansa am 4.September 2012 aus. Es werde «länger und an mehr Orten» gestreikt als am Freitag,  kündigte der Gewerkschaftsvorsitzende Nicoley Baublies heute an.

Nach Berlin und Frankfurt bestreiken die Flugbegleiter der Lufthansa am Dienstag auch den Flughafen in München. Der Ausstand soll von von 13.00 Uhr bis Mitternacht dauern. Bereits wegen der achtstündigen Arbeitsniederlegung am Freitag musste die Lufthansa 190 Flüge streichen. Mit einer so umfassenden Beteiligung an dem Streik habe man nicht gerechnet, sagte Baublies: «Das hat es noch nicht einmal beim Pilotenstreik gegeben.»

In ihrer am Abend verbreiteten Erklärung bedauerte die Gewerkschaft UFO, «dass es zu dieser Eskalation kommen musste». Die Verhandlungen seien jedoch «an einem Punkt angekommen, an dem es zu einem Streik keine Alternative mehr gibt», hiess es auf ihrer Webseite. Die UFO hat in den Verhandlungen nach drei Jahren Nullrunden neben fünf Prozent höheren Entgelten unter anderem das Ende der Leiharbeit und Schutz gegen die Auslagerung von Jobs verlangt. Lufthansa plant hingegen mittelfristige Einsparungen bei den Personalkosten und will dafür unter anderem die Beförderungsstufen strecken.

Paraguay

Am 22. Juni wurde der paraguayische Präsident Fernando Lugo innerhalb von wenigen Stunden mit einem parlamentarischen Putsch aus dem Amt gefegt. Dahinter stehen die Interessen von Grossgrundbesitzern und transnationalen Konzernen, Narcos und Pentagon. Ein neuer Putschismus macht sich breit. Die hiesigen Medien schweigen weitestgehend dazu. Unsere Solidarität ist gefragt! Die Veranstaltungreihe wird organisiert vom Solifonds und dem Zentralamerika-Sekretariat.

Dienstag, 4. September, 18:30 Uhr, Unternehmen Mitte, Gerbergasse 30, Basel
Donnerstag, 6. September, 19:30 Uhr, Casa d’Italia, Bühlstrasse 57, Bern
Dienstag, 11. September, 19:30 Uhr, Volkshaus, Stauffacherstrasse 60, Zürich

Sardinien: Kumpel verschanzen sich mit Sprengstoff

Die Bergleute auf Sardinien kämpfen mit einer verzweifelten Aktion für ihre Jobs, das einzige italienische Kohlebergwerk ist von der Schliessung bedroht: Sie brachten 350 Kilo Sprengstoff in ihre Gewalt und besetzten die Mine in 400 Meter Tiefe. Damit wollen sie die Regierung unter Druck setzen. Seit Sonntag halten sie die Kohlenmine «Nuraxi Figus» im Südwesten Sardinien besetzt.

Die Bergarbeiter drohen, im Falle der Nichtbeachtung ihrer Forderungen, sich und den Schacht in die Luft zu sprengen. Weitere Arbeiter blockieren die Strassenzufahrten zum Grubengebiet, Meter hohe Kohlehaufen versperren die Zufahrt. Der Protest der Arbeiter richtet sich gegen die Absichten des Unternehmens, die Kohlegruben von Sulcis im Südwesten Sardiniens zu schliessen. Die Minenarbeiter wollen erzwingen, dass die Regierung in Rom ein geplantes Projekt sauberer Energie für die Mine bald beschliesst, um bedrohte Arbeitsplätze zu sichern. Wenn das nicht rasch komme, sei die Mine am Ende, sagen sie. In den fünfziger Jahren arbeiteten hier noch 12.000 Bergarbeiter. Mit der Aktion in 400 Meter Tiefe wollen die Bergleute Druck auf die Beratungen der Regierung über die Zukunft des einzigen italienischen Kohlebergwerks ausüben.

«Wir machen uns Sorgen, dass das Bergwerk geschlossen werden könnte», sagte der 54-jährige Bergmann Sandro Mereu der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir fürchten um unsere Jobs.» Er und seine Kollegen würden so lange unter Tage bleiben, bis sie eine Zusage der Regierung bekämen, dass die Zukunft des Bergwerks gesichert sei.

Das Aus für die ganze Region droht

Der Protest der Minenarbeiter von Carbosulcis ist nicht der einzige Widerstand, den Arbeiter im Südwesten der Insel leisten. Vor einer Woche unternahmen die Aluminiumarbeiter des dort ansässigen amerikanischen Konzerns Alcoa eine spektakuläre Protestaktion: Im Hafen von Cagliari, vor dem Einlaufen der Tirrenia-Fähre, sprangen Dutzende der Aluminiumwerker ins Hafenbecken, andere enterten das Schiff und machten auf ihre Misere aufmerksam: Der Konzern plant die Schliessung dreier Werke in Italien und Spanien, 1500 Arbeitsplätze sind bedroht.

Circa 200 Mitarbeiter eines Stahlwerks in Portovesme auf Sardinien hatten Mitte August bereits den Flughafen der sardischen Hauptstadt Cagliari blockiert. Sie protestierten damit ebenfalls gegen den geplanten Produktionsstopp des Stahlwerks im Besitz des US-Konzerns Alcoa ab September.

Das Gebiet von Sulcis ist das industrielle Herz der Insel. Die drohenden Werksschliessungen könnten das wirtschaftliche und soziale Aus für die ganze Region bedeuten.

Die Bergleute von Carbosulcis, westlich der Stadt Cagliari, haben ihre Zeche schon in den Jahren 1984, 1993 und 1995 in Protestaktionen besetzt. Einmal hielten sie 100 Tage aus.

 

Quelle: o-solemio.de

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