Kapital gegen Kapital

MinderIn der «Abzockerinitiative» geht es vor allem um die Umverteilung von Geld innerhalb des Kapitals. Die hoch moralische Debatte legt einige Befindlichkeiten der gutschweizerischen Seele offen. Dass es für die ArbeiterInnen dabei um gar nichts geht, tut der weit verbreiteten Empörung keinen Abbruch.

Aus der Printausgabe des vorwärts, die am 2. Februar erscheint. Unterstützte uns mit einem Abo.

Derzeit füllt die «Abzockerinitiative» die Zeitungsspalten der Schweizer Medien und sorgt mancherorts für hitzige Diskussionen. Nach aktuellen Umfragen würde die Initiative am 3. März von rund 54 Prozent der Schweizer WählerInnen angenommen. Managerschelte und Abzockerkritik sind Disziplinen, die sich seit Jahren von weit links bis nach ganz rechts grosser Beliebtheit erfreuen. Entsprechend wird die Intiative von einem breiten Bündnis getragen, das von den Grünen über die Sozialdemokratie bis zu Teilen der Schweizerischen Volkspartei reicht und auch Kleinparteien am linken und rechten Rand umfasst.

Die Initiative verbietet goldene Fallschirme für ManagerInnen. Zudem sollen «zum Schutz der Volkswirtschaft, des Privateigentums und der Aktionärinnen und Aktionäre» die FirmeneigentümerInnen von kotierten Schweizer Aktiengesellschaften über die Gesamtsumme aller Entschädigungen abstimmen können. Sie legen nicht die Gehälter der ManagerInnen fest, aber sie können die zu verteilende Gesamthöhe der Vergütungen bestimmen. Das ist der Pudel Kern. Vor allem die grossen AktionärInnen werden auf Kosten der ManagerInnen gestärkt. KapitalbesitzerInnen auf Kosten jener, die über das Kapital Verfügungsgewalt haben (auch wenn es da Überschneidungen gibt). Kapital gegen Kapital. Es wäre albern, wenn man den vor allem rechts zu verortenden IntiantInnen vorwerfen würde, sie würden damit am Kapitalverhältnis gar nichts ändern. Das haben sie nie vorgehabt. Den Linken kann man das vorwerfen, auch wenn die Revolution für die meisten nur noch ein Schreckgespenst ist. Die «Abzockerinitiative» ist für sie eine von rechts aufgegleiste Ersatzhandlung für eine tatsächliche radikale Veränderung der gesellschaftlichen Umstände.

Guter Patron gegen Abzocker

Der Vater der Initiative ist der Saubermann Thomas Minder. Minder leitet die Trybol AG in Schaffhausen, die mit der Produktion von kosmetischen Produkten einen Umsatz von rund 5 Millionen Franken im Jahr macht. Der Kleinunternehmer vertritt gutbürgerliche Werte: schlanker Staat, mehr Polizeipräsenz zum Schutze der BürgerInnen und des Privateigentums, resolutes Vorgehen gegen Sozialmissbrauch und rasche Ausschaffung sogenannter Wirtschaftsflüchtlinge. Keine Wunder, dass der Parteilose im Parlament in der SVP-Fraktion politisiert. Minder stellt für die aufgebrachte Öffentlichkeit geradezu das schweizerische Gegenstück zum wurzellosen und gierigen Manager dar. Ein Mann, der Gewicht auf die Marke «Schweiz» legt und in seinem KMU Werte und Waren produziert. Da passt es ganz gut, dass das Initiativkomitee den ManagerInnen vorwirft, dass ihre «Vergütungen in keinem Verhältnis zur individuellen Leistung» stehe und dass sie durch eine «persönliche Gier (…) nach noch mehr Geld und Macht» getrieben würden. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – wie etwa an die antisemitisch konnotierte Gegenüberstellung von «raffendem» und «schaffendem» Kapital. Man muss allerdings nicht gleich mit Nazivergleichen hantieren, um die Initiative zu kritisieren, dazu reicht ein Blick auf Zustand und Ideologie der bürgerlichen Gesellschaft.

Leistung und Verzicht

Leistung als Grundlage für eine entsprechende Vergütung ist ein Basisideologem der bürgerlichen Gesellschaft. Bloss wer etwas leistet, soll dafür auch gerecht entlohnt werden. Dass es dabei immer VerliererInnen geben muss und Menschen, die sich noch so anstrengen können, ohne auf einen grünen Zweig zu kommen, ist dem bürgerlichen Bewusstsein weitgehend egal. Das Leistungsmass abstrahiert von der Verschiedenheit der Menschen, die in der bürgerlichen Gesellschaft vor Gesetz und Markt alle abstrakt gleich gemacht werden. Zudem verschwindet hinter einem ideologischen Schleier, dass die ArbeiterInnen den gesamten Wert schaffen, der an die verschiedenen gesellschaftlichen Klassen verteilt wird. Die Gier nach noch mehr Geld spiegelt im Endeffekt nichts weiter als den Zwang des Kapitals, aus Geld mehr Geld zu machen. Das ist es, was ManagerInnen, AktionärInnen und Kleinunternehmer Minder teilen: Sie sind als Personifikationen des Kapitals interessiert, aber auch durch die  Konkurrenz gezwungen, ihre Unternehmen Profitabel zu führen und aus Geld mehr Geld zu machen. Dass sich der Unternehmer als Profit, der Aktionär als Dividende und Wertsteigerung und der Manager als Boni einen Teil dieser Geldvermehrung aneignen, gehört zum Geschäft, es widerspricht aber tendenziell dem Heisshunger des Kapitals nach mehr Kapital ohne welches die Wirtschaft nicht funktioniert. Deshalb steht es auch unter Verdacht und ist bei guten BürgerInnen und ihren VordenkerInnen verrufen. Verzicht für alle im Namen des nationalen Standorts.

 

Alles beim Alten

Aus Sicht der Proletarisierten lässt sich sagen: Alles bleibt beim Alten. Oben wird ein wenig hin und hergeschoben. Aber letztlich gilt immer noch der unumstössliche Imperativ des Kapitals: Geldvermehren bei Strafe des Untergangs. Firmenpleiten, Fusionen und Massenentlassungen wird es mit oder ohne die Initiative in Zeiten der Krise ohnehin geben. Und die Ausbeutung der ArbeiterInnen – der Zwang einen Mehrwert über die ihnen als Lohn ausbezahlte Summe zu produzieren – bleibt nach wie vor die Grundlage des Geschäfts, ob sich nun die AktienbesitzerInnen oder ihre ManagerInnen mehr bereichern. Deshalb eine Wahlempfehlung: Bleibt zu Hause und geniesst euren freien Tag.

Ein starkes Zeichen!

einreichungReferendum gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes mit 63’224 Stimmen eingereicht!

Das Referendumskomitee zeigt sich äusserst erfreut darüber, dass das Referendum gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes mit 63 224 gültigen Unterschriften zu Stande gekommen ist und am Freitag 17. Januar eingereicht wurde. Aufgrund der schwierigen Ausgangslage ist das klare Zustandekommen umso erfreulicher und zeigt klar und deutlich auf, dass ein grosser Teil der Schweizer Bevölkerung bereit ist, für eine solidarische Migrationspolitik einzustehen, die die Menschenrechte in den Vordergrund stellt.

Der Erfolg des Referendums ist eine deutliche Kritik an Bundesrat und Parlament, deren Politik die fortlaufende Demontierung des Asylrechts vorantreibt und die systematische Kriminalisierung von Asylsuchenden und Flüchtlingen fördert. Die Zerstückelung einer ursprünglich ganzheitlichen Asylgesetzrevision in mehrere Vorlagen verstärkt diesen Prozess zudem – zu Lasten der Betroffenen.

Vorlage1, Vorlage 2, Vorlage 3… Die Zerstückelung bedroht die demokratische Debatte!
Am 14. Dezember 2012 hat das Parlament die Vorlage 1 zur Asylgesetzrevision verabschiedet, von welcher die dringlichen Massnahmen im September abgespalten wurden. Diese «zweite» Vorlage 1 ist genauso unannehmbar wie die Vorlage zu den dringlichen Massnahmen. Sie verschärft das Asylrecht in wesentlichen Punkten, wie z.B. über die Einschränkung der Redefreiheit für Asylsuchende und deren UnterstützerInnen oder aber auch via der Ausweitung des Nothilferegimes für «renitente» Asylsuchende. Die Gesamtheit der Verschärfungen zielt wiederum auf die elementarsten Rechte von Asylsuchenden ab und führt zu einem Abbau von Schutz und Rechten der Asylsuchenden gleichermassen. Die Vorlage ist von einer irrgeleiteten Missbrauchsdebatte geprägt, die dazu führt, dass fast jede asylsuchende Person in den Augen der Bevölkerung als potentiell kriminell wahrgenommen wird. Dies hat mit der Realität nichts zu tun.

Der zwanghafte anmutende Revisionsdrang im Asylbereich durch Bundesrat und Parlament bringt zudem demokratische Defizite mit sich. Die Verwurstelung von zwei zeitgleichen Revisionen und einer Dritten in Beratung vernebelt die Debatte und strapaziert die effektive Wahrnehmung der direktdemokratischen Rechte aufs Äusserste. Das Referendumskomitee verfügt deshalb aktuell nicht über die effektiven Ressourcen, ein zweites Referendum gegen die Vorlage 1 zu lancieren. Wir kritisieren indes die Stille, in welcher diese Vorlage in Absenz jeglichen Widerstandes der dazu prädestinierten politischen Kräfte verabschiedet wurde.

Das Referendumskomitee stellt sich entschieden gegen jegliche Verschärfungen des Asylgesetzes und versteht das Referendum deshalb als Widerstand gegen die Inhalte beider Vorlagen. Wir bauen im Abstimmungskampf auf die gezeigte Solidarität der Bevölkerung und ein klares Votum aller progressiven politischen Kräfte, indem sie sich dieser Haltung anschliessen. Es braucht eine deutliche Ablehnung gegenüber der kontinuierlichen Verletzung von Grundrechten im Asyl- und Migrationsbereich.

Wir sagen Nein zur Demontage des Asylrechts, nein zur Politik der Lager, nein zur Zerstückelung der Volksrechte sowie nein zur Fremdenfeindlichkeit und Kriminalisierung von Asylsuchenden.

Raubzug stoppen

sgbAm 7. Januar fand in Bern die Jahresmedienkonferenz des SGB statt.

Die Mindestlohn-Initiative wird in die parlamentarische Beratung gelangen. Sie verlangt einen gesetzlichen Mindestlohn von monatlich 4‘000 Franken für eine Vollzeitstelle sowie die Förderung von GAV durch den Bund. Ein solcher Mindestlohn ist bitter nötig: Rund 430‘000 Arbeitnehmende erhalten für einen Vollzeitjob nur einen sogenannten Tieflohn von weniger als 4‘000 Franken pro Monat. 140‘000 Menschen davon verdienen so wenig, obwohl sie über einen Lehrabschluss verfügen. Damit wird das Versprechen nicht eingelöst, dass Menschen mit Lehre von ihrem Lohn leben und eine Familie gründen können müssen.

Während Beschäftigte mit einer Lehre zwischen 2002 bis 2010 einen sinkenden Reallohn hinnehmen mussten, stiegen die Reallöhne der Kader um mehr als 12 Prozent. Und auch die Aktionäre konnten in den letzten Jahren von Milliarden-Steuergeschenken profitieren. Ein gesetzlicher Mindestlohn von 4‘000 Franken sorgt damit für etwas mehr Lohngerechtigkeit, wie SGB-Präsident Paul Rechsteiner vor den Medien ausführte.

Raubzüge auf die AHV-Kasse stoppen

In der Debatte über die Altersvorsorge wird der SGB alle Versuche bekämpfen, die erste Säule schlecht zu reden und zu schwächen. Es geht nicht an, dass der AHV Geld vorenthalten wird, das ihr zusteht. Heute fliessen die Erträge der Tabak- und Alkoholsteuer in die Bundeskasse, statt in die AHV. Dort werden sie mit dem Bundesbeitrag an die AHV verrechnet. Der AHV entgehen so allein 2,5 Mrd. Franken. Insgesamt stünden der AHV jährlich 3 Mrd. Franken mehr zu als ihr heute zufliessen, wie SGB-Chefökonom Daniel Lampart aufzeigte. Stattdessen werden mit dem Geld Steuersenkungen für die Oberschicht und die Unternehmen finanziert. Hier besteht Korrekturbedarf.

Kompensiert werden müssen auch die 300 bis 400 Mio. Franken Einnahmeausfälle, die bei der AHV wegen der Unternehmenssteuerreform II anfallen, da sich Firmenbesitzer heute lieber AHV-freie Dividenden statt AHV-pflichtige Löhne auszahlen. Zudem muss das Parlament den Plan des Bundesrats zurückweisen, die Schulden der IV gegenüber der AHV nur noch mit einem statt zwei Prozent zu verzinsen (Einnahmeausfall für die AHV: 150 Millionen).

„Die Kreise, die sich angeblich um die Finanzen der AHV sorgen, täten besser daran, die AHV vor den Raubzügen zu schützen, denen sie seit Jahr und Tag ausgesetzt ist“, sagte Paul Rechsteiner. Ob die AHV genug Geld hat um die Herausforderungen der Zukunft zu meistern, ist in erster Linie eine Frage des politischen Willens. Als eines der reichsten Länder der Welt hat die Schweiz die dazu nötigen Ressourcen.

Bessere Renten dank AHVplus

Statt eines Abbaus braucht es bei der AHV vielmehr einen Ausbau. Höhere AHV-Renten sind dringend nötig, da heute viele Menschen im Alter ihr „gewohntes Leben“ nicht mehr „angemessen“ weiterführen können, wie es in der Verfassung vorgeschrieben ist. Die AHV ist die effizienteste und stabilste Säule der Altersvorsorge, wie die für die Sozialpolitik zuständige SGB-Zentralsekretärin Doris Bianchi ausführte. Deshalb will der SGB die AHV ausbauen. Dazu startet der SGB im Frühling die Volksinitiative AHVplus. Ziel ist es, auf den AHV-Renten einen Zuschlag von 10 Prozent zu gewähren.

Quelle, weitere Infos und Redebeiträge unter www.sgb.ch

Im Staate der Eidgenossen

eidgenNun liegt bekanntlich unsere Eidgenossenschaft auch in Europa, sogar mitten drin (geographisch), aber nicht dabei (politisch). Egal. EU hin oder her. Fakt ist, dass wir unsere geliebte Schweiz genauso – wenn nicht noch aggressiver und  massiver – abschotten wie die EU mit ihrem Territorium auch tut. Wer es nicht glaubt, soll bitte kurz auf www.asyl.ch gehen.

Aus dem vorwärts vom 21.Dezember 2012, unterstütze uns mit einem Abo.

Aber, was konkret schotten wir den ab? Unsere Arbeit? Ist es die Angst, unsere Stelle zu verlieren, weil ein Heer von Flüchtlingen –wenn möglich noch aus Nordafrika –  den helvetischen Arbeitsmarkt überflutet und wir deswegen die Kündigung erhalten? Na ja, ehrlich gesagt, besteht diesbezüglich wohl eine viel grössere Gefahr: Jene der Manager und Verwaltungsräte. Wie hoch ist die reelle Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass wir den Job wegen dem Entscheid der Chefetage der Firma verlieren, für die wir arbeiten? Und wie hoch ist die reelle Gefahr und Wahrscheinlichkeit, dass wir den Job wegen eines tunesischen Flüchtlings verlieren?

Schotten wir unseren Wohlstand ab? Was genau ist dieser Wohlstand? Die zwei Wochen Sommerurlaub an der tunesischen Mittelmeerküste? Kein Flüchtling der Welt wird uns die schönste und wohlverdiente Zeit im Jahr klauen. Wie soll und könnte er auch? Die einzige Gefahr besteht darin, dass beim Hinflug zwei bis drei Polizisten mit einem «Ausschaffungshäftling» im gleichen Flugzeug sitzen. Aber keine Panik: Sobald dieser unbeliebte Passagier stören sollte, werden die geschulten Polizisten ihn rasch zum Schweigen bringen. Es besteht daher überhaupt keine Gefahr für unsere Ruhe und Sicherheit.

Geht es um unser Geld? Bisher ist noch kein Fall bekannt, dass wegen einem Flüchtling einem Eidgenossen das Bankkonto durch den Staat konfisziert worden ist. Mal abgesehen davon: Was heisst hier «unser Geld»? Drei Prozent der in der Schweiz wohnhaften privaten Steuerpflichtigen haben gleich viel Nettovermögen wie die restlichen 97 Prozent! Unser Geld?  Die Vermögen der 300 Reichsten stiegen in den letzten zwanzig Jahren von 86 auf 460 Milliarden an, das ist ein Zuwachs von 395.6 Prozent. Die Kurve auf der Tabelle der Reallohnentwicklung ist weit weniger steil und macht bei knapp zehn Prozent halt. Unser Wohlstand?

Schotten wir unsere Religion ab? Unsere christlichen Werte wie Menschlichkeit, Barmherzigkeit, Solidarität und Hilfsbereitschaft? Wen wir diese Werte verteidigen, dann müssen wir uns ehrlich und nicht nur oberflächlich fragen, wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen. Der Umgang mit den Schwächsten ist bekanntlich der Gradmesser der Zivilisation einer (christlichen) Gesellschaft. Zu den Schwächsten in unserem Land gehören nun mal auch die Flüchtlinge. Wir müssen uns also die folgende Frage stellen: Ist es menschlich und barmherzig, Flüchtlinge in ein Lager zu stecken?

Aber eben, bald ist ja Weihnachten und dann haben wir wenig Zeit, um uns so viele Fragen zu stellen. An Weihnachten müssen wir besinnlich und in Frieden den Geburtstag eines Ausländers im Kreise unserer Familie feiern. Das kann auch anstrengend sein. Zum Glück kommt dann bald Silvester und wir haben einen Grund, unsere Sorgen im Alkohol zu ertränken – mögen sie sogar versaufen und nie mehr an die Oberfläche kommen. Und am 3. Januar müssen wir ja dann eh alle wieder zur Arbeit. Dann haben wir fleissige Eidgenossen sowieso Stress und keine Zeit, uns mit so Scheissfragen zu beschäftigen.

Vorwärts ins 2013 geliebte Eidgenossenschaft!

Referendum geschafft!

OLYMPUS DIGITAL CAMERAAm Tag 72 des Referendums gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes über 60’000 Unterschriften gesammelt. Davon wurden bereits 24’000 als gültig beglaubigt. Nichtsdestotrotz sammelt das Komitee auch in den verbleibenden vier Wochen weiter.

Nach gut zwei von drei Monaten ist das Referendum quasi zu Stande gekommen. «Es freut uns umso mehr, dass uns dies trotz der fehlenden Unterstützung diverser namhafter Organisationen und politischer Parteien gelungen ist», meint Andreas Lustenberger, Co-Präsident der Jungen Grünen Schweiz.

Die einzige Hürde, die das Referendum noch zu nehmen hat, ist die Beglaubigung durch die Gemeinden. «Wir haben zwar schon über 50’000 Unterschriften versandt, bleiben aber bis zum letzten Moment dran, um ganz sicher zu gehen», meint Karin Jenni vom Sekretariat des Referendum-Komitees. «Bislang konnten wir auf eine zügige Mitarbeit seitens der Gemeinden zählen. Das ist sehr erfreulich!»

Das relativ rasche Zustandekommen der Unterschriften ist als starkes Zeichen gegen weitere Verschärfungen im Asylgesetz zu werten. Der Dank des Komitees gilt deshalb der Zivilbevölkerung sowie den zahlreichen an der Unterschriftensammlung beteiligten AktivistInnen und Gruppierungen

Öl in die Abwärtsspirale

Die meisten Kantone budgetieren für 2013 ein Defizit. Deshalb wollen sie sparen, vor allem auf dem Buckel des öffentlichen Personals. Dieses aber beginnt sich zu wehren. In bisher vier Kantonen entwickeln die Beschäftigten und ihre Verbände harten Widerstand.

Eine satte Mehrheit der Kantone sieht für das nächste Jahr ein Defizit vor. Um dieses möglichst rasch zu beseitigen, planen diese Kantone einschneidende Sparprogramme. Visiert ist ein Dienstleistungsabbau. Gemeinsam ist dem Potpourri an Vorschlägen zweierlei: Die Menschen werden weniger Dienstleistungen (weniger Züge, Busse, Schulstunden, Beratung, schneegeräumte Strassen etc.) in Anspruch nehmen können, und die Kantonsangestellten müssen büssen: mit Mehrarbeit, weniger Lohn, Stellenabbau oder einem Mix aus allem.

Kantone mit dem Rotstift beim Personal

Die folgenden Beispiele zeigen, wohin die Reise geht:

Das Tessin erwartet ein Defizit von 198,5 Mio Franken. Um dieses zu korrigieren, will der Kanton die Löhne des öffentlichen Personals um 2 % (1,8 bei den vom Staat unterstützten Unternehmen) kürzen.

In Genf budgetiert die Regierung im zweiten Anlauf ein Defizit von 191 Mio. Franken. Angesagt sind ein Personalabbau im Bereich Bildung/Erziehung, Einschränkungen bei der vorzeitigen Pensionierung sowie Lohnabbau.

St. Gallen budgetierte in einem ersten Anlauf ein Defizit von 230 Mio. Franken. Ende November hat der Kantonsrat eine Steuerfusserhöhung um 10 % und eine Entnahme aus dem Eigenkapital von 110 Mio Franken gutgeheissen. Das Defizit reduzierte sich so auf 27 Mio. Dennoch beauftragte die Legislative die Regierung, den Personalaufwand 2013 nach eigenem Gutdünken um 1 % zu kürzen. Gegenüber ursprünglichen Plänen (siehe unten) buchstabierte die Legislative jedoch zurück.

In Luzern will die Regierung nächstes Jahr 57,7 Mio. Franken sparen, 2014 soll der Sparbetrag auf 111,8 Mio. steigen. Zahlen soll auch hier das Personal: Der Aufwand dafür soll nur um 0,5 % wachsen statt wie ursprünglich geplant um 1,5 %, beabsichtige Bestandeserhöhungen bei der Polizei werden über mehrere Jahre gestaffelt statt unverzüglich vollzogen. In der Verwaltung werden 26 Stellen gestrichen, bei Bildung und Gesundheit wird der Sachaufwand gekürzt.

Zürich budgetierte ein Defizit von 157 Mio. Franken. Daraufhin zwang der Kantonsrat der Regierung ein Sparprogramm von 200 Mio. Franken auf. Die Regierung soll frei bestimmen, wo sie wieviel einspart.

Im Kanton Bern sollen geplante Lohnverbesserungen von 44 Mio. Franken abgesagt werden, dazu gesellt sich ein 53 Mio. schweres über alle Bereiche verteiltes Leistungsabbau-Paket.

In weiteren 11 Kantonen sind Sparmassnahmen angesagt. Nur gerade AG, VS, FR, BS, VD und UR kündigen für nächstes Jahr schwarze Zahlen an.

 „Gegen jede Fairness“

„Diese Abbaumassnahmen gehen gegen jede Fairness in den Arbeitsbeziehungen – und sie werden die Leute demotivieren. Zudem hat man im öffentlichen Dienst die Schraube der Arbeitsrhythmen so stark angezogen, dass jeder solche Abbau für die Service Public-Kund/innen unmittelbaren und sofortigen Leistungsabbau bedeutet,“ erklärt Dore Heim, die beim SGB u.a. für den Service Public zuständig ist. Heim sieht mit den Massnahmen auch die Attraktivität des Staates auf dem Arbeitsmarkt gefährdet: „Solcher Abbau ist ein negatives Signal an alle, die sich vorstellen können, im Service Public zu arbeiten.“ Der SGB warnt zudem vor kontraproduktiven Auswirkungen von Sparprogrammen. Sie sind konjunkturelles Gift – oder Öl in die Abwärtsspirale. Der SGB will denn auch die Finanzlage der Kantone genauer untersuchen. Erste Resultate sind auf Frühlingsbeginn 2013 zu erwarten.

Ob nun die Kantone zu pessimistisch budgetieren oder nicht: eines steht heute bereits fest. Die Einkommensverluste und damit die Defizite haben sie selbst verschuldet. Sie wollten Reiche und Unternehmen anlocken und senkten diesen die Steuern. Um nicht hintenanzustehen, zogen bald alle Kantone mit, was zu einem exorbitanten Steuersenkungswettbewerb führte. Folge: mangelnde Einnahmen überall. Das Beispiel St. Gallen zeigt die Dimension: Die aktuelle (2012 beschlossene) Steuerfusserhöhung macht bloss einen Viertel der in den Jahren und Jahrzehnten zuvor gewährten Steuersenkungen wieder rückgängig.

Widerstand formiert sich

In mehreren Kantonen regt sich nun aber Widerstand gegen den Abbau. Gewerkschaften und Personalverbände gehen gemeinsam dagegen vor.

In St. Gallen demonstrierten am 15. November an die 5000 Kantonsangestellte, „darunter das halbe Polizeikorps“ (NZZ) gegen die Sparmassnahmen. Sie erreichten zumindest, dass der Vorschlag eines 1,5 %igen Lohnabbaus fallen gelassen wurde. In Luzern gingen am 24. November gut 1500 Beschäftigte auf die Strasse, eine Petition wurde über 6000 mal unterzeichnet, und für den 10. Dezember, den Tag des Entscheides, ist ein Schülerstreik geplant. Im Tessin streikten unter VPOD-Führung die Staatsangestellten am 5. Dezember. Die meisten Schulen blieben geschlossen. An einer Protestdemo – um 15.00 in Bellinzona, also während der Arbeitszeit – fanden sich 2000 Menschen ein. Die Linke zeigt sich zuversichtlich, das Abbaubudget kippen oder zumindest die schlimmsten Giftzähne ziehen zu können. In Genf streiken die Service-Public-Beschäftigten heute (6. 12.). Vor allem an den Schulen und den Spitälern gärt es.

Die Gegenwehr formiert sich je nach Kanton unterschiedlich. Eine Bilanz ist aktuell noch nicht möglich. Für Dore Heim aber ist klar: „Wenn alle Personalverbände diesen Abbau zusammen entschlossen bekämpfen, dann werden sie ihn verhindern. Wir stellen hoffnungsvolle Zeichen der Abwehr fest.“

Autor: Ewald Ackermann / Quelle: www.sgb.ch

Behördliche Willkür

AusländerInnen, die wegen Krankheit oder einem Arbeitsunfall, Sozialhilfe beziehen müssen, werden von den Behörden zusätzlich bestraft, indem sie ihnen mit einem Bewilligungsentzug drohen. Dass die betroffenen Personen  unverschuldet in diese prekäre Situation geraten sind, wird von den Behörden oft nicht berücksichtigt. Die Verlängerung einer Bewilligung wird am Integrationsgrad, am Wohlverhalten und an der finanziellen Selbständigkeit der AntragsstellerInnen gemessen. Unfälle und Krankheiten sind nicht vorgesehen.  

In ihrem neuesten Fachbericht vom 10. Dezember 2012 beschäftigt sich die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht SBAA mit dem Thema Bewilligungsentzug bei Sozialhilfeabhängigkeit. Gestützt auf sieben dokumentierte Fälle wird deutlich, dass die Migrationsämter Bewilligungen aufgrund von unverschuldeten Notlagen und Arbeitslosigkeit entziehen. „Nach Lehre und Rechtsprechung darf das Gesetz jedoch nicht so ausgelegt werden. Die derzeitige Praxis des Bewilligungsentzugs aufgrund von Sozialhilfeabhängigkeit muss daher dringend revidiert werden“, fordert Stefanie Kurt, Geschäftsleiterin der SBAA.

Fakten und Beispiele

Die Unterhaltsregelung oder die Schwierigkeit eine Teilzeitstelle zu finden, ermöglicht es alleinerziehenden Müttern oft nicht einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diesem Umstand ist im Einzelfall besonders Rechnung zu tragen. Aber auch hier entscheiden die Behörden oft gegen die betroffene Person. Die Bemühungen von AusländerInnen, sich beruflich zu integrieren, werden von den Behörden nur ungenügend berücksichtigt.

Stossend ist auch, dass AusländerInnen, die bereits sehr lange in der Schweiz wohnen und arbeiten, die Bewilligung allein aufgrund von Sozialhilfebezug entzogen wird. Oft haben nämlich die betroffenen Personen keine Bindung mehr zum Herkunftsstaat, der Entzug der Bewilligung ist somit unverhältnismässig.

Stärkung des Kindeswohls

Die SBAA macht erneut darauf aufmerksam, dass das in der Kinderrechtskonvention garantierte Kindeswohl  von den Behörden zu wenig gewichtet wird. So umfasst die Rechtsprechung des Bundesgerichts zum „umgekehrten Familiennachzug“ derzeit nur Kinder mit Schweizer Staatsangehörigkeit. Der „umgekehrte Familiennachzug“ ermöglicht es dem sorgeberechtigten Elternteil aufgrund der Schweizer Staatsangehörigkeit des Kindes in der Schweiz zu verbleiben. Dennoch ist der SBAA ein Fall bekannt, wo der Mutter eines Schweizer Kindes der Entzug der Bewilligung angedroht wurde. Die Gewalttätigkeiten des Ehemannes führten dazu, dass die Vormundschaftsbehörde das Kind fremdplatzierte. Die entstandenen Kosten für die Fremdplatzierung des Kindes wurden ausschliesslich der Ehefrau angelastet, was zur Androhung des Bewilligungsentzugs der Frau führte.

Diese Rechtssprechung gilt übrigens nicht für Kinder mit einer Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung. Das ist störend, die Situation dieser Kinder muss mit Blick auf das Kindeswohl dringend verbessert werden.

Störend ist aber auch, dass die Behörden ihren Ermessensspielraum zum Teil sehr eng definieren und die Interessen der Schweizer Wirtschaft dabei sichtlich im Vordergrund stehen. Die prekäre Situation der betroffenen AusländerInnen bei plötzlicher Krankheit, bei Unfällen während der Berufsausübung, von Opfern von häuslicher Gewalt, und die dadurch bedingte Abhängigkeit von der Sozialhilfe, wird bei der Verlängerung von Bewilligungen oft negativ bewertet. Neben einschneidenden Ereignissen müssen die Betroffenen dann auch noch die behördliche Ablehnung verkraften. Die verlangten  Integrationsbemühungen werden dadurch dann oft zunichte gemacht. „Es ist behördliche Willkür, wenn bei der Verlängerung der Bewilligung allein das Kriterium der finanziellen Selbstständigkeit gilt“, sagt Ruth-Gaby Vermot, Präsidentin der SBAA. Erika Schilling von der Fachstelle für Migration- und Integrationsrecht fragt den auch im Vorwort des Fachberichts: „Wie ist das gemeint mit der Verfassungspräambel, dass die Stärke des Volkes sich misst am Wohl der Schwachen?“

Der Fachbericht ist auf der Website www.beobachtungsstelle.ch abrufbar.

Protestaktion gegen Blick am Abend

Rund 60 Personen, haben heute Nachmittag vor der Blick am Abend-Redaktion demonstriert, um gegen den falschen und rassistischen Blick-Titel «60 Prozent der Asylbewerber sind HIV-positiv» zu protestieren. Wir haben als MigrantInnen unsere  Würde verteidigt. Es ging dabei auch um einen Protest gegen die rassistische Berichterstattung der Blick-Medien allgemein.
Wir haben am Bellevue Flugblätter verteilt und sind Parolen skandierend zur Blick am Abend-Redaktion gelaufen. Nach einer kurzen Besetzung der Ringier-Büros an der Dufourstrasse 49 haben wir vor der Redaktion mit dem Chefredaktor Peter Rothenbühler diskutiert. Wir haben ihm gesagt, dass die Zeitung nur schlechte Bilder von Asylsuchenden und MigrantInnen allgemein zeigt. Wir haben gefordert, dass sie eine Entschuldigung gleich gross wie der falsche Titel druckt und dass sie allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen zeichnet. Aber er hat unsere Forderungen nicht akzeptiert und leugnet, dass es eine rassistische Berichterstattung beim Blick am Abend gibt.
Wir sind zufrieden mit unserer Aktion, weil wir die Öffentlichkeit über Rassismus in den Zeitungen informieren konnten und weil die Blick am Abend-Redaktion uns zuhören musste. Eigentlich sind wir aber erst zufrieden, wenn allgemein ein besseres Bild von MigrantInnen in den Medien gezeichnet wird. Für die Zeitungen sind wir ein Thema, um Geld zu verdienen. Das ist eine Schande.

Weitere Infos und Kurzvideo auf  www.bildung-fuer-alle.ch.

Die Schweiz in den Top 10

Die Grösse der Schweizer Rüstungsgüter-Exporte trügt: In Tat und Wahrheit ist sie wesentlich höher, als dies die jährlichen Zahlen des Seco glauben machen wollen. Die Schweiz ist mittlerweile weltweit der zehntgrösste Exporteur von Kriegsgütern.

Aus dem vorwärts vom 7. Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Seit Jahren veröffentlicht die zuständige Behörde Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) die Zahlen des Exportes von Kriegsmaterial aus der Schweiz, welche letztes Jahr ein Allzeithoch von 872,7 Millionen Franken erreichten. Dabei redet das Seco vorhandene Schlupflöcher in den Exportgesetzgebungen der Schweiz schön, insbesondere was die geltenden Ausschlusskriterien für Kriegsmaterial-Lieferungen an Länder betrifft, welche schwere Menschenrechtsverletzungen begehen oder sich an internen oder internationalen bewaffneten Konflikten beteiligen (wie im Falle der am Krieg in Afghanistan beteiligten Staaten). Diese veröffentlichten Zahlen umfassen einzig die Exporte unter dem Kriegsmaterialgesetz (KMG), obwohl diese nicht alle exportierten Rüstungsgüter umfassen. Nicht aufgeführt wird die Kategorie der «besonderen militärischen Güter», welche einzig in der Schweiz existiert. Diese Güter gelten nach der Wassenaar-Vereinbarung und der darin enthaltenen Definition der «Munitions-List» als Rüstungsgüter. Die Schweiz unterstellt deren Kategorien 14, 15, 18 und 22, dem viel lockereren Güterkontroll-Gesetz (GKG). Diese Kategorien betreffen unter anderem Militäroptik, militärische Simulatoren sowie militärische Trainingsflugzeuge von Pilatus mit Aufhängepunkten. Dass die gesamten Exporte von Rüstungsgütern aus der Schweiz höher sind, als nur die reinen Kriegsmaterial-Lieferungen, war schon lange klar, verlässliche Zahlen wurden bisher jedoch nicht publiziert.

Exporte für beinahe zwei Milliarden Franken

Erstmals veröffentlichte nun das Seco am 21. November 2012 im Rahmen eines Berichtes zur Beantwortung des Postulates Frick die wahren Ausmasse der Schweizerischen Rüstungsgüter-Exporte. Die  lapidare Feststellung auf Seite 22 dieses Berichtes lautet: «Im Jahr 2011 hat die Schweiz Rüstungsgüter im Wert von CHF 1977,4 Millionen exportiert, wovon 872,7 Millionen (44 %) auf Kriegsmaterial und 1 104,7 (56 %) auf besondere militärische Güter entfielen.» Mit diesem Ausmass an exportierten Rüstungsgütern klettert die Schweiz gemäss der Liste des schwedischen Friedensforschungsinstitutes SIPRI bis auf Rang 10 der weltweit grössten Rüstungsexporteure. Es ist bezeichnend, dass das Seco solche Daten erst jetzt publiziert und diese nicht schon während des Abstimmungskampfes für die Initiative zum Verbot von Kriegsmaterialexporten im Jahre 2009 bekanntgab. Die erstmalige Publikation dieser Daten ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, doch ohne genügend politischen Druck werden diese Zahlen voraussichtlich weiterhin nicht regelmässig veröffentlicht werden. Die getätigte Unterteilung in Kriegsmaterial und «besondere militärische Güter» ist eine rein deklaratorische Massnahme, um den Anteil der Schweiz an den weltweit exportierten Rüstungsgütern zu verschleiern. Die GSoA wird sich dafür einsetzen, dass das Seco endlich die Zahlen über das wahre Ausmass der Rüstungsexporte aus der Schweiz regelmässig veröffentlichen muss.

Mythos entzaubert!

In der Schweiz ist der Arbeitnehmerschutz nur schwach ausgeprägt. Das sei gut, behaupten viele ArbeitgeberInnen, denn so begründe sich die tiefe Arbeitslosigkeit. Diese bei Patrons so beliebte These hat aber einen kleinen Haken: Sie ist falsch. Das belegt das soeben erschienene Dossier Nr. 92 des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds (SGB).

Aus dem vorwärts vom 7.Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Zwar ist es keine neue Erkenntnis, aber dennoch von höchster Aktualität: Der Arbeitnehmerschutz in der Schweiz ist mies! Im neuen SGB-Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» verweisen die Autoren Daniel Lampart und Daniel Kopp auf OECD-Studien, die belegen, dass die Schweiz hinsichtlich des Arbeitnehmerschutzes in vielen Bereichen auf den hinteren Rängen liegt. «Beim Kündigungsschutz etwa hat die Schweiz Rang 31 unter 34 erfassten Ländern inne. Nur unwesentlich besser schneidet die Schweiz bei Mindestlöhnen, befristeten Arbeitsverhältnissen und bei der Temporärarbeit ab», informieren die Autoren.

Schenkt man vielen ArbeitgeberInnen und WirtschaftsexpertInnen Glauben, dann ist der schwache Arbeitsschutz in der Schweiz ein Segen für alle in diesem Land. Sie verweisen dabei gerne aufs Ausland, wo Reformen im Arbeitnehmerschutz «à la Suisse» durchgeführt werden sollen, wie zum Beispiel in Italien. Die Schweizer Patrons geben offen zu, dass es hierzulande viel einfacher ist, den Beschäftigen zu kündigen. Dies sei aber ein wichtiger Grund dafür, dass mehr neue Betriebe in die Schweiz kämen und neue Stellen schaffen würden. Ihre Schlussfolgerung ist daher simpel: Schlechter Arbeitsschutz gleich tiefe Arbeitslosigkeit und daher soll am Arbeitsschutz nichts geändert werden. Doch so simpel diese Gleichung ist, so falsch ist sie. Sie vermittelt und propagiert schlichtweg pure neoliberale Ideologie.

Umdenken angesagt

«Wieso unterscheidet sich dann die Arbeitslosigkeit in Ländern wie Norwegen oder den Niederlanden kaum von derjenigen in der Schweiz?», fragen die Autoren des SGB-Dossiers. Diese beiden Staaten kennen nämlich einen ausgeprägten Arbeitnehmendenschutz. Die Studie von Lampart und Kopp verweist auf die richtige Kausalität zwischen Arbeitnehmendenschutz und Arbeitslosigkeit: «Der Zusammenhang dürfte gerade umgekehrt sein. Weil die Gefahr der Arbeitslosigkeit vor allem früher relativ gering war, haben die Schweizer Arbeitnehmenden einen schlechteren Schutz akzeptiert.»

Doch wirkt sich mittlerweile der schwache Arbeitnehmendenschutz markant negativ aus. Seit den 1990er Jahren ist die Arbeitslosigkeit in der Schweiz stark gestiegen. Atypische Arbeitsverhältnisse wie die Temporärarbeit nehmen zu. Temporärjobs bieten den Arbeitnehmenden im Vergleich zu Normalarbeitsverhältnissen ein geringeres Schutzniveau. Betroffen sind vor allem die ArbeiterInnen «in stark gewachsenen Dienstleistungsbranchen wie zum Beispiel Call Center, Kuriere, Kosmetikinstitute etc.», hält die Studie fest. Und die Autoren des SGB kommen zum Schluss: «Das Fazit ist klar: In der Schweizer Arbeitsmarktpolitik ist Umdenken angesagt.»

Dossier  «Der ‹liberale› Arbeitsmarkt der Schweiz – Entzauberung eines Mythos» zu finden unter www.sgb.ch

 

Neuer Angriff auf die Renten

Am 20. November kündete SP-Bundesrat Alain Berset an, mit einem «grossen Wurf» die Sozialwerke «sanieren» zu wollen. Konkret geht es ihm darum, das Rentenalter zu vereinheitlichen, den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen zu senken und Zusatzeinnahmen über die Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren – oder anders formuliert: Das Kapital zu stärken und die Arbeiter-Innen zu schwächen.

Aus dem vorwärts vom 7.Dezember 2012. Unterstütze uns mit einem Abo!

Dass mit der Wahl eines sozialdemokratischen Bundesrates und seiner Übernahme des Eidgenössischen Departements des Innern (EDI) kein krasser Kurswechsel in Sachen Sozialpolitik zu erwarten war, konnte schon früh geahnt werden (vgl. vorwärts Nr. 27/28). Doch die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset, AHV und Pensionskassen zu «sanieren», kommen einem massiven Angriff auf die Lohnabhängigen gleich. In seinem 25-seitigen Papier schlägt der SP-Bundesrat vor, das Rentenalter für Frauen von 64 auf 65 Jahren zu erhöhen und somit demjenigen der Männer anzugleichen; Mehreinnahmen für die AHV über eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu generieren; den Umwandlungssatz der zweiten Säule – also den Prozentsatz des angesparten Kapitals, der den Pensionierten als Rente jährlich ausbezahlt wird – von aktuell 6,9 beziehungsweise 6,8 auf zwischen 6,4 und 5,8 Prozent zu senken. Dabei wird erneut klar, dass sich PolitikerInnen um «demokratische» Regeln foutieren, wenn es darum geht, die Kapitalbedürfnisse zu stillen. Denn die stimmberechtigte Bevölkerung hatte 2010 mit über 70 Prozent Nein zur Senkung des Umwandlungssatzes gestimmt.

Das Kapital stärken

Die Argumentation von Bundesrat Berset gleicht derjenigen von klassischen ÖkonomInnen. Die Reformschritte seien notwendig, um das Rentensystem finanziell zu stabilisieren und in Zukunft die Rentenauszahlung zu garantieren. Eine regelrechte «Win-Win-Situation» also. Doch Reformen sind nie «neutral», das wissen die RentnerInnen sehr gut, die täglich am Existenzminimum zu überleben haben. Bersets Pläne haben zum Ziel, den von den ArbeiterInnen produzierten Mehrwert den arbeitenden Klassen im Alter zu entziehen und ihn in Form von Profit den KapitalbesitzerInnen zu übertragen. Denn die Erhöhung des Rentenalters bedeutet zugleich die Erhöhung der Lebensarbeitszeit, während der Frauen weiter ausgebeutet werden; die Senkung des Umwandlungssatzes zielt ausschliesslich darauf, RentnerInnen tiefere Renten und somit den AktionärInnen der Pensionskassen die versprochenen Dividenden auszuzahlen; und die Erhöhung der Mehrwertsteuer wälzt die Last der Kosten vermehrt auf die arbeitenden und armen Klassen ab. Gerade dieser letzte Punkt muss im Kontext der Einführung von sogenannten «Schuldenbremsen» für Sozialversicherungen (vgl. vorwärts Nr. 43/44) verstanden werden.

Weitere Prekarisierung der Frauen

Besondere Auswirkungen werden diese Reformen auf Frauen haben. Aufgrund ihrer zementierten prekären Lage (vgl. vorwärts Nr. 35/36) sind Frauen oft aus der zweiten Säule ausgeschlossen und müssen im Alter mit einer äusserst bescheidenen AHV leben. Zudem bedeutet die Erhöhung ihres Rentenalters, dass sie einerseits die Doppelbelastung Arbeit-Familie länger ertragen müssen, andererseits länger in prekären Arbeitsverhältnissen verharren müssen. Auch aus geschlechtsspezifischer Perspektive haben die Reformbestrebungen von Bundesrat Berset also zur Folge, dass die weibliche Arbeitskraft länger ausgebeutet wird und somit dem Kapital dienen. Bundesrat Berset will auch den durchschnittlichen effektiven Altersrücktritt so nah wie möglich an 65 Jahren heranführen (heute bei Männern bei 64,1, bei Frauen bei 62,6 Jahren). Dieses Ziel blendet das Problem der Erwerbslosigkeit im Alter vollständig aus. Denn für Frauen – aber auch für Männer – ist es ab 55 Jahren kaum noch möglich, eine Stelle zu finden. Besonders betroffen von der Erwerbslosigkeit im Alter sind geringqualifizierte und im Niedriglohnsektor arbeitende Personen. Mit der Reduzierung der Möglichkeit der Frühpensionierung wird sich die Prekarisierung und die Armut im Alter somit noch einmal akzentuieren.

Gegenvorschläge?

Am 16. November 2012 hat die Delegiertenversammlung des schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) entschieden, im Frühjahr 2013 die Initiative «AHVplus» zu lancieren. Dadurch sollten RentnerInnen in Zukunft monatlich 10 Prozent höhere Renten bekommen. Der Vorschlag der Delegierten des VPOD (Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes), die Renten monatlich um 20 Prozent zu erhöhen, wurde mit dem Argument verworfen, die Initiative dürfe nicht «überladen» werden, wolle sie mehrheitsfähig bleiben.

Das Problem beim SGB liegt nicht nur bei seinem Bestreben, mehrheitsfähige Initiativen auszuformulieren, sondern vor allem bei seiner Argumentation. Erstens passt sich der SGB mit den Minimalforderungen an die «parlamentarische Logik» sozialpolitischer Debatten an. Schon heute ist klar, dass Bundesrat Berset seine Vorschläge nicht tel quel, sondern erst in einem längeren Prozess des «schweizerischen Konsens» umsetzen wird. Zweitens lautet die Losung des SGB «Rentenklau verhindern». Diese verweist auf «amoralisch» handelnde FinanzspekulantInnen und PolitikerInnen, die den ArbeiterInnen und RentnerInnen ein Stück des Kuchens rauben. Innerhalb der gegebenen «Sozialpartnerschaft» soll laut SGB darüber «abgestimmt» werden, wer wie viel des Kuchens erhalten soll. Damit bleibt unberücksichtigt, dass der Verwertungsprozess des Kapitals gerade im «Krisen-Kapitalismus» kaum mehr Spielraum hat, auch nicht für minimale Verbesserungen der Lage der arbeitenden Klassen. Somit beweist die sozialpolitische Debatte um das Renten- und Altersproblem einmal mehr, dass wir «aufs Ganze» gehen müssen, um überhaupt etwas erreichen zu können.

Die SP und ihre Taktik zum Erfolg

Die SP-Führung will das laufende Referendum gegen die Verschärfung im Asylwesen nicht unterstützen. Es geht ihr um den Erfolg und nicht um die Moral. Sie argumentiert mit taktischen Überlegungen und scheint dabei aus der Geschichte nichts gelernt zu haben.

Geht es nach dem Willen der SP-Spitze, wird die Sozialdemokratische Partei das Referendum gegen die Verschärfungen im Asylwesen nicht unterstützen. In verschiedenen Zeitungsinterviews betont SP-Parteipräsident Christan Levrat, dass man «der SVP in einem allfälligen Abstimmungskampf keine Plattform für ausländerfeindliche Parolen» bieten wolle. Beim Referendum gehe es nicht um «moralische Überlegungen», sondern einzig um die Frage, ob eine Perspektive «auf Erfolg» bestehe. Levrat verweist gerne auf die Tatsache, dass in den letzten Jahren die Stimmberechtigten «jede Verschärfung des Asylgesetzes angenommen haben.» So geht die SP-Spitze davon aus, dass das Nein-Lager bei einer allfälligen Volksabstimmung kaum über 30 Prozent der Stimmen erreichen kann und schliesst daraus: «Ein schlechtes Abschneiden bei einem Referendum würde die Position der Asylsuchenden massiv schwächen».

Man könnte jetzt lange über die Moral streiten. Man könnte der SP in Erinnerung rufen, dass der wahre Zivilisationsgrad einer Gesellschaft sich am Umgang mit den Schwächsten misst. Oder ganz einfach: Wo Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht.

Am Anfang standen die Zwangsmassnahmen

Aber lassen wir die Moral sein, fragen wir nach der Taktik, mit der sich die SP den Erfolg verspricht. Ein Blick in die Geschichte ist hier aufschlussreich. Wir schreiben das Jahr 1993. Im November wird ein Gesetzesentwurf für «Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» vorgelegt. Angeblicher Grund: Bei den wenigen tatsächlich kriminellen AsylbewerberInnen gebe es «einen Vollzugsnotstand», der nur mittels einer Gesetzesänderung behoben werden könne. Das neue Gesetz sieht vor, Asylsuchende «ohne geregelten Aufenthalt» zunächst für drei Monate in Vorbereitungshaft und anschliessend für sechs Monate (mit einer Verlängerungsoption um weitere drei Monate) in Ausschaffungshaft setzen zu können. Eingeführt wird auch das «Rayonverbot», das zeitlich unbefristete Verbot für Asylsuchende, einen bestimmten Ort (Kanton, Region, Ortschaft) zu betreten. Als Haftgrund genügte neu der blosse Verdacht(!), dass eine Person ohne geregelten Aufenthalt sich der Ausschaffung entziehen wolle. Die Unschuldsvermutung, ein fundamentales Recht, wird so für diese illegalisierten Menschen aufgehoben. Damit werden Tür und Tor für künftige Verschärfungen aufgerissen.

Heute so wie damals

Das «Referendum gegen die Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht» wurde von einer Vielzahl Organisationen ergriffen, unter denen «lokale asylpolitische Bewegungen dominieren und von den Parteien nur die PdA vertreten ist», wie unter www.anneepolitique.ch nachzulesen ist. Vertreter der SP, der Grünen und des Gewerkschaftsbundes wollen auf das Referendum verzichten. Sie befürchten, dass in einer Abstimmungskampagne das Thema «kriminelle Ausländer» dominieren würde, und sich diese Diskussion «für die Anliegen der Ausländer in der Schweiz negativ auswirken» könnte. Erst auf Druck der Basis änderte die SP-Führung spät ihre Haltung.

Wir sehen: Die SP verspricht sich heute den Erfolg mit denselben Argumenten und der gleichen Taktik wie vor 20 Jahren. Die Moral der Geschichte ist aber leider, dass in den letzten zwei Jahrzehnten der Erfolg im Asylwesen Mangelware war. Wäre es nicht an der Zeit, liebe SP, die Taktik zu ändern?

Armee rüstet gegen den inneren Feind

Die Ausgaben für die Schweizer Armee sollen zum ersten Mal seit dem Ende des Kalten Krieges erhöht werden. Dies fordern Armeechef André Blattmann und Verteidigungsminister Ueli Maurer. Die im September durchgeführte Übung «Stabilo Due» hat gezeigt, womit die Armee rechnet: politische Unruhen aufgrund der Wirtschaftskrise.

Aus dem vorwärts vom 23. November. Unterstütze uns mit einem Abo.

Die Vertreter der Armee rücken vor: Verteidigungsminister Ueli Maurer wirbt schon länger um Gunst und Geld für eine Garnitur neuer Kampfjets aus Schweden. Armeechef André Blattmann sowie die Schweizerische Offiziersgesellschaft (SOG) fordern mehr Geld für die Armee. Die Politik ist mit diesen Plänen bisher weitgehend zufrieden. Bereits im Herbst 2011 hat das Parlament den Ausgabenplafond für die Armee auf 5 Milliarden Franken angehoben. Anfangs November hat die Sicherheitspolitische Kommission des Nationalrats unter Leitung von Chantal Galladé (SP) den Bundesrat ausserdem gemahnt, er verstosse gegen die Verfassung, wenn er den Beschluss nicht  umsetze. Immerhin haben SP, Grüne und die «Gruppe Schweiz ohne Armeee» (GSoA) angekündigt, den Kauf neuer Kampfflugzeuge mit einem Referendum zu bekämpfen. Ueli Mauerer sieht im Volk auch die letzte und höchste Hürde auf dem Weg zum 3,126 Milliarden-Deal. Wird dieser dennoch genehmigt, fliessen vom derzeitigen Armeebudget von 4,4 Mil-liar-den jährlich 300 Millionen in einen Fonds, aus dem die Kampfjets bezahlt werden sollen. Die GSoA rechnet jedoch vor, dass zu dem genannten Betrag von gut drei Milliarden Franken weitere 300 Millionen  Franken Unterhalt pro Jahr und zusätzliche Fixkosten von einer halben Milliarde Franken hinzukommen würden. Schweden verabschiedet sich von der Neutralität Von den finanziellen Gründen einmal abgesehen, ist der Kauf auch politisch problematisch: Der Deal würde zu einer verstärkten militärischen Zusammenarbeit mit Schweden führen. Die einst als neutral deklarierte Politik des Landes hat sich in der jüngsten Vergangenheit gewandelt: Das Land nähert sich der NATO an, hat Truppen in Afghanistan eingesetzt und Einsätze über Libyen geflogen. Der «GSoA» zufolge spricht der schwedische Armeechef, General Sverker Göranson, statt von Neutralität jetzt von der «Wahrung schwedischer Interessen im In- und Ausland». Und die Rüstungsexporte aus dem Land haben in den letzten Jahren drastisch zugenommen, Schweden ist der neuntgrösste Waffenexporteur der Welt. Pro Einwohner gerechnet lag es 2011 gar auf Platz eins. Doch neue Kampfjets allein sind der Armee nicht mehr genug. Bereits Anfang dieses Jahres kündigte die SOG an, eine Volksinitiative mit dem Titel «Für eine glaubwürdige Armee» auszuarbeiten. Auch wenn der genaue Inhalt damals noch nicht kommuniziert wurde, kann man sich die Stossrichtung in etwa vorstellen. Gedroht wurde von der SOG damit, die Armee werde nach weiteren Einsparungen Standorte schliessen und die Truppenzahl reduzieren müssen. Damit könne sie ihren Verfassungsauftrag nicht mehr wahrnehmen. Gegen Terroristen und politische Unruhen  Um welchen Auftrag es aus Sicht der Armee geht, machte die jüngste Medienoffensive von Armeechef Blattmann deutlich: er sorge sich um «die Zukunft der Sicherheit innerhalb der Schweiz», wie er der Zeitung «Sonntag» sagt. Es geht ihm aber nicht etwa darum, dass bei Überschwemmungen zu wenige Hilfskräfte zur Verfügung stehen. In diesem Bereich nützt die Armee ja sogar etwas. Blattmann verweist auf zwei andere Gefahren: Terroristen und politische Unruhen aufgrund der Wirtschaftskrise in Europa. Zur terroristischen Gefahr hat der Armeechef folgende bedrohliche Theorie: «Es gibt beängstigende Signale, was die Sahel-Zone betrifft. Offenbar ziehen Terrororganisationen aus Pakistan und Afghanistan Richtung Nordafrika. Damit sind sie plötzlich deutlich näher bei uns.» Man müsse befürchten, dass sich in den Migrationsströmen nach Europa auch «Personen aus dem Terrorbereich» befänden. Wie er bereits in einem Vortrag vor der Handelskammer Belgien-Schweiz in Brüssel verkündete, sieht er die Schweiz durch die Schuldenkrise gefährdet. Die Schweizer Armee sei notfalls bereit, die Grenzen zu schliessen und kritische Infrastrukturen zu schützen. Europa destabilisiert – Armee probt den Ernstfall Diese Aussagen, die in Brüssel bis zu Kommissionspräsident Barroso hinauf für Empörung gesorgt haben sollen, unterlegt Blattmann im besagten Interview mit deutlichen Forderungen: Die Militärpolizei soll zum Schutz der kritischen Infrastrukturen deutlich aufgestockt und verstärkt werden. Dazu bräuchte es unter anderem die geforderten 5 Milliarden Budget. Was der Armeechef nun wieder anspricht, war bereits Inhalt der Armee-Übung «Stabilo Due», die im September durchgeführt wurde und in ausländischen Medien von den USA über Spanien bis nach Vietnam für Aufregung gesorgt hat. Das Szenario der Übung sah eine Krise in Europa und grosse Flüchtlingsströme in die Schweiz vor. Die Armee hatte die Aufgabe, die Ordnung im Land zu verteidigen. Die Anleitung zur Übung soll mit einem Bild von jugendlichen DemonstrantInnen mit roten Fahnen garniert gewesen sein. Ueli Maurer verkündete damals, dass er nicht ausschliessen wolle, dass die Schweizer Armee in den nächsten zwei Jahren zum Einsatz komme. Blutige Vergangenheit Das Datum der Übung ist pikant gewählt: Sie findet exakt zum achtzigsten Gedenktag der Blutnacht von Genf statt. Damals schossen Rekruten in eine Demonstration gegen die faschistische «Union nationale». 13 Menschen wurden getötet, 65 verletzt. Ähnliche Vorfälle traten in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vermehrt ein: 1875 wurden bei einem Mineurstreik vier Arbeiter erschossen. Bei einem Streik von Tunnelarbeitern im Jahr 1901 werden vier Arbeiter verletzt. Beim Landesstreik von 1918, bei dem insgesamt 95000 Mann der Armee zum Einsatz kamen, wurden drei Menschen erschossen und weitere verletzt und die Streiks der Basler Färberarbeiter 1919 wurden gewaltsam unterdrückt, wobei vier Menschen starben und viele verletzt wurden. Heute wird die Armee vor allem noch zum Schutz des WEFs in Davos eingesetzt. Um bei all diesen Plänen auch das Volk bei Laune zu halten, plant die Armee eine breit angelegte Imagekampagne. Sie will die Präsenz in der Bevölkerung trotz reduziertem Truppenbestand nicht aufgeben. Jede Woche findet in einem anderen Kanton eine Aktion statt. Für Bern hat Blattmann schon einmal gute Ideen gesammelt: «Wir bauen eine Brücke über die Aare, lassen Panzer über sie fahren, ziehen ein Infanterie-Sicherungsdispositiv auf und die Bevölkerung kann zuschauen.» Was heute spektakulär erscheine, sei vor zwanzig Jahren üblich gewesen, betont Blattmann. Tatsächlich lag der Anteil der Ausgaben für die Armee Anfang der Neunzigerjahre noch bei über 20 Prozent der Gesamtausgaben. Anfang der Sechzigerjahre lag der Anteil gar bei über 40 Prozent. Doch konnte man damals wenigstens noch auf einen möglichen äusseren Feind verweisen.

Klassenkampf von oben

Im internationalen Vergleich besitzt die Schweiz eine der tiefsten Schuldenquote. Im Jahr 2003 wurde der Mechanismus der «Schuldenbremse» eingeführt. Nun soll dieser Mechanismus auf alle staatlichen Sozialversicherungen ausgedehnt werden. Was schlicht wie ein Instrument zu einem «gesunden Staatshaushalt» erscheint, ist vor allem ein Hebel zum Sozialabbau und -umbau und somit ein Angriff auf alle Lohnabhängigen.

Aus dem vorwärts vom 23. November. Unterstütze uns mit einem Abo

Der grösste Dachverband der schweizerischen Wirtschaft «Economiesuisse» widmete seine letzten zwei Dossiers einem breit diskutierten Thema, nämlich der Staatsverschuldung und der Einführung von Schuldenbremsen. In Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal oder Italien hat die übermässige Staatsverschuldung zu radikalen Sparprogrammen geführt. Unter dem Druck internationaler Organisationen wie der Europäischen Kommission, dem Internationalen Währungsfond (IWF) und der Europäischen Zentralbank (EZB) haben die verschiedenen Regierungen Renten gekürzt, Gelder für Gesundheit und Forschung gestrichen und damit einen Verarmungsprozess akzentuiert, der auch die so oft gepriesene, aber in der Realität kaum beobachtbare «Mittelschicht» getroffen hat. Diese Austeritätsprogramme wurden von den antagonistischen sozialen Bewegungen oft als Waffe des «Klassenkampfs von oben» bezeichnet.

Schulden und Steuerpolitik

Nachdem nun vor zehn Jahren die allgemeine «Schuldenbremse» eingeführt wurde, wird die Diskussion von «Economiesuisse» neu aufgerollt: Die Erfahrungen sollten evaluiert und auf weitere Bereiche ausgeweitet werden. Dabei werden jedoch von «Economiesuisse» zwei wesentliche Punkte verschwiegen. Erstens die Frage nach der Natur von Schulden: Schulden entstehen dann, wenn die Ausgaben und Einnahmen von Gemeinde, Kantone und Staat in ein Ungleichgewicht geraten. In diesem Sinne spielt die Steuerpolitik für direkte und indirekte Abgaben eine wesentliche Rolle. Und gerade hierin zeigen sich die Schweizer Kantone in einer unvorstellbaren Weise unternehmensfreundlich, denn sie offerieren den Firmen wichtige Steuerbefreiungen für Kapital und Gewinne. Weltweit finden wir laut NZZ innerhalb der zehn steuertechnisch attraktivsten Orte der Welt hinter Hongkong neun Schweizer Kantone. Hier liegt auch ein grundsätzlicher staatlicher Widerspruch zwischen «gesunden Staatsfinanzen» und der Garantierung von Profiten der national angesiedelten Unternehmen. Das führt uns zur zweiten Frage: Wer zahlt überhaupt die Schulden?

«Economiesuisse» stellt öffentliche Investitionen und Ausgaben für Sozialversicherungen in ein Verhältnis: Nur Restriktionen in den Ausgaben für Soziales würden neue Investitionen erlauben. Und tatsächlich ist der Anteil öffentlicher Investitionen am BIP seit 1995 rückläufig. Die Sozialversicherungsausgaben wurden hingegen durch eine Überwälzung der Kosten auf die Lohnabhängigen gedeckt. Darunter fallen die Erhöhung der Mehrwertsteuer, der Krankenkassenprämien und der Lohnprozente.

«Schuldenbremse» der Sozialausgaben

Hier knüpft die Forderung nach der Ausweitung des Anwendungsbereiches der «Schuldenbremse» auf alle Sozialversicherungen an. «Umfassend und verbindlich, wie die Schuldenbremse heute ist, bleibt doch eine «offene Flanke»: die staatlichen Sozialversicherungen IV und AHV», lautet die Feststellung von «Economiesuisse». Und der Bundesrat hat keinen Moment gezögert, um diesen Anweisungen zu folgen. Im zweiten Teil der 6. Revision der Invalidenversicherung (siehe hierzu vorwärts Nr. 39/40) ist ein Mechanismus zur «Schuldenbremse» gleich vorgesehen. Dieser beinhaltet zwei Elemente: Erstens sollen die Renten in Zukunft weder der durchschnittlichen Konsumentenpreiserhöhung noch den durchschnittlichen Lohn-erhöhungen angepasst werden. Allerdings dürfen die maximalen und minimalen IV-Renten 95 Prozent der AHV-Renten nicht unterschreiten – eine zynisch anmutende Regelung bei einem AHV-Minimum von 1160 Franken.

Zweitens werden die Lohnbeiträge um 0,1 Prozent erhöht (jeweils 0,5 Promille für ArbeiterInnen und Unternehmen), falls der Kompensationsfonds der IV 40 Prozent der jährlichen IV Ausgaben unterschreitet. Die Umsetzung dieser «Schuldenbremse» für die IV weist uns einmal mehr darauf hin, dass der Staat in «Zeiten der Krise» keine Hemmungen hat, seine eigenen «demokratischen» Regeln zu brechen, denn einerseits sollen Rentenkürzungen und Beitragserhöhungen automatisch erfolgen, falls das Parlament diese nicht in einer gegebenen Frist umsetzt; andererseits wird die Bundesverfassung (Art. 112, Abs. 2d) umgangen, die vorsieht, dass IV-Renten mindestens der jährlichen Preisentwicklung angepasst werden sollen.

«Schuldenbremse» als Austeritäts-politik

In den medialen Schlagzeilen ist stets zu lesen, die Schweiz bleibe aufgrund der «regelgebundenen Finanzpolitik» von der Krise der Staatsverschuldung verschont. Diese Sicht verschleiert einmal mehr, dass der Prozess des Sozialabbaus «schweizerischer Art» in kleinen Schritten und in einem breiten politischen Konsens abgewickelt wird. Die Einführung von «Schuldenbremsen» für Sozialversicherungen muss als Pendant zu den europaweiten Austeritätsprogrammen betrachtet werden. Denn auch hierzulande geht es darum, die Normen der allgemeinen Reproduktion der Arbeitskraft herabzusetzen und somit das Verhältnis zwischen ArbeiterInnen und Kapital neu festzulegen. Die allgemeine politische Akzeptanz der Einführung einer «Schuldenbremse» für Sozialversicherungen beweist uns einmal mehr, dass eine institutionelle Antwort auf diesen «Klassenkampf von oben» nicht ausreicht. Oder wie am 14. November einhellig auf den Strassen Europas skandiert wurde: «Der soziale Frieden ist vorbei, die Austerität hat versagt!»

Referendum unterschreiben!

Der Bericht in der Sonntagszeitung vom 18. November zur «Arbeitsgruppe Beschleunigungsmassnahmen» bestätigt die Prognosen des Referendumskomitees gegen die dringlichen Verschärfungen des Asylgesetzes. Die Grundlage für die geplante Entmachtung der Kantone und Gemeinden wird in eben dieser dringlichen Vorlage gelegt. Ein Grund mehr um das laufende Referendum zu unterstützen.

Kantone und Gemeinden sollen bei der Realisierung von Asylzentren künftig entmachtet werden, wie die «Sonntagszeitung» gestern berichtete. Tatsächlich ist diese Absicht keine Neue. Das erklärte Herzstück des Projektes 2 der laufenden Asylgesetzrevisionen (Beschleunigungsmassnahmen) ist die zentralisierte Abwicklung möglichst aller Asylverfahren in grossen Bundeszentren. Um mögliche Szenarien wie «Bettwil» in Zukunft zu verhindern, wird im Rahmen der verabschiedeten dringlichen Massnahmen über Art. 26a genau dafür der Grundstein gelegt. Der Zuspruch für die Errichtung besonderer Zentren für «Renitente» füttert diese Stossrichtung. Und die eingeführte Bestimmung zu den Testphasen gibt dem Bundesrat schliesslich den Spielraum, die wesentlichen Merkmale des Projektes 2 in Pilotprojekten bereits heute auszutesten.

Dieses Vorgehen ist nun angekommen und dabei mehr als problematisch. Es ist rechtsstaatlich bedenklich – und wie sogar die VertreterInnen rechtskonservativer Parteien richtig bemerkten, werden dabei demokratische Grundsätze ausgehebelt. Die VertreterInnen des linken politischen Lagers sollten indes feststellen, dass der Weg zur zentralisierten Unterbringung der Asylsuchenden durch die dringlichen Massnahmen zunächst geebnet und nun konkret beschritten wurde. Angesichts der angedrohten Volksinitiative zu «Internierungslagern» durch die SVP stehen wir nun vor der absehbaren, explosiven Situation, die das Referendumskomitee prognostiziert hat: unterstützt man die dringlichen Massnahmen, so ebnet man längerfristig den Weg für «Internierungslager». Genau solche möchten die Rechtskonservativen aber nicht vor ihrer Haustür. Weshalb sich zunächst einmal die Inbetriebnahme abgelegener Anlagen des VBS wiederholen wird, wie dies Regierungsrat Käser im Artikel bereits antönt.

Das Referendumskomitee stellt stellt sich gegen eine solche zentralisierte Unterbringung von Aslysuchenden und insbesondere gegen jegliche Art von Lagerpolitik. Dieselbe Art von Unterbringungspolitik scheiterte bereits Ende der 80er Jahre grandios. Insbesondere für die Asylsuchenden selbst ist die absehbare Unterbringung in Zentren, die in Gemeinden gegen deren Willen installiert wurden, unzumutbar. Es birgt ein enormes Eskalationspotential und kann deshalb nicht im Interesse aller Beteiligter sein – ausser vielleicht der SVP.

Das Komitee wendet sich deshalb an die progressiven Kräfte im Land, das laufende Referendum zu unterstützen um dem langfristigen Szenario zentralisierter Lagerpolitik heute schon eine Abfuhr zu erteilen.

Sämtliche Infos und Unterschriftenbogen unter www.asyl.ch

vorwärts an die Uni!

Die «Linken Hochschultage» wollen mehr sein als einfach nur «kritisch», denn kritisch nennt sich heute vieles. Genau genommen wird kritisches Denken zu den Grundtugenden gezählt, die jeder Bürgerin und jedem Bürger zugemutet werden. Wer will denn schon unkritisch sein: etwa gegenüber der Wahl der fairsten Kaffeebohnen im Supermarkt oder der Energiebilanz der neuen Waschmaschine? Auch an der Uni nennt sich vieles kritisch, manchmal steht sogar «Marx» drauf – was auch immer drinsteckt. So wie man aus Nietzsche einen Advokaten des Nationalsozialismus gemacht hat, lässt sich auch mit Marx manches anstellen. Es bleibt von ihm dann nicht mehr als ein harmloser Moralist oder ein zahnloses Schmusekätzchen zurück. Auf die kritischen Schriften und die aktuelle Wissenschaft allein können wir uns also nicht verlassen, wenn es darum geht, dem Begriff der Kritik wieder Substanz zu verleihen. Deshalb ist dieser ganze kritiklose Zustand zu kritisieren und mit ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn ermöglichen. Die Kritik muss über das hinausgehen, was sie innerhalb der Unimauern bedeuten kann. Mit der Übernahme eines frei stehenden Gebäudes durch das «Komitee für Linke Hochschultage» wird diese Grenze überschritten. Dieser Grenzüberschreitung und der Plattform für soziale Kämpfe und die Arbeit an der Kritik, die sich dahinter eröffnet, sind die folgenden vorwärts-Seiten gewidmet.

Aus der Printausgabe vom 9. November. Unterstütze uns mit einem Abo!


An Frau Ständerätin Pascale Bruderer

Sehr geehrte Frau Bruderer,

als FachspezialistInnen für Asylfragen erlauben wir uns, auf Ihr Interview in der Sonntagszeitung mittel eines offenen Briefes zu reagieren. Dies machen wir deshalb, weil wir der Ansicht sind, dass Äusserungen wie die Ihrige der Sache schaden und diejenigen, welche tagtäglich mit den Asylsuchenden direkt zusammen arbeiten und nun das Referendum unterstützen, in einem schlechten, radikalen oder naiven Licht erscheinen lassen.

Sie sagen also, dass Ihnen die inhaltlichen Argumente gegen das Referendum fehlen. Dies liegt mitunter daran, dass diese nicht wirklich existieren. Wir selbst unterstützen alle persönlich oder im Namen unserer jeweiligen Organisationen das Referendum. Aus rein inhaltlichen und keinerlei taktischen Gründen. Wie auch sie selber richtig sagen, muss dies von Zeit zu Zeit einfach gemacht werden, selbst im Angesicht einer absehbaren Abstimmungsniederlage. Sie selber unterstützen das Referendum aber trotzdem nicht – und zwar aus inhaltlichen Gründen. Wir begrüssen diese inhaltliche Diskussion, denn sie kommt aktuell zu kurz. Sie führen dabei fünf Punkte auf, welche als positiv zu bewerten seien und somit gegenüber den negativen Aspekten überwiegen würden. Wir möchten gerne auf diese fünf Punkte eingehen.

1) Die rascheren Verfahren für befristete Asylunterkünfte, die verhindern sollen, dass die Asylsuchende in die Kantone und Dörfer verteilt werden müssen.

Vermutlich spielen Sie hierbei auf Art. 26a der Revision an, der besagt, dass der Bund Anlagen und Bauten des Bundes ohne kantonale oder kommunale Bewilligungen zur Unterbringung von Asylsuchenden für maximal drei Jahre nutzen kann. Notabene in den Gemeinden. Die Bestimmung verhindert also nicht, dass Asylsuchende in die Dörfer oder Kantone verteilt würden. Dies wäre aber auch nicht zielführend. Wir sind im Gegenteil der Ansicht, dass eben gerade diese Begegnung der Anfang jeglicher Form von Toleranz ist – eine gerade für den Asylbereich (inkl. dessen Glaubwürdigkeit) wichtige Bedingung. Auch nach mehrmaligem Durchlesen können wir also diesen positiven Aspekt inhaltlich im Gesetzestext nicht finden. Falls wir ihn finden könnten, so wäre er indes eher negativ. Darüber hinaus möchten wir Folgendes betonen:

Mit der Einführung von Art. 26 findet eine Kompetenzverschiebung (von den Kantonen und Gemeinden hin zum Bund) statt, die auf der negativen Erfahrungen bei der Suche nach neuen Standorten für ordentliche Zentren beruht. Angesichts der offensichtlichen Schwierigkeiten bei der Suche nach solchen Anlagen ist diese Massnahme nachvollziehbar, birgt aber das Risiko der Unzugänglichkeit solcher Zentren für Menschenrechtsorganisationen. Die Standorte solcher Zentren werden dem bekannten Muster folgen, welches die Kriterien «möglichst abgeschieden und möglichst unter Ausschluss der Öffentlichkeit» beinhaltet. Dies ist für ein glaubwürdiges Asylwesen, welches seine Akzeptanz im Zentrum der Gesellschaft suchen muss, äusserst hinderlich. Mittels dieses Artikels soll auch das von Frau Bundesrätin Sommaruga angestrebte Konzept der Bundeszentren analog dem Vorbild Holland (Entwurf 2 Asylgesetzrevision) gestärkt werden. Dieses Vorhaben steht jetzt aber nicht zur Debatte. Es muss diesbezüglich zudem deutlich gemacht werden, dass solche Bundeszentren bereits 1988 eine Abfuhr erhielten und einen schlechten Weg für die Herausforderungen in Bezug auf die Unterbringungsfrage im Asylwesen darstellen.

2) Die finanzielle Unterstützung von Beschäftigungsprogrammen durch den Bund. Das ist die beste Prävention gegen Kleinkriminalität und verhilft den Asylsuchenden zu einem würdigen Alltag.

In Verbindung mit:

3) den Sicherheitspauschalen für die Empfangs- und Verfahrenszentren, die Kantone und Gemeinden darin unterstützt, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu gewährleisten.

Die Beteiligung des Bundes an den Sicherheitspauschalen von EVZ’s oder besonderen Zentren entlastet die Kantone finanziell und ist auf dieser Ebene begrüssenswert. Allerdings wird es dazu führen, dass genau dieser Absatz (Sicherheit) eine Priorität in der Gelderverwendung gegenüber Abs 4bis (Beschäftigungsprogramme) erfahren wird. Dass die Sicherheitsmassnahmen im Asylbereich schon seit längerem auf eidgenössischer, kantonaler wie kommunaler Ebene Vorrang gegenüber Sozialmassnahmen wie Beschäftigungsprogrammen geniessen, ist nichts Neues. Konkret ausgedrückt werden die Bundesgelder viel eher in eine Aufstockung des Sicherheitspersonals statt in ein Beschäftigungsprogramm fliessen. Dies ist die logische Umsetzung des politischen Kräfteverhältnisses. Abs 4bis bringt zudem keine grundlegend neue Sichtweise, sondern lediglich eine leichte Konkretisierung zum Einsatz von Bundesgeldern – die Möglichkeit zu Beschäftigungsprogrammen bestand auf gesetzlicher Ebene bereits zuvor, gemacht wurde wenig. Sollten wir uns bezüglich dieser Umsetzungsprognose täuschen, dann wäre uns das noch so lieb!

4) Die speziellen Zentren für «renitente» Asylbewerber

Sie sagen: „Auch wenn nur sehr wenige Asylsuchende gewaltbereit sind oder kleinkriminell werden, so sind sie trotzdem eine extreme Belastung für die Bevölkerung, aber auch für das Asylsystem und die überwiegende Zahl der Asylsuchenden, die sich korrekt verhalten. Dieses Problem muss man auf den Tisch bringen und Lösungen liefern. Ich habe selber Asylunterkünfte besucht und gesehen, wie schwierig einige junge Männer sein können, die sich an keine Regeln halten.“

Dazu Folgendes von unserer Seite: In Art. 26 des Asylgesetzes wurden neu drei Absätze aufgenommen, die das Bundesamt für Migration dazu ermächtigen, «renitente» Asylsuchende in besonderen Zentren unterzubringen. Dabei handelt es sich um Asylsuchende, die „die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährden oder die durch ihr Verhalten den ordentlichen Betrieb der Empfangsstellen erheblich stören“. Es ist objektiv jedoch nicht eruierbar, was „erheblich stört“. Ein geringer Verstoss gegen die Hausordnung eines Empfangszentrums kann genügen. Wer also fortan als «renitent» gilt, ist unklar. Mit diesen höchst unbestimmten Kriterien drohen Willkür und Rechtsungleichheit.

Es ist zudem mehr als stark anzuzweifeln, ob die Errichtung dieser besonderen Zentren in der Praxis überhaupt durchführbar ist. Die Ereignisse in der jüngeren Vergangenheit zeigen, dass sich Kantone wie Gemeinden unter Umständen schon bei der Etablierung ordentlicher neuer Zentren für Asylsuchende unkooperativ bis ablehnend verhalten.

Der Umgang mit «renitenten» Personen, auch ausserhalb des Asylbereichs, ist zudem eine Frage, die primär aus sozialer und erst sekundär aus polizeilicher Optik angegangen werden muss. Kleinkriminalität ist störend und muss bekämpft werden. Sonnenklar. Dies wird gemacht und wer kriminell ist wird auch bestraft – dazu haben wir ein Strafrecht. Das Asyl- und Ausländergesetz mit strafrechtlichen Bestimmungen aufzuladen bringt allerdings niemandem etwas.

Im sozialpädagogischen Bereich wird auffälliges Verhalten zudem zuerst analysiert (Ursachenforschung) und danach wird versucht, die Ursachen dafür ins Positive zu verändern. Auch Jugendliche gelten schnell einmal als «renitent» – aber sperren wir sie deswegen gerade weg? In Bezug auf «renitente» Asylsuchende sind die Ursachen offensichtlich: Perspektivenlosigkeit, Unterbeschäftigung, Traumatisierungen oder eine Existenz als systemfremdes Subjekt im Asylwesen sind zu nennen. Hier wird aber nichts gemacht, weil der politische Wille fehlt. Repressive Massnahmen gegen potentielle «Renitenz» sind deshalb blosse Pflästerlipolitik – und überdies bereits strafrechtlich möglich. Beschäftigungsprogramme (oder noch progressiver wäre, wenn die Asylsuchenden arbeiten und somit selbständig agieren dürften) würden diese Politik wahrscheinlich ein Stück überflüssig machen, wie sie auch selbst sagen. Aber von denen reden wir schon genau so lange, wie vom nie zur Realität werdenden umfassenden Rechtsschutz. Womit wir beim Punkt 5 wären.

5) Die Pilotprojekte, die das ambitionierte Ziel von Bundesrätin Simonetta Sommaruga und dem Bundesamt für Migration unterstützen, die Verfahren einerseits zu beschleunigen und andererseits den Rechtsschutz der Asylbewerber auszubauen. Dieser Spagat ist eine grosse politische Herausforderung, und es ist wichtig, dass die Behörden Erfahrungen sammeln können.

Hierzu möchten wir ein für einmal klar festhalten: die dringlichen Änderungen des Asylgesetzes beschleunigen gar nichts. Und im Rahmen der Pilotprojekte stehen vor allem die Beschwerdefristen im Vordergrund. Gerade die Verkürzung dieser Rechtsmittelfrist auf 10 Tage bedeutet eine Verkürzung um 2/3 der ordentlichen Frist und ist mit den Verfahrensgarantien gemäss Art. 29 und 29a BV unvereinbar. Diese Änderung, das heisst ein Gewinn von gerade mal maximal 20 Tagen, wird nicht das Problem der jahrelangen Verfahren – so die Begründung – lösen. Das öffentliche Interesse an einem raschen Abschluss eines Asylverfahrens kann eine Abweichung von der im Verwaltungsverfahren des Bundes üblichen dreissigtägigen Beschwerdefrist auch nicht rechtfertigen. Es fragt sich zudem, ob damit tatsächlich eine wesentliche Verkürzung des Verfahrens verbunden wäre. Jedenfalls ist ernstlich zu bezweifeln, ob damit die bevorstehende Wegweisung aus der Schweiz tatsächlich erleichtert und die Rückkehrfähigkeit in den Heimatstaat aufrechterhalten wird.

Die Neuerung trifft desweiteren Personen, die in der Regel ohne Sprachkenntnisse, unter Umständen traumatisiert oder unter Stress oder anderen erschwerenden Einflüssen sind und ist deshalb umso bedenklicher. Dieser schwere Eingriff in grundrechtliche Garantien des Rechtsunterworfenen hält den Anforderungen der Verhältnismässigkeit in keiner Weise stand. Abgesehen davon ist es der Rechtssicherheit nicht zuträglich, wenn der Bundesrat nach Belieben (mit einer unteren Limite im Gesetz) auf dem Verordnungswege Rechtsmittelfristen festlegen kann.

Was damit also erreicht wird, ist faktisch eine Schmälerung des Rechtsschutzes. Dies steht im Widerspruch zur Absichtserklärung der Vorlage. Schon 2008 hatte die Mehrheit der vom EJPD eingesetzten Expertenkommission offenbar festgehalten, dass sie eine generelle Verkürzung der Beschwerdefrist im materiellen Verfahren nur dann unterstützen könnte, wenn zusätzliche flankierende Massnahmen zur Verbesserung des Rechtsschutzes von Asylsuchenden vorgesehen werden. Dass nun heute eine Verkürzung der Beschwerdefristen gemäss Art 108. Abs 3 lediglich dann vorgenommen werden darf, „wenn der wirksame Rechtsschutz der betroffenen Asylsuchenden durch geeignete Massnahmen gewährleistet ist“, folgt dieser Bedingung, ist  aber bislang eine hohle Formulierung. Sie greift auf die beabsichtigten Verbesserungen im Bereich des Rechtsschutzes im Rahmen des Entwurfs 2 der Asylgesetzrevision vor, wie Sie auch richtig sagen. Deren Verwirklichung ist heute aber weder zeitlich absehbar, noch auf Grund der politischen Verhältnisse im Parlament als realistisch zu bezeichnen.

Zudem gilt es zu unterstreichen: Selbst wenn der Zugang zu einer unabhängigen Rechtsberatung garantiert werden sollte, ist darauf zu verweisen, dass die zeitaufwändige Hauptschwierigkeit in Asylverfahren meist die Beschaffung von Beweismitteln und die Aufarbeitung des Sachverhalts darstellt, und nicht dessen korrekte rechtliche Würdigung.

In realistischer Konsequenz wird eine Kürzung der Beschwerdefristen also zu überhasteten und somit fälschlich gefällten Negativentscheiden führen. Da die Vollzugsproblematik im Bereich Rückkehr und Rückschaffungen bestehen bleibt, wird dies mehr Asylsuchende in die Nothilfe oder gar in die Illegalität drängen, was letztendlich nicht in der Absicht der Schweiz stehen kann.

Desweiteren möchten wir Sie und mit Ihnen viele andere in zwei wichtigen Punkten korrigieren. Sie sagen: „Wenn eine Person an Leib und Leben bedroht ist, weil sie desertiert, erhält sie auch in Zukunft Asyl.“

Nein. Sie wird eine vorläufige Aufnahme erhalten. Und dadurch in einen präkäreren Status gedrängt. Dieser wird übrigens im laufenden Entwurf 1 der Asylgesetzrevision stark angegriffen.

Sie sagen fürderhin zum Botschaftsverfahren: „Auch für die besonders Schutzbedürftigen werden nicht alle Türen geschlossen: Ihnen bleibt der Weg über das humanitäre Verfahren. Die Kriterien für eine Aufnahme in der Schweiz sind in diesem Verfahren die gleichen wie beim Botschaftsasyl.“

Auch dazu: leider nein. Das Botschaftsverfahren soll gemäss Bundesrätin Sommaruga durch das Verfahren zur Erlangung eines humanitären Visums «ersetzt» werden. Diese Argumentation lässt gerade in der SP viele glauben, dass die Flüchtlinge trotzdem noch legal einreisen könnten. Die Kriterien sind andere, es wechselt von «Glaubhaftmachung» zu «beweisen». Vom Verfahren zur Erlangung eines humanitären Visa sind zudem all jene Flüchtlinge, die sich in einem Drittstaat befinden, ausgeschlossen. EritreerInnen und SomalierInnen, die zusammen 43.5% der Botschaftsgesuche in den letzten Jahren stellten, müssten ein humanitäres Visum in einem Drittstaat einreichen, da in ihrem eigenen Land keine Schweizer Botschaft existiert. Sie sind somit fortan vom Verfahren eines humanitären Visums schlicht und einfach ausgeschlossen. Mehr dazu unter: http://www.asyl.ch/facts-botschaftsvefahren/

Wir bitten Sie, diesen Brief zur Kenntnis zu nehmen und hoffen, dass Sie unsere Argumente genau studieren. Wir hoffen wie Sie auch, dass eine Trendwende im Asylbereich dereinst stattfinden wird. In dieser Revision können wir diese, anhand der nun geschilderten Argumente, aber einfach nicht erkennen.

Mit freundlichen Grüssen

Marie-Claire Kunz, CSP-Genève;?Moreno Casasola | Solidarité sans frontières?Karin Jenni | augenauf Bern?Samuel Häberli | Freiplatzaktion Zürich?Melanie Aebli | Demokratische JuristInnen und Juristen Schweiz

 

Arbeitskampf bei Lonza

Die Geschäftsleitung der Lonza hat am 31.Oktober anlässlich einer Sozialpartnerinformation den Abbau von 395 Stellen in Visp angekündet. Mit anderen Worten: Jede siebte Stelle in Visp wird den übertriebenen Renditezielen des Managements geopfert. Rund 200 Lonza-Beschäftigte haben am 1.November  an zwei Betriebsversammlungen in Visp das weitere Vorgehen gegen die angekündigte Massenentlassung beschlossen. Die Walliser Staatsratspräsidentin Esther Waeber-Kalbermatten (SP) und der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements, Staatsrat Jean-Michel Cina (CVP), sicherten dabei der Belegschaft ihre volle Unterstützung zu

Die Arbeitnehmenden der Lonza akzeptieren den gestern angekündigten brutalen Abbau von einem Siebtel der Stellen in Visp nicht. Die versammelten Lonza-Beschäftigten verabschiedeten gestern Abend einstimmig eine Resolution mit vier zentralen Forderungspunkten:

– Rücknahme des geplanten Abbaus, keine Entlassungen und keine Druckversuche gegenüber der Belegschaft.

– Eine vernünftige Konsultationsfrist bis Ende Februar 2013, damit die Belegschaft und ihre Gewerkschaften Alternativvorschläge ausarbeiten können.

– Offene und transparente Information der Sozialpartner über alle relevanten Unternehmensdaten.

– Einsetzen einer Task Force unter der Leitung des zuständigen Staatsrates und unter Einbezug der Gemeinde Visp, der Lonza und der Sozialpartner.

Für den Fall das das Lonza-Management diese Forderungen nicht erfüllt, kündigten die Versammlungsteilnehmer einstimmig einen Warnstreik an. Die an einer der Versammlungen anwesenden Staatsräte Esther Waeber-Kalbermatten und Jean-Michel Cina sicherten den Beschäftigten ihre volle Unterstützung zu. Der Vorsteher des Volkswirtschaftsdepartements Cina unterstütze die Bildung einer Taskforce unter Einbezug der Sozialpartner. Klar ist, dass sich auch die Lonza daran beteiligen muss. Cina verlangte weiter eine massive Verlängerung der — von Lonza gestern auf mickrige zwei Wochen anberaumte — Konsultationsfrist, damit ein gesetzeskonformes Verfahren durchgeführt werden kann.

Belegschaft hat genug von immer neuen Abbaumassnahmen

Bereits in den vergangenen Jahren mussten die Arbeitnehmenden der Lonza mehrfach harte Sparmassnahmen der Firma hinnehmen, zuletzt den Abbau von 190 Stellen im Jahr 2010 und im vergangenen Jahr eine Arbeitszeiterhöhung um 1,5 Stunden. Und jetzt kündigt das Management schon wieder neue, harte Einschnitte an, bevor die Vereinbarung über Arbeitszeiterhöhung, welche auch ein Kündigungsverbot beinhaltet, Ende Febuar 2013 ausläuft. So verstösst das Lonza-Management gegen Treu und Glauben und tritt die Sozialpartnerschaft mit Füssen. Das lässt sich die Belegschaft nicht weiter gefallen.

Unterstützungskomitee gebildet

Mit Unterstützung der Unia und der Syna bildet die Belegschaft nun Arbeitsgruppen, die im Rahmen des Konsultationsverfahrens Vorschläge erarbeiten wird, wie Kündigungen vermieden werden können. Zudem bildet sich unter der Führung der beiden alt-Staatsräte Thomas Burgener (SP, Unia-Mitglied) und Wilhelm Schnyder (CVP, Syna-Mitglied) ein überparteiliches Unterstützungskomitee für die kämpfende Lonza-Belegschaft. Mit einer Petition, die ebenfalls gestern an den Versammlungen verabschiedet und lanciert wurde, wollen die Arbeitnehmenden und das Unterstützungskomitee die breite Bevölkerung mobilisieren.

Klicke hier für die Petition: Unterschreiben und einschicken!

Quelle und weitere aktuelle Infos: www.unia.ch

1 83 84 85 86 87 108