Die 2. Säule unter Dauerbeschuss

03_den_Rahmen_sprengenDie FDP hat im Nationalrat zwei Motionen durchgebracht, welche die Regelungen bei den -Pensionskassen «entpolitisieren» sollen: Umwandlungssatz und Mindestsatz sollen den extremen Schwankungen des Finanzkapitals ausgesetzt werden. Die Linke ist einmal mehr gefordert, sie braucht auch eine glaubwürdige Alternative zur 2. Säule.

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Rechnet man die verschiedenen Kürzungen und Senkungen zusammen, die in den letzten zehn Jahren bei der 2. Säule durchgeführt wurden, ergibt das total eine Rentenkürzung von 44,9 Prozent. Eine monatliche Rente von durchschnittlich 3000 Franken ist somit auf 1650 Franken geschrumpft. Dies reicht den Bürgerlichen offensichtlich noch lange nicht und die Angriffe auf die Renten gehen in voller Härte weiter.

In der abgelaufenen Herbstsession hat der Nationalrat mit den Stimmen der Bürgerlichen zwei Vorstösse der FDP-Fraktion angenommen, die zu einer bedeutenden Rentenkürzung führen. Über beide Vorlagen muss nun der Ständerat befinden. Die Liberalen wollen den Mindestzinssatz und der Umwandlungssatz «entpolitisieren», sprich, dass diese «nicht mehr von politischen Entscheiden abhängen», wie in der Motion von Casis Ignazio (FDP, TI) zu lesen ist.

Der Mindestsatz, der heute vom Bundesrat festgelegt wird, nachdem immerhin die Sozialpartner konsultiert wurden, soll in Zukunft automatisch an «die reale Situation an den Finanzmärkten angepasst werden». Statt sichere Renten zu garantieren sollen diese den extremen Schwankungen des internationalen Finanzkapitals ausgeliefert werden. Auch der Umwandlungssatz soll automatisch angepasst werden, und zwar «unter Berücksichtigung der Lebenserwartung, des angesparten Kapitals sowie der erzielbaren Renditen», wie in der Motion weiter festgehalten wird. Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) schreibt dazu in ihrer Stellungnahme: «Damit spuckt der Nationalrat auf den Volksentscheid vom 7. März 2010, als die geplante Senkung des Umwandlungssatzes mit 72,7(!) Prozent an der Urne wuchtig abgeschmettert wurde. Erneut zeigt sich: Wenn Volksentscheide nicht im Interesse der KapitalistInnen sind, werden sie einfach umgangen. Demokratie?»

Neoliberales Geschwätz

Die Begründung von Ignazio Casis liest sich wie ein Auszug aus dem neoliberalen Schulbuch: «Man kann nicht vom Parlament und folglich vom Volk verlangen, dass sie die Zins- und Umwandlungssätze festlegen, da sich beide unabhängig vom politischen Willen entwickeln. Denn die Umwandlungssätze hängen zum einen Teil mit der weltweiten demographischen Entwicklung zusammen und auf diese hat weder das Parlament noch die Bevölkerung einen Einfluss.»

Wie dieser Zusammenhang genau aussieht, lässt Casis offen. Genauso könnte man daher behaupten, dass der Schmetterling in Südamerika den Tsunami in Asien ausgelöst hat. «Zum anderen Teil», doziert der liberale Politiker weiter, «hängen die Zinssätze mit den Renditen der Finanzmärkte zusammen (…) und die gehorchen ihren eigenen Regeln, welche die Politik nicht betreffen.» So einfach ist es aber nicht Herr Casis. Die Rente aus der 2. Säule ist ein Bestandteil der Altersvorsorge. Und das Recht auf ein würdiges Leben im dritten Lebensabschnitt ist ein Recht, das von der Schweizer Verfassung garantiert wird. Daher betreffen der Mindestsatz und der Umwandlungssatz der Pensionskassen die Politik sehr wohl!

Fakt ist aber auch, dass die Linke eine brauchbare Alternative zur 2. Säule entwickeln muss. Denn die Pensionskassen führen immer mehr zu Rentenkürzungen statt zur Rentensicherung – und das kann es wohl auch nicht sein.

Milliarden an Steuergeschenke

Der Nationalrat hat in der Herbstsession die Abschaffung der Stempelsteuer für Sach- und Vermögensversicherungen beschlossen. Damit macht er ein Geschenk von mindestens 250 Millionen Franken an die Grossunternehmen. Doch dies ist immer noch eine Kleinigkeit gemessen an dem, was durch die geplante Unternehmenssteuerreform III an Steuergeschenken von Seiten der Bevölkerung folgen soll.

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Wenn in Bern unter der Bundeskuppel die so genannten VolksvertreterInnen tagen, kommt oft und gerne der wahre Charakter, Sinn und Zweck des bürgerlichen Parlaments zum Vorschein: das Durchsetzen der Interessen der Mächtigen in diesem Lande auf Kosten der Arbeiterklasse, der breiten Bevölkerung. Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) schreibt dazu in ihrer Stellungnahme vom 22. September: «Jenen nehmen, die wenig haben, um denen zu geben, die bereits viel zu viel haben; die laufende Herbstsession der Räte ist einmal mehr exemplarisch für die neoliberale, ausschliesslich den Partikularinteressen des Kapitals verpflichtete Politik der bürgerlichen Parteien». Linke, gar kommunistische, abgedroschene, ewig gestrige Rhetorik? Schauen wir mal genauer hin.

Von der Vorspeise mit Lachs .?.?.

Der Zürcher SVP-Mann Hans Kaufmann forderte in seiner Motion die Abschaffung der Stempelabgabe auf Sach- und Vermögensversicherungen. In der Begründung ist unter anderem zu lesen: «Die Massnahmen sind so auszugestalten, dass eine Entlastungswirkung von etwa 250 Millionen Franken eintritt.» Selbst dem Bundesrat ging dieser Vorschlag zu weit, unter anderem weil «eine Gegenfinanzierung, die zugleich ökonomisch sinnvoll und politisch realisierbar ist, als nicht realistisch erscheint», wie er in seiner Stellungnahme festhält.

Eine Position, die in der Ratsdebatte von Bundesrätin Widmer-Schlumpf wiederholt wurde. So sagte sie, dass man sich bei einer Annahme der Mo-tion auch über die Ausfälle Gedanken machen müssen, über die Frage der Gegenfinanzierung solcher Massnahmen. Gleichzeitig müsse man auch die geplante «Unternehmenssteuerreform III gegenfinanzieren». Mit Schützenhilfe der FDP und der BDP wurde die SVP-Motion trotzdem überwiesen und nun muss der Ständerat darüber befinden. Kennt man die Mehrheitsverhältnisse in der kleinen Kammer, steht dem Millionengeschenk an die Grosskonzerne nichts mehr im Weg. Die Klein- und Mittelbetriebe sind von dieser Art Stempelsteuer bereits befreit, so kommen nur noch die ganz grossen Konzerne als Empfänger des Millionengeschenks in Frage.

.?.?. zum Hauptgang mit Hummer und Kaviar

Aber noch nicht genug Weihnachtsmann gespielt: Diese 250 Millionen sind ein Trinkgeld im Vergleich zu dem, was den Grosskonzernen durch die Unternehmenssteuerreform III (USR III) – sorry – in den Allerwertesten geschoben werden soll. Mitte September stellten Bundesrätin Widmer-Schlumpf und Peter Hegglin, Zuger Finanzdirektor und Vorsteher der Finanzdirektorenkonferenz, den Zwischenbericht des «Steuerungsorgans» zur USR III der Presse vor. Widmer-Schlumpf sagte dazu: «Es handelt sich nicht um eine Steuersenkungsvorlage.» Wirklich nicht? «Es geht darum, die internationale Akzeptanz der schweizerischen Steuerpolitik zu sichern oder wieder herzustellen», erklärte die Bundesrätin. Die Reform sei nötig, weil «die EU die gesonderten Steuerregimes für Holding-, Domizil- und gemischte Gesellschaften künftig nicht mehr duldet. Wenn nicht gehandelt wird, besteht die Gefahr, dass die Unternehmen ins Ausland abwandern».

Die Erklärung wird sofort zur Drohung: Ohne USR III kommt es zum Verlust von Arbeitsplätzen! So scheinen dem Bundesrat 3,9 Milliarden Franken in Form einer Senkung der Gewinnsteuer eine angemessene Summe zu sein, um die Grosskonzerne bei Laune zu behalten. 3,9 Milliarden (!), die dem Bund, den Kantonen und den Gemeinden fehlen werden und daher von irgendwoher wieder einkassiert werden müssen. Von wo genau, steht im Zwischenbericht ab Seite 41. Da es in den Kantonen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Steuererhöhungen kommen wird, empfiehlt die Steuerungsgruppe dem Bund die «Verlagerung von der (direkten) Unternehmensbesteuerung hin zur indirekten Besteuerung (?…?) namentlich auf die Mehrwertsteuer».

Da dies noch nicht reicht, soll die Bevölkerung zusätzlich mit der «Abschaffung oder Reduktion von Steuervergünstigungen (z.B. Abzug für auswärtige Verpflegung)» die Steuergeschenke an die Grosskonzerne berappen. Zynisch wird hinzugefügt: «Damit würde jedoch die Steuerlast von den Unternehmungen zu den natürlichen Personen verschoben. Ein Vorteil solcher einnahmenseitiger Massnahmen wäre, dass sie auch den Kantonen zusätzliches Einnahmenpotenzial erschliessen würden, das sie zur Entlastung ihrer Haushalte einsetzen können.»

Auf zum Kampf

Was von dieser Steuerreform zu halten ist, lässt sich am besten mit den Worten der Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen wiedergeben. Sie sagte gegenüber der WOZ: «Die Schweiz soll endlich aufhören, sich steuerpolitisch für die globalen Konzerne zu prostituieren». Wir fügen uns dem an und rufen jetzt schon zum Kampf gegen die USR III auf. Um die Kampfmoral zu steigern, sei an folgendes erinnert: Die Steuerausfälle, sprich die bereits gemachten Steuergeschenke durch die Steuerreform II aus dem Jahr 2008, schätzt der Bundesrat auf jährlich 480 bis 600 Millionen Franken ein. Etwas mehr als 600 Millionen Franken betrugen auch die Einsparungen durch Streichung von Leistungen bei Erwerbslosen bei der letzten Revision der Arbeitslosenversicherung (ALV) im Jahr 2011.

Kampf den Kampfjets!

grippen800x700Die Parteileitung der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) hat einstimmig die Unterstützung des Referendums gegen den Kauf der Gripen-Kampfjets beschlossen. Drei Milliarden Franken kostet die Beschaffung der Kampfflieger. Über die gesamte Betriebsdauer würden die Kampfjets insgesamt mindestens neun Milliarden Franken kosten. Wegen dem Kauf der Gripen soll nun das Militärbudget auf jährlich 5 Milliarden Franken erhöht werden.  Und dies nachdem in den letzten  Jahren die «Kriegskasse» der Eidgenossenschaft bereits um fast eine Milliarde auf 4.7 Milliarden erhöht wurde. Gegen diese sinnlose und absurde Vernichtung  von Milliarden, die von den bürgerlichen Parteien gewollt und beschlossen wurde,  ist Widerstand Pflicht! Die PdAS ruft die Schweizer Bevölkerung auf, sich aktiv gegen den Kauf der Kampfflugzeuge zu wehren.

Jenen nehmen, die wenig haben, um denen zu geben, die bereits viel zu viel haben; Die laufende Herbstsession der Räte ist einmal mehr exemplarisch für die neoliberale,  ausschliesslich den Partikularinteressen des Kapitals verpflichtete Politik der bürgerlichen Parteien. Zum geplanten Kauf der Gripen, bei dem nur wenige Rüstungsfirmen profitieren, soll durch die Streichung der Stempelabgabe auf Sach- und Vermögensversicherungen ein Geschenk von 250 Millionen Franken an die Grossunternehmen und Konzerne erfolgen. Eine entsprechende Motion aus dem SVP-Lager wurde im Nationalrat angenommen.

Dem Steuergeschenk steht der Leistungsabbau bei der Altersvorsorge gegenüber. Bei der AHV wurde eine Schuldenbremse beschlossen. Bei der 2.Säule (Pensionskasse) sollen in Zukunft der Zinssatz und der Umwandlungssatz automatisch an die reale Situation an den Finanzmärkten angepasst werden.

Statt sichere Renten sollen diese den extremen Schwankungen des Finanzkapitals ausgeliefert werden. Massive Rentenkürzungen sind die logische Folge. Damit spuckt der Nationalrat auf den Volksentscheid vom 7. März 2010, als die geplante Senkung des Umwandlungssatzes mit 72,7(!) Prozent an der Urne wuchtig abgeschmettert wurde. Erneut zeigt sich: Wenn Volksentscheide nicht im Interesse der Kapitalisten sind, werden sie einfach umgangen. Demokratie?

Die PdAS wird entschieden jede Verschlechterung bei der Altersvorsorge bekämpfen. Renten sind kein Almosen sondern ein von der Verfassung garantiertes Recht!

Partei der Arbeit der Schweiz 
Bern, 21. September 2013 

Armbrust und WC-Bürste

tell_chAm 22. September wird im Kanton Zürich über die Volksinitiative «Für mehr Demokratie» abgestimmt. Die Gemeinden  sollen die Möglichkeit bekommen, lang ansässigen AusländerInnen das fakultative Stimm- und Wahlrecht zu erteilen. Ein  erneuter Versuch, einen Schritt vorwärts zu kommen, um eine Demokratielücke im Kanton Zürich zu schliessen.

Aus der Printausgabe vom 23. August. Unterstütze uns mit einem Abo!

«Die Zeit ist reif, mehr Demokratie zu wagen!» Mit diesem Slogan lancierte das Initiativkomitee am 31. Juli, am Vorabend des Nationalfeiertages, den Abstimmungskampf. Natürlich ist das Datum nicht zufällig gewählt. Der offizielle Geburtstag der Eidgenossenschaft «ist nicht nur Anlass, um der Errungenschaften der Vergangenheit zu gedenken, sondern auch eine ausgezeichnete Gelegenheit, über die Weiterentwicklung unseres direktdemokratischen Staatswesens nachzudenken», schreibt das Initiativkomitee auf seiner Website www.mehr-demokratie.ch.

Eine moderate Forderung

Die Zürcher Kantonsverfassung erlaubt es den Gemeinden bisher nicht, ihre ausländische Wohnbevölkerung  am politischen Leben beteiligen zu lassen. Deshalb hat der Verein «Second@s Plus Zürich» im August 2011 die Volksinitiative «Für mehr Demokratie» eingereicht. Die Gemeinden sollen die Möglichkeit erhalten, AusländerInnen, die seit mindestens zehn Jahren in der Schweiz und seit mindestens drei Jahren in derselben Gemeinde leben, das kommunale Stimm- und Wahlrecht zu erteilen, sofern diese es beantragen.

Eine durchaus moderate Forderung, auch weil nach der eventuellen Annahme des Volksbegehrens weitere Schritte nötig sind, um die bestehende Demokratielücke in Sachen AusländerInnen-Stimmrecht im Kanton Zürich zu schliessen. «Ja, es ist eine sehr softe und moderate Initiative», räumt auch Salvatore Di Concilio, Mitinitiant und ehemaliger Stadtzürcher SP-Gemeinderat, auf Anfrage des vorwärts ein. «Aber schlussendlich geht es eben doch um das Stimmrecht für MigrantInnen. Unser Initiativkomitee hat eine gewisse Breite, so dass ein Konsens bei der Ausformulierung des Initiativtextes gesucht wurde. Für mich bleibt aber die prinzipielle Frage: Wollen die Stimmberechtigten in diesem Bereich einmal Ja sagen oder nicht?»

Bisher muss diese Frage leider mit Nein beantwortet werden. Die letzten beiden Versuche, über eine Volksinitiative das Stimmrecht für AusländerInnen einzuführen, oder zumindest einen Schritt in diese Richtung vorwärts zu kommen, endeten mit einem veritablen Schiffbruch: Im September 2010 lehnten die Kantone Bern und Basel-Stadt entsprechende Vorschläge deutlich ab. Auch in Kanton Zürich waren die bisherigen Versuche schlicht chancenlos. Die Frage liegt daher auf der Hand: Warum eine weitere Initiative? «Es gibt zwei Gründe dafür», erklärt Di Concilio, «Erstens konnte auf parlamentarischer Ebene kein Fortschritt erzielt werden, auch nicht bei der Ausarbeitung der neuen Verfassung des Kantons Zürich, die seit dem 1. Juni 2006 in Kraft ist. Und zweitens wird bekanntlich die Migrationspolitik in der Schweiz vor allem von der SVP diktiert. Wir wollten mit unserer Initiative etwas Positives entgegensetzen.» Und Di Concilio erinnert weiter daran, dass auch «das Frauen-Stimmrecht mehrere Anläufe gebraucht hat».

Armbrust und WC-Bürste

Bescheidener Optimismus lässt die Tatsache zu, dass in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht für MigrantInnen nicht etwas völlig exotisches ist: In den Kantonen Appenzell Ausserrhoden, Basel-Stadt, Freiburg, Genf, Graubünden, Jura, Neuenburg und Waadt dürfen lang ansässige AusländerInnen bereits heute (zum Teil fakultativ) auf Gemeindeebene wählen und abstimmen. Im Kanton Neuenburg gilt dieses Recht bereits seit 1849. Die Kantone Jura und Neuenburg kennen zudem für AusländerInnen auch das kantonale Stimm- und Wahlrecht.

Doch zurück nach Zürich: Das Logo der Abstimmungskampagne besteht aus einer Armbrust als weltbekanntes Symbol für Schweizer Qualitätsprodukte. Aber anstelle des Pfeils ist eine WC-Bürste oder Schaufel, ein Schwingbesen oder Thermometer zu sehen. Diese stehen als Sinnbilder für Branchen, in denen AusländerInnen in grosser Anzahl tätig sind, nämlich Reinigung, Bau, Gastgewerbe und Pflege. «Symbolisch steht die Kombination dafür, dass durch die Einbindung der Ausländerinnen und Ausländer in den politischen Entscheidungsprozess nicht nur die Migrantinnen und Migranten ein Recht erhalten, sondern auch die Schweiz gewinnt – nämlich an engagierten Bürgerinnen und Bürgern», hält das Komitee fest. Die Zeit für mehr Demokratie ist wirklich reif!

Abschaffen im Sinne der NATO

ARMEEDEFILEE, ARMEE VORBEIMARSCH, BATALLION PANZERGRENADIERE,Die Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) spricht sich klar für die Abschaffung der Armee aus. Daher lautet eine der zentralen Fragen bezüglich der Initiative der GSoA, welche die Wehrpflicht abschaffen will, ob sie ein Schritt hin zur Abschaffung der Armee und/oder ein zivilisatorischer Fortschritt ist. Die Antwort fällt aus mehreren Gründen negativ aus, daher die Nein Parole der PdAS.

Schon lange vor der GSoA-Initiative war es die Finanz- und Wirtschaftswelt, welche die Einführung einer «freiwilligen Milizarmee» forderte. Und dies – das sei hier schon verraten – nicht um des Friedens Willen. Im Jahr 1991 erarbeiteten Reiner Eichenberger, Professor für Theorie der Wirtschafts- und Finanzpolitik an der Universität Freiburg und Thomas Steinemann, ehemaliger Chefstratege der «Bank Vontobel», ein Gutachten für die Armee mit dem Titel «Milizarmee oder stehendes Berufsheer? – Das ist nicht die Frage». Die Autoren kommen mit Hilfe der «Gesetze der freien Marktwirtschaft» unter anderem zu der Schlussfolgerung: «Gedanken über eine Eingliederung schweizerischer Kräfte in ein europäisches Sicherheitssystem erscheinen auch nicht mehr allzu exotisch». Dafür ist die «freiwillige Miliz besser geeignet».

Über das Schweizer Territorium hinaus

1996 setzt SVP-Bundesrat Adolf Ogi die «Studienkommission für strategische Fragen» ein, die unter anderem die «Problematik von Milizsystem und allgemeiner Wehrpflicht beurteilen» soll. Diese mit 41 Persönlichkeiten – von Christoph Blocher bis Andreas Gross – bestückte Kommission fordert im Abschlussbericht von 1998, dass die Armee «mit professionellen Verbänden ergänzt» werden müsse. Sie verlangt, dass die Armee «neue Aufgaben auch über die reine Verteidigung des schweizerischen Territoriums hinaus übernehmen» muss. Daher sei «der Inhalt der Neutralität» zu revidieren und anzupassen. Der Grund dafür ist einfach: «Langfristig kann Zusammenarbeit dazu führen, die Neutralität in ihrer gegenwärtigen Form aufzugeben». Mit «Zusammenarbeit» ist das «Engagement in der einen oder anderen sicherheitspolitischen Organisation» und die Mitwirkung «an der Festigung eines grossen Sicherheitsraums» gemeint. An dieser Stelle sei an folgendes erinnert: Die Schweiz nimmt seit 1996 an der sogenannten «Partnerschaft für den Frieden» (PfP) teil. Die PfP ist eine politische Initiative, die gemeinsam von der NATO und 22 Partnerstaaten getragen wird. Eines der Ziele der PfP ist der «Aufbau von Streitkräften, die besser mit der Nato kooperieren können.» Bis heute dienten bereits über 4200 Schweizer SoldatInnen der NATO.

Einen bedeutenden Schritt weiter geht die «Forschungsstelle für Internationale Beziehungen der ETH Zürich» im November 1998. Sie erstellt ein Dokument als unmittelbare Kritik zum oben erwähnten Kommissionsbericht. Darin wird festgehalten, dass die Abschaffung der Wehrpflicht die Voraussetzung für internationale Einsätze und den Anschluss an die NATO ist! Da aber «die Modifikation oder allfällige Aufhebung der Wehrpflicht auf deutlichen Widerstand stossen würde, ist mit einer langen Übergangsphase zu rechnen, die gut vorbereitet werden müsste. Wir rechnen mit 15 bis 20 Jahren, und diese Zeitspanne muss von der Politik für einen offenen und intensiven Dialog genutzt werden.» Und ganz wichtig: «Im Sinne einer Vorwegnahme späterer Entscheidungen wäre die Einführung einer freiwilligen Miliz eine denkbare Option, denn daraus könnte später eine echte Reserve entwickelt werden». Abgeschafft und dann?

Verschiedene EU-Länder haben die Wehrpflicht abgeschafft. Welche Entwicklung folgte? Die deutsche «Stiftung Wissenschaft und Politik» (SWP) ist das grösste aussen- und sicherheitspolitische Think Tank innerhalb Europas. In ihrer Studie «Die Zukunft der Deutschen Wehrpflicht», dessen Ergebnisse im Januar 2010 veröffentlicht wurden, kommt sie unter anderem zu folgendem Schluss: Seit der Umstellung auf freiwillige Rekrutierung ist die Akzeptanz und das Vertrauen der Bevölkerung in die Streitkräfte gestiegen. Gleiches ist in Italien geschehen, wie aus einem Wikipedia-Artikel zu entnehmen ist: «Nach kurzer Zeit entstand im Heer eine ganz neue, positive Stimmung und ein neues Selbstbewusstsein, was nach und nach auch in der Gesellschaft registriert wurde, die den Streitkräften nun auch für ihre Auslandseinsätze Anerkennung zollte.» Italienische Truppen sind bei jedem NATO-Einsatz dabei.

Auch Schweden hat die Wehrpflicht abgeschafft. Die Freiwilligen müssen sich für Auslandseinsätze verpflichten und ab 2014 wird die Berufsarmee eingeführt. Dies, um sie besser «für internationale Militäreinsätze wie in Afghanistan zu wappnen (…) Mit Plakatkampagnen und Fernsehspots versucht die Armee derzeit, künftige Berufssoldaten zu rekrutieren», wie in der NZZ vom 1.Juli 2010 zu erfahren ist.

Särge mit toten «Freiwilligen»

Die Protestbewegung in den USA gegen den Vietnamkrieg wurde von Müttern und Ehefrauen getragen. Als immer mehr Särge mit den Leichen ihrer Lieben in den USA eintrafen, gingen sie auf die Strasse und schrien lauthals: Warum müssen unsere Kinder und Ehemänner in den Krieg, in den Tod? Ab 1973 schafft die USA die Wehrpflicht ab und führte die «freiwilligen Armee» ein. Dies auch als Reaktion auf die Antikriegsproteste im eigenen Land. Nun konnte niemand mehr behaupten, dass ihre Kinder oder Ehemänner in den Krieg müssen. Särge mit toten «freiwilligen Soldaten» können von den Kriegstreibern der Bevölkerung einfacher erklärt werden, ja sogar als «Helden des Friedens» vermarktet werden, wie die Beispiele Irak und Afghanistan leider bestens beweisen.

Die Forderungen der Finanz- und Wirtschaftswelt und die genannten Beispiele zeigen deutlich: Die «freiwillige Milizarme» ist die Vorstufe für die Einführung der Berufsarmee. Diese kann dann ganz im Sinne der NATO eingesetzt werden. Grund genug (neben weiteren), aus linker Sicht Nein zu stimmen.

 

Kifft der Bundesrat?

kiffen

Angeführt vom Sozialdemokraten Alain Berset startet der Bundesrat den erneuten Angriff auf die AHV. Dabei missachtet er gar den Volkswillen. Der Gewerkschaftsbund und die Partei der Arbeit der Schweiz haben ihren Widerstand bereits angekündigt.

Der grösste Rentenklau aller Zeiten! «Der Bundesrat schlägt mit der Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent die grösste Rentensenkung aller Zeiten vor», erzürnt sich der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) in seiner Medienmitteilung vom 21. Juni. Über 12 Prozent würden die Renten sinken. Die Senkung würde doppelt so hoch ausfallen wie der damals geplante Rentenklau im 2010, den das Stimmvolk wuchtig und entschieden mit einer Drei-Viertel-Mehrheit dem Absender zurückschickte. Hat der Bundesrat diese Schlappe vor knapp drei Jahren vergessen? Vielleicht wegen dem zu hohen Konsum an Cannabis? Das soll bekanntlich das Erinnerungsvermögen beeinträchtigen. Drei Jahre sind aber keine lange Zeit, die Kiffmenge müsste daher wirklich erheblich sein. Daher ist es wohl eher auszuschliessn. Fakt ist aber, dass dem Bundesrat der Volkswille völlig egal zu sein scheint, beeindruckendes und vorbildliches Demokratieverständnis. Kompliment! Aber nicht genug: Alain Berset, der sich sehr viele und gute Freunde bei den Bürgerlichen gemacht hat, will auch das Rentenalter der Frauen auf 65 Jahren erhöhen. Hier scheint er zu vergessen, dass selbst seine eigene Partei dieses Vorhaben vor nicht allzu langer Zeit im Parlament scheitern liess.

Gemeinsam gegen den Abbau

Der SGB hat sich zur «Rentenreform» des Bundesrats als erstes geäussert: «Diese krasse Senkung des Mindestumwandlungssatzes kann der SGB nicht akzeptieren. Er wird sie bekämpfen. Sie ist nicht zwingend. Sie stützt sich auf das derzeitige Tiefzinsniveau. So tiefe Zinse und Renditen sind jedoch nicht in Stein gemeisselt. Eine Rentenreform einzig auf ein Tiefzinsszenario zu stützen, ist nicht seriös.» Und der SGB fügt hinzu: «Der SGB lehnt auch die Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 ab». Auch das Zentralkomitee der Partei der Arbeit der Schweiz (PdAS) hat sich an seiner Sitzung vom 22. Juni klar und entschlossen gegen jegliche Rentenkürzung ausgesprochen. «Die PdAS wird mit allen demokratischen Mitteln gegen den Rentenklau und die Erhöhung des Frauenalters kämpfen», ist in der Stellungnahme zu lesen. Weiter ruft die PdAS alle «fortschrittlichen Kräfte auf, sich gemeinsam dem Sozial-abbau» entgegenzustellen.

Ein Vorschlag für Alain

Klassisch ist das Argument, das Berset für seinen geplanten Rentenklau aus dem Schrank holt: «Die AHV ist längerfristig finanziell nicht zu retten, wenn nicht massive Sparmassnahmen getätigt werden.» Diesen Mist hört das Volk seit Jahren und genauso lange schreibt die AHV praktisch ausnahmslos schwarze Zahlen. Daher lieber Kollege Berset: Nimm dir eine Woche Timeout, erhol dich in den Bergen, kiff einen guten Joint, geh dann nochmals über die Bücher und schlag uns dann eine Rentenreform vor, die zumindest noch den Hauch von etwas Sozialdemokratischem hat.

CH: Ein tiefbürgerliches Land!

AktionZuerich_gross.jpg.client.x675Gut ein Monat ist es her, seit das Schweizer Stimmvolk die neusten Verschärfungen im Asylbereich mit einem wuchtigen Ja absegnete. Über politische Niederlagen, fehlendem Mut und mittelfristige Perspektiven der Asylbewegung sprach der vorwärts mit Moreno Casasola, politischer Sekretär von «?solidarité sans frontières?».

Aus dem vorwärts vom 5. Juli. Unterstütze uns mit einem Abo.

Anders als bei anderen Urnengängen rund ums Thema Asyl wurde ein bissiger und politisch sehr pointierter Abstimmungskampf geführt und seitens des NEIN-Komitees viel Herzblut investiert. Trotzdem war dann das Resultat am 9. Juni sehr ernüchternd. Besteht noch Hoffnung für dieses Land?

Moreno: Es besteht immer Hoffnung, das ist klar. Und das miese Abstimmungsresultat darf nicht falsch interpretiert werden. Die Schweiz ist ein tiefbürgerliches Land, zwei Drittel der Bevölkerung stimmen deshalb bei einer Asylvorlage reflexartig gegen die Anliegen der Betroffenen. Dann kam diesmal der besondere Umstand dazu, dass sich das NEIN-Komitee gegen eine SP-Bundesrätin behaupten musste. In einer Grobrechnung führte dies dann dazu, dass sich von den üblichen 33 Prozent Nein-SagerInnen rund 10 Prozent von Simonetta Sommaruga überzeugen liessen, Ja zu stimmen. Die Ausgangslage war diffus.

Von verschiedener Seite wurde kritisiert, dass das Referendum gegen die Asylgesetzrevision eine chancenlose Angelegenheit sowie vor allem ein Steilpass für rechte Kreise gewesen sei. Was waren eure Beweggründe trotzdem gegen den Strom zu schwimmen und das Referendum zu ergreifen? 

Die Steilpassargumentation war von Anfang an falsch, da wurde im Vorfeld teilweise äusserst schlecht analysiert. Die SVP hatte von Beginn an kein vitales Interesse daran, sich in diesem Abstimmungskampf zu engagieren. Deshalb war immer klar, dass es ein Kampf gegen die Mitte und die Behörden sein würde. Es war mitunter diese Konstellation, die uns dazu brachte, das Referendum zu ergreifen. Wenn wir bereits soweit sind, dass sich offensichtliche Fremdenfeindler wie ein Gerhard Pfister unter dem Deckmantel beschleunigter Asylverfahren als Verfechter der «Humanität» aufspielen, dann muss man sich dem stellen und es entlarven.

Welche konkreten Auswirkungen hat die Revision auf Asylsuchende? Machen sich in der Praxis schon erste negative Aspekte bemerkbar?

Auf jeden Fall. Insbesondere die Abschaffung des Botschaftsverfahrens zieht weite Konsequenzen nach sich. Dass die Gesuche aus Eritrea seit letztem Dezember zurück gegangen sind, ist kein Zufall. Eritrea ist nach wie vor ein Militärstaat und die Leute flüchten, aber sie schaffen es nun nicht mehr weiter als bis in den Sudan. Das gleiche zeigt sich auch am Beispiel Syrien, wo die Leute in den Libanon flüchten und dann dort als sicher aufgehoben betrachtet werden.

Es wird immer wieder von beschleunigten Verfahren und raschen Entscheiden gesprochen und betont, dass die lange Verfahrensdauer sowohl für die Asylsuchenden wie auch für die Ämter und Gemeinden ein schwieriger Zustand sei. Trotzdem bleiben oft genau diejenigen Asylgesuche liegen, die eigentlich Chancen auf politisches Asyl hätten. Wie ist das zu erklären?

Das BFM hat schon immer Behandlungspriorisierungen vorgenommen, die als Abbild der politischen Stimmung gedeutet werden können. Dabei geht es um vermeintliche Sogwirkungen, Pull-Effekte und dergleichen mehr. Warum wurde die Behandlung der syrischen Asylgesuche in den letzten zwei Jahren ausgesetzt? Weil die Leute ein Bleiberecht erhalten hätten und man das nicht möchte. So einfach funktioniert das leider. Es ist der Spiegel unseres bürgerlichen Staates.

Was müsste passieren, dass in Zukunft an der Urne migrationsspezifische Vorlagen mehr Chancen ­hätten? Wo seht ihr die Ursachen dafür, dass seit Jahrzehnten die linken, progressiven und humanistischen Kräfte auf diesem spezifischen Themenfeld am Wahlsonntag jeweils kräftig Prügel beziehen?

Die Prügel sind vorwiegend den Mehrheiten in der Bevölkerung geschuldet, diese ändern sich nur langsam und über Jahrzehnte. Trotzdem muss man auch konstatieren, dass die progressiven und humanistischen Kräfte in Ausländerfragen vermehrt uneins sind. Es fehlt am Mut, das Richtige zu tun und dies auch mit Stolz zu vertreten. Die politischen Parteien haben Angst vor Wählerschwund oder, wie im Falle der SP, auf parlamentarischer Ebene schlicht kein Interesse an «erfolglosen» Dossiers wie dem Asylthema. Ein ähnliches Desinteresse ist auch bei Teilen der Gewerkschaften zu beobachten. Die Kirchen sind häufig unentschlossen und die Hilfswerke schauen stets mit einem Auge auf die SpenderInnen und möchten möglichst nichts falsch machen. Dazu sind sie teilweise mit den Behörden administrativ und finanziell verzettelt, wie das bei der Schweizerischen Flüchtlingshilfe der Fall ist. Wenn der Dachverband der schweizerischen Flüchtlingsorganisationen einen beträchtlichen Teil seines Budgets vom BFM bezieht, so macht ihn dies abhängig und politisch zahnlos. Es fehlen ein veritabler Schulterschluss, ein gestärktes Bewusstsein, für das Richtige einzustehen und der Mut, auch konsequent so aufzutreten.

Einzelnen Stimmen aus dem Umfeld des NEIN-­Komitees begründen das schlechte Ergebnis damit, dass die Grünen und die SP zu wenig eingebunden worden seien, weswegen sie sich nicht so tatkräftig am Referendum beteiligt hätten. Ist die Realität nicht eher die, dass zumindest bei der SP ein strategisches Doppelspiel getrieben wurde? Auch im Wissen, dass die eigene Basis keine Freude hat, wenn man zu nett zu Fremden ist?

Die Grünen waren im üblichen, möglicherweise auch gesteigerten Rahmen aktiv. Insbesondere natürlich die jungen Grünen. Aber Engagement ist immer eine Frage der eigenen Überzeugung und Prioritäten und nicht davon, ob man eingebunden wird. In diesem Sinne hat der Abstimmungskampf aufgezeigt, dass die parlamentarische SP mit wenigen Ausnahmen kein Interesse am Thema hat. Und ja, dazu kommt sicherlich, dass sich die SP als staatstragende Partei nicht gegen die eigene Bundesrätin wenden wollte. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in den 21,6 Prozent wieder. Und sie ist so wahr wie ernüchternd. Ich möchte das nicht falsch formulieren: Jede Partei hat in jeder Frage das absolute Recht, sich zu engagieren oder eben nicht. Ich habe der SP beispielsweise nie vorgeworfen, das Referendum bei der Sammelphase nicht unterstützt zu haben. Die SP ist kein Kult und spielt als Partei auch politstrategische Spiele, das ist klar. Aber wenn man sich so positioniert, dann muss man gleichzeitig auch die Chuzpe haben, anständig zu begründen. Die wichtigste Frage in diesem Kontext ist also, weshalb die Asylfrage die SP nicht wesentlich beschäftigt.

Wie wird es nun nach dem 9. Juni weitergehen? Welche Schwerpunkte habt ihr bei «solidarité sans frontières» in nächster Zeit und was noch alles auf die Asylbewegung zu? 

Wie werden den Schwerpunkt auf eine verstärkte Vernetzung der verschiedenen Basisorganisationen setzen, da wir das Gefühl haben, dass Austausch und Zusammenarbeit auf nationaler Ebene zu kurz kommen. Dafür planen wir auf Ende September ein erstes nationales «Forum» zu Migrationsfragen, an welchem auch strategische Fragen besprochen werden sollen. Darüber hinaus sind wir ja bereits inmitten der Diskussionen um die neuste Asylgesetzrevision, die ganze Umstrukturierung des Asylbereiches. Mittelfristig bildet dies unseren Fokus. Langfristig kommen mindestens drei Volksinitiativen auf uns zu, die uns beschäftigen werden. Hier laufen auch Planungen zur Lancierung einer eigenen Initiative, mit welcher wir die Debatte im Migrationsbereich selber mitgestalten wollen – und zwar in unserem Sinn.

Die Post geht ab!

postMitte August werden die Verhandlungen für den neuen Post-Gesamtarbeitsvertrag (GAV) beginnen, der komplett überarbeitet werden muss. Die Gewerkschaft syndicom hat ihre Forderungen der Schweizer Post übergeben. Es ist dies der Startschuss für ein wohl langes und zähes Ringen um die Arbeitsbedingungen von rund 65?000 Beschäftigten. Über Erfolg oder Misserfolg wird eine «?simple?» Frage entscheiden.

Aus dem vorwärts vom 3. Juni. Unterstütze uns mit einem Abo.

Die Ausgangslage ist für die Gewerkschaft syndicom alles andere als einfach: Seit dem 1. Oktober 2012 ist die neue Postgesetzgebung samt Verordnungen in Kraft. Damit wurden der Post-Markt und die Grundversorgung neu geregelt. Auch die Rechtsgrundlage der Schweizer Post wurde grundlegend verändert. So ist die Post heute eine öffentlich-rechtliche Aktiengesellschaft (AG) und die PostFinance eine eigenständige AG im Besitz der Post. Beide Aktiengesellschaften müssen nun ihre Mitarbeitenden nach Privatrecht und nicht mehr nach öffentlichem Recht beschäftigen. Anstelle des Bundespersonalgesetzes (BPG) ist das Obligationenrecht (OR) massgebend. «Der Wechsel ins Privatrecht und ins Arbeitsgesetz verändert die arbeitsrechtliche Grundlage, auf denen der aktuelle GAV Post basiert», hält die Gewerkschaft syndicom fest und fügt hinzu: «Dies bedeutet: der GAV muss total überarbeitet werden, wenn man nicht Regelungslücken, Widersprüche zum geltenden Recht und enorme Rechtsunsicherheit bei der Interpretation des bisherigen GAV in Kauf nehmen will.»

Der Übergang vom öffentlichen ins private Recht wird erst vollzogen, wenn der neue GAV ausgehandelt ist, spätestens aber nach zwei Jahren. Für syndicom heisst dies, dass maximal zwei Jahre Zeit bleiben, bis 2015, um mit der Post einen neuen GAV auszuhandeln. Laut Yves-André Jeandupeux, Leiter Personal der Post und Mitglied der Konzernleitung, unterstehen 85 Prozent der Angestellten dem Post-GAV. Das sind knapp 53 000 der insgesamt 62 000 Beschäftigten. Die Post ist somit nach der Migros und Coop der drittgrösste Arbeitgeberin in der Schweiz. Zahlen und Fakten, die von der Wichtigkeit dieses GAV zeugen.

Umbau ja – Abbau nein

Der offizielle Startschuss in die Verhandlungen fand am Samstag, 5.Mai in Bern statt: Die rund 300 Delegierten der Konferenz des Sektors Logistik der Gewerkschaft syndicom übergaben Yves-André Jeandupeux den Katalog mit den Forderungen für den neuen GAV 2015. Syndicom verlangt unter dem Slogan «Alles Gelbe unter einem Dach», der zugleich die Hauptforderung ist, faire und gleiche Arbeitsbedingungen für die Angestellten in allen Bereichen und Subunternehmen der Schweizer Post. Die Stossrichtung der weiteren Forderungen können in den folgenden Themenbereiche zusammengefasst werden: «faire Löhne dank fairem Lohnsystem», «weniger Stress und transparente Arbeitszeiten», «mehr Mitwirkung am Arbeitsplatz», «Arbeitsplatzsicherheit und Kündigungsschutz» und «für eine attraktive Post mit starken Sozialleistungen».

Die Gewerkschaft hat ihre Positionen im engen Kontakt mit den Angestellten erarbeitet. Eine breit angelegte Umfrage Ende 2011 hat aufgezeigt, wo Handlungsbedarf besteht. Diese Themen wurden mit der gewerkschaftlichen Basis eingehend diskutiert. In Arbeitsgruppen wurden konkrete Lösungsvorschläge entwickelt. «Die Branchen-DV Post konnte vor zwei Monaten den Forderungs-Katalog definitiv verabschieden – nach einem umfassenden Vernehmlassungsverfahren bei Post-Mitarbeitenden aus allen Konzernbereichen und aus verschiedenen Regionen», informiert die Gewerkschaft in ihrer Medienmitteilung.

«Getreu dem Motto ‹Umbau ja –Abbau nein› stellen wir in unserem Katalog einzig realistische Forderungen auf. Und wir erwarten von der Post, dass sie dasselbe tut. Das Gerede von Marktlöhnen muss endlich aufhören», schreibt syndicom-Zentralsekretär Kaspar Bütikofer im Vorwort der Broschüre mit den Hauptforderungen zum neuen GAV. Er hält fest, dass eine Frontoffice-Mitarbeitende nicht mit einer Schuhverkäuferin und ein Paketbote nicht mit einem Pizzakurier verglichen werden können. Und mit Blick auf die im August beginnenden Verhandlungen fordert Bütikofer: «Es ist Zeit, dass die Postverantwortlichen wieder auf den Boden der Realität des eigenen Unternehmens zurückkommen.»

Klare Zeichen trotz Schweigen

Die Forderungen der Gewerkschaft sind auf dem Tisch. Die Chefetage des gelben Riesen hat mit Schweigen reagiert – kein Wort, kein Kommentar bisher. Sie scheinen dort viel mehr mit Entlassungen beschäftigt zu sein. Ende April gab die Post bekannt, dass sie das Logistikzentrum Bern (LZ Bern) Ende April 2014 schliessen will. Betroffen sind 55 Mitarbeitende und sechs Lernende. Die Schliessung begründet die Post mit wirtschaftlichen Gründen. Die Gewerkschaft syndicom präzisiert den Grund der Entlassungen: «Die Post beabsichtigt, einen Grossteil der Leistungen des ‹Konzerneinkaufs› nach WTO (Welthandelsorganisation) auszuschreiben und an den günstigsten Anbieter zu vergeben». Damit liquidiert die Post auf einen Schlag intern 55 Arbeitsplätze zu fairen GAV-Anstellungsbedingungen und verschiebt sie somit in eine «Tieflohnbranche ohne GAV-Schutz.»

Die Entlassungen sind ein klares Zeichen der Post für die bevorstehenden GAV- Verhandlungen: Möglichst wenige Beschäftigte sollen vom GAV profitieren, damit einfacher und schneller die Arbeitsbedingungen verschlechtert werden können. Oder gibt es eine andere Interpretation der Entlassungen beim LZ Bern?

Die Gewerkschaft syndicom steht vor einer Mammutaufgabe. Ihre Erfolgschance ist an einer simplen Frage gekoppelt: Wird sie die PostarbeiterInnen im entscheidenden Moment für Protest- und Kampfaktionen mobilisieren können?

1072-mal weniger!

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Die zehn Prozent im tiefsten Lohnsegment verdienen 1072-mal weniger als die Topverdiener in der Schweiz. Während über 400?000 Lohnabhängige mit ihrem Gehalt von unter 4000 Franken an der Armutsgrenze leben, bekommen wenige Spitzenverdiener durchschnittlich 42?400 Franken, selbstverständlich pro Monat, eine knappe halbe Million pro Jahr?! So viel zur kapitalistischen «?Gerechtigkeit?».

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Horcht den Worten des Klassenfeinds: «Die Schweiz ist das Musterbeispiel dafür, dass ein liberales Arbeitsrecht und die freie, dezentrale Lohnbildung nicht automatisch zu hoher Ungleichheit führen», steht auf der Homepage von Avenir Suisse. Das ist die Denkfabrik der KapitalistInnen, ein «unabhängiger Think-Tank» nach angelsächsischem Vorbild für die gesellschafts- und wirtschaftspolitische Entwicklung des Standorts Schweiz. Avenir Suisse vertritt «eine marktwirtschaftliche Position» und orientiert sich an einem «liberalen Welt- und Gesellschaftsbild».

Und mit Blick auf kommende Volksbefragungen behaupten die VertreterInnen der neoliberalen Barbarei: «Die (noch) hohe Flexibilität des Schweizer Arbeitsmarktes hat entscheidenden Anteil daran, dass das Gros der Bevölkerung sein Auskommen selber bestreiten kann. Die Politik verkennt dies zusehends. Eingriffe in den Arbeitsmarkt – sei dies über Mindestlöhne, Vorschriften zur Lohnstruktur innerhalb der Unternehmen oder die Einführung einer Sozialplanpflicht – würden diesen Vorteil der Schweiz über kurz oder lang beschädigen und dadurch den Druck zu mehr fiskalischer Umverteilung nochmals verstärken. Es gilt, diesen Teufelskreis zu verhindern.»

Die Lohnschere öffnet sich weiter

Gemeint sind die Mindestlohn-Initiative der Gewerkschaften, die wohl im Februar 2014 zur Abstimmung kommt, und natürlich die «1:12-Initiative» der JUSO, über die im November 2013 ein Ja oder Nein in die Urne zu legen ist. Die JUSO-Initiative fordert, dass niemand in einem Jahr weniger verdienen soll als der bestbezahlte Manager im gleichen Betrieb in einem Monat. Sicher, ihre Annahme bedeutet nicht die Überwindung des Kapitalismus. Doch die Aussagen von Avnir Suisse machen deutlich, dass die Initiative die KapitalistInnen zumindest nervös macht. So nervös, dass sie Milliarden in die Gegenkampagne reinbuttern werden.

Wie die Realität der Löhne in der Schweiz aussieht, ist im soeben erschienen Abstimmungsbuch «Lohnverteilung und 1:12-Initiative», erschienen im Verlag «edition 8» und herausgegeben vom «Denknetz» und der «JUSO», bestens nachzulesen. Die Löhne in der Schweiz sind seit Ende der 1990er Jahre sehr ungleich gewachsen. Wenig überraschend ist die Tatsache, dass die hohen Gehälter bis im 2010 «preisbereinigt um mehr als einen Drittel gewachsen» sind. Im Gegensatz dazu, sind die tiefen und mittleren Löhne nur geringfügig gestiegen. So ist weiter im Kapitel «Immer mehr fürs reichste Prozent» folgendes zu lesen: «Im Jahr 2010 hatten diese ArbeitnehmerInnen preisbereinigt nur zwischen sieben und neun Prozent mehr in der Tasche als 16 Jahre zuvor. Das ungleiche Wachstum führt dazu, dass sich die Lohnschere in der Schweiz weiter öffnet.» Wie frappant diese Unterschiede sind, machen folgende Zahlen deutlich: Das bestverdienende Prozent bezog 2010 mindestens (!) 23?400 Franken und durchschnittlich sogar 42?400 Franken im Monat. Ihnen gegenüber bezogen die am schlechtesten verdienenden zehn Prozent maximal 3953 Franken für eine Vollzeitstelle; 1072-mal weniger! Auch der Medianlohn bewegte sich mit 5979 Franken in einer anderen Welt. 437?000 Lohnabhängige erhalten einen Lohn von unter 4000 Franken, was vielen verunmöglicht, anständig leben zu können. Acht Prozent aller Beschäftigten in der «reichen» Schweiz sind von Armut gefährdet. Dies steht in scharfem Kontrast zu den Spitzenlöhnen, die in den letzten Jahren explodiert sind.

An der Spitze der ungleichen Lohnentwicklung stehen die Topmanager, deren Löhne in den letzten zwei Jahrzehnten regelrecht explodiert sind. Die Höchstverdienenden bezogen zuletzt durchschnittlich 6.78 Millionen oder das 93-fache des Medianlohnes. Es sei noch darauf hingewiesen, dass diese Damen und Herren kurz vor dem Ausbruch der Finanzkrise im 2007 rund 10.4 Millionen Franken abgesahnt haben.

Fakten, die zu denken geben. Und vielleicht sollte man für einmal die Abstimmungsunterlagen nicht gleich ins Altpapier schmeissen, auch wenn – wie bereits erwähnt – mit einem Ja zur «1:12 Initiative» der Kapitalismus noch lange nicht überwunden ist.

 

JUSO und Denknetz (Hrsg.): «Lohnverteilung und 1:12-Initiative. Gerechtigkeit und Demokratie auf dem Prüfstand». Verlag edition8, 152 Seiten, Mai 2013.

Durchbruch oder Kontinuität?

220px-RWB_Industriegebiet.svgAnfang Juni haben die Gewerkschaften und Unternehmen der MEM-Branche (Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie) einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) unterzeichnet, in dem erstmals nach 76 Jahren Mindestlöhne festgelegt sind. Die Gewerkschaft Unia spricht von einem «?historischen Durchbruch?». Doch der neue Vertrag weist vielmehr auf die Ausweglosigkeit der Gewerkschaftsstrategie und auf die fehlenden Arbeitskämpfe in der Industrie hin.

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Für den 28. Juni 2013 war eine grosse Industrie-Demo in Bern angekündigt. Mit dem Druck der Strasse sollten die Unternehmen der MEM-Industrie gezwungen werden, einen neuen GAV für die Branche zu unterzeichnen, der Mindestlöhne beinhaltet. Soweit wird es aber nicht kommen. Es reicht das «Verhandlungsgeschick» des Industrieverantwortlichen der Gewerkschaft Unia, Corrado Pardini, um die Unternehmen zum Einlenken zu zwingen. Nach langen Diskussionen, einem kurzfristigen Abbruch der Verhandlungen Ende April durch die Unia und der Vermittlung des früheren Seco-Direktors Jean-Luc Nordmann seies endlich gelungen, einen GAV mit Mindestlöhnen zu unterzeichnen, so die Unia. Es wird von einem «Riesenschritt» und «historischem Durchbruch» gesprochen. Unia-Mitgründer Vasco Pedrina geht sogar noch weiter und stellt einen Vergleich an mit der Durchsetzung des Rentenalters 60 auf dem Bau.

Mindestlöhne und Mindestlohn-initiative

Die Regulierung der Ausbeutungsrate der Arbeitskraft, sprich die Lohnfrage, ist wieder auf der Tagesordnung gewerkschaftlicher Politik. Gründe dafür gibt es einige: Die Personenfreizügigkeit und die äusserst bescheidenen flankierenden Massnahmen, die EU-Krise, die ständig wachsende globale «industrielle Reservearmee», die auch in der Schweiz für Lohn- und Sozialdumping instrumentalisiert wird, und schliesslich die Zunahme prekärer Beschäftigung und Langzeitarbeitslosigkeit in Branchen, die bis vor zwei Jahrzehnten «krisenresistent» erschienen.

Die Gewerkschaften sind bei der Lohnfrage strategisch zweispurig gefahren: Einerseits haben sie vermehrt darauf gepocht, GAV zu unterzeichnen, in denen Mindestlöhne festgeschrieben sind. So wurde neulich in der grafischen Industrie ein neuer GAV unterzeichnet zwischen Viscom (Unternehmensverband) und den Gewerkschaften syndicom und syna. Die Festlegung und leichte Erhöhung der Mindestlöhne wurden jedoch auf Kosten der Flexibilisierung akzeptiert. Firmen können in Zukunft zum Beispiel die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich erhöhen.

Andererseits haben die Gewerkschaften eine Mindestlohninitiative lanciert, die bald zur Abstimmung kommt. Kein Stundenlohn sollte 22 Franken unterschreiten. Was jedoch nicht erwähnt wurde: Der Mindestlohn von 4000 Franken wird für 12 Monate kalkuliert. Wird der 13. Monatslohn mitberechnet, so liegt der gesetzlich vorgesehene Mindestlohn bei weniger als 3700 Franken.

GAV über alles

Im neuen «Kompromiss-GAV», wie der MEM-GAV von der Unia bezeichnet wird, stehen Mindestlöhne für Ungelernte und Qualifizierte, nach drei Regionen abgestuft. Im Tessin und Jura sind die Löhne am tiefsten, in Zürich, Genf und Waadt am höchsten. Der tiefste Lohn beträgt 3300 Franken für Ungelernte im Tessin.

Der reale Widerspruch, in dem sich die Gewerkschaften befinden, wird hier deutlich: Auf der einen Seite wird eine schweizweite 4000 Franken Mindestlohninitiative lanciert, auf der anderen Seite ein GAV unterzeichnet, in dem die Mindestlöhne deutlich unterhalb des Initiative-Mindestlohns sind. Corrado Pardini weist in einem Interview mit der Gewerkschaftszeitung work (7. Juni 2013) auf diesen Widerspruch hin: «Manche der Löhne [im neuen MEM-GAV] sind zu tief. Es war ein schwieriger Entscheid. Ent-weder kein GAV, also auch keine Mindestlöhne. Oder ein GAV, der zum ersten Mal in der MEM-Geschichte Mindestlöhne festmacht.» Diese Aussage kann wie folgt gelesen werden: Die Tendenz der Unternehmen, GAV zu deregulieren und sie auf die betriebliche Ebene zu beschränken, führt dazu, dass sie keine GAV mehr unterzeichnen, wenn wichtige Errungenschaften der ArbeiterInnen nicht aus dem Regelwerk gestrichen werden. Das Resultat davon ist, dass sich Gewerkschaften auch mit «leeren» GAV zufrieden geben. Dies hat in erster Linie mit der Legitimation der Gewerkschaften selbst zu tun (wozu Gewerkschaften, wenn nicht für die Regulierung der Arbeitsbeziehungen?), aber auch mit der Finanzierung der Gewerkschaften selbst über die paritätischen Fonds, die in den GAV festgelegt sind. Aus gewerkschaftlicher Perspektive existiert also gar keine andere Möglichkeit, als weiterhin GAV zu unterzeichnen, unabhängig von ihrem Inhalt. Gleichzeitig wird jedoch mit diesen «leeren» GAV die Ausbeutung der ArbeiterInnen institutionalisiert und legitimiert.

Von Friedensabkommen zu Friedensabkommen

Pardini spricht nun davon, dass mit dem neuen GAV das Friedensabkommen 1937 zu Grabe getragen wurde und eine neue Ära der Gewerkschaftsarbeit in der MEM-Industrie beginne, nämlich eine «Sozialpartnerschaft auf Augenhöhe». Pardini kann das nur zynisch gemeint haben. Denn wenn das Friedensabkommen tatsächlich «zu Grabe getragen wurde», warum wurde kurz nach dem Abschluss des neuen GAV die Industrie-Demo in Bern abgesagt? Braucht es keinen Druck der Strasse, um die Unternehmen zu zwingen, die Mindestlöhne tatsächlich einzuhalten (wir alle kennen ja den Unterschied zwischen der gesetzlichen Verankerung von Rechten und der alltäglichen, rechtswidrigen Praxis der Unternehmen) oder gar zu erhöhen? Wird mit einer solchen Haltung nicht genau die sozialpartnerschaftliche Haltung reproduziert, auf der das Friedensabkommen 1937 basierte? Vieles deutet darauf hin.

Die andere Seite der Geschichte ist, dass Arbeitskämpfe in der MEM-Industrie äusserst rar sind oder erst dann geführt werden, wenn Entlassungen und Betriebsschliessungen ausgesprochen werden. Die ArbeiterInnen vertrauen weiterhin stark auf eine Gewerkschaftsführung, die keine Antwort kennt auf die aktuelle Situation. Bleibt dies so, dann ist der neu unterzeichnete MEM-GAV nicht ein historischer Durchbruch, sondern bloss eine historische Kontinuität.

Der Streik bei Spar!

sparFast zwei Wochen lang streikten elf Arbeiterinnen im Spar-Shop in Baden-Dättwil für mehr Lohn und mehr Personal. Mit der angedrohten Räumung wurde ihr Kampf gewaltsam beendet. Die Bedeutung des Streiks reicht aber weit über die konkrete Auseinandersetzung hinaus.

Ihren Humor hatten sie immerhin nicht verloren, als die Streikenden diesen Freitag vor dem Spar in Dättwil Flugblätter verteilten. Einen Tag nach der gewaltsamen Beendigung ihres Kampfes und zwei Tage nach Eintreffen der fristlosen Kündigungen, amüsierten sie sich über den ungelenken Versuch von Spar-Bereichsleiter Hofmann, den Boden aufzunehmen. Sie liessen sich auch von den fünf Sicherheitsleuten und der Aufforderung von Spar, das Grundstück zu verlassen, nicht beeindrucken. Als eine Frau mit Kind dem Security an der Tür die Meinung sagte, wurde sie bejubelt. Auch am letzten Tag dieses Kampfes zeigte sich noch einmal die bemerkenswerte Entschlossenheit der Streikenden.

Eine rebellische Belegschaft

Dem Streik ging ein langer Prozess voraus. Hohe Fluktuation und ständiger Personalmangel führten zusammen mit den tiefen Löhnen zu einer prekären Situation. Sie führte beim Filialleiter zu einem Burnout, und als dann die stellvertretende Filialleiterin wegen der Geburt ihres zweiten Kindes ebenfalls ausfiel, wussten die ArbeiterInnen, dass es so nicht weitergehen konnte. Der erfolgreiche Streik von 2009 bei Spar im bernischen Heimberg war einigen ArbeiterInnen bekannt und sie begannen, Kontakt mit der UNIA aufzunehmen. Es gab mehrere Monate Verhandlungen mit Spar. Die Hauptforderung der Streikenden war dabei, wie später auch im Streik, mehr Personal. Spar zeigte sich unerbittlich und lehnte jedes Entgegenkommen ab. Der Entschluss zum Aufstand, war damit leicht gefasst.

Während 11 Tagen hielten die Streikenden zusammen mit der UNIA und UnterstützerInnen die Blockade des Spar-Shops aufrecht. Frühere Arbeitskämpfe fanden oftmals ihre Grenze im Überschreiten der legalen, aber zahnlosen Protestformen. In Dättwil machten sich die ArbeiterInnen keine Gedanken darüber, ob die Besetzung des Betriebs den Rahmen der Legalität sprengen könnte. Sie wussten, dass die Blockade ihr stärkstes Druckmittel war. Schliesslich war ihnen der tägliche Umsatz ihrer Filiale ziemlich genau bekannt. An ihre – verständliche – Grenze kamen die Streikenden erst, als die unmittelbare Konfrontation mit der Polizei bevorstand. Zwar entschieden die ArbeiterInnen nicht selber über die Aufhebung der Blockade, doch sie hätten nicht anders gehandelt. Für eine direkte Konfrontation mit der Polizei hätte sich keine Mehrheit finden lassen. Damit fügten sie sich zwar in die Niederlage, behielten aber ihre Würde und gingen keinen Kompromiss bezüglich ihrer Hauptforderung nach mehr Personal ein.

Über den Konflikt hinaus

Der Arbeitskampf beim Spar in Dättwil weist weit über die Auseinandersetzung in der konkreten Filiale hinaus. Stellvertretend für die restlichen 400?000 ArbeiterInnen in der Schweiz mit einem Lohn unter 4000 Franken, kämpfte eine Belegschaft gegen die prekären Arbeitsbedingungen im Detailhandel. Ein Sieg hätte stark an der Legitimität von Tieflöhnen gekratzt und andere ArbeiterInnen ermutigt, sich für höhere Löhne und besser Arbeitsbedingungen einzusetzen. So waren am Streikfest auch ArbeiterInnen anderer Detailhandelsfirmen anwesend, die den Streik mit Interesse beobachteten. Daher waren die Kapitalisten entschlossen, einen Sieg der ArbeiterInnen um jeden Preis zu verhindern. Neben den üblichen medialen Kanälen unterstützen vor allem FDP und SVP das juristische Vorgehen gegen die Blockade, wohlwissend, dass dadurch dem Streik die Zähne gezogen würden. Der Gerichtsentscheid, der die Blockade für illegal erklärte, wurde allerdings von der Polizei lange Zeit nicht durchgesetzt. Erst als der Druck von Seiten des Spar und dwn bürgerlichen Parteien zu gross wurde, bereitete man sich auf eine gewaltsame Räumung vor. In diesem Moment zeigte sich auch noch für den letzten Demokratieidealisten in aller Deutlichkeit, dass der Staat seine Geschäftsgrundlage notfalls mit Gewalt durchsetzt.

Nach «La Providence» ist es bereits das zweite Mal, dass streikende ArbeiterInnen fristlos entlassen werden. Die angedrohte gewaltsame Räumung der Besetzung ist aber ein absolutes Novum und soll ein klares Zeichen setzen. Arbeitskämpfe, die über Demonstrationen, symbolische Aktionen und Warnstreiks hinausgehen, werden nicht geduldet. Das bringt die Gewerkschaften in ein Dilemma, denn Verbesserungen können über den Weg der Sozialpartnerschaft kaum mehr erreicht werden. Die Mindestlöhne in der Industrie, die grösstenteils noch unter den geforderten 4000 Franken der Mindestlohnintiative bleiben, sind das beste Beispiel dafür. Um bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen, müsste der Weg der Klassenkonfrontation beschritten werden. Doch das sind die Gewerkschaften nicht bereit zu tun, da die Anerkennung als Sozialpartner ihre Geschäftsgrundlage ist. In Dättwil hat die UNIA auf Drängen der ArbeiterInnen für eineinhalb Wochen die sozialpartnerschaftlichen Bahnen verlassen, indem sie die gerichtliche Verfügung unter Berufung auf das Streikrecht für illegitim erklärte. Den Streik von Heimberg im Hinterkopf, der nach zwei Tagen gewonnen werden konnte, liess sich die UNIA von der Dynamik treiben. Trotzdem zielte die ganze Argumentation der UNIA in Dättwil darauf ab, dass sich doch alle Differenzen am Verhandlungstisch lösen liessen. Doch mit dem Streik in Dättwil wurde der Mythos von der einvernehmlichen Sozialpartnerschaft in der Realität endgültig zerschlagen.

Tanz dich frei 3

Tanz-dich-frei-Bern-2013-1Am 25. Mai nahmen sich in Bern 10?000 Personen ungefragt den Freiraum der Strasse. «?Wem gehört die Stadt?» lautete das Motto von «?Tanz dich frei 3?». Jene, welche die Eskalation seit -Wochen herbei-geschwatzt haben, müssen nun einige Fragen beant-worten. Die Partei der Arbeit Bern verurteilt den Einsatz der Polizei. 

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Was im Vorfeld des 25. Mai veröffentlicht wurde, las sich wie die Chronik einer angekündigten Katas-tro-phe: Gemeinderat, Polizei, Medien und die meisten politischen Parteien wurden nicht müde, sich gegenseitig mit Horrorszenarien und Vorverurteilungen der Veranstaltung «Tanz dich frei 3» zu übertrumpfen. Da wurden die Fanmärsche vor dem Fussball-Cupfinal vom Pfingstmontag zum unheilschwangeren Vorspiel stilisiert. Sensible Politschnüffler rochen Gewalt in der Luft, während die «Jugendversteher» sich übers apolitische und wohlstandsverwahrloste Partyvolk in Markenklamotten ausliessen, das noch nie etwas geleistet hätte. Solche Diffamierungen sind es, die wütend machen – immer wieder und immer noch!

Hämisch wurde der Wetterbericht wie eine Trumpfkarte ausgespielt. Und er kam: der Regen. Und das tanzende Volk kam trotzdem. Und es kamen Tausende. Sie tanzten und sie lieferten den lebendigen Beweis, dass der öffentliche Raum nach Ladenschluss nicht eine Wüste sein muss. Und sie tanzten, bis das Tränengas kam, der Wasserwerfer, der Gummischrot. Und viele tanzten auch dann noch weiter. Und viele schüttelten einfach nur den Kopf, weil nicht zu erkennen war, was denn plötzlich in die Polizei gefahren war. Und man muss sich diese Frage immer noch stellen.

Rechtsstaat als Ärgernis

War es eine Vergeltungsaktion für ein Scharmützel an einem Zaun, ein Akt von Kollektivbestrafung – etwa nach dem Leserbriefmotto: mitgegangen, mitgehangen? Oder war das die endgültige Ver-abschiedung der Strategie der Deeskalation? Oder war es etwa schlicht der Druck der ideologischen, materiellen und personellen Aufrüstung für den -Anlass? Musste es einfach so weit kommen, damit ein Kalkül aufgeht? Diese Fragen müssen sich all jene stellen, welche die Eskalation seit Wochen herbeigeschwatzt haben.

Aber viele von ihnen – in den Parteien, in den Medien, in der Polizei und im Gemeinderat – scheinen immer noch nicht genug zu haben. Und sie drehen weiter an der Schraube und steigern sich in ihren repressiven Fantasien in einen wahren Rausch hinein. Dass dabei rechtsstaatliche Gepflogenheiten bloss noch als Ärgernis gelten, versteht sich fast schon von selbst. Und dass auf diesem Boden Aufforderungen zur Denunziation gedeihen – wen mag das noch zu erstaunen? Hier haben wir die wahren Folgeschäden, die nicht so einfach zu kitten sind.

Es kamen Tausende und trotzten dem Wetter, der Angstmache und der Vorverurteilung. Weil sie sich nicht spalten und gegeneinander ausspielen liessen. Darin lag die Stärke von «Tanz dich frei 3». Darin liegt aber auch die Voraussetzung für ein «4» und darüber hinaus für jede Belebung des städtischen Raums, die sich nicht an Profitinteressen misst. Dieser Tanz muss weitergehen – gemeinsam!

Kritik am Kapitalismus

«Die Partei der Arbeit verurteilt den übertriebenen Einsatz der Polizei, die trotz Kenntnis der Route die Demonstration nicht ziehen liess und auf ihrem mobilen Polizeistützpunkt direkt neben der Demonstrationsroute beharrte», schreibt die PdA Bern in ihrer Medienmitteilung. «Die Polizei setzte Tränengas und Pfefferspray ein, bevor der erste Stein flog. Mit der bewährten Deeskalationsstrategie hätte der Abend nicht eskalieren müssen und es wäre wie vergangenes Jahr bei Sprayereien geblieben.» Für die Berner GenossInnen ist auch klar, um was es bei «Tanz dich frei 3» geht: «Um die Kritik am Kapitalismus – an einem System, das weit mehr zerstört als Scheiben und Blumentöpfe.»

Personenfreizügigkeit und Ausschaffung

abgelehntVielen ist noch unbekannt, dass die Schweiz nicht nur Asylsuchende, sondern auch europäische ArbeitsmigrantInnen des Landes verweist. Diese Praxis steht in Spannung zum neuen EU-Recht und wird in Zukunft wohl vermehrt zu Konflikten führen. Der Fall einer portugiesischen Arbeitsmigrantin, die sich gegen ihre Ausschaffung wehrt, wird zur Zeit im Bundesgericht behandelt.

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Im 2006 hat die stimmberechtigte Bevölkerung das neue Ausländergesetzt angenommen. Es regelt unter anderem die Einreisebestimmungen für ArbeitsmigrantInnen aus den EU-Ländern. Seit Inkrafttreten des neuen Gesetzes sind die Sozialämter verpflichtet, sozialhilfeabhängige ArbeiterInnen den Migrationsämtern zu melden. Damit hat sich die Wegweisungspraxis der Kantone verschärft. Bezieht jemand mit einer B-Bewilligung Soziahilfegelder in der Höhe von mindestens 25 000 Franken, prüfen die Migrationsämter die Rücknahme der Aufenthaltsbewilligung und somit die Ausschaffung der betroffenen Person.

Das Migrationsamt des Kanton Zürichs hat laut einer kürzlich erschienen Statistik seit Anfang 2012 30 arbeitslose MigrantInnen mit einer B-Bewilligung ausgeschafft, davon stammten 14 aus dem EU- und Efta-Raum.

Streitfall vor Bundesgericht

Die Debatte wird in den bürgerlichen Medien oft als «administrative» Umsetzung der Rechtsprechung geführt. Die aktuellen bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und der EU stehen in Spannung zum neuen EU-Recht. Denn dieses sieht vor, dass den migrantischen ArbeiterInnen nach fünf Jahren ein Daueraufenthaltsrecht zu erteilen ist, das nicht mehr an die ursprünglichen Bedingungen geknüpft ist. In der Schweiz sollten also laut EU-Recht nach fünf Jahren alle Personen mit B-Bewilligung eine Niederlassungsbewilligung (C-Bewilligung) erhalten. Das aktuelle Freizügigkeitsabkommen erlaubt jedoch, die Verlängerung der ersten fünfjährigen Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung) eineR migrantischen ArbeiterIn auf ein Jahr zu befristen, wenn sie bzw. er arbeitslos ist. Im Bundesrat laufen die Auseinandersetzungen um die Anpassung der bestehenden bilateralen Verträge ans EU-Recht. Ob und wann dies konkret wird, ist offen.

Das Bundesamt für Migration (BFM) strebt jedoch in der aktuellen Situation einen Präzedenzfall an und zieht den Fall einer alleinstehenden arbeitslosen Portugiesen ans Bundesgericht weiter. Der Frau wurde wegen Sozialhilfebezugs die Aufenthaltsbewilligung entzogen. Dagegen hat sie Beschwerde eingereicht und diese wurde vom kantonalen Verwaltungsgericht gutgeheissen. Bestätigt auch das Bundesgericht dieses Urteil, müssen die Kantone ihre Ausschaffungspraxis von ArbeiterInnen mit B-Bewilligung anpassen.

Eine politisch brisante Frage

Im Kontext steigender Langzeitarbeitslosigkeit in Europa, der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU und der Konflikte um gewerkschaftsfeindliche Entlassungen in der Schweiz (vgl. Seite 3) gehen Fragen der Ausschaffung von Arbeitsmigrant-Innen über den «administrativen» Charakter hinaus. Die Prognosen für die EU-Länder, aus denen viele ArbeitsmigrantInnen in die Schweiz einreisen, sind alles andere als rosig. In Spanien ist kaum eine Verbesserung der Lage zu verzeichnen. Rezession und hohe Arbeitslosigkeit dominieren auch die sozioökonomische Entwicklung in Portugal. Und in Italien dauert der sozioökonomische Restrukturierungsprozess an, Sinnbild dieses Prozesses ist der Wandel der Arbeitsbeziehungen, der in Anlehnung an den FIAT Chef als «Marchionne System» bezeichnet wird. Es handelt sich dabei um die Ausschliessung gewerkschaftlicher VertreterInnen, die sich gegen ökonomische Restrukturierungen wehren.

Heute fungieren die südeuropäischen ArbeitsmigrantInnen also als «industrielle Reservearmee» für die «strukturell starken» Ökonomien Nordeuropas (u.a. Deutschland, Schweiz). Sie dienen als Manövriermasse und als Instrument der Durchsetzung von Lohn- und Sozialdumping. Eine Antwort auf diese Entwicklungen kann weder in der Aufkündigung der bilateralen Abkommen (zum Beispiel in der Form der Einwanderungsinitiative der SVP) liegen, noch ausschliesslich auf intensivere Arbeitsmarktkontrollen (wie von einigen Gewerkschaften und linken Parteien gefordert) basieren. Einzig die Verbindung der Lohnabhängigen, der Erfahrungsaustausch ihrer individuellen und kollektiven Mobilisierungen über Staat und Nation hinaus und auf der Basis ihrer Klassenzugehörigkeit können die Rechte aller Lohnabhängigen stärken.

Repression gegen Alle

ZürcherSKDie Abstimmung über das verschärfte Konkordat «über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» steht an. Mit einem Nein können sich die Zürcher StimmbürgerInnen für die Grundrechte und gegen unsachliche Law-and-Order-Politik stark machen. Ein Beitrag der Zürcher Südkurve.

vorwärts Nr. 17/18 vom 10. Mai 2013

Am 9. Juni stimmt die Zürcher Stimmbevölkerung über die Verschärfung des Konkordats «über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen» ab. Dieses Konkordat ist in der Schweiz seit 2010 in allen Kantonen in Kraft. Das Konkordat enthält Bestimmungen, welche im Jahr 2008 im Rahmen des «Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit»  (BWIS) zeitlich begrenzt und extra für die Fussball-Europa- und die Eishockey-Weltmeisterschaft in der Schweiz erlassen wurden. Obwohl an diesen beiden Grossereignissen, die im Vorfeld von Politik und Polizei angekündigten und befürchteten Gewaltereignisse nicht eintraten, überführte die «Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren» (KKJPD) die Bestimmungen mittels Konkordat ins kantonale Recht. 2010 traten dem Konkordat alle Schweizer Kantone bei. Seither wird mit Rayonverboten und Meldeauflagen gegen sogenannte «GewalttäterInnen» an Fussball- und Eishockeyspielen vorgegangen. Bereits im Vernehmlassungsverfahren zu diesem Konkordat kritisieren die «Demokratischen Juristinnen und Juristen Schweiz», dass der Begriff «gewalttätiges Verhalten» in diesem Konkordat mit dem Bundesrecht «nicht vereinbar» sei, weil diese durch das schweizerische Strafgesetzbuch (StGB) geregelt und definiert werden. Kritisiert wurde damals auch, dass laut Konkordat bereits das Vorliegen eines bestimmten Verdachts oder Aus-sagen gewisser Personen reichen, um die Freiheit einer betroffenen Person «unverhältnismässig einzuschränken».

Eine seltene Ausnahme

Die damalige Präsidentin der KKJPD und St.Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter spielte sich mit dem Themen «Fans» und «Hooligans» ins mediale Rampenlicht. Sie berichtete von unhaltbaren Zuständen in den Stadien, von einer immensen Gefahr, welche von einzelnen «gewaltbereiten Fans» ausgehe und sie versprach mit diesem Konkordat die Probleme zu lösen. Bereits bei der Einführung des Konkordats konnte aber nicht mit Zahlen und Fakten, sondern lediglich mit einzelnen Bildern aus der Medienberichterstattung argumentiert werden. Gebetsmühlenartig wurden die Bilder vom Meisterschaftsfinale 2006 oder den Fackelwürfen von Basel 2009 gezeigt und der Stimmbevölkerung so vermittelt, dass solche Vorkommnisse in Sportstadien zur Tagesordnung gehören. Wer gegen das Konkordat aufmuckte wurde als Gewaltverherrlicher oder Verharmloser beschimpft. Karin Keller-Sutter gewann 2011 den Swiss-Award in der Kategorie «Politik» und wurde beinahe in den Bundesrat gewählt. Ihr Feingespür, mediale Schlagzeilen in die Politik einzubeziehen, zu dramatisieren und die Medien immer wieder mit neuen Geschichten zu füttern, erwies sich als voller Erfolg.

Ganz anders die Erfolgsbilanz des Konkordats. Trotz dessen Einführung kam es auch nach 2010 zu einzelnen unschönen Ereignissen in Sportstadien. Trotz minutiösen Besucherkontrollen, reinen Sitzplatzkurven, Alkoholverbot und massenhaft privater Sicherheitskräfte in den Stadien konnten weder die Ausschreitungen im Letzigrund-Gästesektor beim Spiel FC Zürich – FC Basel im Frühling 2011 noch der erneute Fackelwurf am Zürcher Derby im Oktober 2011 verhindert werden. Aufgrund dieser Vorkommnisse wurden die Boulevardpolitiker aber wieder aktiv. Angestachelt von der öffentlichen Empörung beschlossen sie, das Konkordat weiter zu verschärfen. Dass die Anzahl Personen, welche in der Hooligan-Datenbank gespeichert sind aber über Jahre relativ konstant ist, dass die Gewalt in Stadien rückläufig ist und dass solche Extrembeispiele weiterhin eine seltene Ausnahme bilden, wird ignoriert. Am 9. Juni stimmen wir im Kanton Zürich über die Verschärfung ab.

«Den Hurensöhnen haben wir es gezeigt»

Auffällig ist bei dieser Verschärfung, dass die Massnahmen nicht mehr gegen einzelne Personen, sondern gegen sämtliche BesucherInnen von Fussball- und Eishockeyspielen in den beiden höchsten Schweizer Ligen gerichtet sind. Neu sollen bei gewissen Spielen flächendeckende ID-Kontrollen durchgeführt werden. Dies obwohl eine generelle Ausweispflicht im Kanton Zürich fehlt. Weiter soll den Gästefans vorgeschrieben werden, mit welchen Transportmitteln und auf welchem Weg sie ins Stadion gelangen sollen. Ein FC Basel- Fan aus Zürich müsste also, um das Spiel FCZ-FCB im Gästesektor des Letzigrunds verfolgen zu können, zuerst von Zürich nach Basel reisen, um dort mit dem von den Behörden vorgeschrieben Transportmittel zurück nach Zürich zu kommen. Auch das im verschärften Konkordat vorgesehene Alkoholverbot im Stadion und im Stadionumfeld bestraft alle SpielbesucherInnen und das umliegende Kleingewerbe gleich mit. Störend ist, dass die V.I.P.-Logen von dieser Bestimmung ausgenommen sind. Besserbetuchte können sich also von den Schikanen freikaufen. Auch wollen die PolitikerInnen in den Logen scheinbar nicht auf ihr Bier verzichten. Die Zweiklassengesellschaft in Sportstadien wäre damit perfekt. All diese Massnahmen können die Behörden mit der sogenannten «Meldeauflage», welche neu im Konkordat wäre, erzwingen. Im Bericht der KKJPD ist sogar von Fahnen-, Megaphon- und Choreographieverboten die Rede.

Der Fakt, dass Rayonverbote und Meldeauflagen im verschärften Konkordat für maximal drei Jahre und schweizweit, statt wie bisher lokal und nur für ein Jahr ausgesprochen werden können, lässt ebenfalls jede Verhältnismässigkeit vermissen. Gerade wenn man bedenkt, dass dabei bereits Aussagen von privaten Sicherheitskräften reichen. Dass diese Sicherheitskräfte, auch zum Sicherheitsproblem werden können, zeigten verschiedene Ereignisse der letzten Jahre. So schrieb ein Mitglied der Delta-Security auf seinem Facebook-Profil nach einem Spiel: «Den Hurensöhnen haben wir es gegeben. (…) Am Samstag ficken wir die Inzuchtbuben vom Rhein gleich nochmals (…) Am Samstag werden die Basler in Sion wieder bluten».  Zudem gab es Mitglieder, die sich mit Naziemblemen oder dem Spruch «All Cops are Bastards» schmückten. Vor kurzem sorgte die Firma Protectas für Aufsehen: In einem internen Film zünden zwei Mitglieder zu martialischer Musik zwei Seenotfackeln. Auch hier soll natürlich nicht dramatisiert werden. Auch hier kann von Einzelfällen gesprochen werden, doch es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob der Staat das Gewaltmonopol in dieser bedenklicher Art und Weise aus der Hand geben soll. Zudem dürfen private Sicherheitskräfte die ZuschauerInnen nach dem verschärften Konkordat auch ohne Verdacht über den Kleidern am ganzen Körper abtasten.

«Mit Grundrechten spielt man nicht»

Wie der Zürcher AL-Kantonsrat Markus Bischoff an der Pressekonferenz des Referendumskomitees «Kollektivbestrafung Nein», sagte, gelte in der Schweiz das Störerprinzip. Die Polizei hat also gegen StörerInnen vorzugehen. Im Konkordat werden Sportfans aber grundsätzlich als StörerInnen angesehen. Das verschärfte Konkordat arbeitet mit Kollektivstrafen und schafft ein Sondergesetz für Menschen, die ihre Freizeit gerne in Sportstadien verbringen. Es tritt Grundrechte mit Füssen und schränkt die Freiheit der BürgerInnen massiv ein. Die Erfahrung zeigt, dass repressive Massnahmen gerne zuerst an in der Öffentlichkeit weniger positiv wahrgenommen Personengruppen ausprobiert werden, um sie später auf weitere Gesellschaftsbereiche auszudehnen. Der Grüne Gemeinderat Markus Kunz sagt: «Mit Grundrechten spielt man nicht!» Das Konkordat gilt es am 9. Juni wuchtig abzulehnen.

Ventilklausel gegen MigrantInnen

Am 24. April 2013 hat der Bundesrat angekündigt, die im Freizügigkeitsabkommen vorgesehene Ventilklausel anzurufen. Dadurch wird für die ArbeiterInnen der EU-25-Staaten die Einreise in die Schweiz neu reguliert. Folgen davon sind einerseits eine Prekarisierung der Arbeitsbedingungen, andererseits die Legitimation einer repressiven Asylpolitik.

Aus dem vorwärts vom 24. Mai. Unterstütze uns mit einem Abo!

Per 1. Mai 2013 wurde die Kontingentierung (Begrenzung) der B-Bewilligungen (Aufenthalts- und Arbeitsbewilligungen für fünf Jahre) für die ArbeiterInnen der osteuropäischen Staaten (EU-8) fortgesetzt. Falls der vordefinierte Schwellenwert erreicht wird, wird die Kontingentierung per 1. Juni 2013 auf die B-Bewilligungen für ArbeiterInnen aus den «alten» EU-Ländern (EU-17) ausgedehnt. Hingegen betrifft die beschränkte Einreise nicht die Kurzaufenthaltsbewilligungen L, weder für ArbeiterInnen aus den EU-8-, noch für diejenigen aus den EU-17-Ländern (Kurzaufenthaltsbewilligungen bis zu einem Jahr).

Der Bundesrat reagiert mit dieser Entscheidung auf die unterschiedlichen, teils widersprüchlichen Interessen des schweizerischen Kapitals. Auf der einen Seite darf eine Kontingentierung die Nachfrage des Arbeitsmarktes nach billigen Arbeitskräften nicht zu fest einschränken, auf der anderen Seite soll hingegen auf die Initiativen im Bereich der Migration («Stopp Masseneinwanderung» und die Ecopop-Initiative) reagiert werden, die vorsehen, die Einwanderung sowohl der europäischen (Ausländergesetz) wie auch der aussereuropäischen (Asylgesetz) ArbeiterInnen nur noch politisch zu regulieren.

Prekarisierung der Arbeitsbedingungen

Es stellt sich die Frage, ob sich an der Einreise von migrantischen ArbeiterInnen real tatsächlich etwas verändern wird. Zahlenmässig wohl kaum, denn es ist vorhersehbar, dass derjenige Anteil von ArbeiterInnen, der bis jetzt mit einer B-Bewilligung einreisen konnte, «umgeleitet» wird und nun mit einer L-Kurzaufenthaltsbewilligung in die Schweiz kommt. Pro Jahr werden geschätzte 3000 ArbeiterInnen also eine Verschlechterung der Einreisebedingungen erleben. Für diese ArbeiterInnen wird der Zugang zu den Sozialversicherungen massiv eingeschränkt. Bei Entlassungen bleibt ihnen meist nichts anderes übrig, als wieder in die Heimat zurückzukehren (erinnern Sie sich an die Saisoniers?), die Kontrolle ihrer Arbeitsbedingungen und die Möglichkeit der kollektiven Organisierung werden erschwert – kurz: Der Ausbeutungsgrad der migrantischen ArbeiterInnen wird erhöht. Was der Bundesrat in seiner Mitteilung als «gesellschaftsverträgliche Gestaltung der Zuwanderung» beschreibt, ist nichts anderes als ein Euphemismus. Die Zuwanderung wird in erster Linie «kapitalverträglich» gestaltet.

Asylpolitik wird repressiver

Gleichzeitig muss die Anrufung der Ventilklausel auch im Kontext der Verschärfungen im Asylbereich analysiert werden. Denn die Ventilklausel impliziert, dass die Einwanderung eine «verträgliche Obergrenze» erreicht hat. Und wenn schon die Einreise der ArbeiterInnen der EU-Staaten beschränkt werden muss, dann gilt dies in der Logik des Bundesrates umso mehr für ArbeiterInnen der aussereuropäischen Länder. Somit legitimiert der Bundesrat seine eigene repressive Lagerpolitik und erschwert die politische Arbeit derjenigen Bewegungen und Organisationen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten für ein Bleiberecht für alle einsetzen. Die Politik des «teile und herrsche» wird somit fortgesetzt.

Den migrantischen ArbeiterInnen – mit und ohne Papiere, mit stabiler oder prekärer Aufenthaltsbewilligung – bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich gemeinsam zu organisieren und gemeinsam für die Rechte aller MigrantInnen zu mobilisieren.

Gestreikt und Entlassen

providence_streikWir veröffentlichen hier den übersetzten Aufruf der ehemaligen Streikenden des Krankenhauses «?La Providence?» aus Neuenburg zur Solidaritätsdemonstration gegen missbräuchliche und gewerkschaftsfeindliche Entlassungen am 1. Juni in Genf ab.

Die Geschichte des Streiks im Neuenburger Krankenhaus «La Providence» ist schlicht unglaublich. Weil sie sich für den Erhalt des Gesamtarbeitsvertrages (GAV) «santé 21» eingesetzt haben, wurden 22 Streikende am 4. Februar 2013 mit sofortiger Wirkung entlassen. Wie kann ein Krankenhaus, finanziert durch unsere Steuern, von einem Tag auf den Anderen entscheiden, den GAV nicht mehr einhalten zu wollen und diejenigen zu entlassen, die sich dagegen wehren – und all dies mit der Unterstützung des Neuenburger Regierungsrates?? Genau dies findet heute in der Schweiz statt!

Arroganter Käufer, vom Regierungsrat unterstützt

Bei der Ankündigung des Kaufs des Krankenhauses «La Providence» im Frühjahr 2012 hat die private Gruppe «Genolier» gefordert, dass der GAV «santé 21» aufgekündigt wird. Es handelt sich jedoch um den Gesamtarbeitsvertrag, der für alle sub-ven-tio-nier-ten Institutionen des Kantons gilt. Eine Verordnung des Regierungsrates selbst legt fest, dass der GAV «santé 21» respektiert werden muss, um einen öffentlichen Auftrag im Gesundheitswesen zu erhalten. Komischerweise denkt der Regierungsrat jedoch, für «Genolier» könne eine Ausnahme gemacht werden. Warum??

Im Herbst 2012 hat der Regierungsrat mit den Beschäftigten des Krankenhauses während dreier Monate eine «falsche» Schlichtung geführt, um sie daran zu hindern, in den Streik zu treten (ein Streik während einer Phase der Schlichtung wird als «illegal» bezeichnet). Trotz Versprechungen hat der Regierungsrat nach drei Monaten keine Lösung vorgeschlagen. Warum??

Im Dezember 2012 hat der Regierungsrat eine Motion verabschieden, die «Genolier» zwingen sollte, den GAV einzuhalten. Wie bei der Verordnung hat der Regierungsrat jedoch auch diese Mo-tion nicht umgesetzt. Warum??

Wir müssen feststellen, dass in dieser Geschichte die politischen Behörden des Kantons sich mit einer privaten Gruppe geeinigt haben, einen GAV zu zerschlagen und somit all diejenigen zu entlassen, die sich dagegen wehren.

22 WiderstandskämpferInnen

Trotz ständigen Drohungen von Seiten des Unternehmens, trotz Kompromissen des Neuenburger Regierungsrates, trotz Räumung des Streikpostens durch die Polizei während der Weihnachtsfeier, trotz fristloser Entlassung, haben sich 22 Angestellte gewehrt und fordern heute noch die Einhaltung des GAV «santé 21» von allen Institutionen, die einen öffentlichen Auftrag im Gesundheitswesen erhalten, und den Respekt der gewerkschaftlichen Rechte durch die Widerrufung der illegalen Entlassungen, die gegen die Streikenden ausgesprochen wurden.

Ja, es passiert in der Schweiz?!

Diese unglaubliche Geschichte ereignet sich heute in Neuenburg, weil die Schweiz die internationalen Bestimmungen in Sachen Gewerkschaftsrechte nicht respektiert. Die Schweiz hat zwar die Konventionen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) zu den gewerkschaftlichen Freiheiten ratifiziert, der Bund hat jedoch nie ein dem internationalen Recht konformes Gesetz verabschiedet. In einfachen Worten: Wir können streiken, aber wenn uns das Unternehmen entlässt, wird das Gericht es bloss zur Rückzahlung einiger Monatslöhne verurteilen. Die privaten Gruppen schrecken vor nichts zurück, sie machen alles für ihre Profite, sie zerstören die Arbeitsbedingungen und die Dienstleistungen für die Bevölkerung. Wenn wir das Streikrecht verteidigen wollen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als den Bund zu verklagen, bis er das Gesetz ändert. Genau das haben die Gewerkschaften am 10. April vor der ILO gemacht.

Wir laden euch somit ein, an der grossen ­Demonstration für den Respekt der ­gewerkschaftlichen Rechte teilzunehmen.

Samstag, 1. Juni 2013, 14 Uhr, Place du Molard, Genf, Tram 14 Richtung P+R Bernex, Haltestelle Bel-Air, 3 Minuten Fussweg bis zur Place du Molard.

Gegen Repression und Ausschaffung

lagerpolitik_stinkt_2Letztes Wochenende wurde das Duttweiler-Areal in Zürich West für drei Tage besetzt. Betroffene und AktivistInnen verschiedener Gruppierungen wollen das an dieser Stelle geplante Lager für Asylsuchende bekämpfen, mit dem der Staat die Durchführbarkeit seiner neuen Strategie in der Asylpolitik testen will. Diese will vor allem eines?: Beschleunigung der Verfahren.

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Während die StimmbürgerInnen zu Hause sitzen und von dem grauen Zettel mit dem leerem Rechteck nach einem Ja oder Nein zur Asylgesetzrevision gefragt werden, sind in Zürich etwa 150 AktivistInnen zur Tat geschritten. Sie haben letztes Wochenende drei Tage lang das Duttweiler-Areal zwischen der ehemaligen Toni-Molkerei und den Geleisen besetzt, um gegen das dort geplante Testlager für Asylsuchende zu protestieren. Laut ihrer Mitteilung setzen sich die BesetzerInnen der Aktion «Smash the Camps» aus «direkt Betroffenen und Solidarischen, Einzelnen und Gruppierungen» zusammen, die «das Migrationsregime als Ganzes ablehnen und deshalb das Bundes-lager (als Teil staatlicher Lagerpolitik) auf dem Duttweiler-Areal verhindern wollen».

«Wir delegieren unsere Macht nicht an Parteien und Asylorganisationen, die sich im Bestreben, die Migration zu lenken und zu kontrollieren grundsätzlich einig sind», heisst es in dem Communiqué der AktivistInnen weiter, «sondern setzen auf Selbst-organisation und Selbstermächtigung. Dazu nehmen wir uns Raum, ohne darum zu bitten, und suchen gemeinsam nach Möglichkeiten, wie wir die Abläufe des Migrationsregimes sabotieren können.»

Die «?verdienen?» doch ein schnelles Verfahren

Im Zuge des Kampfes gegen «jegliche Art von Herrschaft, Ausbeutung, Unterdrückung und Einsperrung» soll das erste «Bundeszentrum» für Asylsuchende verhindert werden, mit dem der Staat ab Januar 2014 die Durchführbarkeit seiner neuen Strategie in der Asylpolitik testen will. Diese Strategie sieht vor allem vor, die Verfahren zu beschleunigen, was gern mit den Interessen der Asylsuchenden begründet wird, die ein schnelles Verfahren «verdienen» würden. In den militärisch durchorganisierten Lagern sollen möglichst schnell die «falschen» von den «richtigen» Flüchtlingen getrennt werden. Erstere werden dann dem Ausschaffungsregime zugeführt, das gleich in der Nähe ebenfalls neue Infrastruktur erhalten soll. Neben der gesteigerten Effizienz des Verfahrens kann mit den Lagern jedoch auch leicht die Anzahl an angenommenen Asylanträgen gesenkt werden.

Das geplante Lager soll 500 Asylsuchende aufnehmen können und unter anderem eine Rechtsberatung, die zuständigen Behörden und die Polizei beherbergen. In der Umgebung sind zudem 700 Ausschaffungshaftplätze, sowie Spezialknäste für «renitente» Asylsuchende geplant. Die geplante Infrastruktur dient den Herrschenden als ein Element im Erhalt ihres Machtsystems. Die BesetzerInnen schreiben: «Diese Strukturen der Unterdrückung und Ausbeutung können nur in einer autoritären Gesellschaft bestehen, welche die herrschenden hierarchischen Machtstrukturen als unantastbaren Status Quo akzeptiert und als Grundlage eines progressiven, demokratischen Systems versteht. Die Herrschenden setzen indes alles daran, diesen scheinheiligen Frieden inmitten eines sozialen Krieges zu bewahren und jede potenzielle Gefährdung wegzusperren.»

Friedliche Besetzung statt grossem Spektakel

Die Besetzung wurde von der Polizei toleriert, was sie den AktivistInnen vor Ort auch explizit mitgeteilt hat. Zwar seien einige ob dieser Milde überrascht gewesen, wie ein Aktivist berichtet. Sogar das Tor zum Areal habe man offen stehen lassen. Anderer-seits sei auch klar, dass man den Protesten gegen das geplante Testlager von Anfang an möglichst wenig Aufmerksamkeit schenken wolle. Auch war der Protest eher symbolischer Natur. In der -öffentlichen Mobilisierung hatten die AktivistInnen bereits erklärt, dass die Besetzung nur bis Montag dauern werde.

Auf ein öffentlichkeitswirksames Spektakel waren die BesetzerInnen sowieso nicht aus – JournalistInnen waren auf dem Gelände unerwünscht. Dafür wurden die ruhigen Tage für ausgiebige Diskussionen über mögliche zukünftige Widerstands-stra-te-gien genutzt. Das sei darum wichtig, meint der Aktivist, weil genügend Gelegenheiten zum Austausch und zur Besprechung des Weiteren Vorgehens zur Verfügung gestanden hätten. Darüber, dass weitere Aktionen nötig sind und auch durchgeführt werden können, waren sich die Teilnehmenden erfreulicherweise einig.

Ebenfalls wurde darüber diskutiert, welcher Grad an Radikalität im Umgang mit den betroffenen Asylsuchenden angemessen ist. Viele forderten etwa, dass man sich vor konkreten Forderungen generell hüten solle, andere waren der Meinung, man solle die Asylsuchenden auch darin unterstützen, kleine Forderungen gegenüber dem Staat zu verwirklichen.

Abgesehen von diesen Details scheinen der breiten Bevölkerungen noch nicht einmal die groben Züge der Lager-Problematik bewusst zu sein. In kleinen Interviews jedenfalls, die der Tagi mit Passanten im Quartier Zürich West aufgenommen hat, werden mehrheitlich Bedenken geäussert, die Kriminalität könnte im ach so hippen Ausgehviertel ansteigen und sowieso seien 500 an einem Ort doch gerade etwas viel. Doch wir können beruhigen: Die Asylunterkünfte können so schnell sie aufgebaut werden auch wieder zu Gewerbeflächen umgenutzt werden. Sie sind eben so flexibel, wie es die Menschenmassen sein sollen, die auf dem Arbeitsmarkt ausgebeutet werden.

13’000 in Zürich

OLYMPUS DIGITAL CAMERA13’000 TeilnehmerInnen an starkem und kämpferischen 1. Mai 2013

An der 1.-Mai-Demonstration in Zürich haben rund 13’000 Personen teilgenommen. Der grosse und vielfältige Demonstrationszug führte über den Bahnhofplatz und das Limmatquai zum Bellevue und von dort zum Bürkliplatz. Dort fand auch die Abschlusskundgebung mit spannenden und kämpferischen Reden statt. Nun steigt auf dem Kasernenareal der 1. Tag des grossen 1.-Mai-Fests. Gefeiert wird in diesem Jahr auch am kommenden Wochenende. 

Für das 1.-Mai-Komitee sprach der Griechische Streikführer Panagiotis Katsaros. Er sprang kurzfristig für die erkrankte Sofia Roditi ein. Die Sprecherin des Frauenkomitees im Stahlwerk von Aspropyrgos musste ihren Aufritt deshalb absagen. Katsaros rief alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dazu auf für ihre Anliegen zu kämpfen. In seiner Rede übte er auch starke Kritik an der Sparpolitik der Europäischen Union. „Sie meinten, dass Griechenland eine einmalige vorübergehende Sache ist, weil die Griechen faul sind und sie denken, dass  wir unsere Lehre bekommen müssen, damit wir Europäer werden!“ Laut Katsaros wurde ursprünglich ein Europa der Völker versprochen. Heute sei es ein Europa der Banken und Gier.

Der ebenfalls eingeladenen Abdullah Öcalan konnte seine Rede aufgrund seiner Inhaftierung nicht halten. In einer Grussbotschaft rief er dazu auf, dass die Völker heute in der Lage sein sollten in Friede und Würde miteinander zu leben und das veraltete Nationalstaatendenken zu überwinden. Seine Grussbotschaft finden sie unter www.1mai.ch

Marina Carobbio, SP-Nationalrätin und Präsidentin des Mieterverbandes Schweiz, prangerte in ihrer Rede die Abzocker-Mentalität an, die auch in der Schweiz überhandgenommen habe: „Der gierigste Abzocker, CS-Chef Brady Dougan, zahlt sich selber 1820mal mehr aus, als der Angestellte mit dem tiefsten Lohn verdient. Das hat nichts mit Leistung und Verantwortung zu tun, sondern mit unanständiger Gier.“ Carobbio erinnerte daran, dass am 1. Mai weltweit Millionen von Menschen auf die Strasse gehen, um sich gegen Diskriminierung, Ungleichheit und Unterdrückung zu wehren und für Solidarität, Freiheit und soziale Gerechtigkeit einzustehen. Alle verbinde die Hoffnung und die Überzeugung, dass eine gerechtere Gesellschaft möglich sei: „Es ist höchste Zeit für mehr Gerechtigkeit!“

Susi Stühlinger, Autorin, Journalistin und AL-Kantonsrätin in Schaffhausen, konfrontierte die Arbeitgeber mit den alten, aber leider immer noch aktuellen und zentralen gewerkschaftlichen Forderungen: „Was wollen wir neue Forderungen stellen, wenn ihr euch weigert, die alten zu erfüllen?“ Sie hielt fest: „Wir sind mehr als eure Produktionsfaktoren, die ihr zusammen mit der Produktion verlagert und vernichtet habt – wir sind Menschen aus Fleisch und Blut, nicht Kostenfaktoren, Gewinnmaximie­rung und Shareholdervalues.“ Und im Namen von allen forderte sie alles, für alle.

Für das 1.-Mai-Komitee waren die Demonstration und die Schlusskundgebung ein Erfolg. Als Dachorganisation von über 60 Gruppen mobilisierte das 1.-Mai-Komitee Tausende von Menschen. Der Demonstrationszug durch die Zürcher Innenstadt verlief wie jedes Jahr friedlich. Im Anschluss an die Schlusskundgebung geht das 1.-Mai-Fest auf dem Kasernenareal weiter. Das Fest findet in diesem Jahr auch am kommenden Wochenende statt.

Das 1.-Mai-Komitee vereinigt als Dachorganisation über 60 Gruppen. Dazu gehören Linksparteien, SP-Sektionen und Gewerkschaften, Komitees, Migrantenorganisationen, ausländische Linksparteien, Befreiungsorganisationen und Kulturgruppen.

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