Unbezahlte Arbeit zählt nicht

Mascha Madörin. Als Folge des ersten Frauen*streiks wird in der Schweiz seit 1997 die unbezahlte Arbeit, die vor allem von Frauen* geleistet wird, statistisch erfasst. In gesamtwirtschaftlichen Analysen und Zusammenhangserklärungen und in offiziellen sozial- und wirtschaftspolitischen Projekten kommen die Zahlen aber noch immer nicht vor.

Schon Ende der 1980er Jahre erschien das für feministische Makroökonom*innen wegweisende Buch von Marilyn Waring mit dem Titel «If Women Counted. A New Feminist Economics» (1988). Als Mitglied der Kommission für öffentliche Finanzen befasste sich die junge Parlamentarierin mit der Revision der Nationalen Buchhaltung Neuseelands (in der Schweiz: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung VGR).

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Mit dem Kopf gegen die Wand

sah. Aus der Mitte – direkt in euer Gemächt: Lina Maria Sommer und Jessica Jurassica lasen erotische feministische Texte im Zelt «Schützenhaus». Literatur ist eine Plattform; eine Mo?glichkeit zu erza?hlen, zu wagen, zu thematisieren. Ein Interview über Feminismus und Literatur.

Am 20. März 2019 war es soweit: Lina Maria Sommer und Jessica Jurassica lasen im Schützenhaus auf der Schützenmatte vor der Reitschule in Bern im Rahmen von «Platzkultur» mit den angekündigten Sätzen: «Die Wange der Gegenwart läuft in die dargebotene, literarische Faust unserer Zeit.» Oder auch: «Es gibt viele Möglichkeiten, mit dem Kopf gegen die Wand zu laufen.» Rund ist der Tisch und weiss leuchtet die Sturmmaske von Jessica Jurassica, die mit einer Schirmmütze und in einem Trainerpulli vor der Tischplatte sitzt. Als ich später die zwei Autorinnen für ein Interview anspreche, bleibt die Frau unter der Maske genauso ein Phantom, wie sie das auf der Bühne gewesen ist.

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Frauen*streiks verändern den Streikbegriff

sah. Die Frauen*bewegung 2019 bezieht sich auf den Streik von 1991, der nach wie vor eine der grössten Mobilisierungen der Schweizer Geschichte ist. An der Quellenpräsentation im Schweizerischen Sozialarchiv in Zürich wurden die
Geschehnisse von 1991 und 2019 eingeordnet. Ein Bericht.

Jeder Stuhl war besetzt. Viele der Besucher*in-nen erkannte man als Aktivist*innen aus der Zeit rund um den Frauenstreik 1991. Sie waren damit deutlich älter als die Männer* und Frauen*, die zuvor einen Stock höher in den Räumlichkeiten des Schweizerischen Sozialarchivs in Zürich mit Computer recherchiert oder Texte gelesen und sich nun an diesem 17. Mai zur Quellenpräsentation im Medienraum eingefunden hatten. Es war ein Zusammentreffen von werdenden Zeitzeug*innen mit Zeitzeug*innen.

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Das «Generationenbier»

sah. Was passiert, wenn ’91 auf ’19 trifft? Dann treffen Zeitzeug*innen auf künftige Zeitzeug*innen. So geschen in Bern, wo sich Aktivist*innen von 1991 mit den Aktivist*innen des aktuellen Frauenstreiks trafen und dabei Erfahrungen austauschten. Einiges hat sich geändert, doch das Treffen half mit, Synergien zu bündeln.

Der Countdown läuft und alle sind schon etwas nervös: es gibt noch viel zu tun. Frauen* aus unterschiedlichen Gruppen und Generationen trafen sich zum «Generationenbier» am 15. Mai im Progr in Bern. Vor dem gemütlichen Austausch zeigten die Veranstalter*innen noch Filmausschnitte zu Frauen*kämpfen aus den letzten 30 Jahren und es sprachen Aktivist*innen von Gruppen wie der SUB Bern (Studierendenschaft der Universität Bern), das Frauen*streikkollektiv an den Berner Hochschulen oder der regionalen Koordinationsgruppe Bern.

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Auch in der Schweiz: Frauen sterben, weil sie Frauen sind

sah. Die Schweiz hat ein massives Problem im Bereich Gewalt gegen Frauen und Mädchen, so schreibt TERRE DES FEMMES Schweiz. Die Zahl der Tötungsdelikten liegt bei 27 Fällen, wobei 24 Opfer Frauen oder Mädchen sind. Ein Interview mit Angela Pertinez.

2018 wurde in der Schweiz im Rahmen von häuslicher Gewalt alle zwei Wochen eine Person getötet. Es gab einen Anstieg um einen Drittel gegenüber dem Vorjahr. Betroffen von der Gewalt sind zum grössten Teil Frauen* und Mädchen. Nach der polizeilichen Kriminalstatistik 2018 waren 18 522 Straftaten im Bereich häusliche Gewalt passiert.

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Kampf gegen die Pink Tax

Andrea Hüsser. Der Begriff «Pink Tax» bezeichnet den Mehrpreis, der bei speziell für Frauen angebotenen Produkten und Dienstleistungen gegenüber gleichartigen Erzeugnissen für Männer verlangt wird. Das ist absurd und eine Diskriminierung der Frauen. Ein Feature zur Campax-Kampagne und zum Frauen*streiktag.

Tampons, Binden und Slipeinlagen zählen in der Schweiz nicht zu den lebensnotwendigen Gütern und werden demnach zum vollen Mehrwertsteuersatz von 7,7 Prozent besteuert. Ganz im Gegensatz zu Brot, Wasser, Schnittblumen, Katzenstreu, Kaviar oder Viagra, die mit einem reduzierten Mehrwertsteuersatz von 2,5 Prozent besteuert sind. Echt jetzt? Ja, so steht es im Mehrwertsteuergesetz.

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«Es gibt eine Zukunft und wir wollen viel mehr erreichen»

sah. Der argentinische Feminismus hat Vorbildcharakter für die ganze Welt. Letztes Jahr konnten bei Protesten eine Million Personen mobilisieren werden. Es ist eine kraftvolle Bewegung am entstehen. Die Aktivistin Natalia di Marco berichtet im neuen Berner Streikbüro.

Kollektiver Kampf, weltweit vernetzen: das will Natalia di Marco von der argentinischen feministischen Bewegung. Eine grosse Verantwortung. Wenn sie auf Reisen ist, will sie von Bewegungen in anderen Ländern lernen und zugleich Energie in Kämpfe einbringen. Natalia di Marco selber ist seit 20 Jahren als Antikapitalistin und Feministin politisch aktiv. Eine lange Zeit, weil die feministische Bewegung in Argentinien noch nicht so lange kraftvoll ist. » Weiterlesen

«Frauen* haben mehr Rechte erhalten und den Männern* gefällt das nicht»

Die Autorin Alma B. León Mejía kämpft seit über 40 Jahren für die Frauen*rechte in Mexiko.

sah. Mexiko als ein Hort des Machismo. Jedes Jahr verschwinden zig Frauen* oder werden getötet. Für diese spezifischen Morde steht der Begriff Femizid. Die Opfer stammen oft aus den untersten sozialen Schichten. Ein Gespräch mit der mexikanischen Aktivistin und Autorin Alma B. Leon Mejia über die Situation der Frauen* gestern und Heute in Mexiko.

«Hast du in der U-Bahn die Frauen* mit den entstellten Gesichtern gesehen?» fragte mich der Arzt. «Sie wurden mit Giftsäure überschüttet». Im Drogenhandel werden Frauen* angeworben oder missbraucht, um kleine Hilfsdienste zu tun. Wenn die Situation unsicher wird, «entsorgt» man sie, bevor Informationen verraten werden oder man sie verhört. Es gibt aber auch immer Verrückte, die Frauen* umbringen. Der Arzt erinnerte sich an einen Mann, der 20 Frauen* umgebracht und ihre Füsse gegessen hatte.

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Aufruf zum Frauen*streik vom 14. Juni 2019

1. Wir, Frauen, Lesben, inter-, non-binary- und Transpersonen, mit oder ohne Partner*in, in einer Gemeinschaft, mit oder ohne Kinder, mit oder ohne Arbeit, unabhängig von der Art der Arbeit, gesund oder krank, mit oder ohne Beeinträchtigung, jung, erwachsen oder alt, hier oder in einem anderen Land geboren, unterschiedlicher Kultur und Herkunft, wir alle rufen auf zum Frauen*streik am 14. Juni 2019. Wir wollen die tatsächliche Gleichstellung und wir wollen selbst über unser Leben bestimmen. Deshalb werden wir am 14. Juni 2019 streiken! » Weiterlesen

Barbie und Ken gemeinsam gegen Sexismus

sah. Wie passen Marxismus und die Frauenfrage zusammen? Die Autoren von «Wenn Ken und Barbie streiken» plädieren für eine im Kampf geeinte Arbeiter*innenklasse. Spaltungen in beispielsweise jung und alt, Inländer*innen oder Aus-länder*innen oder Frauen und Männer ist einer der Hauptgründe, warum das System des Kapitalismus so erfolgreich ist.

Der antisexistische Kampf ist untrennbar mit dem sozialistischen Kampf gegen die Herrschaft des Kapitals verbunden, so schreiben die Autor*innen des bemerkenswerten Bandes «Wenn Ken und Barbie streiken – Marxismus und Geschlechterverhältnis» aus der Reihe «Aufstand der Vernunft» vom Verein Gesellschaft & Politik (Eigenverlag). Die Beiträge fallen durch ihre fundierte Aufarbeitung der Beziehung zwischen Marxismus und Feminismus auf, wobei aus der Perspektive von Marxist*innen/marxistische Linke («der Funke Österreich/Deutschland») argumentiert wird. Hier werden keine Gender-Sternchen verwendet. Geschlechterwiderspruch und Klassenkampf lassen sich weder in zwei parallele Kämpfe trennen, noch in einen Haupt- und Nebenwiderspruch.

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Manifest zum feministischen Streik & Frauen*streik in Zürich

Gemeinsam die Fesseln sprengen
Schon von klein auf lernen wir durch Erziehung und Sozialisierung die geschlechtsspezifischen Rollen einzunehmen. Gewalt und Diskriminierungen gehören für Frauen* zum Alltag. Sie erscheinen normal. Frauen* sollen ihre Bedürfnisse zurückstellen und den Grossteil der Erziehungs- und Sorgearbeit übernehmen – sei es in der Wohngemeinschaft, in der Familie, im Verein, am Arbeitsplatz oder im Polit- Kollektiv. Wagt es eine Frau*, sich entgegen dieser Norm zu verhalten, sich gar aufzulehnen, wird sie umgehend zurechtgewiesen und abgewertet: Sie wird als «Rabenmutter», «Schlampe», «besserwisserisch», «unweiblich» oder «zickig» bezeichnet, mit rassistischen und sexistischen Sprüchen beleidigt. In anderen Fällen verliert sie ihre Arbeit, ihre Familie, sie wird misshandelt oder sogar getötet. » Weiterlesen

100 Jahre Frauen*friedenskonferenz

Red. Im Mai 1919 trafen sich in Zürich150 mutige Frauen* zur internationalen Friedenskonferenz. Es waren mutige Frauen*, die für ihre Ideale viel aufs Spiel setzen. 100 Jahre später wird daran mit einer Konferenz und einer historischen Inszenierung am Originalschauplatz erinnert.

Zürich, 12. bis 15. Mai 1919: 150 Frauen* aus 16 Nationen trafen sich im Zürcher Glockenhof zur 2. Internationalen Frauen*friedenskonferenz, eingeladen von Clara Ragaz und der Schweizer Sektion der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit (IFFF/WILPF), der weltweit grössten Frauenorganisation für den Frieden.

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Frauen*geschichte

sah. Oft wird Frauen*- und Geschlechtergeschichte eine Art Sonderstatus zugewiesen. Allgemein herrscht hegemoniale Geschichts-schreibung mit «grossen» Männern* vor, die von Männern* erforscht und festgehalten wird. Historiker*innen und Aktivist*innen wehren sich nun und es gibt Rundgänge zu Frauen*geschichte für alle.

«Frauen*geschichte» und insbesondere Frau-en*figuren, die in der Schweizer Geschichte schrieben , sind kaum bekannt. Doch die eidgenössischen Frauen*geschichte hat nicht wenige spannende Ereignisse zu bieten, die geheimnisvolle «Stauffacher*in» ist nur ein Beispiel davon. Immer wieder versuchen Gruppen, entsprechende Themen aufzuarbeiten und der Bevölkerung zugänglich zu machen. Das Netzwerk Frauen*platz Biel ist eine davon.

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Jedem Betrieb seine Streikform

sah. Betrieblicher Streik mit feministischen Forderungen: wie geht das? In einem Workshop wurden nicht nur Streikformen und rechtliche Grundlagen aufgezeigt, sondern auch Mut gemacht, den Streik in den Betrieb zu bringen, auch wenn Sanktionen drohen könnten bei einem politischen Streik, wie der feministische Streik rechtlich eingestuft wird.

«Von 1991 gibt es Fotos und Berichte von Aktionen, die im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Weniger gut dokumentiert aber ist, was Frauen* während des Frauenstreiks in den Betrieben gemacht haben», so Stefanie von der AG Mobilisierung der Frauen*streik-Koordinationsgruppe Bern.

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LOL – Sexistischer Skandal in Frankreich

Huguette Junod. LOL, englisch für laughing out loud (lauthals lachen) wird in allen Arten von Internet- oder SMS-Kommunikationen verwendet, wo lachen angemessen ist. Gar nichts zu lachen gibt es für die Frauen, die Opfer der Mitglieder Facebook-Gruppe Lauthals lachende Liga (LOL) wurden. Lange schwiegen die Opfer aus Angst, dann platze der Skandal.

Seit #BalanceTonPorc (Verpfeif deinen Belästiger!) und #MeToo (Ich auch!) wurden allmählich die Orte aufgedeckt, wo Gewalttaten gegen Frauen* stattfinden. Frau wundert sich nicht, dass die Belästigung auf der Strasse grassiert – wir erleben sie täglich, aber auch zu Hause, im Sport, in der Armee.

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Gemeinsam für Revolution sorgen

sah. Zur Vorbereitung für den Frauen*streik trafen sich über 500 Frauen* in Biel zu einer nationalen Versammlung. Überarbeitet wurde ein Appell mit Forderungen rund um Lohngleichheit, Anerkennung von Sorgearbeit oder dem Bleiberecht für Migrant*innen, die Gewalt erlebt haben. Der Jubel nach abgeschlossener Arbeit war gross.

Regnerisch grau war der 10. März 2019. Nicht so im Volkshaus in Biel, wo ab 10 Uhr die nationale Versammlung zur Vorbereitung zum Frauen*streik 2019 stattfand.

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Angriffe gegen SexarbeiterInnen sind ein Angriff gegen alle ArbeiterInnen

Frauen-Café Winterthur. Letzten Sommer hat sich die Frauenzentrale im Kino Houdini in der Genossenschaft Kalkbreite im Kreis 4 in Szene gesetzt und ein Verbot des Kaufs von Sex gefordert. Obwohl ihre Kampagne «Stopp Prostitution» heisst, hat die Frauenzentrale kurz nach Kampagnenstart behauptet, sie sei nicht für ein Prostitutionsverbot.

Ginge es nach der Frauenzentrale würden die Freier kriminalisiert. Dies sei ein Wundermittel, was sich neben Schweden auch in Frankreich, Irland und weiteren Ländern zeige. Das so genannte «nordische Modell» sieht vor, dass Sexarbeit als sexuelle Gewalt eingestuft wird. Den SexarbeiterInnen wird ein Betreuungs- und Ausstiegsprogramm angeboten. Die Frauenzentrale macht aus Frauen, die von der Sexarbeit leben, unmündige Opfer, denen mittels Repression und Bevormundung geholfen werden soll. Sie setzt den Verkauf von Sex mit sexueller Gewalt gleich und unterscheidet nicht zwischen Frauenhandel und Sexarbeit. Wer das nicht so sieht – so das Kampagnenvideo – lebe im Mittelalter.
Die Kampagne gegen den Kauf von Sex wendet sich sehr direkt gegen die Lebensgrundlage derer, die mit dem Verkauf von Sex ihr Auskommen finden. Das sind in der grossen Mehrheit Frauen: In Europa sind circa 86 Prozent Frauen, 8 Prozent Männer und 6 Prozent Transmenschen in dem Bereich tätig. Es sind vor allem solche Frauen, die wenig Geld und häufig einen prekären Aufenthaltsstatus haben. Der Kampf gegen die Sexarbeit richtet sich konkret gegen die Frauen der ArbeiterInnenklasse. Vor allem Migrantinnen sind es, die durch die Kriminalisierung weiter an den Rand gedrängt werden.

Kampagnenstart im gesäuberten Kreis vier
Die Wahl des Ortes für den Kampagnenstart spricht für sich: die Geschichte der Kalkbreitegenossenschaft ist Sinnbild der alternativ-angehauchten Gentrifizierung. Der Ort steht auch für die Dynamik der Vertreibung der Armut aus dem Quartier, wenn auch nicht mit Luxuswohnungen wie in der Europaallee. Je mehr gutverdienende Leute Platz in ehemals von den Unterklassen bewohnten Gebieten beanspruchen, desto grösser wird die Repression gegen die bisherigen BewohnerInnen, eben auch gegen Sexarbeit. Die Vertreibung der SexarbeiterInnen aus den zentrumsnahen Kreisen vier und fünf haben eine lange Vorgeschichte, die zusammen mit der Repression gegen Junkies und der Jagd der Polizei auf MigrantInnen im Allgemeinen seit Ende der 1980er Jahren die Säuberungs-Politik der Stadt prägen und vom Aufbau eines riesigen Polizei- und Justizapparats begleitet werden.
Der Verkauf von illegalen Drogen und Sex, aber auch sexuelle Subkulturen, die keine monetären Absichten hegen, sind der Repression im Zuge der Gentrifizierung besonders ausgesetzt. Wohnungen und andere Räume werden massiv teurer, die Strassen und Hinterhöfe militarisiert und für die Oberklassen schön gemacht.
In Zürich wurden die Gebüsche auf der Werdinsel abgeholzt, damit kein Kontakt mit schwulen Sex mehr im öffentlichen Raum ertragen werden muss. Dies ist Ausdruck einer protestantisch geprägten kapitalistischen Verwertungslogik, der der Stadtrat und die Politik den Weg ebnen. Kulturräume gelten dabei als Standortvorteil, aber nur solche, die Geld einbringen und unter Kontrolle sind.
«Erlaubt ist, was nicht stört» hiess schon die Kampagne der SP-Polizeichefin Esther Maurer in den 1990ern. Sex ist in dieser Logik wohl ein Markt, aber einer der stigmatisiert und tabuisiert bleiben soll. Die SexarbeiterInnen sollen möglichst nicht auf der Strasse sichtbar sein, sondern in «Verrichtungsboxen» in weniger schicken Quartieren kein Aufsehen erregen. Sex gehört nach diesem Weltbild ins Schlafzimmer und ins Private, jegliche Darstellung wird als «Sexualisierung» der Gesellschaft problematisiert. Kinder sollen eher davor geschützt, statt aufgeklärt werden. Die Gleichsetzungen von Gewalt und Sex, von Frauenhandel und Sexarbeit werden seit Jahrzehnten propagiert und bieten der christlichen Rechten und einem Teil der Frauenbewegung einen unheimlichen gemeinsamen Nenner.

Bürgerliche Moral und Angst vor den Armen
Die Frauenzentrale, die stark von der FDP und heute von der GLP geprägt ist, kommt aus der Sittlichkeitsbewegung, die schon vor hundert Jahren die Frauen vor der Prostitution bewahren wollte. Das Verbot der «Volksseuche» Sexarbeit zum Schutz der «gefallenen» Frauen, war von Beginn an eines ihrer Ziele. Die Zahlen und Behauptungen auf der Kampagne-Homepage stammen vor allem von der französischen Anti-Sexarbeits-NGO «Fondation Scelles», die einen katholisch-konservativen Hintergrund hat. Das Kampagne-Video wurde von der grossen französischen Werbeagentur Publicis mit schwedischen SchauspielerInnen gedreht. Die in der Sexindustrie arbeitenden Frauen kommen nirgends zu Wort, die Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen werden nicht thematisiert. Es ist eine moralische und bevormundende Sicht auf die Sexarbeit, basierend auf unausgesprochenem Klassendünkel und latentem Rassismus.

Frauenarbeit und -unterdrückung im Kapitalismus
Der Verkauf von Sex scheint Teilen des Bürgertums und der städtischen Mittelklasse undenkbar und unerträglich. Gleichzeitig dürften die zahlungskräftigen Männer dieses Milieus zu den Hauptabnehmern der Sexarbeit gehören, einem bedeutenden Metier mit einem geschätzten Umsatz von einer Miliarde Franken. Eine Genfer Studie schätzt, dass schweizweit zwischen 13000 und 25000 Personen Sexarbeit leisten, davon sind schätzungsweise 75 Prozent MigrantInnen. In Genf soll die Zahl der SexarbeiterInnen zwischen 2004 und 2012 von 800 auf 4100 Personen angestiegen sein. In dieser Zeit wurde das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU erweitert. Viele Frauen aus Rumänien und Bulgarien migrierten deswegen nach Genf.
«Sexarbeit ist Arbeit – für die Rechte von Sexarbeitenden» so heisst die Gegenkampagne von Organisationen wie der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), die vor allem rechtliche, gesundheitliche und psychische Unterstützungsarbeit für Sexarbeitende leisten. Sie sagen, Sexarbeit ist Arbeit, wenn auch keine Arbeit wie jede andere. Denn aufgrund von gesellschaftlicher Ausgrenzung und Abwertung der Sexarbeitenden werden sie diskriminiert und sind rechtlich schlecht geschützt. Ein Teil der SexarbeiterInnen wird zwangsweise ausgebeutet und hat diese Arbeit nicht frei gewählt. Dieser Teil ist von Menschenhandel betroffen und muss besser vor der Ausschaffung und Ihren Ausbeutern geschützt werden. Gerade im Asylbereich fehlen notwendige Schutz- und Hilfsstrukturen. Dies ist vor allem der rassistischen Asyl- und Migrationspolitik der Schweiz geschuldet.
Die Gründe, diese Arbeit zu wählen, sind sehr unterschiedlich und können selbstbestimmt sein. Es ist sehr wahrscheinlich, dass es auch dann nicht der Traumberuf ist. Dies ist vor allem auf Armut, Geschlechterhierarchien, das Nord-Süd-Gefälle, Diskriminierungen, patriarchale Familienstrukturen und die kapitalistische Gesellschaftsordnung zurückzuführen. Diese herrschenden Strukturen erlauben es nur einem Teil der Bevölkerung, genau die Lohnarbeit auszuüben, die er sich wünscht.
Viele Arbeiten, die einem mit unsicherem Aufenthaltsstatus und ohne gute Ausbildung zur Wahl stehen, sind ausbeuterisch, gefährlich, schmutzig und ungesund. Kaum eine dieser Arbeiten wird so verschrieen wie die Sexarbeit. Im Jahr 2000 beschäftigte circa jeder 17. Haushalt im Kanton Zürich eine illegalisierte Hausarbeiterin. Auch da bestehen grosse Risiken der Ausbeutung und Gewalt. Trotzdem gibt es keine Kampagne die Hausarbeit in Privathaushalten zu verbieten. Auch das Pflücken von Tomaten auf Feldern der Mafia in Süditalien findet unter sehr prekären Bedingungen statt, erhält jedoch kaum Aufmerksamkeit.

Mujeres unidas jamas seran vencidas
Seit Beginn der Kampagne der Frauenzentrale hat sich nur eine Journalistin die Mühe gemacht, die Sexarbeiterinnen selber zu fragen, was sie darüber denken, wenn Freier kriminalisiert würden. Sie sind alle stolz, für sich und ihre Kinder selbständig Geld zu verdienen und ihre Familie unterstützen zu können. Die Arbeit gebe ihnen ökonomische Stabilität und Unabhängigkeit. Sie fürchten sich vor einem Verbot, weil dann der Schutz vor Belästigung und Gewalt wegfiele und es schwieriger würde, Geld zu verdienen. Die meisten würden aber auch dann weiterarbeiten. Eine von ihnen sagt deutlich: «Hört auf, uns zu belehren! Lasst uns einfach unsere Arbeit machen.»
Eine Studie von 2018 aus Frankreich, wo seit 2016 der Kauf von sexuellen Diensten verboten ist, zeigt, dass die Frauen viel weniger verdienen und dass vor allem jene Freier übrig bleiben, die die Frauen schlecht behandeln oder Sex ohne Kondom verlangen. Die Abhängigkeit der Frauen, die Risiken und Ansteckungen haben seither zugenommen, die Repression der Polizei wurde stärker.
Gerade in Zeiten, in denen eine rechtsradikale, christlich-fundamentalistische Lobby (Stichwort: «Agenda Europe») international jegliche sexuelle Selbstbestimmung angreift und die Frauenrechte gezielt bekämpft, stellt sich die Frage, warum eine Frauenorganisation sich ausgerechnet gegen diejenigen Frauen stellt, die gesellschaftlich am schwächsten sind.
Die Entrechtung der SexarbeiterInnen hilft keiner Frau sich zu befreien. Die Gewalt gegen die Frauen nimmt in einer solchen Situation zu und nicht ab.
Die Sexarbeit ist nicht Ursache sondern höchstens Ausdruck einer Ungleichheit. Wer eine Gesellschaft ohne Gewalt an Frauen will, muss die Herrschaftsverhältnisse abschaffen, die die Ausbeutung der Arbeitskraft, die Familien- und Pflegestrukturen, die Religionen, die Grenzregime, die Kriegsindustrien und die Ausbeutung der rohstoffreichen Ländern hervorbringen.
Aus einem linken, internationalistischen, feministischen Blickwinkel ist ein Verbot der Sexarbeit eine Kampfansage von oben gegen unten und eine weitere Abwertung von Frauen und ihrer Arbeit. Die Vertreibung der Sexarbeit aus den ehemals proletarischen Quartieren ist rassistisch und von Polizeigewalt beherrscht. Der Kampf der SexarbeiterInnen um gute Arbeitsbedingungen, um Selbstbestimmung, um Würde, um ein Ende der Ausgrenzung und für gewerkschaftliche Organisierung muss der Kampf aller ArbeiterInnen sein. Wie heisst unsere Parole 2019 so schön: Frauen*, wir sind Klasse – No War but Classwar!

Unterzeichnet den Appell:
sexarbeit-ist-arbeit.ch
Weitere Informationen:
fiz-info.ch, terre-des-femmes.ch

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