Gewalt gegen Frauen und warum das staatliche Vorgehen wenig nützt
agfk. Die Schweiz tut sich schwer damit, im Kampf gegen Gewalt an Frauen vorwärtszukommen. Das liegt zum einen an der fehlenden Gewichtung der Thematik, zum anderen aber auch an einem Ansatz, der die Wurzel des Problems ausblendet.
Im April ist es acht Jahre her, seit die Schweiz die Istanbul-Konvention ratifiziert hat und sich dazu verpflichtet hat, den Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt politisch stärker zu gewichten. Rund 40 Staaten haben die Konvention des Europarates seit deren Inkrafttreten im August 2014 bis dato unterzeichnet. Einige, etwa die Türkei, sind seit 2014 wieder ausgestiegen, und auch jene, die sich wie die Schweiz zu deren Umsetzung verpflichtet haben, scheitern am Versuch einer tatsächlichen Verbesserung.
Nur langsam oder gar nicht voran geht es hierzulande etwa bei der Finanzierung von Frauenhäusern und beim Schutz besonders gefährdeter Gruppen wie Migrantinnen. Es gibt Lücken bei spezialisierten Unterstützungsangeboten, etwa für Frauen mit Behinderungen, trans Frauen oder andere besonders gefährdete Gruppen. Ebenfalls als mangelhaft gewertet werden die Fortschritte im Bereich Prävention (etwa bei der Täter-arbeit), der Sensibilisierung der Gesellschaft und bei der Schulung von Fachkräften.
Das alles liegt zum einen daran, dass Gewalt gegen Frauen als Thema keine gesellschaftliche und politische Relevanz zugesprochen bekommt, zum anderen aber auch daran, dass die zugrunde liegenden ökonomischen und gesellschaftlichen Strukturen weitgehend unangetastet bleiben.
Ein strukturelles Problem
Gewalt gegen Frauen ist ein zentraler Mechanismus zur Aufrechterhaltung patriarchaler Herrschaft und Ausdruck dieser. Sie manifestiert sich dabei auf unterschiedliche Weise: durch häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe, Belästigung am Arbeitsplatz und durch strukturelle Diskriminierung. In der Schweiz zeigen Statistiken, dass jede dritte Frau im Laufe ihres Lebens Opfer physischer oder sexueller Gewalt wird. Die Dunkelziffer liegt vermutlich um einiges höher.
Diese Gewalt ist dabei kein isoliertes Phänomen oder blosser Ausdruck eines zwischenmenschlichen Versagens; sie ist tief in der ökonomischen Struktur unserer Gesellschaft verankert und steht in einem direkten Zusammenhang mit der politischen und wirtschaftlichen Realität, in der wir leben. Patriarchale Gewalt dient mitunter dazu, Frauen in abhängigen Positionen zu halten und ihre Unterordnung sicherzustellen. Diese Unterordnung wird durch die kapitalistische Wirtschaftsordnung zum Teil (oder auf der einen Seite) verstärkt und auf der anderen Seite gebraucht, die Frauen als billige Arbeitskräfte und unbezahlte Reproduktionsarbeiterinnen ausbeutet. Viele Frauen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen, insbesondere in den Bereichen Pflege, Reinigung und Verkauf. Diese Berufe sind nicht nur schlecht bezahlt, sondern auch wenig gesellschaftlich anerkannt,
Gleichzeitig leisten Frauen den Grossteil der unbezahlten Care-Arbeit, sei es in der Kindererziehung, der Pflege von Familienmitgliedern oder im Haushalt. Diese Arbeit ist essenziell für das Funktionieren der Gesellschaft, wird von dieser aber zugleich entwertet. Die Doppelbelastung von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit verschärft die Abhängigkeit von Frauen und macht sie anfälliger für patriarchale Gewalt: Ein Beispiel dafür ist die finanzielle Kontrolle in Partnerschaften, bei der Frauen der Zugang zu Ressourcen verweigert oder an sexuelle und anderweitige Dienstleistungen geknüpft wird. Diese Form der Gewalt ist ein direktes Produkt der kapitalistischen Organisation von Arbeit und Reichtum – und sie wird bei der breiten bürgerlichen Diskussion über Gewalt an Frauen allzu gerne übersehen.
Hinzu kommt, dass der Staat an sich kein neutraler Akteur ist, sondern ein Instrument zur Aufrechterhaltung der bestehenden Klassenverhältnisse. Indem er die kapitalistische Produktionsweise schützt, trägt er indirekt zur Reproduktion patriarchaler Gewalt bei. Und auch die «Pflästerlipolitik», die der bürgerliche Staat anstelle einer strukturellen Veränderung anbietet, erfüllt an sich allein ihren Zweck nicht, wie etwa der Fakt verdeutlicht, dass viele Frauenhäuser in der Schweiz weiterhin chronisch unterfinanziert sind und flächendeckende Angebote für Opfer und Täter geschlechtsspezifischer Gewalt nicht bereitgestellt werden können. Wo der Staat scheitert, müssen wiederum Aktivist:innen mit Stunden um Stunden unbezahlter Arbeit in die Bresche springen, und bezahlte Fachpersonen brennen am Versuch aus, mit den wenigen Mitteln, die sie haben, etwas zum Besseren zu wenden.
Oberflächlich auch in der Prävention
Hinzu kommt, dass die bürgerliche Politik weiterhin grossmehrheitlich die Ansicht vertritt, dass sich Gewalt gegen Frauen mit härteren Strafen verhindern lasse, indem etwa «einfach» einige «schlechte Äpfel» vom Rest der Gesellschaft getrennt werden, um Gewalt gegen Frauen einzudämmen. Eine radikale Alternative dagegen muss Gewalt als Produkt von Ausbeutung und Ungleichheit begreifen und auf eine grundlegende Transformation der gesellschaftlichen Verhältnisse abzielen, um geschlechtsspezifische Gewalt grundlegend zu verhindern.
Nichtsdestotrotz müssen gewaltbetroffene Frauen und Mädchen heute schon geschützt werden. Personen, die jetzt schon in der Gewaltprävention und mit Gewaltbetroffenen arbeiten, brauchen die finanziellen Mittel, um sich weiterzubilden und zu erholen, und ihnen stehen Löhne zu, die der gesamtgesellschaftlichen Relevanz dieser Arbeit Rechnung tragen. Gewaltbetroffene Frauen und Mädchen brauchen in erster Linie finanzielle Sicherheit und eine sichere, geregelte Aufenthalts- und Wohnungssituation anstelle von Spenden und Almosen. Der Schutz von Frauen und Mädchen vor Gewalt in der Schweiz kann nur mittels einer rigorosen Umverteilung und Umgewichtung erreicht werden, und nicht mit einer Brösmelipolitik, wie sie seit nunmehr acht Jahren unter dem Mantel guter Absichten praktiziert wird.
Der Kampf gegen Gewalt an Frauen ist untrennbar mit dem Kampf gegen das kapitalistische System verbunden. Reformen wie bessere Gesetze, mehr Frauenhäuser oder Lohnangleichung sind wichtige Schritte, aber sie greifen für sich allein betrachtet zu kurz, wenn die grundlegenden Machtverhältnisse nicht infrage gestellt werden. Die Befreiung der Frauen erfordert eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft. Dazu gehören die Vergesellschaftung von Care-Arbeit, die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und die Schaffung einer egalitären Wirtschaftsordnung.