Niemals aus Liebe. Männergewalt an Frauen
In der Schweiz wird alle zwei Wochen eine Frau von ihrem Ehemann, Lebensgefährten oder Ex-Partner getötet. Jede Woche überlebt eine Frau einen versuchten Femizid. Warum werden Männer zu Tätern von häuslicher oder sexualisierter Gewalt an Frauen? Warum töten sie? Miriam Suter und Natalia Widla gehen dieser Frage nach im Hinblick darauf, was die Schweiz tut, um solche Verbrechen zu verhindern, und was noch getan werden muss.
In Gesprächen mit verschiedenen Fachpersonen aus Justiz, Politik oder Psychologie und durch die Auseinandersetzung mit aktuellen Fällen von verurteilten Gewalttätern versuchen die Autorinnen zu ergründen, welche Männer sich hinter dem Begriff «Täter» verbergen, welche psychologischen und gesellschaftlichen Mechanismen Gewalt fördern und welche präventiven oder kurativen Massnahmen bestehen.
Etwas wird in ihrem Buch klar: Es gibt nicht den einen Täter. Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben, kommen aus allen sozialen Schichten, haben verschiedenste religiöse, politische und kulturelle Hintergründe, gehören allen Altersgruppen an und haben sehr diverse Lebensentwürfe. In den Medien wird es oft so dargestellt, dass die Täter immer «die anderen» sind: Monster, Psychopathen, seltsame Einzelgänger oder aber rassifizierte Männer – alles Menschen, die man irgendwie als «anders» erkennen und aussondern könnte. Das gibt jedoch eine falsche Sicherheit: Täter sind mitten unter uns, sie sind unsere Väter, Freunde, Brüder oder Partner.
Ebenso klar wird, dass Gewalt an Frauen ein strukturelles Problem ist, welches von gesellschaftlichen Mechanismen gefördert wird. Diese Gewalt wird oft mit dem sozialpsychologischen Modell der Gewaltpyramide erklärt: Die Radikalisierung ist dabei ein mehrstufiger Prozess, bei dem die Anzahl der Beteiligten mit jeder höheren Stufe abnimmt. An der Basis der Pyramide stehen weit verbreitete Vorurteile und Wertvorstellungen: dumme Witze über Frauen oder verbreitete sexistische Klischees. Später folgen Kleinreden und Victim Blaming, wenn Frauen von Übergriffen erzählen. Das alles führt einerseits dazu, dass sich Betroffene nicht trauen, sich Hilfe zu holen, und signalisiert den Tätern andererseits, dass ihr Verhalten keine Konsequenzen hat. Männer tun Frauen Gewalt an, weil sie können. Dabei gibt es einige Faktoren, die Gewalt generell begünstigen: Das sind Prekarisierung, räumliche Enge, fehlende Alternativen und Ausweichmöglichkeiten und über alldem natürlich eine patriarchale Politik und Rechtsprechung.
Plädoyer für grundsätzliche Änderungen
Natalia Widla: «Männer üben Gewalt gegenüber Frauen aus, weil sie eine patriarchale Anspruchshaltung verinnerlicht haben. Sie glauben, dass sie einen Anspruch auf diese Frau, auf ihren Körper, ihre Zuneigung und so weiter haben. Bricht die Frau mit dieser Anspruchshaltung, zum Beispiel indem sie sich trennt, reagieren diese Männer mit Gewalt.»
Miriam Suter: «Mit Liebe hat das alles nichts zu tun, sie wird nur vorgeschoben, um die Taten als normale Reaktionen eines eifersüchtigen, beschützenden oder besorgten Mannes zu framen. Schönmalerei und Gewalt gegen Frauen gehen seit Jahrhunderten Hand in Hand – sei es in den Medien, in der Populärkultur oder auch vor Gericht, wo Männer mit milderen Strafen rechnen können, wenn sie ihre Tat mittels Opfer-Täter-Umkehr rechtfertigen.»
Das Buch zeigt auf, dass es grundsätzliche Veränderungen braucht, um patriarchale Strukturen und Gewalt aufzuhalten, doch auch, was bereits im Heute getan werden könnte, wenn der politische Wille vorhanden wäre. Es braucht eine angepasste Gesetzgebung, indem Femizide als eigenständige Straftat anerkannt werden. Dies macht den geschlechtsspezifischen Hintergrund dieser Taten sichtbar und trägt dazu bei, gezieltere Gegenmassnahmen zu entwickeln. Es braucht deutlich mehr Frauenhäuser und Schutzräume, die allen Betroffenen unabhängig von Aufenthaltsstatus oder finanzieller Lage offen stehen. Ein zentraler Schritt könnte die Einführung verpflichtender Anti-Gewalt-Programme und Therapieangebote für Männer sein, die durch gewalttätiges Verhalten auffällig geworden sind. Auch Bildung spielt eine entscheidende Rolle. Aufklärungskampagnen auf nationaler Ebene können die Gesellschaft für das Thema sensibilisieren und helfen, traditionelle Rollenbilder sowie geschlechterbasierte Machtverhältnisse zu hinterfragen. Auch in Schulen sollte das Thema stärker verankert werden, um Gewaltprävention zu einem festen Bestandteil der Bildung zu machen.
Das Buch ist Bildung für uns alle, egal welches Geschlecht wir haben.