Die liberalen Bildungsfachleute
dom. Kürzlich hat die FDP mit einem Positionspapier zur Bildung von sich reden gemacht. Wenig überraschend: Die Mischung aus wert-konservativen und wirtschaftsliberalen Standpunkten vermag kein einziges Problem zu lösen.
Unser Freisinn weiss, dass die Volksschule für «die Wirtschaft und den Erfolg der Schweiz von allergrösster Bedeutung» ist. Ja, eine leistungsstarke Wirtschaft verlangt nach gut ausgebildetem Nachwuchs, Schule bedeutet Ausbildung, Ausbildung heisst Zuschneiden unserer Kinder auf den Arbeitsmarkt. Doch jetzt sieht die FDP den Nachschub an qualifizierter Arbeitskraft gefährdet: Gemäss PISA-Studie hat heute rund ein Viertel der Schweizer Schüler:innen Schwierigkeiten mit den eigenen Landessprachen und stosse in der Schule an ihre Grenzen.
Mehr Wettbewerb und Leistung
Die FDP will Schluss machen mit dem «gescheiterten Projekt» namens «integrativer Schule» und offenbart darin ihren Sparwillen und ihr den Wunsch nach mehr Wettbewerb. Im Gespräch mit dem Tagesanzeiger meint FDP-Präsident Thierry Burkart: «Die hohe Anzahl Fachpersonen bringt Unruhe in die Klassenzimmer. Und die vielen Abklärungen und Therapien führen zu einer Pathologisierung der Kinder. Wir müssen uns als Gesellschaft wieder damit befassen, dass wir alle unterschiedlichen Stärken und Schwächen haben – und das in Ordnung ist. Wichtig ist, dass die Kinder Selbstvertrauen aufbauen können.»
Also Schluss mit «Gleichmacherei», Schluss mit der Finanzierung überflüssigen Fachpersonals. «Leistung» soll wieder im Vordergrund stehen – und sie soll sich auszahlen. Das wird auch deutlich in dem einen Punkt des Positionspapiers, bei dem es wirklich um was geht: Unter dem treu liberal gesetzten Titel «Leistung muss sich lohnen» präsentiert die FDP ihre Überlegungen zum akuten Fachkräftemangel: Es brauche Anreize und Strukturen, damit Lehrpersonen ihre Pensen erhöhen. Dazu zählt sie «unterstützende Schulleitungen, heterogene Klassenzusammensetzungen zur Vermeidung hoch belasteter Klassen innerhalb einer Schule, Weiterbildung in der unterrichtsfreien Zeit, um die Schulwochen nicht zusätzlich zu befrachten, sowie die Vermeidung von Belastungsspitzen während der Schulwochen». Ausserdem fordert die FDP «steuerliche Anreize, die Vollzeitarbeit unterstützen und nicht bestrafen, sowie die Einführung der Individualbesteuerung».
Mehr Arbeiten statt mehr Ressourcen
Die Kritik an tiefen Pensen ist nicht neu: Bereits vor zwei Jahren wollte die aargauische FDP Mindestpensen vorschreiben. Bis dahin sollen es also staatlich gesetzte Anreize lösen. Das könnte nach hinten losgehen: Da die Lehrkräfte in erster Linie aufgrund starker Überbelastung in tiefere Pensen geflüchtet sind, hätte ein Zwang zu höheren Pensen wohl ein weiteres Verheizen der noch vorhandenen Lehrkräfte zur Folge. «Unterstützende Schulleitungen», «Vermeidung von Belastungsspitzen» und ähnlich schwammige Formulierungen sollen nur kaschieren, dass die FDP keinesfalls mehr Geld für die Bildung sprechen will.
So lautet das simple Credo der FDP: Mehr Arbeiten. Die Lehrkräfte ächzen unter dem zunehmend belastenden Schulalltag, den sie infolge von Sparmassnahmen mit immer weniger Mitteln bewältigen müssen und unser liberaler Bildungsökonom Thierry Burkart meint: Mehr Arbeiten. Dass tiefe Pensen nicht nur Stress reduzieren, sondern auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ermöglichen, muss Thierry im Gespräch mit dem Tagesanzeiger zwar eingestehen – Vereinbarkeit sei für ihn wichtig, sie dürfe aber «nicht auf Kosten des Gesamtsystems gehen».
Mehr Schweiz, weniger Ideologie
Ansonsten fordert das Programm, was es zur reibungslosen Beurteilung der Schüler:innen braucht: Schulnoten, Erstsprache als Priorität, Respekt im Schulzimmer, weniger Bürokratie – und natürlich: «Weniger Ideologie». Heute würden in den Schulen «fragwürdige Ideologien und woke Weltanschauungen verbreitet». Als Beispiele führt Thierry Burkart an, dass, in offiziellen Lehrmitteln «Werbung für die Gewerkschaft Unia gemacht», oder «Alfred Escher als direkter Profiteur der Sklaverei» bezeichnet werde.
Da präsentiert sich leider auch Thierry nicht gerade als Ergebnis einer gelungenen Schulbildung. Dass Escher in Sklaverei-Geschäfte verwickelt war, ist gesichertes historisches Wissen. Und Heranwachsende auf gewerkschaftliche Organisationen aufmerksam zu machen, muss nicht zwingend als kommunistische Propaganda abgetan werden. Man könnte es auch verstehen als Vorbereitung auf eine Arbeitswelt, in der man sich als Lohnabhängige:r für die Durchsetzung ihrer/seiner Rechte kämpferisch organisieren muss – auch eher eine historische Lektion als eine «fragwürdige Ideologie».
Vom Sponsoring bis zum Schulfest
In Wahrheit sind es nicht linke Standpunkte, die ins Schulzimmer drängen, sondern private Interessen und damit bürgerliche Positionen – und zwar als Folge einer Politik, welche die FDP weitertreiben will. Die seit der neoliberalen Wende drastisch gekürzten Mittel haben eine chronische Unterfinanzierung des Schulsystems bewirkt. Dies manifestiert sich nicht nur in tiefen Löhnen, Lehrkräftemangel, Abbau der Schulsozialarbeit und so weiter – sie leistet auch privaten Anbietern von Bildungsinhalten Vorschub. Das schulische Engagement von Unternehmen erstreckt sich von Sponsoring von Schulfesten über die Produktion und Verteilung von Lehr- und Lernmaterialien, bis hin zu Angeboten von Lehrkräfteweiterbildungen. Weil es den Schulen an der nötigen finanziellen Ausstattung fehlt, werden diese Angebote gerne angenommen.