Keine Technik für den Krieg in Gaza
sit. Die beiden Weltkonzerne Google und Amazon haben mit Israel einen 1,2 Milliarden US-Dollar schweren Vertrag abgeschlossen für die Herstellung von Künstlicher Intelligenz und Daten-Hosting, die auch im aktuellen Krieg gegen das palästinensische Volk eingesetzt werden können. Dagegen wächst der Protest von Arbeiter:innen der beiden Weltkonzerne. Google und Amazon antworten mit Repression.
Am 16.April besetzte eine Gruppe von rund 50 Google-Mitarbeiter:innen zehn Stunden lang das Büro des für den Speicherdienst «Google Cloud» zuständigen Managers Thomas Kurian in Sunnyvale im US-Bundesstaat Kalifornien. Sie gehören der Gruppe «No Tech for Arpartheid» (Keine Technologie für Apartheid) an. Auf einem auf X veröffentlichten Video der Aktivist:innen ist zu sehen, wie die Polizei mehrere Google-Angestellte verhaftet. Zu weiteren Protesten kam es in New York und Seattle. Drei Tage später wurden 28 Aktivist:innen, die beim Weltkonzern arbeiteten, fristlos entlassen.
Doch, warum der Protest? Bei der Gruppe «No Tech for Apartheid» handelt es sich um eine wachsende Protestbewegung von Mitarbeiter:innen von Google und Amazon. Der immer grösser werdende Unmut innerhalb der beiden Weltkonzerne betrifft das sogenannte Projekt Nimbus, einen 1,2 Milliarden Dollar schweren Vertrag mit Israel. Dieser sieht vor, dass Google und Amazon der israelischen Regierung und dem Militär Künstliche Intelligenz (KI)- und Cloud-Computing-Dienste zur Verfügung stellen. Dies bestätigte das israelische Finanzministerium bereits im Herbst 2021. Nimbus soll der israelischen Regierung ermöglichen, gross angelegte Datenanalysen, KI-Training, Datenbank-Hosting und andere Formen leistungsstarker Datenverarbeitung mit der Technologie von Google durchzuführen. Google-Dokumente, die 2022 an die Öffentlichkeit kamen, lassen Folgendes vermuten: Dank der Google-Technik verfügt Israel über Fähigkeiten wie KI-gestützte Gesichtserkennung, automatische Bildkategorisierung und Objektverfolgung.
Die Todesliste mit 37000 Namen
Wie die «SonntagsZeitung» in ihrer Ausgabe von Mitte April berichtete, hat die Kritik nun auch den Google-Standort in Zürich erreicht. Hier arbeiten über «5000 Googler:innen aus 85 Nationen», erfährt man auf der Website. Einer von ihnen ist der Software-Ingenieur Neil Devi. Der Name wurde geändert, weil auch diese Person sich vor Repressalien fürchtet. «Ich fühle mich verpflichtet, das Bewusstsein für die Gefahr dieser Technologien zu schärfen», sagt Devi der «SonntagsZeitung». Laut dem IT-Spezialisten arbeiten in Zürich Hunderte Angestellte an Komponenten, die auch für Nimbus gebraucht werden.
Für Devi ist es möglich, dass die israelische Armee durch Nimbus auch die KI mit Namen «Lavender» verwenden kann. Diese ist darauf ausgelegt, alle mutmasslichen Aktivist:innen der Hamas und des Palästinensischen Islamischen Dschihad (PIJ), auch solche mit niedrigem Rang, als potenzielle Bombenziele zu markieren. Dies geschieht mittels Handydaten und Bildern aus den sozialen Medien. Verschiedene namhafte Quellen, darunter die amerikanische «Washington Post», der britische «Guardian» sowie das Onlinemagazin «+972» berichteten über Folgendes: Die KI Lavender hat in den ersten Kriegswochen eine Todesliste mit über 37000 Einwohner:innen Gazas erstellt, die als mögliche Militante der Hamas identifiziert wurden.
Laut «+972» spielte Lavender «eine zentrale Rolle bei der beispiellosen Bombardierung der Palästinenser gespielt, insbesondere in der Frühphase des Krieges.» Als Quelle werden sechs israelische Geheimdienstoffiziere genannt. Sie alle haben während des aktuellen Krieges im Gazastreifen in der Armee gedient und befassten sich mit dem Einsatz von KI zur Generierung von Attentatszielen. Laut diesen Quellen war der Einfluss der KI Lavender auf die Operationen des Militärs so gross, dass die Ergebnisse der KI-Maschine weitgehend so behandelt wurden, «als wären es menschliche Entscheidungen.» Und all dies im Wissen, dass auch bei Lavender – so wie bei jeder Technologie – eine Fehlerquote bei den Identifizierungen besteht. Google-Mitarbeiter:innen schätzen diese auf über zehn Prozent.
Kein Raum für andere Meinungen
Halten wir, so wie es auch das US-Magazine «Time» in seiner Ausgabe von Mitte April tut, Folgendes fest: Es gibt keine Beweise dafür, dass Technologien von Google oder Amazon bei der Tötung von Zivilist:innen in Gaza eingesetzt wurden. Das Magazin berichtet über einen Vorfall vom 4.März, als der Geschäftsführer von Google für Israel, Barak Regev, auf einer Konferenz zur Förderung der israelischen Tech-Industrie sprach. Plötzlich stand ein Zuhörer auf und rief laut: «Ich bin ein Google-Cloud-Software-Ingenieur und weigere mich, Technologien zu entwickeln, die Völkermord, Apartheid oder Überwachung unterstützen!» Dabei trug er ein orangefarbenes T-Shirt mit einem weissen Google-Logo und dem Schriftzug: «No Tech For Apartheid».
Der Google-Mitarbeiter, der 23-jährige Eddie Hatfield, wurde vom Publikum ausgebuht und schnell aus dem Raum geführt, wie ein Video der Veranstaltung zeigt. Nach einer Pause sprach Regev die Protestaktion an. «Eines der Privilegien, in einem Unternehmen zu arbeiten, das demokratische Werte vertritt, ist es, Raum für andere Meinungen zu schaffen», sagte der Manager.
Raum für andere Meinungen? Drei Tage nachdem Hatfield die Konferenz gestört hatte, wurde er zu einem Treffen mit seinem Vorgesetzten und einem Vertreter der Personalabteilung zitiert, wie der mutige Software-Ingenieur gegenüber dem Magazin «Time» berichtet. Ihm wurde mitgeteilt, dass er «das öffentliche Ansehen des Unternehmens beschädigt» habe und mit «sofortiger Wirkung entlassen» sei. «Dieser Mitarbeiter störte einen Kollegen, der eine Präsentation hielt – und damit eine offizielle, vom Unternehmen gesponserte Veranstaltung», rechtfertigte sich ein Google-Sprecher in einer Erklärung gegenüber «Time». Dieses Verhalten sei nicht in Ordnung, und zwar «unabhängig vom Thema» – wie verlogen. Der Mitarbeiter sei wegen «Verletzung unserer Richtlinien» entlassen worden – also aus dem gleichen Grund wie seine 28 Kolleg:innen, die Mitte April in Kalifornien entlassen wurden.
«Der Protest wird noch stärkerwerden»
Hatfield ist Teil der wachsenden Bewegung «No Tech for Apartheid» innerhalb von Google und Amazone, die zum Ziel hat, dass das 1,2 Milliarden schwere Nimbus-Projekt mit Israel fallen gelassen wird. Die Protestgruppe zählt mittlerweile mehr als 200 Google-Mitarbeiter:innen, die eng in die Organisation eingebunden sind. Fakt ist auch, dass Hunderte weitere Mitarbeiter:innen mit den Zielen der Gruppe sympathisieren und die Zustimmung immer grösser wird. «Ich glaube, Google hat mich gefeuert, weil sie gesehen haben, wie sehr diese Bewegung innerhalb von Google an Zugkraft gewinnt», sagt Hatfield gegenüber «Time». Er fügt hinzu: «Sie wollten mit meiner Entlassung eine Art Abschreckungseffekt erzielen und ein Exempel statuieren.»
Der Protest ist den beiden Weltkonzernen mehr als nur ein Dorn im Auge. Aktuelle und ehemalige Google-Mitarbeiter:innen berichten «Time», sie hätten Angst, sich intern gegen das Projekt Nimbus oder zur Unterstützung der Palästinenser:innen zu äussern. «Ich kenne Hunderte von Leuten, die mit dem Projekt Nimbus überhaupt nicht einverstanden sind. Aber sie sagen nichts aus Angst, ihren Job zu verlieren», erklärt Tom Khalek, der aus Protest gegen das Projekt gekündigt hat, gegenüber «Time». Die Entlassung von Hatfield durch Google, so Khalek, sei eine direkte, eindeutige Warnung an alle gewesen: «Es war die Botschaft von Google, dass wir nicht darüber sprechen sollen.»
Trotzdem wächst der Widerstand. «Google möchte uns glauben machen, dass das, was Eddie getan hat, eine einsame Tat war, was absolut nicht stimmt», erklärt Anny Westrick, eine Google-Software-Ingenieurin. «Die Dinge, die Eddie zum Ausdruck gebracht hat, werden in der Firma sehr weit geteilt. Die Leute haben es satt, dass ihre Arbeitskraft für die Apartheid missbraucht wird.» Und Zelda Montes, auch sie Mitglied der Protestbewegung, hält kämpferisch fest: «Wir werden nicht aufhören! Ich kann mit Sicherheit sagen, dass dies nicht etwas ist, das einfach abklingen wird. Der Protest wird noch stärker werden.»
IT-Arbeiter:innen aller Welt, vereinigt euch
Die ersten Stimmen des Protests wurden bereits im Herbst 2021 laut. «Diese Technologie ermöglicht die weitere Überwachung von Palästinensern und die unrechtmässige Sammlung von Daten über sie und erleichtert den Ausbau der illegalen israelischen Siedlungen auf palästinensischem Land», ist in einem offenen Brief an die Verantwortlichen der beiden Weltkonzerne zu lesen, der von mehr als 90 Beschäftigten bei Google und von über 300 bei Amazon in den USA unterzeichnet wurde. Auch sie blieben anonym, aus Angst vor «Vergeltungsmassnahmen». Veröffentlicht wurde das Schreiben auf der Website der englischen Tageszeitung «The Daily Telegraph» am 21.Oktober 2021 – also kurz nachdem der Vertrag Nimbus zwischen Israel, Google und Amazon bekannt wurde. Gefordert wird im Protestschreiben, dass die beiden Konzerne aus dem Projekt Nimbus aussteigen und alle Verbindungen mit dem israelischen Militär beenden sollen. Man könne nicht einfach wegschauen, wenn «die von uns hergestellten Produkte dazu verwendet werden, Palästinensern ihre Grundrechte zu verweigern, sie aus ihren Häusern zu vertreiben und das palästinensische Volk im Gazastreifen anzugreifen.»
Der Vertrag wurde in derselben Woche unterzeichnet, in der «das israelische Militär Palästinenser im Gazastreifen angriff und dabei fast 250 Menschen, darunter mehr als 60 Kinder, tötete», wird im offenen Brief erinnert. Und die Arbeiter:innen halten fest: «Die Technologie, für deren Herstellung unsere Unternehmen einen Vertrag abgeschlossen haben, wird die systematische Diskriminierung und Vertreibung durch das israelische Militär und die israelische Regierung für die Palästinenser noch grausamer und tödlicher machen.» Heute weiss die ganze Welt, was die Arbeiter:innen von Google und Amazon damit meinten. So ist der Schlusssatz des offenen Briefs aktueller denn je: «Wir rufen die globalen IT-Arbeiter:innen und die internationale Gemeinschaft auf, sich mit uns zusammenzuschliessen, um eine Welt zu schaffen, in der Technologie Sicherheit und Würde für alle fördert.»