Auf zum nächsten Streik!
sit. Der feministische Streik vom 14.Juni war ein grosser Erfolg. Dies sicher auch, weil die Bewegung zu den klassischen Forderungen wie Lohngleichheit und Gleichberechtigung auch die Systemfrage stellt – und somit trennt sich auch die Spreu vom Weizen.
300000! 300000 Personen nahmen schweizweit am feministischen Streik vom 14.Juni teil. Ein Erfolg für das Geschichtsbuch, denn der diesjährige Streik schafft es in die Top 5 der Rangliste der Mobilisierungen der modernen Geschichte der Schweiz. Da können die bürgerlichen Medien noch lange versuchen, den 14.Juni 2023 kleinzureden. Das tut auch die Zürcher Polizei, welche die Teilnahme an der Demonstration in der Limmatstadt, an der um die 100000 Personen teilnahmen, mit 15000 beziffert. Eine Staatslüge, die keine weiteren Kommentare erfordert. Es war eine grossartige, bunte, fröhliche und kämpferische Lila-Welle, die durch die Strassen Zürichs schwappte. Auffallend war dabei der grosse Anteil an jungen FLINTA, die die Demonstration sehr belebten. In Bern waren es 50000, in Lausanne 20000 und in Neuenburg 7000, um nur drei weitere Orte zu nennen.
Mächtig geirrt
Der grosse Erfolg des feministischen Streiks ist eine Tatsache, die den Bürgerlichen überhaupt nicht in den Kram passt. In ihrem Leitartikel zum 14.Juni, der am Morgen des feministischen Streiks erschien, echauffiert sich die Chefredakteurin des Tages-Anzeigers Raphaela Birrer, die Linke habe den Streik «gekapert». Sie schreibt: «Am heutigen Frauenstreiktag dominieren linke Parolen. Das ist bedauerlich: Vor vier Jahren zeigte sich, welche Kraft eine politisch breite Bewegung entfalten kann.» Die Forderungen des feministischen Streiks würden sich wie «in einem Programm der SP oder der Grünen» lesen, meinte Birrer. Auf den Punkt gebracht: Die Bewegung ist zu links geworden und das ist der Grund, dass sich die Aktivitäten am 14. Juni in Grenzen halten werden. Der Wunsch war hier Mutter des Gedankens. So kann mit Freude festgehalten werden: Auch eine Chefredakteurin des Tages-Anzeigers kann sich in ihren Einschätzungen komplett
irren. Denn die Antwort der Bewegung kam auf den Strassen und Plätzen des ganzen Landes. An rund 50 Orten fanden verschiedene Streikaktionen und/oder Demonstrationen statt, an denen eben über 300 000 Menschen teilnahmen.
Erfolgreicher Arbeitskampf
Die Antwort auf das bürgerliche Gejammer kam aber auch durch konkrete Arbeitskämpfe wie in Ebikon im Kanton Luzern. 25 Frauen blockierten zusammen mit den Angestellten des Reinigungsunternehmens SOS am frühen Morgen den Be-trieb. Sie forderten pünktliche Lohnzahlungen per Ende Monat, bezahlte Reisezeit, Mittagszulagen, eine Aufarbeitung der Mobbingfälle sowie Lohngleichheit für Frau und Mann. Der Betrieb willigte nach dem Blockadestreik ein, den Forderungen der Streikenden nachzukommen. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen dem Unternehmen, den Vertreter:innen der Arbeiter:innen sowie der Unia Zentralschweiz wurde unterzeichnet. «Das macht Mut. Es lohnt sich, wenn wir gemeinsam für unsere Rechte einstehen,» wird Ana Maria Pica, Unia-Gewerkschaftssekretärin in der Region Luzern auf der Website der Gewerkschaft zitiert.
Solange Gleichstellung nicht …
«Die alltägliche Realität der Frauen» sei der «gemeinsame Nenner» sagte die Aktivistin und Co-Sekretärin der PdA Zürich Sevin Satan im Interview mit dieser Zeitung kurz vor dem Frauenstreik 2019. Diese alltägliche Realität war auch heuer einer der Hauptgründe, der zum Erfolg des feministischen Streiks führte. Die Lohngleichheit ist nach wie vor in weiter Ferne, obwohl sie von der Verfassung vorgeschrieben wird, Frauen bekommen weniger Rente als Männer und sexuelle Belästigungen am Arbeitsplatz sind weiterhin eine beschämende Realität. Alle zwei Wochen kommt es in der Schweiz zu einem Feminizid, das heisst, eine Frau wird ermordet, weil sie eben eine Frau ist. Und blickt mensch über die Landesgrenze hinaus, werden Millionen von Frauen weiterhin unterdrückt und von ihren Grundrechten als Mensch beraubt. Es sind diese im kapitalistischen System innewohnenden, zum Himmel schreienden Ungerechtigkeiten, die auch dieses Jahr wieder Hunderttausende dazu bewogen, sich hierzulande die Strassen und Plätze zu nehmen. Sie erhoben dabei unüberhörbar die Stimme der Gerechtigkeit. «Solange Gleichstellung nicht deine Lieblingsstellung ist, bin ich Feministin», war auf einem der Tausenden von Plakaten in Zürich zu lesen. Wie treffend auf den Punkt gebracht!
Tiefgreifende Veränderungen
Der Frauenstreik 2019 wurde zum feministischen Streik 2023. Diese «Namensänderung» nahmen viele bürgerliche Frauen als Vorwand, sich vom 14.Juni zu distanzieren – bitte schön, niemand ist ihnen böse. Die neue Benennung zeugt von der Entwicklung der Bewegung in den letzten vier Jahren, die weder von Covid noch von der Repression der Polizei tot zubekommen war. Zu den klassischen Themen wie Lohngleichheit nimmt auch eine radikale Kritik am Kapitalismus immer mehr Platz ein. Vereinfacht auf den Punkt gebracht: Die feministische Bewegung stellt die Frage, in was für eine Welt wir leben wollen. Dabei trennt sich naturgemäss die Spreu vom Weizen. Denn die Forderungen des feministischen Streiks gehen über eine «Pflästerlipolitik» innerhalb des Bestehenden hinaus. Es geht um tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen in einem System, das Millionen von Frauen (natürlich nicht nur) unterdrückt und ausbeutet, um einigen Wenigen einen möglichst hohen Profit zu garantieren. Dass dabei die Frauen aus dem bürgerlichen Lager nicht mehr mitmachen, zeigt auf welcher Seite der Barrikade sie stehen.
Jedes Jahr!
Auch hat die Bewegung aus dem Frauenstreik 2019 einiges gelernt. Unter anderem, dass es eben nicht reicht, Frauen zu wählen. Das hat uns die Konterreform bei der AHV 21 deutlich gezeigt. Welche der bürgerlichen Vertreterinnen, die jetzt jammern, der Frauenstreik sei von links «gekapert» worden, stimmte im Parlament gegen die Erhöhung des Rentenalters der Frauen? Keine. Es müssen Frauen gewählt werden, die ohne Wenn und Aber hinter den Forderungen stehen, die im Manifest des feministischen Streiks festgehalten sind. Und diese Forderungen müssen zuoberst ihrer politischen Agenda stehen. Aber das allein reicht auch nicht – lange nicht. Notwendig ist eine starke Bewegung, die einen Druck von der Strasse erzeugen kann. «Wir müssen jedes Jahr streiken», sagte die PdA-Genossin Rita Maiorano kürzlich im Interview mit dieser Zeitung. In diesem Sinne: auf zum feministischen Streik 2024!