«Wir kochen weiter!»
sit. Nach einer Besetzung von zehn Jahren wurde das Koch-Areal in Zürich von der Polizei geräumt. Die rotgrüne Stadtregierung spielt «bezahlbaren» Wohnraum gegen autonome Kultur aus. Das müsste aber nicht sein.
«Das Koch-Areal hat uns bewiesen, dass wir Utopien noch leben können», skandiert die Aktivistin über die Lautsprecher des Sound-Wagens. «Zürich braucht Räume wie das Koch-Areal. Platz zum Wohnen, zum Diskutieren, zum Experimentieren, um sich zu vernetzen, um aufeinander aufzupassen und Kultur zu leben.» Kurze Verschnaufpause. «Und weil wir Tag für Tag zu spüren bekommen, dass wir diesen Platz in Zürich nicht
bekommen, müssen wir ihn uns selber nehmen.
Holen wir uns unsere Stadt zurück, heute auf der Strasse, morgen in den Häusern.» Jubelgeschrei und Applaus der rund 1500 Teilnehmer:innen der Demo «Das wird heiter. Wir kochen weiter!» am 18.Februar in Zürich.
Aufgerufen hatten die Aktivist:innen des Koch-Areals, das am Morgen des 15.Februar geräumt wurde. Dabei ist in einem Video zu sehen, wie 20 bis 25 Polizist:innen in voller Kampfmontur das Areal betreten. In der Luft kreist ein Polizeihelikopter. Drinnen findet die Polizei eine Person, die «zu weiteren Abklärungen abgeführt» wurde, wie in der Medienmitteilung der Stadtpolizei Zürich zu lesen ist.
Ein einzigartiger Kulturraum
Das Koch-Areal ist ein 30000 Quadratmeter grosses, ehemaliges Industriegelände in Zürich Altstetten. Im März 2013 wurden grosse Teile des Areals von «Familie Wucher» und «Familie Zauber» besetzt. Auch Teile der Autonomen Schule Zürich (ASZ) fanden darin Platz. Mit der Räumung verliert Zürich einen einzigartigen autonomen Kulturraum.
«An keinem anderen Ort in dieser Stadt treffen politischer Widerstand, Gegenkultur und Lebensentwürfe unterschiedlichster Art so konzentriert aufeinander», ist auf der Website der Koch-Aktivist:innen zu lesen. Das Koch, wie es im Volksmunde hiess, war ein unkommerzielles Epizentrum von selbstbestimmter kultureller und politischer Organisation. Ein Raum, in dem Kultur, selbstorganisiertes Zusammenwohnen und Gemeinschaft frei von ihrer ökonomischen Verwertbarkeit ausprobiert wurden. Auf dem Areal befanden sich eine solidarische Infrastruktur mit Bar- und Konzertraum, Kino, (Sieb-)Druckerei, Velowerkstatt, Grossküche, Trainingsraum und vielem mehr. Ein Ort, an «dem Wissen geteilt und vielfältige radikalpolitische Praxis organisiert» wurde, wie es auf der Website treffend beschrieben wird. Rund 150 Menschen lebten zum Zeitpunkt der Räumung im Areal. Ein Teil von ihnen ist nun ins Hardturm-Areal, in die sogenannte Hardturmbrache, gezogen – dort, wo das neue Fussballstadion Zürichs gebaut werden soll. Die Stadt hat sich zu dieser Besetzung noch nicht geäussert.
An der Velowerkstatt «Velonom» lässt sich die Lebenskultur des Koch-Areals bestens erkennen und beschreiben. «Das Velonom ist eine öffentliche, selbstverwaltete Velowerkstatt. Wir stellen Raum, Werkzeuge, Velos, Ersatzteile und gewisse Mechaniker:innen-Erfahrung zur Verfügung», wird auf der Website informiert. Und: «Wir sind kein Veloladen, in dem Reparaturen für Kund:innen erledigt werden, sondern ermuntern jede und jeden, Reparaturen selbst und /oder mithilfe anderer in die Hand zu nehmen.» Das Ziel dabei sei auch «eine echte Alternative zum kommerziellen Reparaturservice zu schaffen». Auch könne man fast alles reparieren, daher: «Warum immer alles gleich wegschmeissen und neu kaufen?»
Gemeinnützige Wohnungen
2013 kaufte die Stadt das Areal für 70 Millionen Franken der UBS ab. 2018 stimmten die Stadtzürcher:innen dem Wohnbauprojekt der Stadt zu. Dieses sieht die Realisierung von 350 gemeinnützigen Wohnungen vor, inklusive 16200 Quadratmeter Nutzungsfläche fürs Gewerbe und einem öffentlichen Park in der Grösse von 13000 Quadratmeter. Wobei die Stadt nicht selbst baut. Die Wohnungen werden von den Wohnbaugenossenschaften ABZ und Kraftwerk1 gebaut und ihrem Besitz sein. Das Grundstück im Wert von rund 35 Millionen gehört zwar weiterhin der Stadt, jedoch im Verwaltungsvermögen. Sie wird gemäss Vereinbarung mit den Genossenschaften jedes Jahr rund 470000 Franken von diesen erhalten. Für die Gewerbeflächen ist die Firma Senn, eine sogenannte Immobilienentwicklerin, zuständig, Grünstadt Zürich für den Bau des Parks.
Der Kulturraum muss Genossenschaftswohnungen weichen, «bezahlbarem Wohnraum», wie die beiden Genossenschaften gerne betonen. Was dies aber umgerechnet in Franken bedeutet, beispielsweise für eine 3-Zimmer-Wohnung in der neuen Überbauung, wurde bisher noch nicht mitgeteilt.
Soviel zu Rotgrün
Das stossende, ja beschämende am Kochareal-Projekt ist, dass die angeblich rotgrüne Stadtzürcher Regierung bezahlbare Wohnungen gegen autonomen Kulturraum ausgespielt. Das hätte nicht sein müssen. Die Stadt hätte beispielsweise auf den Bau des neuen Fussballstadions verzichten können (unter anderem, weil sie schon eines besitzt, das 2005 für 110 Millionen Franken neu gebaute wurde), und auf dem Hardturm-Areal ein Genossenschaftsprojekt umsetzen können.
Bezahlbarer Wohnraum muss auf Kosten von profitorientiertem und völlig überteuertem privaten Wohnraum entstehen, der die Boden- und Wohnungspreise in exorbitanter Manier in die Höhe getrieben hat. Weiter besteht die Möglichkeit einer Mietpreisdeckelung oder einer staatlichen Mietpreiskontrolle, so wie sie die Partei der Arbeit (PdA) fordert. Beides würde rasch zu mehr bezahlbaren Wohnungen in der Stadt führen. Dazu fehlt der Regierung aber der Mut und der politische Wille. Lieber das Koch räumen, als Immobilienhaie in die Schranken weisen. Soviel zu Rotgrün in der Regierung.