Wer nicht kämpft, hat verloren
flo. Im Arbeitskampf um den Landesmantelvertrag für das Hauptgewerbe in
der Baubranche haben die Gewerkschaften mit ihren Protesttagen ein starkes Zeichen gesetzt. Der vorwärts war am Abschluss der Protestreihe mit auf den Baustellen.
Fünf Uhr morgens vor den Toren einer Grossbaustelle in Zürich Wiedikon: Vertrauensleute vom Bau, Aktivist*innen und Gewerkschaftskader steigen aus dem Car, der sie von der SGB-Zentrale beim Volkshaus zu ihrem Einsatzort für heute brachte. Es ist kalt und düster. Davon lassen sich die Leute vor der Baustelle aber nicht beeindrucken. Shevqet (Name geändert) reisst einen Witz, die Kollegen lachen. Der temporär angestellte Bauarbeiter ist am Freitag 11.November mit den Gewerkschaften hinaus gegangen. Er führt seine Kolleg*innen zu den vielen Orten, an denen in Zürich aktuell gebaut wird, um in den Streik zu treten. «Jahrzehnte habe ich jetzt auf diesem Beruf gearbeitet», erklärt er mir, «der Büez ist schon so streng genug, auch ohne 58-Stunden-Woche!»
Überzeugungskraft
Seine Forderungen sind klar: «Mehr Lohn, Anrechnung von langen Anreisen als Arbeitszeit und einen besseren Schlechtwetterschutz. Und ganz bestimmt keine Flexibilisierung der Arbeitszeiten!» Shevqet unterbricht sich. Er hat Licht auf der Baustelle gesehen. Haben die Baumeister uns etwa ein Schnippchen geschlagen? Wurde unbemerkt auf der Baustelle die Arbeit aufgenommen? Noch stehen die drei Kräne, die in den Himmel Zürichs ragen, still. Und dann Entwarnung: Zwei Bauführer müssen tief in der Nacht die Baustelle betreten haben, in der vagen Hoffnung, dass man schon den Streik abwenden kann, wenn nur zwei Bauführer die Nacht auf einer Baustelle verbringen. Doch sie haben ihre Rechnung ohne Shevqet gemacht. Eine erste Gruppe von Arbeitern kommt vor die Baustelle an. Ein Teil von ihnen geht direkt auf den Bus der Unia zu, der sie zur Demonstration am Helvetiaplatz bringen soll. Die andern sind noch unschlüssig. Ihre Kollegen beginnen mit ihnen zu diskutieren. Dann mischt sich Shevqet unter die Gruppe. «Portugiese?», fragt er einen Arbeiter, um auf Portugiesisch in einem Redeschwall auf ihn einzureden. Der portugiesische Maurer schliesst sich seinen Kollegen im Bus an. Andere Bauarbeiter werden von Shevqet auf Albanisch, auf Italienisch und auf Spanisch angesprochen. «Weisst du, wenn man lange genug auf vielen Baustellen gearbeitet hat, lernt man so ein paar Sachen», erklärt er dem vorwärts seine Vielsprachigkeit.
Weitere Flexibilisierungen
Besonders wütend sind die Arbeiter*innen auf den Baustellen über die Pläne der drei Stunden Überzeit. Die Baumeister*innen könnten dann von ihnen verlangen, drei Stunden auf die Regelarbeitszeit drauf zu schlagen. Mit maximal zehn Reisestunden pro Woche gäbe das eine Wochenarbeitszeit von eben 58 Stunden. Täglich müssten die Bauleute dann bis zu elf Stunden und 36 Minuten im Betrieb verbringen. Das überzeugt viele vom Streik. Und so hängen die Aktivist*innen und Arbeiter*innen um halb Zehn Schilder vor den Toren auf: «Wir kämpfen für unsere Gesundheit – Diese Baustelle steht still!».
Danach machen sie sich auf den Weg zur Demonstration. Es sind an die 1500 Bauleute, Gewerk-schafter*innen und Aktivist*innen. Am häufigsten sind die Fahnen der Gewerkschaft Unia zu sehen. Aber auch die Syna ist präsent. Unter den politischen Gruppierungen fällt die starke Präsenz von Genoss*innen der Partei der Arbeit auf. Dutzende waren mit Fahnen aus den verschiedenen Landesteilen angereist. Der Demonstrationszug bricht lautstark auf und macht sich auf den Weg Richtung Langstrasse. Von den Fenstern filmen und winken Anwohner*innen – die Solidarität ist gross. Das Ziel der Demonstrierenden ist die Zentrale des Baumeisterverbands. Davor passiert man aber noch die Berufsschule für das Baugewerbe. Einige Jugendliche schliessen sich, überzeugt von ihren streikenden Kolleg*innen, der Demonstration an. Doch bevor es zum Zielpunkt geht, machen die Bauleute noch Pause. Mitten in der Halle des Hauptbahnhofs Zürich werden Festbänke und -tische aufgestellt und Essen ausgegeben: Pouletgeschnetzeltes mit Kartoffelstock. Einige Bauleute singen Bella Ciao und die portugiesische Version von «El pueblo unido».
Im ganzen Land
Der Kampf für einen guten Landesmantelvertrag (LMV) wurde an diesem 11.November von den Bauleuten aus Zürich, Bern, der Ost- und der Zentralschweiz geführt. Voran gegangen waren die Kolleg*innen im Tessin, der Nordwestschweiz, in Lausanne und dann noch mit einem weiteren Protesttag in der übrigen Romandie. Es ist klar: Wieder einmal sind die Proteste und Streiks für einen guten Abschluss im Hauptgewerbe Bau Massstab dafür, was in diesem Land möglich ist. Doch es ist deutlich, dass die organisierte Macht, die die Bauleute am 11.November in Zürich und zuvor im ganzen Land sonst gezeigt hatten, auch in anderen Branchen Schule machen muss. Die Mobilisierungsfähigkeit, der Wille zum Kämpfen bei den Arbeiter*innen kommen nicht aus dem luftleeren Raum. Sie haben viel mit den schweren Arbeitsbedingungen der Bauarbeiter*innen zu tun.
Doch auch in anderen Branchen wird knochenhart gekrampft. Der Umstand, dass Aktionen wie diese Protesttage möglich sind, hat damit zu tun, dass die Gewerkschaften schon vor Jahrzehnten mit Aktionen wie der Baregg-Sperrung die Frühpensionierung herausholen konnten. Diese wird seither verbissen mit den Bauleuten vor Angriffen vom Baumeisterverband verteidigt.
Der Kampf für den LMV ist für die Gewerkschaften so auch alle vier Jahre eine Schicksalsfrage. Doch nur eine wirklich kampffähige Branche reicht nicht aus. Ähnliches in der Pflege, dem Handel, dem Baunebengewerbe und unzähligen weiteren Bereichen möglich zu machen, muss die Kernaufgabe der Arbeiter*innenbewegung in den kommenden schweren Jahren sein.