Landarbeiter verschwunden
Ralf Streck. In Spanien herrscht eine skrupellose Ausbeutung auf den Landgütern. Sexuelle Übergriffe, Belästigungen und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung. Da das Arbeitsministerium inzwischen verstärkt gegen die Missstände vorgeht, sorgt dies für Gewalt- und Morddrohungen.
Die kleine andalusische Gemeinde Villacarrillo ist in Aufregung. Schon seit Mitte September ermitteln spanische Sicherheitskräfte intensiv vor Ort. Im Zentrum der Ermittlungen steht der Unternehmer Ginés Vicente. Für ihn hatte der 33-jährige Ibrahima Diouf vor seinem Verschwinden im Januar 2021 in der Olivenernte gearbeitet. «Warum ermitteln sie jetzt erneut?», fragen sich viele Menschen in der Gemeinde in der Provinz Jaén, wo sich das grösste geschlossene Olivenanbaugebiet der Welt befindet. Und: «Gibt es neue Erkenntnisse?»
Kurz vor Redaktionsschluss wurde be-kannt, dass zunächst die Durchsuchungen auf den Anwesen beendet wurden. Diverses Material wurde beschlagnahmt, wie einen Anhänger und Werkzeuge, um DNA-Spuren zu suchen. Weitere Suchaktionen werden aber nicht ausgeschlossen.
Unmenschliche Bedingungen
Nach Angaben von Zeug*innen verloren sich nach einer Diskussion mit dem Chef über die miesen Arbeitsbedingungen bei der Olivenernte jede Spur von dem jungen Senegalesen. Die Ermittler*innen konzentrieren sich auf den Unternehmer, da gegen ihn schon einmal ermittelt wurde. Nach einem Streit mit Vicente war im Dezember 2013 schon der 22-jährige Tidiany Coulibaly spurlos verschwunden. Der junge Mann aus Mali war der Sprecher von Landarbeiter*innen und verhandelte mit dem Unternehmer über die von ihm beschäftigten Arbeits- und Lebensbedingungen der Tagelöhner*innen. Damals wurde Vicente angeklagt. Ihm drohte eine Haftstrafe von 15 Jahren wegen Entführung und Verschwindenlassen. Auf seinem Hof, auf dem Coulibaly nie gearbeitet hatte, waren DNA-Spuren von ihm gefunden worden. Gegen diese Vorwürfe wurde der Unternehmer jedoch aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Verurteilt wurde er zu einer zweieinhalbjährigen Gefängnisstrafe für Verstösse gegen Arbeiterrechte. Er habe Einwanderer*innen ohne gültige Papiere unter unmenschlichen Bedingungen ausgebeutet. Weit unter dem Mindestlohn habe er ihnen nur 20 bis 30 Euro pro Tag für sehr lange Arbeitstage in der prallen Sonne bezahlt. Leben mussten sie zusammengepfercht auf einem seiner Anwesen und mussten ohne Betten auf Matratzen auf dem Boden schlafen. Es gab keinerlei Hygieneeinrichtungen.
Wie Tiere
Fatale Arbeits- und Lebensbedingungen und die Ausbeutung auf den Landgütern sind in Spanien eine Normalität. Man kann von einer modernen Form der Sklaverei sprechen, die seit einiger Zeit auch immer breiter kritisiert wird.
Nach einem Besuch in Spanien hatte vor zwei Jahren zum Beispiel Philip Alston, der UNO-Sonderberichterstatter für extreme Armut, auf die fatale Situation von Tagelöhnern hingewiesen. Besonders erschreckt haben Alston dabei Hüttendörfer in Andalusien. «Wie Tiere müssen Flüchtlinge und Einwanderer dort leben, die als Tagelöhner in der Erdbeerernte eingesetzt werden», sagt der Professor der New York University School, wie auf heise.de zu lesen ist.
Sexuelle Übergriffe, Belästigungen und Vergewaltigungen sind an der Tagesordnung, hat eine Buzzfeed-Recherche ergeben. «Die Verantwortlichen kommen ungestraft davon», wird festgestellt. Dafür steht ein Skandalurteil, das kürzlich in Murcia gesprochen wurde. In der Nachbarregion von Andalusien wurde eine Erntehelferin aus Paraguay von einem Vorarbeiter vergewaltigt. Die zweijährige Haftstrafe konnte er durch die Teilnahme an einem Sexual-Erziehungskurs und einer Geldstrafe von 6000 Euro umgehen.
Inspektionen verfünffacht
Da sich die Arbeitsministerin Yolanda Díaz verstärkt der Zustände auf dem Land angenommen hat, führt das auch zu massiven Angriffen gegen sie. Es gibt seit langem auch Todesdrohungen gegen die Chefin der Linkskoalition «Unidas Podemos» (UP). Die derzeit beliebteste Politikerin in Spanien erklärte, dass sie «von produzierenden Sektoren in diesem Land mit dem Tode bedroht wurde, weil es ihnen nicht gefällt, dass Arbeitsinspektionen durchgeführt werden». Das Arbeitsministerium hat die Inspektionen auf den Höfen im vergangenen Jahr gegenüber dem Vorjahr verfünffacht. Díaz erklärt, dass «niemand Angst vor Inspektionen haben muss», wenn die Gesetze eingehalten und die Rechte der Beschäftigten respektiert werden. Bei den Inspektionen wurden praktisch in einem Drittel Verstösse festgestellt und Geldstrafen verhängt.