Nächste Station: Streik!
Deniz Killi. Es reicht! Das Personal des Waadtländer Universitätsspitals (CHUV) in Lausanne beschloss für den 23.Juni einen eintägigen Streik. Dieser soll und muss der Startschuss für weitere Arbeitskämpfe im Pflegebereich sein.
Rund 100 Mitarbeiter*innen des Waadtländer Universitätsspitals (CHUV) in Lausanne nahmen an der ausserordentlichen Generalversammlung vom 25.Mai teil. Der Antrag, am 23.Juni zu streiken, wurde von einer sehr grossen Mehrheit angenommen. Nebst dem Streik ist für den Abend des gleichen Tags eine Demonstration in Lausanne geplant. «Die Mitarbeiter*innen sind am Ende ihrer Kräfte, die Abwesenheitsrate liegt in einigen Abteilungen des CHUV zwischen 20 und 30 Prozent», erklärte David Gygax, Sekretär der Gewerkschaft VPOD im Kanton Waadt, gegenüber der Zeitung Le Temps.
Covid-Prämie nicht für alle
Bereits im Oktober 2020, nach der ersten und noch vor der zweiten Welle, stellte das Personal des Spitals an ihrer Generalversammlung Forderungen an den Arbeitgeber, sprich an den Kanton Waadt: die Erhöhung des Personalbestands, eine Lohnerhöhung sowie die Auszahlung einer Covid-Prämie. Diese sollte der hohen Belastung sowie den Risiken Rechnung tragen, denen das Pflegepersonal seit Beginn der Pandemie ausgesetzt waren – und noch sind. Trotz der Berechtigung dieser Forderungen seitens des Personals und der Gewerkschaften, sowie Protestaktionen, wie etwa am nationalen Protesttag Ende Oktober 2020, blieb es auf Seite des Kantons still.
Im Februar 2021 versprach dann der Kanton Waadt doch eine Covid-Prämie von 900 Franken für das Gesundheitspersonal. Alles gut? Nein, denn das Problem zeigte sich im März. Dann wurde bekannt, dass die Prämie nur dem Personal ausbezahlt wird, das während der zweiten Welle direkt mit den Erkrankten in Kontakt und damit dem Virus ausgesetzt war. Der unermüdliche Einsatz und das Risiko, welches viele Pflegende bereits während der ersten Welle auf sich nehmen mussten, sollen nicht anerkannt, sondern schlicht ignoriert werden. Genug ist genug, sagte sich dann das Personal des CHUV und beschloss den Streik.
Applaus reicht nicht
Überstunden als Normalzustand, zu wenig Lohn, sowie die Unvereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf sind nur einige der vielen Herausforderungen, mit welchen die Pflegenden zu kämpfen haben. Die Arbeitsbedingungen haben sich im Zuge der Pandemie nochmals enorm verschärft. Es sei daran erinnert, dass ganz zu Beginn der Pandemie unter anderem die gesetzlichen Vorschriften zu den Arbeits- und Ruhezeiten für die Pflegende ausser Kraft gesetzt wurden. Konkret bedeutete es, dass viele Pfleger*innen 12-Stunden-Schichten bewältigen mussten. Die fehlenden Schutzmaterialien und die zusätzlichen Belastungen waren und sind bloss die Spitze des Eisbergs.
Der Pflegenotstand ist jedoch schon lange ein Problem. Die Rede ist gar von einem «Pflexit»: Mehr als 2400 Pflegende steigen jährlich aus dem Beruf aus. Einzelne Kantone sprechen zwar Corona-Prämien aus. Jedoch sind diese nicht annähernd flächendeckend und es besteht kein Interesse, die Arbeitsbedingungen von Pflegenden langfristig und nachhaltig zu verbessern.
Die durch die Pandemie verschärften Missstände bei den Arbeitsbedingungen führten zur Entstehung von Netzwerken oder Basisorganisationen wie zum Beispiel dem «Pflegedurchbruch». Eines der Ziele ist die Sensibilisierung von Pflegenden, die sich über die verschiedenen Organisationsmöglichkeiten für bessere Arbeitsbedingungen noch nicht bewusst sind. In der Schweiz sind rund 214000 Pflegende im Gesundheitswesen tätig, etwa 42000 sind in einer Gewerkschaft oder einem Verband organisiert.
Internationaler Tag der Pflege
Eine wichtige Mobilisierung fand dieses Jahr bereits statt: Am 12.Mai, dem internationalen Tag der Pflege. Das Datum ist nicht zufällig gewählt und erinnert an den Geburtstag von Florence Nightingale vor genau 201 Jahren. Sie war eine Pionierin der westlichen Pflegewissenschaft sowie eine Reformerin des Sanitätswesens und der Gesundheitsfürsorge. Im Rahmen des diesjährigen 12.Mai fanden in zahlreichen Kantonen verschiedene Aktionen statt, welche von den Gewerkschaften und Verbänden mitorganisiert wurden. In Basel nahmen gut 400 Personen an der Protestaktion statt, viele Arbeiter*innen aus dem Pflegebereich kamen gar in ihrer Arbeitskleidung und wurden von solidarischen Menschen unterstützt. In den Städten Sankt Gallen und Bern gab es Standaktionen. In Zürich, Zug und Luzern fanden sich die Pflegenden zu einem gemeinsamen Spaziergang beim sogenannten «Walk of Care» zusammen.
Eine Welt zu gewinnen
Wie weiter? Das Personal des CHUV in Lausanne macht es vor. Streiks sind seit jeher ein wichtiges Mittel, um den Forderungen Nachdruck zu verleihen und durchzusetzen. Erst recht dann, wenn diverse andere Mittel wie Petitionen, Gespräche und Verhandlungen bereits ausgeschöpft wurden, sich aber als nutzlos erwiesen.
Der Streik in Lausanne darf daher nicht ein isolierter Einzelfall bleiben. Dieser Arbeitskampf soll und muss als Startschuss einer Reihe von Streiks zur kompletten Umstrukturierung des Gesundheitssystems dienen. Dazu nötig ist eine interprofessionelle Koordination, welche nur durch die gewerkschaftliche Organisation möglichst vieler Arbeitenden des Gesundheitswesens ermöglicht wird. Es braucht den Mut, sich gegen die Ausbeutung zu wehren. Nötig ist auch eine betriebs- und berufsübergreifend Solidarität, um eine grundlegende Veränderung anstreben zu können. Denn, wie schon Karl Marx sagte: «Die Arbeiter haben nichts zu verlieren, sondern eine Welt zu gewinnen.»
Die Autorin Deniz Killi arbeitet im
Pflegebereich