CS und Bund handeln völkerrechtswidrig
sit. Die Credit Suisse und der Bund halten sich nicht an internationale Abmachungen, wie etwa an das Recht auf angemessenen Lebensstandard, das im UN-Sozialpakt festgehalten wird. Dies geht aus dem Schreiben der UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen Leilani Farha hervor. Sie stellt unbequeme Fragen und erwartet Massnahmen.
Dicke Post für den Bundesrat, die Credit Suisse (CS), deren Immobilienfonds SIAT sowie Wincasa AG, die Liegenschaftsverwaltung der CS. Die Absenderin: die Rechtsanwältin und UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Wohnen Leilani Farha. Der Inhalt des zehnseitigen Schreibens ist brisant: Bei den durchgeführten Massenkündigugen von Mieter*innen in Basel und Zürich hat die CS gegen internationale Rechte verstossen, denen sich die Schweiz sowie die CS selbst verpflichtet haben. Das Schreiben datiert auf den 25.November 2019, veröffentlicht wurde es am 25.Januar 2020. Die Empfängerinnen hatten 60 Tage Zeit, um eine Antwort zu geben. Jene des Bundesrats steht noch aus, die CS antwortete mit zwei Tagen Verspätung. Doch der Reihe nach.
Mieten verdoppelt
Ende Juni 2019 weilte Leilani Farha in der Schweiz. Was sie sah, und vor allem was sie von den Mieter*innen hörte, gefiel ihr gar nicht. Im Schreiben an den Bundesrat ist zu lesen: «Die Regierungen von Bund, Kantonen und Städten scheinen weitgehend nicht in der Lage gewesen zu sein, einen ausreichenden Zugang zu bezahlbarem Wohnraum für Haushalte mit niedrigem Einkommen in den grossen Schweizer Städten zu gewährleisten.»
Die UN-Sonderberichterstatterin bezieht sich dabei auf die Überbauung Brunaupark in Zürich und jene in Basel am Schorenweg. In beiden Fällen heisst die Investorin Credit Suisse, in Basel durch ihre Pensionskasse und in Zürich durch die von ihr kontrollierten SIAT Immobilien AG. Der Bericht überzeugt durch die beispielhafte Recherchearbeit und hält auch konkrete Mietzinszahlen fest: Im Brunapark werden sich die Mieten verdoppeln, und zwar von 1200 Franken netto auf 2200 bis 2650 Franken für eine 3.5-Zimmer-Wohnung, für eine 4.5-Zimmer-Wohnung müssen in Zukunft gar 3200 Franken im Monat hingeblättert werden. Auch am Schorenweg in der Rheinstadt würden die aktuellen Mieten von 1000 bis 1700 Franken für eine 2-Zimmer-Wohnung, beziehungsweise 3-Zimmer-Wohnung «signifikant» steigen, «was für viele der heutigen Mietparteien unbezahlbar» sein werde, hält Leilani Farha fest.
Angemessener Lebensstandard ist ein Recht
Die UN-Sonderberichterstatterin stützt ihre Kritik auf internationale Abkommen und Standards, vor allem auf den UN-Sozialpakt, den die Schweiz am 18.September 1992 unterzeichnet hat. Darin wird in Art.11, Abs.1 das Recht festgehalten auf «einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie, einschliesslich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen». Formulierung, die Art.25 der «Allgemeine Erklärung der Menschenrechte» entspricht. Es ist überflüssig zu erwähnen, dass eine Verdoppelung des Mietzinses wohl kaum die Lebensbedingungen für die betroffenen Menschen verbessert. Weiter wird festgelegt, dass «die Vertragsstaaten geeignete Schritte» unternehmen müssen, um die «Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten.»
Bund soll Massnahmen ergreifen
Wesentlicher Bestandteil der Schreiben der UN-Sonderberichterstatterin Farha sind acht Punkte, in denen sie um weiterführende Informationen bittet. So ist im Bericht an die Regierung der Eidgenossenschaft zu lesen: «Bitte beschreiben Sie, welche Schutzmassnahmen die Stadträte von Zürich und Basel sowie die Kantonsregierungen ergriffen haben, um sicherzustellen, dass die Rechte der Bewohner des Brunauparks und des Schorenwegs respektiert, geschützt und erfüllt werden, und erklären Sie gegebenenfalls, inwieweit sie möglicherweise nicht eingehalten wurden.»
Fehlender Schutz sowie fehlender bezahlbarer Wohnraum für die betroffenen Mieter*innen sind die zwei Kernthemen im Bericht. So richtet Leilani Farha die dringliche Bitte an die zuständigen Behörden auf Bundes-, Kantons- und Gemeindeebene, alle «notwendigen Massnahmen zu ergreifen», um sicherzustellen, dass «Credit Suisse, ihre Pensionskasse, Wincasa oder andere» die internationalen Menschenrechtsverpflichtungen im Bereich des Wohnungswesens einhalten. Gleichzeitig seien Massnahmen notwendig, damit «alle Personen, insbesondere Haushalte mit niedrigem Einkommen, Zugang zu angemessenem und bezahlbarem Wohnraum haben».
Vorhandene Gesetze reichen nicht aus
Wie bereits erwähnt, hatte der Bundesrat 60 Tage Zeit, um zu antworten. Warum tat er es nicht? «Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) ist derzeit daran, die Antwort an die Sonderberichterstatterin zu finalisieren», hält EDA-Pressesprecher Pierre-Alain Eltschinger am 5.Februar auf Anfrage des vorwärts fest. Die Antwort verzögere sich «unter anderem durch die Weihnachtstage», aber auch durch den Inhalt des Schreibens und die Thematik, die «Abklärungen auf verschiedenen Ebenen notwendig» machen. Die Verspätung habe zwar «keine Konsequenzen». Doch liege es im Interesse der Schweiz, dass die Antwort «so schnell wie möglich eingereicht werden kann», erklärt Eltschinger weiter.
Zusätzliche Massnahmen, wie von Leilani Farha gefordert, habe der Bund in den letzten 60 Tagen keine ergriffen, erklärt EDA-Pressesprecher Eltschinger. Er verweist dafür auf die Bundesverfassung, auf geltende Gesetze im Obligationenrecht (OR), sowie auf das «Wohnraumförderungsgesetz» (WFG), dank dem «zinsgünstige Darlehen an die gemeinnützigen Wohnbauträger (insbesondere Wohnbaugenossenschaften) zur Verfügung gestellt werden.» Festgehalten wird auch, dass «eine Förderung des gemeinnützigen Wohnbaus auch durch Kantone sowie viele Städte und Gemeinden» erfolgt. Die Antwort des EDA ist zwar äusserst ausführlich, im gleichen Masse aber auch widersprüchlich, denn es sind unter anderem gerade die geltenden Gesetze, die Leilani Farha kritisiert. Sie schreibt: «Verschiedene Bemühungen, Mietzinserhöhungen durch Gesetze zu begrenzen, das Angebot an Mietwohnungen zu erhöhen oder die Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum durch sozialen Wohnungsbau zu unterstützen, waren offenbar nicht wirksam, um sicherzustellen, dass alle einkommensschwachen Haushalte, die in städtischen Gebieten leben, Zugang zu bezahlbarem Wohnraum haben.»
Um wie viel steigen die Mieten?
Unbequeme Fragen musste sich auch die CS gefallen lassen: «Bitte teilen Sie uns mit, ob die geplanten Entwicklungs- und Modernisierungsprojekte im Brunaupark in Zürich oder am Schorenweg in Basel einer sozialen oder menschenrechtlichen Überprüfung unterzogen wurden. Falls ja, könnten Sie uns die entsprechenden Bewertungen mitteilen.» Wissen will die UN-Sonderberichterstatterin auch, ob die aktuellen Mieter*innen das Recht haben, nach Ende der Sanierungsarbeiten wieder in ihren jetzigen Wohnungen leben zu können. Und falls ja, um wie viel die Miete pro Monat steigen würde. Die CS wird aufgefordert, «alle notwendigen Massnahmen zu ergreifen, damit die Rechte der Mieter*innen nicht verletzt werden». Weiter wird die CS dringend gebeten, mit den Mieter*innen vom Brunaupark und vom Schorenweg Kontakt aufzunehmen. Dies mit dem Ziel, «negative Auswirkungen der Sanierungs- oder Modernisierungspläne» zu verhindern oder mindestens zu lindern.
Die Antwort der CS
Die Antwort der CS datiert vom 27.Januar, und zwar in einen Hauptbrief und je ein Schreiben für das Projekt am Schorenweg in Basel (durch die CS-Pensionskasse) und den Brunaupark in Zürich (durch die SIAT Immobilien AG). Alle drei Schreiben wurden dem vorwärts auf Anfrage zugestellt. «Wir nehmen unsere Verantwortung als Vermieterin sehr ernst und haben umfassende Massnahmen ergriffen, um die Mieter bei der Suche nach einer neuen Wohnung aktiv zu unterstützen», erklärt Pressesprecher Andreas Kern. Aus dem Hauptbrief geht hervor, dass «eine Reihe von Massnahmen» entwickelt wurden, die in den Briefen «detailliert beschrieben sind.» Eine solche Massnahme ist eine «Einmalzahlung zur Entschädigung für die Unannehmlichkeiten beim Auszug» für die Mieter*innen vom Schorenweg. Der Betrag hängt von der Grösse der Wohnung ab, für eine 3.5-Zimmer-Wohnung sind es zum Beispiel 750 Franken. Auch die CS auf die geltende Rechtsprechung. So informiert sie die UN-Sonderberichterstatterin auf belehrerische Art, dass die Schweiz ein «ausgebauter Rechtsstaat» sei, der einen «starken gesetzlichen Schutz der Mieterrechte bietet». Also gleiches Vorgehen wie beim EDA: Als Teil der «Lösung» wird das genannt, was Leilani Farah als eine der Ursachen des Problems beschrieben hat.
Die CS beteuert, ihre Sorgfaltspflicht gemäss den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte «in angemessener Form wahrgenommen» zu haben und kommt daher zum Fazit: «Aus unserer Sicht ist die Ihnen zugetragene Kritik an unserem Vorgehen nicht berechtigt.»
Klares Fazit
Was ist von den Antworten des EDA an den vorwärts und die drei Schreiben der CS an die UN-Sonderberichterstatterin Leilani Farha zu halten? Sie seien «unerträglich», erklärt Beat Leuthardt, Leiter der Rechtsabteilung und Co-Geschäftsleiter vom Basler Mieterinnen- und Mieterverband (MV Basel) auf Anfrage. «Bund und Grossinvestor*innen kaschieren ihren würdelosen Umgang mit den von Massenkündigungen und sanierungsbedingten Mietzinsspiralen direkt betroffenen Bürger*innen und insbesondere den langjährigen sowie älteren Mietparteien». Die «langen Rechtsbelehrungen», auf die sowohl das EDA wie auch die CS zurückgreifen, «gehen allesamt an der Thematik vorbei», hält Leuthardt weiter fest. Und vor allem: «Die beiden Kernvorwürfe der Vereinigten Nationen bleiben unbeantwortet». Gemeint sind erstens eine frühzeitige, heisst bevor es zu Massenkündigungen kommt, transparente Information sowie den Einbezug in die Entscheidungsprozesse der betroffenen Mieter*innen. Und zweitens ihr Recht «nach den Sanierungsmassnahmen zu den bisherigen Bedingungen beziehungsweise zu massvollen Mieten wiedereinziehen oder im selben sozialen Umfeld anderswo weiter wohnen zu können.»
Leuthardt kommt zu einem klaren Fazit: «Schweizer Massenkündigungen und sanierungsbedingte Mietzinsspiralen sind völkerrechtswidrig. Die Rechtslage muss umgehend auf UN-Standards hochgeschraubt werden.»