«Die Nazis sind mehr …»
Florian Sieber. Sören Kohlhuber ist linker, antifaschistischer Journalist aus Berlin und begleitet rechte Demos, um nach Motiven oder nach bestimmten bekannten ProtagonistInnen zu suchen. Um über seine Arbeit zu sprechen, hat sich der vorwärts mit ihm getroffen.
Du dokumentierst rechte Demos in Deutschland. Wie dürfen wir uns deine Arbeit genau vorstellen?
Sören Kohlhuber: Das kommt immer auf die Gegebenheiten an. Ist es jetzt dunkel oder hell? Kann ich gute Fotos machen, muss ich näher ran? Wie sieht die Situation bei der Sicherheit aus? In der Regel treffe ich mich dann mit KollegInnen und wir verschaffen uns einen Überblick – wer ist da, wie ist die Lage im Moment, was gibt es für Infos? Und dann gibt es die Routinesachen. Man sucht sich einen hohen Punkt. Man fotografiert einmal die Demonstration ab, um eine Übersicht zu haben. Und dann geht man gezielt los, um nach Motiven oder nach bestimmten bekannten ProtagonistInnen zu suchen. Und dann beschäftige ich mich auch damit, wie der Gegenpart agiert. Oder eben, was die Polizei macht: Was haben die für Ausrüstung dabei, wie viele sind es, wie agieren sie?
Du bist links und Journalist. Ist das nicht eigentlich die gefährlichste Kombination, um in die Nähe rechter Demos zu gehen?
Ja, schon. Das ist dann aber eben auch der Sinn der Sache. Es ist eine Frage davon, wie man Journalismus interpretiert. Ich für mich sage: Journalismus muss antifaschistisch sein, muss demokratisch sein und muss diese Strukturen, die wir haben, auch beschützen. In Deutschland zumindest. Es muss für uns eine Lehre aus dem Faschismus sein, dass wir JournalistInnen die demokratischen Standards in Deutschland, eben auch verteidigen müssen. Also kann ich eigentlich nichts anderes sein als ein linker Journalist. Das Problem an der ganzen Sache ist aber, dass sowohl Linkssein als auch der Antifaschismus im Journalismus ein bisschen verpönt sind. Aber ich sehe das folgendermassen: Beides sind grundsätzliche Dinge, die man drauf haben sollte, wenn man als JournalistIn vernünftige Arbeit leisten will.
Ist es da auch schon zu brenzligen Situationen gekommen? Bist du an Demonstrationen erkannt worden?
Ja, das kommt regelmässig vor. Fotojournalist-Innen allgemein und dann besonders solche, die als links und antifaschistisch wahrgenommen werden, haben hohe Priorität für Rechte. Und es gibt auch einzelne Polizeibeamte, die JournalistInnen erkennen, die sich so exponieren, und die dann entsprechend repressiv handeln. Bei den Nazis gibt’s halt Pöbeleien. Selten auch Versuche der körperlichen Einwirkung. Meistens dann aber auch nur in Gebieten, wo sie entsprechend Selbstbewusstsein haben.
Das ist in Berlin selten der Fall. Da muss man schon zu kleineren Demonstrationen gehen, wie Bärgida gehen. Dort sind dann halt auch einfach Leute, die einen angreifen wollen. Aber bei grösseren Demonstrationen in Berlin fühl’ ich mich eigentlich sicher. In Sachsen wär das wieder was anderes oder in Südbrandenburg, Vorpommern. Das sind eben Gebiete, wo die Nazis wissen, dass sie die Hosen anhaben, und das zeigen sie dir dann auf der Demo, auf der Strasse, bei der Anfahrt, bei der Abfahrt. Aber auch da waren eher die An- und Abfahrten die Orte, wo es zu brenzligen Situationen kam und weniger die Demos selber.
Wenn Linke in Deutschland demonstrieren, hat man den Eindruck, dass das volle Programm an Repression aufgeboten wird. Rechte hingegen werden sogar ignoriert, wenn sie als Serienmörderbande durchs Land ziehen. Kannst du dieses Bild bestätigen?
Es fällt auf, dass bei linken Demos mehr Einsatzkräfte direkt an der Demonstration dran sind und auch intervenieren. Bei Rechten sehe ich das häufig nicht. Da muss ich dann eben davon ausgehen, dass die Behörden eher gegen linke Demos vorgehen als gegen rechte. Eine weitere Frage ist, wie mit Ausschreitungen umgegangen wird. Also wie wurde in Heidenau reagiert, wie wurde in Chemnitz reagiert, wie wurde in Freital reagiert und wie wird beispielsweise reagiert, wenn Hausbesetzer-Innen in Berlin eine Demo machen? Das ist dann auch eine andere Liga. Es sind mehr Einheiten da, es wird schneller zugegriffen. Da gibts verschiedene Erklärungsansätze, warum. Einmal die Komponente, dass es politisch gewollt ist, und dann noch, dass die Einheitskräfte bei Neonazidemos ungern reingehen, weil Neonazis sich aktiv wehren, das heisst die Gefahr für den Polizeibeamten höher ist, eins aufs Maul zu kriegen.
Was ja auch typisch scheint, sind die Verharmlosungen des Verfassungsschutz in Richtung der Rechten.
Ja, eindeutig. Das kann man auch an einem Beispiel nochmal belegen: Im Verfassungsschutzbericht von Mecklenburg-Vorpommern steht mehr Text über die Band «Feine Sahne Fischfilet» als über die ganze Rechtsrockszene im Bundesland. Und auch in anderen Bundesländern ist es so, dass der Verfassungsschutz aus seiner Geschichte heraus eben eine antikommunistische, eine antilinke Organisation ist. Der Verfassungsschutz ist niemandem Rechenschaft schuldig, er ist ja auch nicht eine Ermittlungsbehörde, sondern er sammelt Daten und macht dann Einschätzungen, so wie er gerade Bock hat. Und wenn Informationen über Nazis an die Öffentlichkeit gegeben werden, sind das Infos, die vorher aus Antifakreisen veröffentlicht wurden. Ich kenne ein Beispiel, da gab es in einem Bundesland eine parlamentarische Anfrage zu rechten Aktivitäten. Die Infos, die die Behörde daraufhin lieferte, waren jedoch eins zu eins aus einer Antifa-Recherchebroschüre kopiert. Also man schmeisst der Bevölkerung Brotkrummen hin, damit wieder Ruhe ist und in Wirklichkeit sammelt man Infos hauptsächlich über linke Strukturen. Das kommt aus der Geschichte des Verfassungsschutzes als Aufklärungs- bzw. Geheimdienst gegen kommunistische Umtriebe in der BRD. Und davon ist er auch im Jahre 2018 nicht weg.
Wie kann man am besten verhindern, dass die FaschistInnen einen Fuss auf den Boden bekommen?
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab: Wie sind die sozialen Begebenheiten, wie ist die Jobperspektive, wie ist die soziale Entwicklung, gibt es eine linke Szene? Es gibt da auch grosse Unterschiede zwischen Ost und West. Für mich ist aber immer wichtig, dass man im Stadtbild Protest zeigt, dass Nazis nicht unbehelligt durch die Strassen ziehen. Das gibt ihnen Stärke. Deshalb finde ich es auch immer wichtig, dass es einen Gegenprotest gibt und dass er sichtbar ist. Um der Bevölkerung zu zeigen, dass da eine Gegenmeinung ist. Und zwar nicht mit Satire oder einem Konzert, sondern mit einer Demonstration. Das wird in den letzten Jahren immer weniger. Und ich glaube, dass die Nazis dadurch immer stärker werden. Es gibt durchgehend seit 30 Jahren rechten Terror in Deutschland in verschiedenen Intensitäten und in verschiedenen Regionen. Mal steht die Zivilgesellschaft auf, mal nicht. Dann macht man mal wieder ein Konzert. Es gab eines in Chemnitz mit 70 000 Teilnehmenden. Da heisst es: «Wir sind mehr, wir sind 70 000!» Und gestern demonstrieren wieder 1200 Nazis und es ist kein Mensch mehr dagegen auf der Strasse. Ich will da nicht den Leuten in Chemnitz den Vorwurf machen. Aber den 70 000 mach ich da schon einen Vorwurf, weil sie zum Konzert kommen, aber meinen, das reicht. Ich höre immer öfters von AntifaschistInnen: «Wir sind nicht mehr, die Nazis sind mehr.» Und das ist eigentlich das Fürchterliche.